Protokoll der Sitzung vom 17.06.2009

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 44. Tagung des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Das Haus ist ordnungsgemäß einberufen und beschlussfähig. Erkrankt ist der Herr Abgeordnete Thomas Stritzl. - Wir wünschen ihm von hier aus gute Besserung.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen)

Am 17. Mai 2009 ist der ehemalige Abgeordnete des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Dr. Richard Bünemann, verstorben. Er gehörte diesem Parlament von 1967 bis 1975 zunächst als Mitglied der SPD-Fraktion und nach seinem Parteiausschluss bis zum Ende der 7. Wahlperiode als fraktionsloser Abgeordneter an. Herr Dr. Bünemann engagierte sich mit großem Interesse in der Innenpolitik sowie im Justiz- und später im Rechtsausschuss. In der 6. Wahlperiode gehörte er dem Untersuchungsausschuss „Internatsgymnasium Schloss Plön“ und in der 7. Wahlperiode dem Untersuchungsausschuss „Fehmarn“ an.

Der Schleswig-Holsteinische Landtag gedenkt seines früheren Mitglieds Dr. Richard Bünemann in Dankbarkeit. Unsere Anteilnahme gilt den Angehörigen. - Ich bitte Sie um einen Augenblick des Stillhaltens im Gebet. - Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist der 17. Juni. Dieser 17. Juni war über zwei Generationen lang der Tag der Deutschen Einheit. Ich denke, das ist für uns immer noch ein wertvoller Gedenktag. Bischof Gerhard Ulrich hat heute Morgen in einer kurzen Morgenandacht im Raum der Stille auf diesen Tag und auch darauf hingewiesen, dass die Machthaber in der DDR mit allem gerechnet hatten, nur nicht mit Kerzen und Gebeten. Er hat daraus abgeleitet, wie wichtig es ist, in der Mitte zusammenzuhalten und in schwierigen Situationen Lösungen zu suchen. Er hat uns dies als Mahnung mitgegeben. Mit dieser Mahnung überbringe ich Ihnen gleichzeitig auch die herzlichen Grüße des Bischofs.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen eine Aufstellung der im Ältestenrat vereinbarten Re

dezeiten übermittelt. Der Ältestenrat hat sich verständigt, die Tagesordnung in der ausgedruckten Reihenfolge mit folgenden Maßgaben zu behandeln: Zu den Tagesordnungspunkten 5, 7 bis 9, 11, 13, 25, 26, 34, 36, 38, 40 bis 42 und 47 ist eine Aussprache nicht geplant. Von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen die Tagesordnungspunkte 3, 14, 37 und 39. Zur gemeinsamen Beratung vorgesehen sind die Tagesordnungspunkte 12 und 29, Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung und Antrag zum Einbau einer Schuldenbremse in die Verfassung; 16 und 45, Bericht über bauliche Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit im Rahmen des Konjunkturpakets und Antrag zu Lärmschutzmaßnahmen in Schulen und Kitas durch das Konjunkturpaket II; 23 und 33, Anträge zu einer Alternativtrasse der Hinterlandanbindung der festen Fehmarnbelt-Querung und zur Kostenkalkulation der Hinterlandanbindungen.

Anträge zur Fragestunde oder zu einer Aktuellen Stunde liegen nicht vor. Wann die weiteren Tagesordnungspunkte aufgerufen werden, ergibt sich aus der Ihnen vorliegenden Übersicht über die Reihenfolge der Beratungen in der 44. Tagung. Wir werden heute und morgen jeweils unter Einschluss einer zweistündigen Mittagspause längstens bis 18 Uhr tagen. Für Freitag ist keine Mittagspause vorgesehen. Die Sitzung wird voraussichtlich gegen 13 Uhr enden. - Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren.

Auf der Tribüne begrüßen wir ganz herzlich Schülerinnen und Schüler der Grund- und Regionalschule der Stadt Heide und des Wolfgang-BorchertGymnasiums aus Halstenbek mit ihren Lehrkräften. - Seien Sie uns alle herzlich willkommen!

