Protokoll der Sitzung vom 04.04.2003

(Jutta Schümann [SPD]: Stimmt!)

Umso verheerender wirkt sich jetzt deshalb das Vorschaltgesetz des Bundes bei gleichzeitiger Einführung von Fallpauschalen aus.

(Beifall bei FDP und CDU)

Im vorgelegten Bericht wird hierzu lapidar auf den herrschenden Rationalisierungszwang und das neue Entgeltsystem der DRGs verwiesen.

(Werner Kalinka [CDU]: So ist es!)

Inwieweit die im Bericht gepriesene Moderations- oder Interventionsfunktion des Gesundheitsministeriums wahrgenommen wird, zeigt sich daran, dass die schleswig-holsteinische Landesregierung zunächst den Eindruck erweckt hatte, sich gegen das Vor

(Veronika Kolb)

schaltgesetz des Bundes wehren zu wollen. Leider wurden wir eines Besseren belehrt.

(Zuruf des Abgeordneten Arno Jahner [SPD])

- Arno, ich sage es immer wieder, damit du es irgendwann auch weißt. - Aufgrund der äußerst knappen Mehrheitsverhältnisse im Vermittlungsausschuss des Bundesrates war das Ja Schleswig-Holsteins zu den Gesundheits-Notstandsgesetzen sogar ausschlaggebend.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Werner Kalinka [CDU] und Helga Kleiner [CDU] - Zuruf: So ist das!)

Noch einmal: Schleswig-Holstein hat einer administrativ verordneten Nullrunde in den Krankenhäusern und damit dem Personalabbau in den Kliniken und - als direkte Folge daraus - der Verschlechterung der Patientenversorgung zugestimmt.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Wenn wir in Schleswig-Holstein norwegische Patienten behandeln - ich freue mich für die norwegischen Patienten -, geschieht dies nur, weil irgendwann in den Krankenhäusern das Budget dicht ist und sie keine deutschen Patienten mehr behandeln können, die nicht notfallmäßig behandelt werden müssen.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist nur die Position der FDP!)

- Nein, das ist es eben nicht.

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Statt sinnvolle Erkenntnisse, wie sie bei der Behandlung von Schmerzkranken gewonnen worden sind, noch stärker in die Öffentlichkeit zu tragen und weiter umzusetzen, beschränkt man sich seit rund fünf Jahren auf ein Modellprojekt oder wie bei der qualitätsgesicherten Mamma-Diagnostik immer noch auf Modellregionen oder einzelne Projekte, anstatt sie - ganz im Sinne der erklärten Ziele - als wirtschafts- und beschäftigungspolitische Perspektive zu nutzen und flächendeckend einzusetzen oder gar zu exportieren.

Zweites Beispiel: Ganz im Sinne des erklärten Zieles ist es, die Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen enger mit der Wirtschaft zu verzahnen. Denn die bessere Problemlösung auf dem Gesundheitsmarkt von morgen liegt nicht nur in der technischen Innovation, sondern auch in der Integration von Leistungen, die bisher überwiegend getrennt angeboten werden. So hat sich Schleswig-Holstein im Be

reich der Medizintechnik bundesweit einen Ruf erworben.

Der in der letzten Woche vorgelegte Bericht zur Entwicklung der Hochschulen in Schleswig-Holstein zeigt aber, dass hier noch sehr viel strukturelle Arbeit zu leisten ist. Die Erichsen-Kommission ist jedenfalls zu dem Schluss gelangt, dass die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den Technischen und den Naturwissenschaftlichen Fakultäten des Landes und der Wirtschaft in Schleswig-Holstein geringer ausgeprägt sind als in anderen Bundesländern. Die Kommission empfiehlt deshalb im Interesse der Wirtschaft, die Forschungsbasis auszubauen. Dazu gehört, dass die Ausstattung dieser Fächer wesentlich verbessert werden muss, damit die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Wettbewerb um Sonderforschungsbereiche überhaupt erfolgreich bestehen können.

