Protokoll der Sitzung vom 23.07.2009

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen uns zwischen zwei Handlungsmaximen entscheiden: Bewältigen wir die Wirtschaftskrise erfolgreich mit Eigenverantwortung und neuen Spielräumen, oder soll sie durch zentralistische staatliche Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft überwunden werden?

(Lachen bei der SPD)

Diese Fragestellung zieht sich als Leitfrage durch nahezu alle Politikbereiche, von der Modernisierung der Verwaltung bis hin zum Landesentwicklungsplan. Mit dem Landesentwicklungsplan wollen wir die positive Entwicklung in der Stadt und auf dem Land unterstützen. Zu enge Vorgaben, die sich gegen den ländlichen Raum richten, sind da kontraproduktiv, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Da ist in der Vergangenheit viel Porzellan zerschlagen worden. Ich will gemeinsam mit der kommunalen Familie neue Perspektiven schaffen.

Meine Damen und Herren, bei alledem dürfen wir nicht die Schere im Kopf haben. Der gemeinsame Nenner der Vergangenheit taugt nicht für die großen und notwendigen Lösungen der Zukunft.

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

Bei der gegenwärtigen Situation innerhalb der Großen Koalition ist es mir aber nicht möglich, die aus meiner Überzeugung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Denn dabei droht der Verlust der Mehrheit im Landtag.

Die Mehrheit im Landtag hat mich vor vier Jahren gewählt. Die Mehrheit im Landtag hat in Abstimmungen lange hinter der Landesregierung gestanden, aber die Mehrheit in diesem Landtag wird nicht hinter dem stehen, was ich inzwischen für dieses Land für unbedingt erforderlich halten muss. Deshalb müsste ich meine politischen Zielsetzungen bereits im Kabinett und im Koalitionsausschuss zurückhalten. Dann aber kann ich meiner Richtlinienkompetenz nicht mehr gerecht werden. So werden aus meiner Sicht notwendige Schritte gar nicht erst Gegenstand parlamentarischer Initiativen.

(Zuruf von der SPD: Sehr konstruiert!)

Ich kann nicht mit Initiativen in den Landtag gehen, wenn ich schon vorher weiß, dass ich keine Mehrheit dafür finde. Das kann sich auf die Zukunft dieses Landes fatal auswirken. Hier geht Handlungsfähigkeit verloren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Schleswig-Holstein braucht eine Regierung, in der die politischen Repräsentanten - damit meine ich auch die Partei- und Fraktionsvorsitzenden - zu einer gemeinsamen Linie finden, sich dann dazu bekennen und auch nach dieser gemeinsamen Linie handeln. Denn wie sollte es anders sein? Eine Opposition in der Regierung kann und darf es nicht geben! Die SPD hat am Freitag in diesem Haus gesagt, die SPD sei regierungswillig und regierungsfähig. Den Beleg für das Letztere ist sie uns schuldig geblieben.

(Beifall bei der CDU - Dr. Gitta Trauernicht [SPD]: Das ist eine Frechheit! - Weitere Zu- rufe von der SPD)

Jedenfalls ist sie erkennbar nicht bereit, die geeigneten Maßnahmen zu unterstützen, die aus meiner Sicht unabdingbar sind, um das Land aus der Krise zu führen und seine Zukunft zu sichern.

(Günter Neugebauer [SPD]: Lesen Sie aus Märchen vor?)

Die SPD hat am Freitag in diesem Hause der CDU den Bruch des Koalitionsvertrags vorgeworfen.

(Konrad Nabel [SPD]: Zu Recht!)

Wer hat sich denn zuvor immer und immer wieder von den gemeinsamen Verabredungen entfernt?

(Beifall bei der CDU - Andreas Beran [SPD]: Austermann! Wir dagegen haben immer eine Weiterentwicklung der notwendigen Maßnahmen und Anpassungen an die geänderten Rahmenbedingungen angemahnt, zuletzt noch bei den Koalitionsverhandlungen, bei denen von der SPD nicht ein einziger konstruktiver Vorschlag zur Haushaltskonsolidierung auf den Tisch gelegt worden ist, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU)

Wir wollen und brauchen angesichts der großen Herausforderungen für unser Land und seine Regierung ein festes Fundament.

Meine Damen und Herren, am Freitag haben die Fraktionen debattiert. Johann Wadephul hat es für die CDU-Fraktion gesagt, Wolfgang Kubicki hat es für die FDP-Fraktion gesagt, Karl-Martin Hentschel hat es für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gesagt, und Anke Spoorendonk hat es für den SSW gesagt. Alle haben sie recht: Wir brauchen Neuwahlen!

