Protokoll der Sitzung vom 06.05.2009

In der Ostseeregion wie in der EU insgesamt bleibt auch die Zusammenarbeit mit Russland wichtig. Es gilt, das gegenseitige Vertrauen wieder zu stärken. Mit einem neuen EU-Russland-Abkommen werden die Beziehungen zukünftig auf eine neue und hoffentlich vertrauensvollere Grundlage gestellt.

(Beifall bei der SPD)

Der dritte Themenbereich ist die Energie- und Klimapolitik. Schleswig-Holstein - das brauche ich nicht besonders auszuführen - nimmt im Bereich der Windkraftnutzung in Europa einen hervorragenden Platz ein. Das soll auch weiter so sein. Die Landesregierung wird in ihrem Anliegen unterstützt, stärker auf erneuerbare Energien zu setzen.

Als Viertes noch einige wenige Anmerkungen zur sozialen Dimension. Mein Kollege Rolf Fischer wird am Freitag noch ausführlich hierauf eingehen. Mir ist es aber wichtig, ebenfalls etwas dazu zu sagen.

Der Bericht nennt als eine der grundsätzlichen Fragen, die sich der EU im Jahr 2009 stellen, unter anderem das Verhältnis von Wettbewerb zu sozialer Dimension. Vor dem Hintergrund der jüngsten EuGH-Urteile, in denen das Gericht den Schutz des Binnenmarkts und insbesondere der Dienstleistungsfreiheit über den Schutz der Arbeitnehmerrechte gestellt hat, und vor dem Hintergrund des gescheiterten Referendums in Irland hat die Kommission im Juli 2008 eine Sozialagenda vorgelegt. Diese enthält eine Reihe von Vorschlägen und Initiativen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Bildung, Jugend und Gesundheit. Zu begrüßen ist unter anderem, dass künftig Sozialbelange für alle Politikbereiche abwägungsrelevant werden sollen.

Zwar sehe ich persönlich die EuGH-Urteile als Rückschritte auf dem Weg hin zu einem sozialen Europa.

(Beifall bei der SPD)

Die anderen europäischen Institutionen haben allerdings positive Entscheidungen getroffen: Zu begrüßen ist unter anderem die Verabschiedung der Zeitarbeitsrichtlinie, nach der Zeitarbeiter künftig bei der Entlohnung, beim Sozial- und Arbeitsschutz den fest angestellten Arbeitnehmern gleichgestellt sind.

Damit seien nur einige wenige Punkte aus dem Bericht aufgegriffen. Die Fülle der Themen, die auf europäischer Ebene behandelt werden und die der Bericht anspricht, gilt es im Ausschuss vertieft zu behandeln.

Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt jedoch deutlich, dass Europa ohne soziale Sicherheit und ohne soziale Gerechtigkeit nicht gelingen kann.

(Beifall bei SPD und SSW)

Nur wenn die sozialen Rechte gleichberechtigt mit den wirtschaftlichen Rechten des Binnenmarktes behandelt werden, kann Europa auch nachhaltig verwirklicht werden.

Wir brauchen in diesen Zeiten nicht weniger, sondern mehr Europa. Oder wie Ulrich Beck vor Kurzem in der „Zeit“ formuliert hat:

„Wenn es Europa nicht schon gäbe, müsste man es jetzt erfinden.“

(Beifall)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Hans Müller.

(Hans Müller)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine geschäftsleitende Bemerkung: Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, den Tagesordnungspunkt 39 auf morgen zu verschieben und nach dem Tagesordnungspunkt 16 zu behandeln.

Für die FDP-Fraktion erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der Devise: „Das Positive zuerst!“, möchte ich zunächst hervorheben, was der neue Europabericht der Landesregierung auf Seite 8 unten feststellt:

„Gleichzeitig ist jedoch das Vertrauen in die EU mit 48 % höher als in die eigene nationale Regierung mit 36 %.“

Hier hat die Große Koalition wirklich Bemerkenswertes geleistet, um Europa in einem besseren Licht erscheinen zu lassen als die eigene Bundespolitik.

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

- Hier gibt es auch eine Große Koalition, deshalb darf man die im Sinn der Familienverbindungen einbeziehen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Die genannten Zahlen stammen übrigens nach dem Bericht der Landesregierung aus dem Eurobarometer vom Dezember 2008.

Die Lektüre eines Europaberichts der Landesregierung stellt die meisten Leser, also jene Abgeordneten oder Fraktionsmitarbeiter, die immer die Redebeiträge für die Debatte vorbereiten sollen, vor ein schwieriges Problem: Sie haben die Qual der Wahl, weil es so viele Themen mit Europabezug gibt, dass man eigentlich über alle wesentlichen Probleme dieser globalisierten Welt sprechen könnte, weil in irgendeinem Absatz oder in irgendeiner Zeile das Thema im Bericht auftaucht. Ich muss neidvoll anerkennen, dass sich meine Kollegen Manfred Ritzek und Hans Müller dieser schwierigen Aufgabe wie immer mit großer Meisterschaft gewidmet haben und viele inhaltliche Punkte, die auch der Bericht tangiert, hier schon angesprochen haben.

Deshalb kann ich mich stärker auf ein zweites Themenfeld konzentrieren, das meines Erachtens durch die Lektüre des Berichts auch aufgeworfen wird: Diese Europaberichte bieten insoweit eine schwe

re Kost, als es nicht einfach ist, aus dem Inhalt dieser Berichte politische Energie mit Blick auf die bevorstehenden Europawahlen freizusetzen.