(Beifall)

Ebenso begrüße ich die früheren Kollegen Johna, Plüschau und Professor Wiebe sehr herzlich.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Erster Parlamentarischer Untersuchungsausschuss

Antrag der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/2703

Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/2730

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, dass der erste Antragsteller auch als Erster das Rederecht bekommt. - Damit erteile ich für die Fraktion der FDP dem Fraktionsvorsitzenden und Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen bin ich mit einer Flut von Briefen und Mails von Bürgerinnen und Bürgern aus Schleswig-Holstein und Hamburg konfrontiert worden, die mich aufgefordert haben, heute mit den Hasardeuren von der HSH Nordbank abzurechnen. Diese Erwartung werde ich nicht erfüllen, denn die Abrechnung steht am Ende einer Untersuchung, die wir mit der Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses heute beginnen wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Deutschland war Weltmeister in riskanten Bankgeschäften“, sagte der SPD-EU-Kommissar Günter Verheugen am 18. Mai 2009 in einem Interview gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. Und weiter:

„Nirgendwo … auch nicht in Amerika, haben sich Banken mit größerer Bereitschaft in unkalkulierbare Risiken gestürzt, allen voran die Landesbanken.“

Herr Verheugen hat recht. Die Bankenaufsicht BaFin stellte kürzlich fest, dass die deutschen Banken im Mai 2009 688,9 Milliarden € an „toxischen“ Wertpapieren in ihren Bilanzen hatten. Davon waren 398,4 Milliarden €, also fast 60 %, bei den Landesbanken - im Übrigen bei einer deutlich geringeren Bilanzsumme als bei den Privatbanken. Besonders viele dieser Papiere hat die HSH Nordbank in ihren Büchern. Dafür haftet jeder schleswig-holsteinische Bürger - vom Neugeborenen bis zum Greis.

Doch die tatsächliche Lage der HSH Nordbank wurde vom Finanzministerium viel zu lange schöngeredet. Der Finanzminister hat Landtag und Bevölkerung viel zu lange in dem Glauben gelassen, dass sich die HSH Nordbank in keiner Krise befindet beziehungsweise die Krise der HSH Nordbank seitens des Finanzministeriums beherrschbar sei. Wie sonst ist es zu erklären, dass der Finanzminister noch im September des Jahres 2008 erklärt hat, die HSH Nordbank habe ein tragfähiges, erfolgreiches Geschäftsmodell. Sie manage die Krise besser als jede andere Bank. Und rund vier Wochen später beantragt diese 30 Milliarden € Deckungszusage beim SoFFin.

(Präsident Martin Kayenburg)

Im Geschäftsjahr 2008 hat die HSH Nordbank mit 2,7 Milliarden € erstmals in ihrer Geschichte einen Konzernfehlbetrag ausgewiesen. Die Bank ist mehr als andere Banken erhebliche Risiken eingegangen, hat ein erhebliches Kreditersatzgeschäft aufgebaut und war sehr stark im Bereich von nicht strategischen Aktivitäten engagiert. Nur durch Stützungsmaßnahmen der Eigentümer Hamburg und Schleswig-Holstein und erheblicher Inanspruchnahme des vom Bund bereitgestellten Bankenrettungsfonds konnte bislang verhindert werden, dass die BaFin die gesetzlich vorgeschriebenen Schritte zur Schließung der Bank eingeleitet hat. Nur durch diese Stützungsmaßnahmen konnte bislang sichergestellt werden, dass die Anteilseigner - also hauptsächlich die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg - überhaupt noch Mitwirkungsrechte haben.

Und ich sage ganz bewusst bislang, denn glaube ich dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, dann ist die Lage bei der HSH Nordbank noch viel dramatischer, als uns die Landesregierung weismachen will.

