Protokoll der Sitzung vom 23.03.2006

„Wie erwähnt, handelt es ich bei dieser polizeilichen Tätigkeit um einen gleichzeitig einhergehenden Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung vieler unbeteiligter Verkehrsteilnehmer. Gerade im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss ein solcher Eingriff tatsächlich auch den gleichzeitigen Anspruch auf Sicherheit der Bürger rechtfertigen. Dies ist keinesfalls bei Bagatelldelikten oder Straftaten geringerer Bedeutung gegeben. … Eine so genannte ‚Schleppnetzfahndung’ mit geringer Eingriffsschwelle wird die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel aufwerfen, in der sich der Staat, insbesondere Justiz und Polizei, gegenüber Bürgern zu rechtfertigen haben.“

Dem ist nicht viel hinzuzufügen.

(Wolfgang Kubicki)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade die Politik und die Bevölkerung in unserem Land haben sich bisher durch einen kühlen und klaren Kopf bei anderenorts festzustellender Hysterie hervorgetan. Schleswig-Holstein ist mit dieser liberalen Grundhaltung bisher gut gefahren. Dass die Polizei viele der geplanten neuen Befugnisse nicht benötigt und keine Neigung zum Datenmissbrauch zeigt, hat die besonnene Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei zu Ihrem Entwurf gezeigt. Wir - und damit spreche ich insbesondere auch die SPD-Fraktion an - sollten einem solchen Gesetzentwurf unsere Zustimmung jedenfalls in weiten Bereichen versagen. Ich gehe davon aus, dass bei den Beratungen wenigstens noch Korrekturen möglich sind.

Herr Kollege Lehnert, ich weise darauf hin: Gefahrenabwehr, polizeiliche Eingriffsbefugnisse - der Staat darf nur auf gesetzlicher Grundlage handeln. Die Eingriffe müssen erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein.

Jetzt komme ich zum Punkt der Videoüberwachung und zu dem Punkt, was man damit erreicht, statt Personal zu beschäftigen. Herr Innenminister, ich habe Ihnen das schon einmal gesagt: Keine ältere Dame wird eine S-Bahn nutzen, weil dort eine Videoüberwachung stattfindet. Sie nutzt aber eine S-Bahn - das wissen sie mittlerweile in Hamburg, deshalb haben sie wieder Begleitpersonal -, wenn Personen anwesend sind, die im Zweifel auch eingreifen können.

(Beifall bei FDP, SSW und des Abgeordne- ten Konrad Nabel [SPD])

Herr Innenminister, wäre es anders, könnten wir künftig auf die Begleitung der Flugzeuge durch Sky Marshals verzichten, denn dann würde die Videoüberwachung in Flugzeugen ausreichen, um der Gefahrenabwehr zu genügen.

Dass es schlichter Unsinn ist, dass Sie hier Personal einsparen und eine vermeintliche Sicherheit vortäuschen, die gar nicht gegeben ist, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass die Deutsche Bahn Zugbegleitpersonal mitführt, und ergibt sich aus der Tatsache, dass die S-Bahn Zugbegleitpersonal mitführt.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Sie fliegen zu viel, Herr Kubicki!)

- Herr Dr. Wadephul, ansonsten könnten wir auch auf Zugbegleitung für Züge, in denen Hooligans bei der Fußballweltmeisterschaft anreisen, verzichten, wenn die Videoüberwachung bereits abschreckend genug wirkt. Dass das nicht Ihr Ernst sein kann, liegt auf der Hand.

