Protokoll der Sitzung vom 12.11.2003

Herr Wiegard, wo leben Sie denn? Sie haben kritisiert, dass die Verwaltungsstrukturreform - so habe ich es verstanden - zu mehr Beschäftigten in den Finanzämtern führt. Da frage ich Sie: Wo leben Sie denn? Wir wollten doch immer gemeinsam die Steuerverwaltung stärken,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

denn wir brauchen eine starke Einnahmeverwaltung. Wenn durch eine Strukturreform erreicht werden kann, dass die Finanzverwaltung gestärkt wird, ist das ausgesprochen gut.

Ich warte mit Freude auf die Haushaltsvorschläge der CDU. Viel ist versprochen; mal sehen, was gehalten werden kann.

Was ich mir wünschen würde, was aber in diesem Hickhack hier leider untergeht, ist, dass wir uns als Landtag auch in die Debatte über ein neues Steuersystem einmischen. Ich finde - das habe ich auch in einer Pressemitteilung gesagt -, dass die Grundzüge des Merz-Modells durchaus Charme haben. Der Anspruch einer klaren Vereinfachung, die Sache gerechter, transparenter und durchschaubarer zu machen, nach dem Motto, jede Bürgerin und jeder Bürger soll ihre oder seine eigene Steuererklärung abgeben kön

(Monika Heinold)

nen, ist richtig. Die Schwächen des Merz-Konzepts sind sehr deutlich von Bayern und anderen genannt worden: Es muss gerechter gestaltet werden, es muss ein Stück differenzierter sein. Aus unserer Sicht darf es auch nicht weiterhin ein Ehegattensplitting geben, wenn es die hohen Grundfreibeträge gibt. Da hebt das eine das andere auf.

Ich freue mich, dass die Nachrichtenlage heute morgen so ist, dass sowohl Frau Scheel für die Grünen als auch Herr Eichel für die SPD gesagt haben, dass sie tatsächlich versuchen wollen, das Steuersystem zu entrümpeln und zu vereinfachen.

(Glocke des Präsidenten)

Ich wünsche mir dann aber auch, dass wir uns hier darauf verständigen, was an Subventionsabbau nötig ist, und dass die Opposition nicht bei jedem Vorschlag wieder anfängt, rumzulaufen und Ängste zu schüren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Veronika Kolb [FDP]: Reine An- kündigungspolitik! - Werner Kalinka [CDU]: Sie haben doch die Mehrheit! Sie können doch entscheiden!)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Spoorendonk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe dem Kollegen Kubicki Recht, wenn er sagt, dass mehr Verlässlichkeit, dass Vertrauensbildung angesagt ist. Ich glaube, wir vergessen, dass die Menschen nicht nur mehr Geld im Portemonnaie wünschen, sondern dass sie auch eine verlässliche und planbare Politik wollen und wünschen. Das stimmt.

Ansonsten glaube ich aber, dass allmählich einmal mit Mythen aufgeräumt werden muss; die Kollegin Heinold tut das immer in hervorragender Weise.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Zu den Mythen in solchen Diskussionen gehört der immer wieder konstruierte Gegensatz von Ökonomie und Ökologie in verschiedenen Variationen; wir haben das vorhin gehört. Auch ich wünschte, einmal zu sehen, was man in der Umweltpolitik gern weghaben will. Die Wirtschaft weiß es ja auch besser. Die großen Konzerne werben ja mit Umweltstandards, sie werben auch mit Ethikstandards und sagen: Das sind Standortvorteile.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss sich einmal angucken, was in der Wirtschaft passiert. Daher sind das Bilder von vorgestern, die allmählich einmal in die Rumpelkammer zurückgestellt werden müssen.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu den Bildern, zu den Mythen gehört auch, dass man mit Flexibilisierung, mit Standardabsenkung, mit dem Streichen von Verordnungen und Gesetzen das Paradies auf Erden wiederbekommen könnte. Auch ich möchte gern einmal hören, welche Gesetze und Verordnungen gestrichen werden sollen.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe im Kopf, dass es in NRW einmal so eine Aktion gab, dass man da - was weiß ich - 1.100 Verordnungen durchgecheckt und dann vielleicht drei aus dem Jahr 1913 gestrichen hat.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das war Schles- wig-Holstein!)

Auch wir wollen eine vereinfachte Verwaltung, wir wollen aber vor allem eine neue Verwaltungskultur, wir wollen flachere Hierarchien in den Verwaltungen und wir wollen mehr Dienstleistung. Viele von uns kennen Beispiele aus dem kommunalen Bereich, beispielsweise aus der Bauverwaltung, dass es immer noch Schwierigkeiten gibt, eine Baugenehmigung zu erhalten, weil sich Behörden als Behörde aufspielen, ohne daran zu denken, dass es auch anders geht.

Verwaltungsmodernisierung bedeutet auch eine neue Kultur von Verwaltung, wo nicht mehr Misstrauen vorherrscht, sondern Vertrauen, und wo die Bürger wirklich eine Dienstleistung empfangen können.