Dazu eine kurze Leseprobe - und ich könnte beliebige andere Stellen in Länge zitieren. Ich zitiere aus dem Abschnitt 3 „Landespolitische Schwerpunkte“ von Seite 21 die „Beschreibung von Gegenstand und Zielen“ der als wesentlich eingestuften Maßnahme „Haushaltsüberprüfung“ - ein spannendes Thema:

„Es soll geprüft werden, welche Reformen notwendig sind, um den Beitrag Europas zur Bewältigung wichtiger Herausforderungen im nächsten Jahrzehnt unter Zugrundelegung der Grundsätze des Mehrwerts beim Verfolgen des gemeinsamen Interesses und der Wirksamkeit der Ausgaben zu erhöhen, und wie dieser Beitrag zu finanzieren ist. Diese Untersuchung wird ein wichtiger Beitrag zu Vorschlägen sein, die die nächste Kommission für einen neuen mehrjährigen Finanzrahmen vorlegen wird.“

(Beifall des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Hier sieht man wirklich flammende Begeisterung für Europa hervorbrechen. Und selbst die auf Seite 19 offenbarte Tatsache, dass sich die Staatssekretärsrunde der schleswig-holsteinischen Landesregierung fortwährend mit solchen Fragen beschäftigt, vermag die Flamme auch nicht wieder gänzlich zu löschen.

Aber im Ernst: Das von der Politik dargestellte Europa ist derart bürokratisch und technokratisch geworden, dass es die Bürger viel zu wenig anspricht. Es lässt die Menschen kalt. Das ist das Problem, und unfreiwillig ist der Bericht der Landesregierung ein Musterbeispiel für diese Entwicklung.

(Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

- Herr Kollege Nabel, wollen wir also hoffen, dass die Europäer doch eher etwas anderes im Blick haben, wenn sie demnächst zur Wahlurne gerufen werden. Hoffentlich denken sie vor allem daran, dass sie heute ungehindert von dem einen Ende Europas an das andere Ende Europas reisen können, was weiß Gott nicht immer so gewesen ist.

(Beifall bei der FDP)

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

Wollen wir hoffen, dass sie auch im Euro eine - bislang jedenfalls - einigermaßen stabile Währung erkennen, die in Zeiten großer Verwerfungen an den Finanzmärkten einen gewissen Schutz vor Schwierigkeiten bietet, die anderen Währungen drohen, weil deren Notenbanken wie in den USA, in Großbritannien oder in Japan in einem gewaltigen Ausmaß, das auf mittlere Sicht nichts Gutes ahnen lässt, die Druckerpresse anwerfen - bis hin zum Ankauf eigener Staatsanleihen mit dem frisch gedruckten Geld.

Wollen wir hoffen, dass Europa vielen wieder stärker als ein „sicherer Hafen“ erscheint - wie es ja europapolitische Stimmungsänderungen in jüngster Zeit in Irland oder in Island andeuten. Die Europäische Union als Gemeinschaft der Freiheit und jedenfalls der leidlichen Stabilität in Zeiten der Krise - das müsste eigentlich ein politischer Bestseller sein. Hoffen wir das Beste.

(Beifall bei der FDP)

Aus dem Bericht lassen sich dafür freilich, wie gesagt, nur mühsam Anhaltspunkte und Hilfsargumente hervorkratzen. Allein der Abschnitt „Bessere Rechtsetzung“, wo es um den Abbau von unnötiger Bürokratie, also eigentlich um ein für viele Bürger wichtiges Thema geht, ist auf drei, vier Seiten zäh wie Leder.

Mühsam muss man herausklamüsern, was wirklich spannend ist. Kurz gesagt - ich will einen Punkt hervorheben, ich habe etwas gefunden: Bislang hat man in Brüssel bei diesem Thema im Wesentlichen, so sagt der Bericht, erst die Messphase abgeschlossen. Das ist noch nicht das Sensationelle. Immerhin hätten vorläufige Berechnungen ergeben, dass das größte Vereinfachungspotenzial mit potenziellen Entlastungen der Bürger im Umfang von 18 Milliarden € im Bereich des Steuerwesens liege - so nachzulesen auf den Seiten 43 und 44. An dieser Stelle müsste hartgesottenen Steuersozis eigentlich der Atem stocken. In Brüssel scheint es eine Verschwörung zugunsten liberaler Steuervereinfachungsmodelle zu geben, wie sie die FDP seit eh und je befürwortet. Stegner hat nicht aufgepasst!

(Beifall bei der FDP)

Seit der Mann nicht mehr in der Regierung ist, werden solche liberalen Botschaften sogar in Berichte sozialdemokratischer Landesminister hineingeschmuggelt - ungeheuerlich!

(Beifall bei der FDP)

Damit komme ich nicht umhin, einiges über Uwe Döring zu sagen. Der sozialdemokratische Europa

minister hat gestern - wie ich finde, zu Recht - in den Blättern des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags das „Zitat des Tages“ zugesprochen bekommen. Nach seiner Reise in die sibirische Arktis hat Herr Döring gesagt:

„Ich habe festgestellt, ich kann auch in frostigem Klima gut arbeiten. Insofern habe ich keine Probleme, meine politische Arbeit in der Großen Koalition fortzusetzen.“

(Beifall bei FDP, CDU, SPD und SSW)