(Beifall bei FDP, SSW sowie der Abgeord- neten Konrad Nabel [SPD] und Monika Hei- nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich danke Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki. - Ich erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzenden, Frau Anne Lütkes, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, Sie haben in Ihrer Einbringungsrede darauf hingewiesen, dass das, was Sie zum Teil vorschlagen, in anderen Ländern, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist, in einem schärferen Maß oder in ähnlicher Weise Gesetz sei. Es gibt einen alten Grundsatz insbesondere unter Juristen, der aber auch in der Politik durchaus Geltung hat, er heißt: Es gibt keine Gleichheit im Unrecht. Insofern sollten Sie veranlasst sein, auch wenn Sie sich möglicherweise in Gemeinsamkeit mit FDP-regierten Ländern sehen, genau dieses Unrecht, wenn es durch Sie verursacht werden könnte, zu überprüfen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich möchte noch einmal ganz deutlich sagen, warum wir diesem Gesetzentwurf, so wie er jetzt auf dem Tisch liegt, nicht zustimmen werden, auch wenn zum Teil der Versuch der Kontinuität rot-grüner Rechtspolitik versucht wird.

Ganz grundsätzlich: Es ist ein sehr schlechtes Zeichen für eine Gesellschaft, wenn bisher selbstverständliche Prinzipien des Zusammenlebens plötzlich verteidigt und erklärt werden müssen. Es ist ein noch schlechteres Zeichen, wenn diese Verteidigungen und Erklärungen vom politischen Gegner abgewertet und verdreht werden. Das gilt im vorliegenden Fall für das Einklagen der Erfordernisse Erforderlichkeit, Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit für alle Grundrechtseingriffe.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt immer, nicht nur dann, wenn möglicherweise verantwortungslose oder missbräuchliche Polizeiarbeit zu erwarten ist. Es hat nichts damit zu tun, Angst vor dem Polizeistaat zu schüren oder unlautere Absichten zu unterstellen. Es ist ein Rechtsprinzip, man könnte es auch als Werkzeug bezeichnen, das sowohl bei der Rechtsetzung als auch bei der Rechtsanwendung zu beachten ist. Es soll die Unversehrtheit der Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger und ein geordnetes Zusammenleben sicher

(Wolfgang Kubicki)

stellen, auch wenn dabei die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt wird. Es soll dafür sorgen, dass diese Freiheitseinschränkung im geringst möglichen Umfang stattfindet. Es sichert in einem Rechtsstaat die einfache Regel: So viel wie nötig, aber auch so wenig wie möglich.

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist keine Denkakrobatik oder juristeninterne Kabbelei, es ist nicht einmal Gegenstand einer Fachdebatte, sondern konsensuale Übereinkunft. Das sollte hier immer wieder in Erinnerung gerufen werden.

Die vor viereinhalb Jahren geäußerte Befürchtung, nach dem 11. September 2001 würde nichts mehr sein, wie es einmal war, hat sich Gott sei Dank nicht bewahrheitet. Allerdings hat sich die Gesellschaft schleichend verändert. Das Selbstbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger, staatliche Beobachtung und Überwachung kritisch zu begleiten und auch zu begrenzen, ist angesichts des Schreckensbildes des näher kommenden Terrors und der latenten Bedrohung durch unauffällig unter uns lebende mögliche Terroristen gesunken und es wird weiter sinken. Das machen sich manche zunutze, die symbolische Gesetzgebung und sicherheitspolitischen Aktionismus betreiben. Das ist in Teilen des hier vorgelegten Gesetzes wiederzufinden.

Mit dem knappen Hinweis auf die wachsende Bedrohung des Terrorismus - wie er in den vorliegenden schriftlichen Begründungen zu sehen war wurden in der Vergangenheit und werden auch heute noch so genannte Otto- und sonstige Kataloge auf den Tisch gelegt, dicke Pakete aus Überwachungsmaßnahmen. Eine Einzelbetrachtung - wohlgemerkt eine Einzelbetrachtung - der Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit der Maßnahmen unterbleibt fast völlig.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die einfache, aber falsche Logik, Überwachung und technische Maßnahmen brächten zwangsläufig mehr Sicherheit, wird zu einer Art Mantra. Die vorerst letzten Anschläge in Kerneuropa geschahen in Großbritannien, in einem Land, meine Damen und Herren von der großen Koalition, in dem mehr als zehnmal so viel Videoüberwachung geschieht wie in Deutschland.