(Zuruf der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Ziel ist fest definiert und erkannt, leider aber noch nicht umgesetzt worden. Die ErichsenKommission mahnt deshalb zu Recht eine aktive, auf die Hochschulen ausgerichtete Forschungs- und Forschungsförderungspolitik an. Wer künftig im Bereich der Medizintechnik weiter an der Spitze mitspielen will, der muss jetzt die hohen Ansprüche endlich in die Tat umsetzen.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Meine Damen und Herren, der vorgelegte Bericht ist eine sehr gute Bestandsaufnahme, leider aber nicht viel mehr. Zwar zeigt der Bericht eine Reihe von Defiziten auf, die im Sinne eines Erhaltes und der Förderung des Gesundheitsstandortes SchleswigHolstein so schnell wie nur irgend möglich behoben werden müssen. Wie das geschehen soll, bleibt im Bericht allerdings unklar.

Die Zielvorstellungen, die das Land mit seinen Initiativen erreichen will, sind groß, die Ansprüche an einen zukünftigen Gesundheitsstandort SchleswigHolstein ebenfalls. Leider erschöpfen sich nach 15 Jahren sozialdemokratischer Regentschaft die Initiativen in diesem Bereich nur in innovativen Ankündigungen. Es reicht aber nicht aus, eine Bewusstseinsstärkung im Land implementiert zu haben. Perspektiven müssen endlich auch umgesetzt werden.

Umso wichtiger ist es, die jetzt angestoßenen Projekte zu bündeln und besser zu vermarkten. Dazu gehört, dass der Wissens- und Wissenschaftsbereich des Landes noch besser genutzt und unterstützt wird. Gleich

(Veronika Kolb)

zeitig sind weitere Ausgründungen aus den Hochschulen zur Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis noch stärker zu fördern.

Dazu genügen nicht nur Ankündigungen, sondern wir brauchen auch die bessere finanzielle Unterstützung der Hochschulen. Nur so können Arbeitsplätze nicht nur dauerhaft erhalten, sondern auch neue geschaffen werden. Erst dann wird das grundlegende Ziel, einen innovativen und vitalen Gesundheitsstandort Schleswig-Holstein zu schaffen, erreicht.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Birk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bericht teilt uns mit, dass die privaten Haushalte seit 1992 bundesweit insgesamt 52 % mehr für Gesundheit ausgeben als vorher - innerhalb von zehn Jahren eine Steigerung um 52 %! Die gesetzlichen Krankenkassen tragen davon nur 57 %. Das heißt, das Thema Eigenverantwortung für die Gesundheit, das Thema Wellness, Gesundheit im weitesten Sinne greift Platz. Es ist deshalb richtig, dass die schleswigholsteinische Landesregierung frühzeitig auf diesen Trend reagiert hat.

Insofern ist der Bericht schon der zweite, der uns darstellt, wie die begonnenen Initiativen wirken. Ich kann der Globalkritik, die hier von der Opposition kam, nicht zustimmen. Es ist deutlich erkennbar, dass sich die Landesregierung in ihrer Moderationsfunktion einerseits im Bereich der Technik einschaltet und entsprechende Vernetzungsaktivitäten und Darstellungsplattformen fördert, andererseits aber auch Leitprojekte verfolgt, die bundespolitisch durchaus Beachtung finden. Bleiben wir zum Beispiel bei den DRGs: Es war Schleswig-Holstein, das als erstes Bundesland die Krankenhäuser hierauf durch eine entsprechende Gutachterfunktion vorbereitet hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Professor Rüschmann ist durchs Land gereist und hat sich dem Dialog gestellt. Deshalb sind unsere Krankenhäuser besser als die anderer Bundesländer auf den aktuellen Trend vorbereitet.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Beispiel Krebsforschung! Schleswig-Holstein positioniert sich hier einerseits mit der Unterstützung der Selbsthilfegruppen und andererseits mit dem Projekt QuaMaDi im Bereich der besseren Diagnostik, auch hier bundesweit federführend.

