Herr Carstensen, Sie haben heute die Vertrauensfrage gestellt. Deswegen muss ich heute zu diesem Punkt feststellen: Die jetzige Regierung hat auf all diesen Gebieten dem Land einen Bärendienst erwiesen.
Die Entwicklung zum Land der neuen Energien wurde ausgebremst, und es wurde statt dessen auf Kohlekraftwerke gesetzt. In der Wirtschaftsförderung wurde die längst überwunden geglaubte Klientelpolitik unter dem Stichwort - Sie haben es ja heute noch einmal vorgeführt - „einzelbetriebliche Förderung“ wieder herausgekramt. Anstatt in ein Science-Center wurde lieber in Plopp-Verschlüsse investiert. Die Wälder wurden nicht als ökologische Kleinode, sondern als private Investitionsobjekte behandelt. Der Naturschutz war für Sie ein lästiges Hindernis in einer Agrarlandschaft, die Umweltverbände lästige Mäkler, und die EU-Vorgaben wurden auf die lange Bank geschoben. Deshalb möchte ich an dieser Stelle wissen: Was haben Sie vor? Wie wollen Sie die Chancen nutzen?
Diese Frage richte ich an alle Parteien, auch an die SPD, die ja Vieles mitgemacht hat. Wollen Sie die Chance des Landes nutzen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, oder wollen Sie eine Politik fortsetzen, die von Vorurteilen oder alten Grabenkämpfen getragen ist und dem Land nur Schaden zufügt? Und
auch hier gilt: Die Menschen im Land haben ein Anrecht darauf, vor der Wahl zu wissen, was auf sie zukommt.
Die schwarz-gelbe Koalition, für die die Vertrauensfrage heute die Voraussetzung schaffen soll, ist nicht die Lösung der Probleme; Schwarz-Gelb verspricht vielmehr, bei der Lösung der Probleme vom Leerlauf in den Rückwärtsgang umzuschalten. Deswegen werden wir dafür kämpfen, dass es im Wahlkampf um Inhalte geht, um die Zukunft SchleswigHolsteins. Um das zu erreichen, sind wir bereit, mit denen zusammenzuarbeiten, die das Land nach vorn bewegen wollen. Wie sollen die Finanzprobleme gelöst werden? Wie bekommen wir ein gerechtes Bildungssystem? Wie können Klimaschutz und Wirtschaftspolitik aus einem Guss statt gegeneinander betrieben werden? Das sind die Fragen, die in der kommenden Legislaturperiode gelöst werden müssen. Heute machen wir den Weg dafür frei. Die Bürgerinnen und Bürger von Schleswig-Holstein haben am 27. September das Wort.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel. - Das Wort für den SSW hat nun dessen Vorsitzende, die Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gar nicht einfach, hier noch etwas zu sagen; denn die Vorgänge der vergangenen Tage hinterlassen einen zunächst sprachlos. Der Verfall der politischen Kultur in Schleswig-Holstein geht so rapide vonstatten, dass man nur fassungslos zusehen kann.
Der anschwellende Machthunger einiger Politiker zermalmt gerade das seit 1988 mühsam wieder aufgebauter Renommee unseres Landes. In den Kommentaren der Medien sind längst wieder die Namen Barschel und Engholm gefallen. Schleswig-Holstein ist wieder zum Synonym für politischen Skandal und das unsaubere Miteinander von CDU- und SPD-Politikern geworden. Niemand zweifelt daran, dass der politische Verfall längst ein Stadium erreicht hat, das eine Vertrauensabstimmung rechtfertigt. Hätte es wirklich eines Beweises bedurft, dass diese Regierung schon lange ihre Mindesthaltbarkeitsdauer überschritten hat, dann haben die un
versöhnlichen Diskussionsbeiträge, die Lügenbezichtigungen und Halbwahrheiten der SPD und der CDU den in den letzten Tagen hinreichend geliefert. Oder - um es einmal ganz drastisch auszudrücken -: Diese Koalition ist schon vor zwei Jahren verdorben gewesen, und die Bevölkerung hat längst gemerkt, dass hier etwas zum Himmel stinkt.