Ich komme nach meiner ganz persönlichen Einschätzung zu dem Schluss, dass mir das Vertrauen bei den vor uns liegenden Entscheidungen nicht von einer stabilen Parlamentsmehrheit gewährt wird. Als Ministerpräsident bin ich darauf angewiesen.

(Zuruf von der SPD)

Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen habe ich die Vertrauensfrage gestellt. Findet die Vertrauensfrage nicht die Mehrheit der Mitglieder des Schleswig-Holsteinischen Landtags, werde ich gemäß Artikel 36 Abs. 1 Satz 1 der Landesverfassung die Wahlperiode vorzeitig für beendet erklären. Dann werde ich dem Kabinett vorschlagen, im Einklang mit der Landesverfassung den Termin für die Neuwahlen auf den 27. September festzusetzen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU)

Ich eröffne die Aussprache. Ich weise darauf hin, dass mir der Abgeordnete Dr. Stegner mitgeteilt hat, dass die SPD-Fraktion des Schleswig-Holsteinischen Landtags die Landesregierung nicht mehr mittrage. Damit ist die SPD-Fraktion die stärkste die Regierung nicht tragende Fraktion und ihr Vorsitzender der Oppositionsführer.

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen)

(Unruhe - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Ich erteile daher jetzt dem Vorsitzenden der SPDFraktion und Oppositionsführer, Herrn Dr. Ralf Stegner, das Wort.

(Unruhe - Frank Sauter [CDU]: Stegner stürzt Kubicki!)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Am 20. Februar 2005 haben die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner einen Landtag gewählt, dessen Mehrheitsverhältnisse nicht einfach gewesen sind. Da die größte inhaltliche Schnittmenge zwischen Grünen, SSW und SPD bestand, haben wir versucht, mit diesen Parteien eine Regierung zu bilden. Diese ist leider an einer Person gescheitert. Es war eine beschämende parlamentarische Stunde, die am Anfang dieser Großen Koalition stand.

(Zuruf: Wer war das?)

Aber die Wählerinnen und Wähler hatten gewählt. Schon 2005 war ich der Meinung: Wir können nicht so lange wählen lassen, bis uns die Ergebnisse gefallen. Dieser Meinung bin ich auch weiterhin. Das gilt auch heute.

Deswegen haben wir in Verantwortung für unser Land Schleswig-Holstein gehandelt und sind in eine Große Koalition gegangen. Deswegen wollten wir Sozialdemokraten auch als einzige Fraktion in diesem Landtag stets - auch gerade jetzt in der größten Wirtschafts- und Finanzkrise - am in der Verfassung vorgegebenen Wahltermin festhalten, und deshalb gilt auch für die kommende Wahl: Parteien werden für ihre Inhalte und Ziele gewählt, Wähler und Wählerinnen entscheiden, nicht Demoskopen oder Lobbyisten oder Parteistrategen, und nach der Wahl müssen alle demokratischen Parteien miteinander koalitionsfähig sein. Dies gilt gerade auch in Schleswig-Holstein, wo die großen Volksparteien eine jahrzehntelange Tradition der Feindschaft miteinander hatten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gemeinsames Regieren ist keine Frage von persönlicher Sympathie, auch wenn diese hilfreich sein kann. Es gibt auch keinen politischen Zwang zu behaupten, politisch notwendige Kompromisse seien mehr als Kompromisse, nämlich das, was man schon immer gewollt habe. Dieses Ritual jener Koalitionsmehrheit, alles zu kritisieren, was man bis vor Kurzem noch richtig fand, und das zu beklatschen, was man

stets bekämpft hat, trägt nicht zur Glaubwürdigkeit und Besserung der demokratischen Akzeptanz bei.

Das haben auch beide Koalitionspartner in diesem Haus nicht getan. So gibt es wohl kaum einen Kollegen der CDU-Fraktion, der im Landtag oder in entsprechenden Veranstaltungen Gutes über die Gemeinschaftsschule gesagt hat, und Herr Austermann - wenn Sie sich noch erinnern: der Vorvorgänger von Herrn Biel - hat stets offensiv für eine Aufkündigung des Atomkonsenses und für mehr Atomenergie geworben.

Wir Sozialdemokraten haben dagegen immer deutlich gemacht, dass wir uns Tariftreue und Mindestlöhne wünschen, dass wir die Bürgerbeauftragte nicht mehr als ein Jahr auf ihre Wahl hätten warten lassen. Wir haben auch gesagt, dass solche Wünsche in Koalitionen manchmal nicht zur realisieren sind, weil der Partner nicht mitzieht. All dies geschah regelmäßig unter beißender Kritik der Oppositionsfraktionen, entweder mit dem Argument, wir seien opportunistisch, mutlos, den eigenen Überzeugungen zu folgen, oder aber, wenn wir unseren Dissens haben erkennen lassen, besonders heftig mit dem Gegenargument, das Erscheinungsbild der Koalition sei furchtbar.