Es gäbe noch eine Reihe von nicht ganz so bekannten, aber dennoch bundesweit schrittmachenden Projekten, die ich aus Zeitgründen nicht vortragen kann. Es lohnt sich, sich damit auseinandersetzen. Es hat sich wirklich bewährt, in die Medizintechnik zu investieren. Die Kooperation zwischen der Firma Dräger und anderen Firmen im Bereich Lübeck mit der Universität sind nun auch dem Letzten hier bekannt. Die Medizintechnik beschäftigt heute in Schleswig-Holstein mehr Leute als der Schiffbau. Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Nun komme ich zu einem Thema, das schon ein bisschen heißt, den Subtext des Berichtes zu lesen. Wir haben einerseits die Expansion derjenigen Haushalte, die es sich leisten können, in den Markt Gesundheit bis hin zum Thema Wellness und Tourismus zu investieren. Das stellt der Bericht ja auch dar. Wir haben auf der anderen Seite aber natürlich die öffentliche Verantwortung - und auch auf dieses Thema geht der Bericht ein, Herr Kalinka -, Gesundheitsziele zu definieren, nach den Instrumenten, die wir auch hier mit der Gesetzgebung verabschiedet haben, mit den Kommunen, mit den Akteuren vor Ort. Das heißt natürlich auch Prävention im Bereich der Essstörungen, das heißt zum Beispiel auch Güteregelungen für die Reha-Einrichtungen, für die Krankenhäuser. Auch in diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren etwas getan. Das ist nur möglich, weil ambulante und stationäre Versorgung gemeinsam mit der Landesregierung - hier ist insbesondere natürlich die Gesundheitsministerin zu nennen - Schritte nach vorne machen.

Ich möchte auf ein paar Dinge eingehen, die mir im Bericht fehlen, die aber nicht real fehlen. Das betrifft die Thematik der frauenpolitischen Aufbereitung des Themas Gesundheit, die im öffentlichen Dialog an der Fachhochschule Kiel im sozialpädagogischen Fachbereich seit Jahren vorbildlich läuft. Man kann fragen, was das mit Wirtschaftlichkeit zu tun hat. Gerade in dem Dialog mit Akteuren vor Ort werden die notwendigen Forschungsfragen gestellt: Warum reagieren Frauen auf bestimmte Medikationen anders als Männer? Sind die Krankenhäuser und Versorgungsstrukturen wirklich so aufgebaut, dass sie Kindern, Frauen und Männern in allen Lebenslagen, in allen Lebensaltern gerecht werden? Diese Fragestel

(Angelika Birk)

lungen haben natürlich auch eine wirtschaftliche, insbesondere aber auch eine sozialpolitische Dimension.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte auch hier das mutige wirtschaftliche Engagement einer selbstständigen Gruppe hervorheben, die von manchen vielleicht als ausgestorben betrachtet wird: Schleswig-Holstein hat äußerst couragierte, modern vernetzte Hebammen.

(Beifall)

Wenn wir zum Beispiel an die Mittel denken, die für Hotels zur Verfügung gestellt wurden, Frau Ministerpräsidentin, die auch ich genießen durfte, wie zum Beispiel das Alte Gymnasium in Husum oder das neue Wellnesshotel in Flensburg, deren Wellnessausbau mit erheblichen Mitteln gefördert worden ist, und gleichzeitig sehe, mit welch bescheidenen Mitteln eine ambulante Entbindungsstation von Hebammen gefördert worden ist, könnte ich mir durchaus andere Akzente vorstellen. Das sollten wir im Gesundheitsausschuss diskutieren: Sind an bestimmten Zielen Korrekturen vorzunehmen? Gibt es Ergänzungen und dergleichen? Es ist gut, dass uns der Bericht einen Überblick gibt, damit wir das tun können.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Sinne einer solchen Diskussion gehört natürlich auch das Thema Technikfolgenabschätzung zu einer modernen Wissenschafts- und Wirtschaftlichkeitsbetrachtung hinzu. Wir sind dabei, uns in der Biotechnologie als Bundesland zu positionieren; immerhin 90 Betriebe sind hierzu in den letzten Jahren entstanden. Das ist erheblich. Sie entstehen natürlich insbesondere im Umfeld der beiden Uniklinika und der entsprechenden Medizinischen Fakultäten. Aber wenn wir hier führend sein wollen, müssen wir uns natürlich im Bereich der Technikfolgenabschätzung - sowohl was die im engeren Sinne technischen Folgen angeht, die Sicherheit, als auch im Sinne der gesellschaftlichen Integrationen - ebenfalls profilieren. Das jedenfalls wird heute von einer modernen Wissenschaft erwartet.

Insgesamt kann man sagen: Wir sind auf einem guten Weg. Es ist sicher richtig, dass wir Fragen der Technikfolgenabschätzung des Datenschutzes - wenn ich beispielsweise an die Patientenkarte denke, die der Datenschützer zunächst einmal im Versuch gebilligt hat, die aber, wenn sie für alle Menschen Platz greift und zur Vorschrift wird, noch einmal eine ganz andere Dimension einnimmt - mit in die Diskussion hineinnehmen müssen. Das fehlt mir in dem Bericht.