Einen deutlicheren Wink als drei Umfragen, die unabhängig voneinander die Große Koalition vom Spielfeld schicken, kann es kaum geben. Die Bevölkerung hat das Vertrauen in diese Regierung verloren, und das sollten wir respektieren. Nachdem die SPD nicht gewillt war, selbst daraus die Konsequenz zu ziehen, stimmen wir heute über das Vertrauen in den Ministerpräsidenten und sein neues Kabinett von freiwilligen und unfreiwilligen Superministern ab. Aber das ändert nichts daran, dass es noch einmal um die gesamte Große Koalition und um ihr politisches Ende geht.
In den letzten Tagen gab es jeden Tag neue Beschuldigungen. Jeder schiebt die Schuld auf den anderen. Dabei hat auch die Öffentlichkeit schon längst gemerkt, dass für beide Parteien eine Unschuldsvermutung völlig fehl am Platz wäre. Es gehören immer zwei zum Tangotanzen und den Todestanz dieser Regierungskoalition haben Ralf Stegner und Peter Harry Carstensen schon ausgiebig geprobt.
Deshalb sei der SPD auch nochmals angeraten, endlich die Rolle des Unschuldslamms aufzugeben, die ihr ohnehin niemand mehr abnimmt.
Angesichts der Form der Zusammenarbeit, die der SPD-Fraktionsvorsitzende in den letzten zwei Jahren gewählt hat, kann die SPD nicht glaubwürdig über eine böse CDU lamentieren.
Ralf Stegner selbst hat dieses Bündnis mehrfach in Situationen gebracht, wo alle Welt Verständnis dafür gehabt hätte, wenn die CDU „Vielen Dank und auf Wiedersehen“ gesagt hätte.
Dies gilt allerdings ebenso für Peter Harry Carstensen. Der Gute-Laune-MP kann seit dem Beginn der Finanzkrise nicht mehr punkten, weil jetzt an der
Spitze ein handlungsstarker Politiker gefragt ist. Da liegt es nahe, den Koalitionspartner dafür verantwortlich zu machen, dass die Bilanz seiner Regierung auf einen Bierdeckel passt. Der Versuch des Ministerpräsidenten, seine mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und seine mäßige Politik allein mit Ralf Stegner zu entschuldigen, ist - das muss ich sagen - einfach erbärmlich.
Für den Bruch der Koalition trägt er ebenso viel Verantwortung; denn natürlich ist auch Carstensens Weste bei den Schulhofprügeleien der Großen Koalition nicht weiß geblieben. Er hat es bisher nur besser verstanden, den Machtpolitiker hinter der Maske der Unschuld vom Land zu verbergen. Seine Taktik, den Koalitionsbruch monatelang hinauszuzögern, um am Tag der Bundestagswahl auch den Landtag wählen zu lassen, und der unwürdige kurzfristige Rausschmiss der SPD-Minister sprechen für sich. Offen, anständig und vertrauenswürdig sieht anders aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Peter Harry Carstensen muss sich hier und heute aber vor allem für das verantworten, was er und seine Koalition in den letzten vier Jahren getan haben und was sie nicht auf die Reihe bekommen haben.
Eines hat der Ministerpräsident mit Sicherheit in den ersten vier Jahren gekonnt: Er hat es geschafft, beliebt zu werden, wie kaum ein Regierungschef vor ihm.
Der „Ich-kümmere-mich-persönlich-drum“-Ministerpräsident Carstensen hat persönlich Starterlaubnisse für Privatflugzeuge und Baugenehmigungen besorgt. Bei einem Besuch der Museumswerft in Flensburg, wo der Leiter erklärte, ihm fehle ein bestimmtes Holz, das schwer zu beschaffen sei, griff der Ministerpräsident sofort zum Telefon, um den Holzhändler seines Vertrauens anzurufen. Das ist die Politik von Peter Harry Carstensen. Und das kam lange gut an.
Insofern hat er es zumindest am Anfang der Karriere geschafft, das Vertrauen in sein Amt und in die Landespolitik zu stärken. Er hat es auch vermocht, als Moderator eine Koalition zusammenzuhalten, die von Anfang an nicht richtig zusammenhing und immer größere Fliehkräfte entwickelte. Das ist eine Leistung, die wir vom SSW auch mehrfach gelobt haben.