Herr Schneider - kein Unbekannter - sagte am 15. Juni in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“:

„Nehmen Sie die HSH Nordbank, die die größten Probleme hat. Ich bezweifle, dass die Rekapitalisierung von 3 Milliarden €, die Schleswig-Holstein und Hamburg bisher geleistet haben, ausreicht, um die Bank zu retten. Die Länder müssen also Geld nachschießen - was sie überfordern wird. Ich glaube, dass viele Eigentümer sich nicht bewusst sind, wie hoch die Risiken sind.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sowohl der Vorstand der Bank, aber auch der Aufsichtsrat haben durch eine mangelhafte Risikobewertung der Bankaktivitäten und fehlende Kontrolle die HSH in eine tiefe Krise gestürzt, unzählige hoch qualifizierte Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt und dem Land einen erheblichen Schaden zugefügt.

Die entscheidenden Fragen, die dieses Haus und auch die Bürgerinnen und Bürger in SchleswigHolstein beschäftigen, sind: Wie konnte das passieren? Wer trägt dafür im Einzelnen die Verantwortung? Warum wurden die Verantwortlichen im Vorstand der Bank durch die Mitglieder der Landesregierung im Aufsichtsrat der Bank - nach meiner Auffassung - völlig unzureichend kontrolliert?

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Am 31. März dieses Jahres erreichte die Staatsanwaltschaft Hamburg eine Strafanzeige gegen Verantwortliche der HSH Nordbank. Die Vorwürfe lauteten: Sorgfaltspflichtverletzungen von Vorständen und Aufsichtsratsmitgliedern, Verletzung der Vermögensfürsorgepflicht und Beihilfe dazu. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wenn die Staatsanwaltschaft schon untersucht, ob strafrechtliche Tatbestände erfüllt sind, dann hat das Parlament unweigerlich die Aufgabe, die politische Verantwortlichkeit zu klären.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Aus diesem Grund haben die Oppositionsfraktionen beantragt, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Von dieser Stelle aus will ich den Regierungsfraktionen ausdrücklich Dank sagen, dass sie den Kern der Untersuchung unterstützen. Es muss geklärt werden, wie es zu den gravierenden Fehlentwicklungen bei der HSH kam, die dazu geführt haben, dass der Fortbestand der HSH Nordbank nur durch Kapitalzuführungen sowie eine Garantieerklärung des Landes Schleswig-Holstein in Milliardenhöhe gesichert wird. In diesem Zusammenhang gibt es einen ganzen Strauß an Fragen, von denen ich nur einige aufführen werde.

Erstens. Warum hat die HSH Nordbank - offenbar vom Aufsichtsrat gebilligt - im Geschäftsjahr 2006 ein Wertpapierportfolio von 44,5 Milliarden € aufgebaut, wovon weniger als die Hälfte für eine Refinanzierung bei der Deutschen Bundesbank brauchbar war? Welcher sorgfältige Investor investiert schon für seine mittelständische Bank ein Fünftel der Bilanzsumme in ausländische, weitgehend unbekannte Wertpapiere? Ist dies eigentlich die Aufgabe einer Landesbank, für die der Steuerzahler Schleswig-Holsteins und Hamburgs haftet?

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zweitens. Warum hat die HSH Nordbank für den Aufbau ihres Kreditersatzgeschäftes ausländische Zweckgesellschaften in Steueroasen gegründet, sodass zumindest ein Teil dieser Papiere bilanziell nicht erfasst war und dafür auch keine einheitliche Portfolioverwaltung existierte? Ausweislich des Geschäftsberichts 2006 wurden 164 solcher Zweckgesellschaften „wegen ihrer untergeordneten Bedeutung für die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der HSH Nordbank AG“ in die Bilanz nicht aufgenommen, darunter zum Beispiel die auf der schönen Kanalinsel Jersey installierte Carrera Capital mit einem Portfolio von 3,2 Milliarden € oder das

(Wolfgang Kubicki)

Conduit Poseidon, das im Geschäftsbericht des Jahres 2006 mit keinem Wort Erwähnung findet.