Vielleicht ist Deutschland - trotz der „mangelnden“ Videoüberwachung - bisher verschont geblieben, weil wir den Dialog mit islamischen Migranten suchen und weil wir bisher eine Entwicklung haben, die Konfrontation und Ausgrenzung nicht zulassen will. Diesen Weg sollte die deutsche Politik weiter

suchen und sie sollte viel mehr als bisher Ressourcen, also finanzielle Mittel, in die Erforschung der soziologischen und psychologischen Ursachen des Terrorismus stecken.

Vorratsdatenspeicherung, Kennzeichen-Scanning sowie Raster- und Schleierfahndung sind in diesem Zusammenhang keine wirksamen Instrumente, sie sind - bildlich gesprochen - das Stochern in einem Heuhaufen, bei dem sehr viele Unschuldige getroffen und verletzt werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Wer gesehen hat, was Terrororganisationen anrichten, aber auch, wie sie sich organisieren und einrichten, wird ihnen auch zutrauen, komplexe technische Überwachungen zu überwinden. Das steht einem Normalbürger nicht zur Verfügung.

Wichtig ist, dass nicht die umfangreichste Überwachung, sondern die effektivste Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität gefunden und um sie gerungen wird. Dazu gehört dann auch eine seriöse Evaluierung von Eingriffsermächtigungen und nicht einfach eine Verlängerung oder Aufhebung der Befristung, wie wir es bei der Rasterfahndung hier im Parlament erleben mussten.

Die Vereinfachung, mehr technische Überwachung biete gleichzeitig mehr Schutz vor Terror, wird schleichend und fast unbemerkt - Sie haben es heute sehr deutlich gesagt, Herr Innenminister - auf die gesamte Kriminalität ausgeweitet. Sie haben in Ihrer Presseerklärung und heute wieder gesagt, dass das Polizeirecht des Landes nach 13 Jahren zu reformieren sei. Es habe sich im Kern bewährt, es seien nur an einigen Stellen Anpassungen an veränderte Realitäten notwendig.

Ich möchte an dieser Stelle nicht noch einmal darlegen, wie im Einzelnen das Gesetz Änderungen vorschlägt, da beziehe ich mich auf Ihren Vortrag, Herr Kubicki. Auch die Bewertung, die Sie vorgetragen haben, teile ich für meine Fraktion inhaltlich voll.

Der Innenminister und sein Haus meinen also, ein sicherheitsrechtliches Instrumentarium gefunden zu haben, das effektiv sowohl gegen internationale Toppterroristen als auch - um es salopp zu sagen gegen Taschendiebstahl hilft und dabei in jedem Einzelfall verhältnismäßig, geeignet und notwendig ist. Man braucht keine kriminologischen Fachkenntnisse, um zu sagen, dass das nicht möglich sein kann. Ihre immer wieder geäußerte These über vermehrte Mobilität von Geldströmen, über neue

(Anne Lütkes)

Organisationsformen des Terrorismus gehen über gestatten Sie mir den Ausdruck - plakative Allgemeinplätze nicht hinaus. Die Thesen werden nirgendwo verifiziert und schon gar nicht im Einzelfall in den Zusammenhang zu einer polizeirechtlichen Norm gestellt.

Sie haben hier - ich glaube, es war der Redner von der CDU - darauf hingewiesen, dass die Kronzeugenregelung ein notwendiges Instrument sei. Gerade bei der Kronzeugenregelung können Sie es nachlesen und feststellen, dass sie eben kein Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung ist. Das sagen Ihnen auch die Fachleute, und zwar nicht nur hinter vorgehaltener Hand.

