Protokoll der Sitzung vom 17.07.2009

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Anstelle einer Auseinandersetzung um inhaltliche Konzepte gab es nur permanente Versuche, den Partner zu diskreditieren. Da schreibt die SPD Briefe, da streut der Finanzminister Gerüchte, die SPD sei im Koalitionsausschuss nicht vorbereitet gewesen, was die SPD postwendend dementiert. Da schreibt die SPD Briefe, die CDU hätte bei der Polizei operativ sparen wollen, was die CDU ebenso entschlossen postwendend dementiert. Da führt die CDU die SPD als verlogen vor, weil sie sich von den Beschlüssen der HSH Nordbank distanziert, obwohl ihre Vertreter im Aufsichtsrat gesessen haben. Da wirft die SPD Ministerpräsident Carstensen Lüge vor, weil er fälschlicherweise geschrieben hat, die Fraktionsspitzen hätten der Entscheidung zugestimmt.

(Zuruf: Fälschlicherweise!)

An all diesen Vorwürfen ist eine Menge zutreffend. Aber entscheidend ist doch: Diese Art der Auseinandersetzung hat nichts, aber auch gar nichts mit unterschiedlichen Positionen zu tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Hier geht es nicht im Geringsten um einen Streit in der Sache. Sie verhalten sich original so, wie ein verbittertes Ehepaar in einer zerrütteten Ehe: Jeder sucht nur noch gezielt nach den Stichworten, von denen er weiß, dass er den anderen maximal damit reizt und in Wut bringen kann.

Ich halte deshalb fest: Das Scheitern dieser Koalition liegt nicht darin, dass SPD und CDU inhaltlich nicht mehr zusammengefunden haben. Es liegt an der Unfähigkeit der Regierung, Regierungshandeln ordentlich zu organisieren, in der mangelnden sozialen Kompetenz der Akteure und in dem Mangel an politischen Visionen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Herren Carstensen, Stegner, Wiegard oder Wadephul, hören Sie auf, sich gegenseitig die Schuld zu geben! Niemand will das noch hören. Und ich sage das ganz besonders auch in Hinblick auf den bevorstehenden Wahlkampf. Seien Sie ehrlich, suchen Sie die Schuld doch einmal bei sich selbst! Das kommt viel besser an.

Herr Carstensen, natürlich hat auch Ihre Staatskanzlei mit ihrem organisatorischen Chaos ganz erheblich zur Krise beigetragen. Unklare Entscheidungsstrukturen führen genau zu den Missverständnissen, aus denen dann in gereizter Atmosphäre erneut Misstrauen und Wut beim Partner produziert werden. Herr Carstensen, es wäre sehr gut, wenn Sie einsehen würden: Eine Staatskanzlei ist eine politische Schnittstelle, wo die Politik der Regierung koordiniert wird. Das ist kein Kumpelladen, wo man seine Buddies unterbringt, gute Laune pflegt und sich über den Koalitionspartner amüsiert. So kann man das Land nicht aus der Krise führen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber Herr Stegner, natürlich hat auch Ihr Ansatz, Politik als theatralische Veranstaltung zu verstehen, erheblich zur Situation beigetragen. Ja, man kann damit die Bühne beherrschen, das ist Ihnen wunderbar gelungen. Aber irgendwann laufen Sie dann Gefahr, dass die Bürgerinnen und Bürger das Stück nicht mehr sehen wollen. Dann wenden sich diese mit Grausen ab, weil sie schlicht und einfach nur noch ordentlich regiert werden wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

(Karl-Martin Hentschel)

Herr Wiegard, auch Ihnen hätte ein bisschen mehr Demut angesichts der Vergangenheit Ihrer Fraktion in der letzten Legislaturperiode gut angestanden. Wenn aber ein Finanzminister in der größten finanzielle Krise des Landes keine transparente Informationspolitik mehr über öffentliche Gremien und Pressekonferenzen macht, sondern nur noch mit Hintergrundgesprächen operiert, über die dann anschließend Sticheleien und Gerüchte über den Koalitionspartner verbreitet werden, dann trägt das nicht gerade zu einer Vertrauenskultur bei.