Nein, diese Große Koalition war wirklich nicht unsere Wunschkoalition. Ich bleibe bei dem, was ich 2005 gesagt habe, nämlich dass die SPD in dieser Koalition, in der die Union den Ministerpräsidenten gestellt hat, Partner und Gegengewicht zum konservativen Teil der Regierungskoalition sein muss. Selbst hier waren aber gelegentlich Korrekturen möglich über den Weg des Koalitionsausschusses. Wir haben so auf Wunsch der SPD die unsoziale Mehrbelastung der Eltern mit höheren Schülerbeförderungskosten wieder eingesammelt, wofür ich auch persönlich die Verantwortung übernommen habe. Auf der anderen Seite mussten wir aufgrund des CDU-internen Widerstands eine umfassende und viel Geld sparende Verwaltungsstrukturreform aufgeben, nachdem die Union in dieser Frage mehrmals die Richtung gewechselt hatte.

(Günter Neugebauer [SPD]: Leider wahr!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger auch bei Koalitionsregierungen ein Anrecht darauf haben zu erfahren, was die eigentlichen Positionen der Koalitionspartner sind und was notwendige Kompromisse sind. Die auch in der Politik notwendigen Kompromisse muss man doch erklären - der eigenen Fraktion und Partei und erst recht den Bürgerinnen und Bürgern!

(Präsident Martin Kayenburg)

Diese Koalition hat ein neues Schulgesetz beschlossen, ein bundesweit vorbildliches Kinderschutzgesetz, eine Reform der Amtsverwaltungen, das beitragsfreie Kita-Jahr und vieles mehr, was die Situation der Menschen in Schleswig-Holstein verbessert hat. Andere Entscheidungen sind uns schwergefallen. Das gilt auch für Einsparungen und Umstrukturierungen, die aus finanziellen Gründen erfolgen müssen. Da muss ich doch nicht behaupten, es sei überhaupt kein Problem, 150 Stellen bei der Polizei einzusparen, das sei schon immer überflüssig gewesen. Ich stehe aber dazu, und so finden Sie das auch nirgendwo anders: Die Einsparung dieser 150 Stellen ist vertretbar, schwierig, aber vertretbar. Was ich nicht vertretbar finde, ist, wenn gezielt von Unionsabgeordneten bei der GdP das Gerücht verbreitet wird, die SPD hätte diese Kürzung überhaupt erst ins Spiel gebracht.

Fakt ist, dass wir die Vorschläge, die der CDU-Finanzminister ins Kabinett eingebracht hat und die uns am Sonntag des Koalitionsausschusses nach intensiver Diskussion noch einmal unverändert überreicht wurden, sorgfältig geprüft und sie deutlich reduziert haben auf ein vertretbares Maß, damit nicht der Polizeivollzug, der Justizvollzug oder die Unterrichtsqualität dadurch tangiert würden, was nur wir Sozialdemokraten faktisch - nicht nur in öffentlichen Reden - ausschließen wollten.

(Beifall bei der SPD)

Jene Vorschläge, auf die Sie so stolz waren, mussten auf das verantwortbare Maß korrigiert werden. Ihre ständig kolportierten Behauptungen - Herr Ministerpräsident, heute schon wieder -, die SPD sei nicht vorbereitet gewesen, habe keine Vorschläge gemacht, sind falsch, sind absurd. Ich frage Sie: Was soll also dieses kleine parteipolitische Karo, Herr Ministerpräsident?

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion und auch ich selbst stehen zu den ausgehandelten Einsparvorschlägen, die dringend nötig sind, die aber auch hart an der Grenze der Möglichkeiten liegen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Regierung Zeit gehabt hätte, die notwendigen Umstrukturierungen einzuleiten sowie mit Augenmaß und Kenntnis ihrer Ministerien voranzutreiben. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode den einen oder anderen Akzent sicherlich anders setzen, im Bildungsbereich, bei der Kinderbetreuung, bei einer konsequenten Verwaltungsstrukturreform, und wir wollen weiterhin für mehr Steuereinnahmen durch ein gerechteres Steuersystem sorgen.

Herr Ministerpräsident und meine Damen und Herren von der Union, ich glaube, dass Ihr Koalitionsbruch und die Neuwahlpläne auch die Flucht vor der Umsetzung dieser Sparvorgaben sind - wissen Sie doch nur zu gut, dass nach den Stellenkürzungen in den personalintensiven Ressorts nun Sie bei den millionenschweren Förderprogrammen im Landwirtschafts- und Wirtschaftsressort hätten Farbe bekennen müssen.