Protokoll der Sitzung vom 11.10.2006

In diesem Sinne wünsche ich uns allen fruchtbare Beratungen und Ergebnisse. Ich beantrage für die CDU-Fraktion die Überweisung an den Bildungsausschuss.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke der Frau Abgeordneten Herold. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Dr. Henning Höppner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Herold, ich hätte nichts dagegen, wenn der Gesetzentwurf so bliebe, wie ihn die Landesregierung eingebracht hat.

(Zurufe)

Meine Damen und Herren, noch vor drei Wochen haben wir in der Zeitung gelesen - und es schien so -, es hätte in der großen Koalition unüberwindbare Positionen in der Schulpolitik gegeben. Was Sonntagabend am 24. September aus dem Gästehaus der Landesregierung vermeldet wurde, hat nicht nur die Presse, sondern auch die breite Öffentlichkeit in unserem Land überrascht.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Uns auch!)

Auch in meiner Partei gab es Propheten, die für die kommenden Jahre einen andauernden Koalitionskonflikt in der Bildungspolitik vorhergesagt haben. Das wird mit Sicherheit nicht der Fall sein, um die Zweifler gleich zu beruhigen.

(Beifall bei SPD und CDU)

So ist denn das bildungspolitische Ergebnis des Koalitionsausschusses vom 24. September 2006 in der Tat als ein Ereignis von historischer Dimension zu bewerten. Seit 1919 gab es in Schleswig-Holstein ein System aus Volksschulen, Mittelschulen und Gymnasien. 90 Jahre später werden wir das schleswig-holsteinische Schulsystem umbauen in ein System der weiterführenden Schulen aus Regionalschulen, Gemeinschaftsschulen und Gymnasien.

Der Weg zu dieser Entscheidung war folgerichtig und - betrachtet man die demografische Entwicklung unseres Landes - mittelfristig auch dringend geboten. Die Schülerzahlen sinken im Augenblick zwar noch relativ langsam, aber wer sich die Zahlen aus den Standesämtern holt, spürt einen klaren Trend bei den Geburten. In den Grundschulen Schleswig-Holsteins hatten wir im Jahre 1998 den Höhepunkt erreicht mit 127.000 Schülerinnen und Schülern. Ab 2013 werden die Zahlen deutlich unter der 100.000-Marke liegen.

Die Schulentwicklungsplanung muss durch die Schulträger dringend wieder aufgenommen werden; Schulentwicklungsplanung ist kein sehr schwieriges, kein sehr komplexes Geschäft. Die Kinder, die 2011 in die Grundschulen unseres Landes eingeschult werden, sind bereits geboren; der Geburtsjahrgang 2005 rückt in der Regel im Jahre 2015 in die weiterführenden Schulen ein. Das ist also alles andere als Kaffeesatzleserei; diese Prognosen sind sicher.

Bundesweit werden wir in absehbarer Zeit 17 % weniger Schüler haben als heute. Das wird sich in Schleswig-Holstein ähnlich darstellen, allerdings mit signifikanten Unterschieden in den Regionen. In den kreisfreien Städten wird die Verminderung der Jahrgangsstärken deutlich geringer ausfallen als in den meisten Landkreisen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Aber im Ham- burger Umland sieht es wieder anders aus!)

Daher ist die Schulentwicklung einigermaßen sicher zu prognostizieren. Sie wird im Hamburger Rand relativ hoch sein, in Neumünster am geringsten und wahrscheinlich auch in Dithmarschen am geringsten. Die Zahlen sind also - wie gesagt - relativ sicher zu prognostizieren.

Für die weiterführenden Schulen sind dagegen dynamische Trends zu bewerten. Ein herausragender Aspekt ist hierbei, dass sich die meisten Eltern bei der Wahl der Schulart für ihre Kinder daran orientieren, dass sie zumindest einen gleichen, möglichst einen besseren Bildungsabschluss als den eigenen für ihre Sprösslinge wollen. Rund 50 % der Eltern wünschen sich als Schulabschluss für ihr Kind möglichst das Abitur, weitere 40 % mindestens die Mittlere Reife und nur 9 % bundesweit den Hauptschulabschluss.

Die Bildungsabschlüsse der Eltern unserer Schülerinnen und Schüler haben sich ebenso deutlich verändert. Während in den 60er-Jahren mehr als 60 % der Bevölkerung eine Volksschule besucht haben, erreichen seit über einem Jahrzehnt mehr als 60 % einen Schulabschluss, der mindestens einen Real

(Susanne Herold)

schulabschluss oder eine Hochschulzugangsberechtigung darstellt. In Kiel sind es - das sagen die Kieler Schulinformationen - über 66 %, im Kreis Stormarn ist diese Anzahl sogar auf 70 % hochgegangen.