Angesichts dieser Art von Politik und Misstrauenskultur hatten wir als Opposition manchmal das Gefühl, dass wir überflüssig werden, weil die Regierung die Opposition gegen sich selbst gleich mitliefert und sich selbst zertrümmert. Den Schaden davon hat aber das Parlament als Ganzes. So zerstört man das Vertrauen der Menschen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Der Ministerpräsident stellte vorgestern fest, dass er in dieser Regierung nicht mehr weitermachen kann, und fordert Neuwahlen. Deswegen haben wir hier gemeinsam mit der CDU, der FDP und dem SSW einen Antrag auf Neuwahlen gestellt, denn so geht es nicht weiter. Ich sage an dieser Stelle aber auch ganz deutlich: Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Abgeordneten der CDU, dass der Bruch der Koalition vorgestern kein Zufall war. Dieser Bruch ist seit Langem geplant, um die Landtagswahl gemeinsam mit der Bundestagswahl durchführen zu können.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Die CDU hofft, sich auf diese Weise im Schatten der Bundestagswahl durchschummeln zu können und zu einer schwarz-gelben Mehrheit mit der FDP zu kommen. Die CDU hatte die Befürchtung, dass bei einem Wahltermin im nächsten Jahr der Höhenflug der FDP wieder vorbei sei und sie insofern schlechte Karten habe. Die CDU flüchtet sich in die Wahlen, bevor der Untersuchungsausschuss noch weitere Vorgänge über die Katastrophe bei der HSH Nordbank und die Politik ihres Finanzministers aufdeckt. Sie hofft, so durchzukommen, ohne dass es zu einer politischen Auseinandersetzung über die gescheiterte Politik dieser Koalition in Schleswig-Holstein kommt.

Ich sage Ihnen deswegen an dieser Stelle: Wir werden, obwohl wir all das wissen, das Elend Ihrer Regierung nicht künstlich verlängern. Wir stimmen für den Antrag auf Auflösung des Parlaments. Wir werden Ihnen Ihre Taktik aber auch nicht einfach

durchgehen lassen. Wir fordern Sie heraus, um über die inhaltlichen Konzepte in diesem Land zu streiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Wir fordern Sie auf: Schluss mit diesem Rosenkrieg! Wir wollen einen kreativen Wettstreit um Visionen. Ich sage das auch an die Adresse der SPD. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich erinnere mich sehr gut an einen Altbundeskanzler, der einmal sagte: Wer Visionen hat, sollte lieber gleich zum Arzt gehen. - Das war in meinen Augen der Anfang vom historischen Niedergang der Sozialdemokratie.

(Lachen bei der SPD)

Ich bin überzeugt: Wir brauchen Visionen, wenn wir die Welt zum Besseren verändern wollen. Wie sonst wollen wir die Menschen in diesem Land dafür begeistern, dass ein Ruck durch diese Republik geht und wir uns der Zukunft zuwenden?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Worum geht es denn in diesem Wahlkampf? - Es geht in diesem Wahlkampf darum, wesentliche Fragen bezüglich der Zukunft dieses Landes zu klären. Da sind wir alle gemeinsam gefordert. Ich möchte Ihnen das an fünf zentralen Punkten erläutern.

Erstens. Es geht um die Frage - diese Frage stellt sich uns allen, egal, wer regiert -, wie wir 10 % der Ausgaben dieses Landes einsparen können, ohne das Land totzusparen. Das ist die Vorgabe der Schuldenbremse, an die wir gebunden sind. Die beiden zerstrittenen Regierungsfraktionen haben uns vorgestern ein Konzept vorgelegt, in dem erstens keine Antwort auf diese Frage gegeben wird, und bei dem zweitens die Hauptlast der Einsparungen im Bildungsbereich liegt, weil sie glauben, dort den demografischen Faktor nutzen zu können. Wir haben Ihnen einen Gegenentwurf vorgelegt, der von Ihnen endlich den Mut zu einer radikalen Verwaltungsreform fordert. Wir brauchen eine radikale Reform der Kommunalverwaltungen, wie sie unsere Nachbarn in Niedersachsen oder in Dänemark längst durchgeführt haben. Wir brauchen eine radikale Reform der Verwaltungen des Landes, von den Katasterämtern bis hin zu den Straßenbaubehörden. Dazu gehört auch eine tabulose Diskussion über die Chancen eines gemeinsamen Nordstaats Nordelbien.

(Karl-Martin Hentschel)

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir müssen darüber diskutieren, wie die Polizei und die Justiz, die bereits heute bis an die Grenzen des Zumutbaren belastet sind, strukturell entlastet werden können.