Drittens. Warum wurden die Vorgaben des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht schlicht missachtet, indem keine ausreichende Eigenkapitalausstattung existierte und auch kein Risikocontrolling bestand? Im Geschäftsbericht 2007 heißt es zwar, dass seit 2005 jährlich eine konzernweite Risikoinventur durchgeführt werde. Das heißt aber noch lange nicht, dass tatsächlich auch eine Risikokontrolle etabliert war, und zwar noch nicht einmal im April 2008, als der Geschäftsbericht für das Jahr 2007 veröffentlicht wurde; denn dort heißt es:

„Aufbauend auf der Risikoinventur sollen im Einzelfall Szenarioanalysen zur Einschätzung der Gefährdung durch besonders schwerwiegende operationelle Risikoereignisse durchgeführt werden.“

Das heißt im Klartext: Es wurde nie eine umfassende Risikobetrachtung durchgeführt. Warum hat der Aufsichtsrat dies gebilligt?

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Viertens. Warum wurde den seit Mitte Mai 2005 einsetzenden Warnungen - übrigens auch der Deutschen Bundesbank - hinsichtlich der Immobilienund Kreditblase in den USA anscheinend mit Blindheit begegnet? Warum wurde noch im Frühjahr 2007 für das laufende Jahr eine Eigenkapitalrendite von 15,5 % zum Geschäftsziel erhoben? Hat der Aufsichtsrat, haben die Ex-Minister und aktuellen Minister Dr. Stegner, Hay und Wiegard ihre Vermögensfürsorgepflicht hinsichtlich des Kreditersatzgeschäftes ausreichend wahrgenommen? Haben die Mitglieder der Landesregierung im Aufsichtsrat und in seinen Gremien ihre Kontrollpflichten ordnungsgemäß erfüllt?

Sowohl der Finanzinvestor Flowers - im Frühsommer 2007 - als auch der ehemalige Wirtschaftsminister Marnette - im Sommer 2008 - haben nach eigenen Angaben früh auf Probleme in diesem Geschäftssegment hingewiesen. Der Deutschlandchef von Flowers, Ravi Sinha, hat dies am 15. Juni im „Handelsblatt“ erneut bestätigt. Schon im Sommer 2007 habe er auf den Abbau des riskanten Kreditersatzgeschäftes gedrängt. Er sagte:

„Wir haben bereits frühzeitig auf Probleme hingewiesen und hier immer wieder eine Kursänderung angemahnt. Gehört wurden wir jedoch nicht.“

Es muss dringend geklärt werden, ob der Aufsichtsrat seinen Pflichten nach dem Aktiengesetz ordnungsgemäß nachgekommen ist und ob das Parlament ordnungsgemäß informiert wurde.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage in den Raum hinein: Glaubt wirklich jemand ernsthaft, dass das Parlament einer Kapitalerhöhung im Mai 2008 ohne weiteres zugestimmt hätte, wenn diese Informationen bereits damals vorgelegen hätten?

Die schleswig-holsteinischen Bürgerinnen und Bürger haben das Recht zu erfahren, ob das Handeln der Mitglieder der Regierung im Aufsichtsrat und weiteren Gremien der HSH Nordbank in den Jahren 2003 bis Juni 2009 geeignet war, die Interessen des Landes Schleswig-Holstein zu vertreten und das Land vor finanziellem Schaden zu bewahren. Genauso haben die schleswig-holsteinischen Bürgerinnen und Bürger das Recht zu erfahren, welche Verantwortung die Mitglieder der Regierung für die Fehlentwicklungen bei der HSH Nordbank seit ihrer Gründung im Jahr 2003 bis zum Juni 2009 tragen. Echte Verantwortung gibt es nur dann, wenn es Antworten gibt.