Die Anteile der Schülerinnen und Schüler in den einzelnen Schularten sind in unserem Lande ausgesprochen unterschiedlich. Im Kreis SchleswigFlensburg besuchen noch 27,5 % der Schülerinnen und Schüler eine Hauptschule, ebenso viele das Gymnasium und über 38 % die Realschule. Im Kreis Stormarn hingegen sind es 42 % der Schüler, die Gymnasien besuchen; nur noch jeder zehnte Schüler ist dort ein Hauptschüler. Wahrscheinlich ist nur noch jedes zwölfte Mädchen eine Hauptschülerin, weil die Hauptschulen inzwischen fast überwiegend Jungenschulen geworden sind. Die Realschulen im Kreis Stormarn sind nach den Gesamtschulen in diesem Schuljahr nur noch die dritte Kraft.

Immer dann, wenn gymnasiale Angebote oder Angebote von Gesamtschulen vorhanden sind, nehmen Eltern diese stark an, weil auch die Grundschulgutachten in diesen Regionen, nämlich im Kreis Stormarn, überwiegend positiver ausfallen als im ländlichen Raum des Nordens.

Die Einschätzung unserer Eltern ist deutlich. Sie halten unser Schulsystem für nicht durchlässig. Hieraus resultieren auch die starken Abweichungen von Elternwunsch und Grundschulgutachten. Im Hinblick auf die Elternakzeptanz der Hauptschule hat es mit Beginn des Schuljahres 2006/2007 einen deutlichen Einbruch bei den Anmeldezahlen gegeben. Das wird mit Sicherheit in den nächsten Jahren so weitergehen. Ich sage hier ganz offen, man könnte noch so viel in die Hauptschule investieren, sie wird sich in vielen Jahren nicht halten können.

In den 90er-Jahren, als wir schon einmal weniger Schüler hatten als heute, etablierten sich „weiche“ Formen des Übergangs in die weiterführenden Schulen, denn jeder zusätzliche Schüler, den man aufnehmen konnte, war ein Beitrag zur Sicherung eines Schulangebotes, auch wenn er eben nicht die entsprechende Empfehlung hatte. Er schuf einen Anteil an einer Planstelle und einen Teil eines Schülerkostenbeitrags, der von der Herkunftsgemeinde gezahlt wird. Manche Realschulen nahmen durchaus 30 % Hauptschulempfohlene auf.

Auch die Gymnasien verhielten sich nicht anders. Sie warben damit, dass man auch die „weniger qualifizierten“ Schulabschlüsse an diesen Schulen erreichen könnte. In meinem Landkreis haben seit

vielen Jahren rund 28 % der Sextaner, manchmal sogar mehr, eine Realschulempfehlung. In den 90er-Jahren gab es Jahrgänge mit 40 % Realschulempfohlenen.

Meine Damen und Herren, der Schritt zu verbundenen Systemen - Regionalschulen - ist genau der Weg, den wir brauchen, um unser Bildungssystem ortsnah und zukunftsfähig auszurichten. Auch in vielen anderen Flächenländern sind verbundene Systeme keine Seltenheit, sondern eher die Regel. Das wurde schon erwähnt. Ausgangspunkt für die Entwicklung dieser Schulen waren in der Regel die Realschulen.

Da die Namensgebung dieser Schulen, die organisatorisch verbunden sind, so ausgesprochen vielfältig ist, hat man hier nicht erkannt, dass es sehr ähnliche und vergleichbare Systeme sind. Auch in Schleswig-Holstein gibt es derzeit 40 dieser organisatorisch verbundenen Schulen. Sie führen bei uns immer die Bezeichnung nach der „höchsten“ Schulart und heißen zum Beispiel Realschule mit Grund- und Hauptschulteil oder Realschule mit Hauptschulteil.