Nun zu der zweiten Frage, über die wir uns im Wahlkampf unterhalten müssen. Einige von Ihnen vertreten immer noch die Theorie, wir müssten erst die Wirtschaft zum Laufen bringen und den Haushalt sanieren, dann könnten wir uns den ökologischen und sozialen Problemen zuwenden. Ich halte genau das für einen gravierenden Fehler. Wenn wir schon Milliarden investieren, um die Konjunktur wieder in Schwung zu bringen, dann bitte doch nicht so, dass wir versuchen, mit Abwrackprämien und Straßenbau die alten Strukturen zu erhalten und zu zementieren. Nein, wir sollten vielmehr mit intelligenten Programmen Anreize für den rapiden Ausbau von Windenergie und Solarenergie geben, wo die Arbeitsplätze der Zukunft derzeit zu Tausenden entstehen und weiter entstehen werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir sollten die Rahmenbedingungen für den Ausbau von Höchstspannungsleitungen schaffen, um die Wasserkraftwerke in Norwegen, in den Alpen und in Norddeutschland sowie die Solarkraftwerke in Südeuropa oder in Nordafrika zu einem Verbund zusammenzuführen. Lassen Sie uns mit allen Kräften jetzt die Voraussetzungen schaffen, um ohne neue Kohlekraftwerke die Atomkraftwerke in 15 Jahren abzuschalten und die störanfälligen Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel schnellstmöglich stillzulegen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Lassen Sie uns mit intelligenten Programmen die Wärmesanierung unserer Wohnhäuser vorantreiben und so Tausende von Arbeitsplätze für das Handwerk allein in Schleswig-Holstein schaffen. Genau darum müssen wir streiten. Es geht darum, Finanzprobleme, Klimaprobleme, Umweltprobleme und soziale Probleme im Zusammenhang zu begreifen und abgestimmte Lösungskonzepte zu ententwickeln.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die dritte Frage, über die wir reden müssen, ist diese: Wir müssen in den kommenden Jahren die Weichen für eine Bildungspolitik stellen, die endlich mit der Chancengleichheit ernst macht. Wir brauchen einen flächendeckenden Einstieg in die Be

treuung von Kindern unter drei Jahren, damit alle Kinder von Anfang an eine Chance haben. Wir brauchen ein Ende des Sortierens von Kindern nach sozialem Hintergrund, und wir müssen bei der Berufsausbildung und dem Studium dafür sorgen, dass alle Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung bekommen und alle Begabungsreserven für das Studium mobilisiert werden.

Nun zu dem vierten Punkt, über den wir uns streiten und bei dem wir über Konzepte reden müssen. Angesichts der älter werdenden Menschen stellen sich in den kommenden Jahren zwei große Aufgaben, nämlich die Aufgabe des Ausbaus des Gesundheitssystems und die Aufgabe der Betreuung alter Menschen. Diese Aufgaben müssen wir anpacken. Wir müssen endlich verstehen, dass diese Herausforderungen eine Chance sind. Es geht um die Mobilisierung von Ressourcen. Es geht aber auch um einen Sektor unserer Wirtschaft, in dem in den kommenden Jahren in Deutschland Hunderttausende neuer Arbeitsplätze entstehen werden und entstehen müssen. Die Bewältigung dieser Chance müssen wir organisieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fünftens. Dieser Punkt betrifft ganz stark die Union, und er betrifft auch unsere dominierenden landwirtschaftlichen Flächen in Schleswig-Holstein. Wir müssen endlich begreifen, dass Naturschutz und Landwirtschaft kein Gegensatz sein müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist ein großer Unsinn - hier spreche ich auch den Umweltminister an -, dass wir Hunderte von Millionen Euro in eine Landwirtschaft stecken, durch deren Folgen fast die Hälfte der Arten in Schleswig-Holstein vom Aussterben bedroht werden. Zugleich stecken wir dreistellige Millionenbeträge in Naturschutzprogramme, um die Schäden zu begrenzen und wieder etwas zu sanieren. Dieser Unsinn, in den wir seit vielen Jahren von der Agrarlobby getrieben worden sind, muss endlich aufhören.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Wir müssen die Agrarsubventionen endlich strikt an Naturschutzauflagen binden. So können wir viele Millionen sparen und einen radikalen Wandel im Verhältnis von Naturschutz und Landwirtschaft erreichen. Angesichts der Kämpfe, die wir in der Vergangenheit geführt haben, ist das für ein Flächenland wie das unsere lebensnotwendig.

(Karl-Martin Hentschel)

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen fünf Punkte genannt - es gibt sicherlich noch viel mehr erwähnenswerte Punkte -, über die es sich wirklich lohnt hier im Parlament zu streiten. Ich habe sie ausgewählt, weil es sich um zentrale Zukunftsfragen handelt, die wir in den kommenden Jahren hier alle gemeinsam lösen müssen, egal, wer die Regierung stellt. Ich fordere Sie deshalb auf: Hören wir auf, uns gegenseitig zu beschädigen!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Seien wir selbstkritisch! Auch wir Grüne haben während der Regierungsjahre Fehler gemacht. Das ist unbestritten. Auch wir haben zu wenig Anstrengungen unternommen, um für die kommenden Generationen zu sparen, obwohl wir uns Mühe gegeben haben. Es war ein Fehler, dass wir unter RotGrün den Spitzensteuersatz mehr gesenkt haben, als es in anderen europäischen Ländern geschehen ist. Es war ein Fehler, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zusammenzulegen, ohne zugleich flankierend den Mindestlohn und eine Entlastung der Niedrigverdiener durchgesetzt zu haben.