Nur, die Kehrseite dieser Rolle ist, dass Peter Harry Carstensen nie eine eigene Politik hatte. In den wirklich wichtigen Fragen hat er andere für sich arbeiten lassen, nicht zuletzt die gefeuerten SPD-Minister. In der Finanz- und Wirtschaftskrise stand die Regierung ohne Führung da.
Als die HSH Nordbank und mit ihr das Land Schleswig-Holstein im Winter 2008/2009 vor dem finanziellen Abgrund stand, war der Ministerpräsident abgetaucht. Er duckte sich weg und ließ seinen Finanzminister gewähren, der konsequent die Pläne des HSH-Chefs Nonnenmacher umsetzte. Ein Krisenmanagement des Regierungschefs gab es nicht.
Das Beispiel HSH Nordbank ist das krasseste, aber man kann noch eine Reihe weiterer zentraler politischer Diskussionen nennen, in denen der Ministerpräsident durch Abwesenheit glänzte. In kaum einer Frage war der Chef durch eigene Positionen sichtbar. Nur dann, wenn Projekte der Koalition ihm und seinem Image gefährlich wurden, kümmerte er sich und sammelte die Politik der Koalition eigenmächtig wieder ein, so zum Beispiel bei den Schülerbeförderungsgebühren oder der Kreisgebietsreform.
Dass Carstensen in den letzten Wochen große Töne zum AKW Krümmel spuckte und Pläne zur Haushaltssanierung vorlegte - beides übrigens ohne konkrete Konsequenzen -, dürfen wir mit dem Wissen von heute getrost dem Vorwahlkampf zuschreiben.
Wenn wir Peter Harry Carstensen in den letzten vier Jahren einmal politisch erlebt haben, dann ging es um seine persönlichen machtpolitischen Interessen. Eigene politische Vorstellungen, wie dieses Land besser und zukunftssicher zu gestalten ist, und eigene Vorschläge zur Lösung der großen Probleme des Landes hat er noch nie zum Besten gegeben.
Schleswig-Holstein braucht heute nicht zuerst einen Ministerpräsidenten, der sich als Landesvater oder Ober-Bürgerbeauftragter versteht, sondern einen qualifizierten, handlungsstarken Regierungschef, der mit den Folgen der Finanzkrise und anderen ungelösten Problemen umgehen kann.
Eben deshalb, weil wir nicht das Vertrauen haben, dass Peter Harry Carstensen die erforderlichen Qualifikationen hat, um die großen Probleme des Landes zu lösen und dieses Land zu gestalten, wird der SSW dem Ministerpräsidenten nicht das Vertrauen aussprechen.
Zur Vertrauensfrage gehört aber auch eine Bewertung der Koalition, die diesen Ministerpräsidenten gewählt und getragen hat. Ohne die Fraktionen und Parteien wäre die Politik und Nicht-Politik von Peter Harry Carstensen nicht möglich wesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im öffentlichen Bewusstsein ist diese Regierungskrise zunächst ein Duell zwischen zwei Männern, aber die Wahrheit ist natürlich komplizierter. Es geht hier nicht um einen Kampf der Titanen, sondern eher um einen Hahnenkampf, bei dem die Zuschauer zwischen Schaulust und Angewidertsein schwanken. Diese Situation konnte erst dadurch entstehen, dass die meisten in der CDU und in der SPD viel zu lange zugeschaut haben, ohne etwas zu unternehmen.
Natürlich tragen die CDU und die SPD in Schleswig-Holstein große Verantwortung dafür, was in den letzten Jahren geschehen ist. Sie haben Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner gewähren lassen und falsch beraten. Sie haben keine Kompromisse zustande gebracht oder haben faule Kompromisse geschlossen. Sie haben eine Politik mitgetragen, die sie selbst nur schwer oder gar nicht verteidigen konnten. Kurz: Die Mitverantwortung für die Große Koalition tragen alle Abgeordneten, Regierungsmitglieder und Parteifürsten der CDU und der SPD in Schleswig-Holstein.