(Vereinzelter Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn uns das gelingt, kommen wir sehr viel weiter und dann ist es im Grunde genommen auch egal, ob wir Ämter zusammenlegen oder schließen. Das mag ja in manchen Bereichen sinnvoll sein, aber auch in dieser Diskussion gibt es viele Mythen und viele Bilder.

Lieber Herr Finanzminister, auch und gerade die Zusammenlegung von Finanzämtern ist nicht ohne weiteres sinnvoll. Da rechnet man sich vielleicht etwas in die eigene Tasche, was aus der anderen Tasche wieder ausgegeben wird.

(Anke Spoorendonk)

Ich fasse zusammen: Angesagt ist eine redliche Diskussion und die sehe ich im Moment nicht, weder hier im Landtag noch auf Bundesebene. Ich möchte eine Diskussion haben, bei der wir endlich einmal mit den Allgemeinplätzen, Mythen und Bildern aufräumen. Lassen Sie uns diese wegschieben. Dann kommen wir vielleicht weiter.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Frau Ministerpräsidentin das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal hat der Abgeordnete Kubicki eine Rede unter der Überschrift gehalten: Hier irrt der Abgeordnete. - Nicht wir kürzen die Mittel für die Schulen, sondern wir erhöhen die Ausgaben für die Schulen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich habe vom Bund geredet!)

Nicht wir kürzen die Zuweisungen für die Kindergärten, sondern dies tun vor allem die Kreise Ostholstein und Nordfriedland. Nicht wir nehmen die Mittel für die Umwelt aus dem Staatssäckel, sondern es handelt sich um Lottogelder, Gelder aus Bingo, die Menschen aufbringen, die sich für die Zukunft bei uns und für die Umwelt verantwortlich fühlen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Nicht wir machen Strukturen kaputt, die sich bewährt haben - siehe die K.E.R.N.-Region -, sondern es ist die CDU Plön, die es - aus irgendeiner Idee, die kein Mensch nachvollziehen kann - geschafft hat, das, was endlich zusammenarbeitet und sich keine Konkurrenz mehr macht, auseinander zu fisseln.

Sie haben Recht: Der Norden ist zum Teil weit abgeschlagen. Das tut mir weh. Aber wir haben Arbeitsplätze in der Umweltproduktion. Wer meckert dagegen und macht sich darüber lustig? Die Opposition. Wir machen Geld mit Windenergie und schaffen damit Arbeitsplätze. Wer macht sich darüber lustig? Die Opposition.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir machen Geld und schaffen Arbeitsplätze mit Gesundheit und Wellness. Sie, Herr Abgeordneter Kubicki, haben sich ein halbes Jahr lang tot darüber

gelacht. Wenn man die Worte „Wellness“ und „Gesundheit“ überhaupt nur in den Mund nahm, hatten Sie eine ganze Woche lang Spaß. Dass Sie so leicht zufrieden zu stellen sind, habe ich nicht gewusst.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Es ist ein Bereich in unserer Wirtschaft, mit dem wir Geld verdienen.

Nun noch einmal zu Herrn Wiegard, was den Export angeht. Lieber Herr Wiegard, Sie wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland vom Export lebt. Die Leute kommen aber nicht zu uns und fragen uns, was wir da haben, sondern wir müssen uns schon ein bisschen darum bemühen. Deswegen finde ich es so lächerlich, dass Sie über jede Auslandsreise, die ich im Interesse der schleswig-holsteinischen Exportwirtschaft mache, die uns bittet, als „Türöffner“ mit dabei zu sein, so kleinkariert reden, dass es einen das Fürchten lehrt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Sie fahren von „Unterunsbüttel“ nach „Oberunsbüttel“ und glauben, davon lebt die Wirtschaft. Sie müssen Ihren Fuß auch schon mal aus diesem Land hinaussetzen. Ich lade demnächst gerne Leute von der Opposition ein, mit mir zu fahren, damit Sie einmal sehen, was es für eine Schweinearbeit ist, unsere Produkte in diesen Ländern anzubieten und Angebote zu machen, die für dieses Land passend sind.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die beiden Herren von der FDP - ich glaube, diesmal war Herr Garg erfolgreicher - halten hier immer wunderbare Bewerbungsreden für den Orden „Wider den tierischen Ernst“. Die CDU lacht sich darüber tot. Es ist so lustig, worüber wir uns unterhalten. - Es geht um Arbeitsplätze und um Schicksale von Menschen. Es geht um unseren Haushalt, um unsere Zukunfts- und Bewegungsfähigkeit. Darüber kann ich eigentlich nicht lachen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Klaus Schlie [CDU]: Sagen Sie einmal eine Lösung!)

Es wäre schön, wenn wir uns auch einmal über ein paar Lügen - entschuldigen Sie bitte, Herr Präsident; ich nehme das Wort „Lügen“ mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück -, über ein paar Selbstbelügungen unterhalten würden. Was haben Sie hier vorne gerade über das Vorziehen der dritten Steuerstufe gewettert. Wer spricht denn in Berlin im Vermittlungsausschuss schon längst darüber, ob es denn 20, 22 oder 25 %

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)