Alles, was heute vorliegt, zeigt mir, dass bisher die Fachlichkeit in der sicherheitspolitischen Debatte nicht von allen Seiten in den Vordergrund gestellt worden ist. Man hat gar den Eindruck, Argumente würden durch Entschlossenheit ersetzt. Auch wenn wir uns heute alle um Sachlichkeit bemühen, die unsachlichen Seitenhiebe in der Vergangenheit hatten nach meinem Eindruck ihren Anfang nicht beim Datenschützer dieses Landes, der sich doch in der ihm eigenen Art - und Sie wissen, dass ich ihn recht gut kenne - um intensive Sachlichkeit und Fachlichkeit nicht nur bemüht, sondern diese in seinen Stellungnahmen auch sehr deutlich gezeigt hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD])

Ich glaube, die einzelnen Vorschriften, deren Verfassungsgemäßheit, Geeignetheit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit Sie behaupten, müssen im Ausschuss Norm für Norm besprochen werden. Die Verfassungsgemäßheit wird nicht dadurch hergestellt, dass man sie behauptet, sondern dadurch, dass man sie belegt. Dies können Sie - wenn Sie es können - aufgrund der Vorarbeiten, die in Ihrem Haus offensichtlich durchgeführt worden sind, belegen.

Ich bezweifle, dass dieses Gesetz, wenn wir die Diskussion im Ausschuss fachlich und sachlich durchgeführt haben werden, so wieder hierher zurückkommt, wie es vorgelegt wird. Insofern vertraue ich einmal mehr auf das strucksche Gesetz.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Ich danke der Frau Abgeordneten Anne Lütkes. Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag

erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Novellierung des Polizeirechts hat im Land bereits für viel Unruhe gesorgt. Der Innenminister hat mit dem Gesetzentwurf insbesondere den Landesdatenschützer auf die Barrikaden gerufen, aber auch bei der Gewerkschaft der Polizei stieß der Entwurf nicht auf Gegenliebe.

Die GdP kritisiert den Gesetzentwurf als kompliziert formuliert, streckenweise ungenau und schwer verständlich, es fehle Normenklarheit. Unter dem Strich bescheinigt die GdP dem Konzept der Landesregierung Unprofessionalität. Ich denke, das ist schon starker Tobak.

Darüber hinaus sieht die Gewerkschaft die Gefahr, dass die Polizei durch das restriktive Gesetz in eine Ecke gedrängt wird, in die sie nicht gehört und wohin sie auch nicht will. Wenn bereits die Polizei diesen Entwurf für überzogen hält, dann sollten wir die Kritik entsprechend ernst nehmen.

Im Zusammenhang mit der Kritik des Landesdatenschützers an dem Gesetzentwurf hat es bereits heftige Auseinandersetzungen und gegenseitige Vorwürfe gegeben. Das sprach auch die Kollegin Lütkes vorhin an. Die Art und Weise, wie vonseiten der Landesregierung mit der Kritik des Landesdatenschützers umgegangen wurde, halten wir für polemisch und der Sache überhaupt nicht dienlich. Den Vorwurf, der Landesdatenschützer sei überzogen kritisch und bewerte in der konkreten Abwägung die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte von Störern im Konfliktfall höher als den Schutz der Grundrechte auf Leben, Gesundheit und Freiheit von Menschen, kann der SSW mit anderen Worten nicht nachvollziehen.

Ich kann daher nur hoffen, dass beide Seiten wieder zu einem Dialog zurückfinden, um sich mit dem Thema sachlich und fachlich auseinander zu setzen. Schließlich hat sich die Arbeit des Landesdatenschützers in den letzten Jahren nicht nur bewährt, seine Kritik verdient es auch, ernst genommen und nicht einfach von oben abgekanzelt zu werden.

(Beifall bei der FDP)

Begründet wird die Verschärfung des Polizeigesetzes mit der anhaltenden Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, den neueren Erscheinungsformen schwerwiegender Kriminalität und der Alltagskriminalität. Insgesamt stellt der Gesetz