Über die Ausgestaltung der Regionalschulen werden wir uns noch unterhalten müssen. Eine Orientierung sind zum Beispiel die Rahmenvorgaben für die staatliche Thüringer Regelschule. Das ist eine solche Schule. Dort heißt es:

„Im Kurssystem der Regelschule werden die Schülerinnen und Schüler nur in den Fächern getrennt, in denen nach unterschiedlichen Anforderungsprofilen unterrichtet wird. Daneben besteht die Möglichkeit, ab Klasse 7 auf den Hauptschulabschluss oder Realschulabschluss bezogene Klassen einzurichten. Welche Organisationsform eingerichtet wird, entscheidet aber die jeweilige Schule nach regionalen und lokalen Gegebenheiten.“

Für Thüringen bedeutet dies, dass sechs Jahre lang gemeinsam unterrichtet wird und erst dann eine Differenzierung nach Leistungsgruppen angestrebt wird, und zwar in den Fächern Mathematik und in der ersten Fremdsprache ab Klasse 7, in Deutsch ab Klasse 8 und in einer Naturwissenschaft ab Klasse 9. Ganz ähnlich ist das Konzept der großen Koalitionen in Brandenburg und in Sachsen. Die brandenburgische Oberschule fasst die Bereiche Hauptschule, Realschule und Gesamtschule zusammen. In dieser Schule kann je nach regionalen oder lokalen Gegebenheiten kooperativ unterrichtet werden oder integrativ mit Leistungsdifferenzierungen.

Meine Damen und Herren, Eltern wollen vermehrt offene Systeme. Das zeigt insbesondere die Akzep

(Dr. Henning Höppner)

tanz kooperativer und integrativer Schulsysteme. Würden wir allein im Einzugsgebiet der heutigen Gesamtschulen den Anmeldezahlen Rechnung tragen, müssten dort, wo es heute Gesamtschulen gibt, noch 17 weitere Gesamtschulen eingerichtet werden. Gesamtschulen gibt es in Schleswig-Holstein bis auf Trappenkamp nur in den verdichteten Räumen und deren Umfeld; sie sind bislang typische Stadtteilschulen oder Stadtrandschulen. In sechs der elf Landkreise gibt es überhaupt kein solches Angebot.

Viele Vertreter der Gesamtschulen fühlen sich als Verlierer der Einigung der großen Koalition, quasi als Opfer für die Gemeinschaftsschule als Regelschule. Meine Fraktion sieht hingegen Chancen für diese Schulart, ein eigenständiges Profil zu entwickeln ohne die derzeit bestehenden Konkordanzen der unterschiedlichen Anspruchsebenen und Kursbildungen, die notwendig waren, um die Bildungsabschlüsse der Gesamtschulen in anderen Bundesländern anerkennen zu lassen. Diese Vorgaben - Kurssystem und Anspruchsebenen - wurden insbesondere von Schülervertretern als negativer Aspekt betrachtet, der die Formen des gemeinsamen Lernens an diesen Schulen oft ausschloss.

Die Errichtung von Gemeinschaftsschulen wird den Schulträgern insbesondere in den ländlichen Regionen die Möglichkeit eröffnen, Bildungsgänge für alle Schulartabschlüsse hin anzubieten. Das wird auch die Standortqualitäten der Gemeinden und zentralen Orte in den ländlichen Regionen erheblich verbessern, besonders im Norden, wo Angebote des gymnasialen Bildungsweges fehlen. Mit neuen Gemeinschaftsschulen im ländlichen Raum wird sich also auch eine neue Form einer Schulfamilie in Schleswig-Holstein entwickeln können. Das ist für viele Vertreter der Gesamtschulidee immer als langfristiges Ziel formuliert worden. Ich erinnere an die häufigen Aussagen der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule.

Meine Damen und Herren, wir werden die Schulträgerschaften neu gliedern. Es ist üblich, dass es in einem zentralen Ort ein zusammenhängendes Schulzentrum von mehreren Schulen gibt, deren Trägerschaft aber sehr variiert. Die Grund- und Hauptschule ist in der Trägerschaft eines Schulverbandes mit den Umland- oder Amtsgemeinden, die Realschule ist in der Trägerschaft des zentralen Ortes und das Gymnasium ist häufig in der Trägerschaft des Kreises. Die benachbarten Sonderschulen, die in der Trägerschaft des Kreises sein müssen, können im Rahmen von Aufgabenübertragung auf die freien Wohlfahrtsverbände übertragen werden. Keiner hat eigentlich mit dem anderen et

was zu tun. Die Schulverbandsversammlung ist eigenständig verantwortlich wie die Stadtvertretung für ihre Realschule und der Kreistag für sein Gymnasium.

Nach den Regelungen des neuen Schulgesetzes wird es zukünftig Nahbereichs-Schulverbände geben. Da die Kreise die Trägerschaft der allgemeinbildenden Schulen an diese Schulverbände abgeben werden, werden wir endlich die Situation unterschiedlicher Träger an einem zentralen Schulstandort verändern können. Das wird dann endlich dazu beitragen, dass es an einem Schulstandort eine einheitliche Verantwortung für die verschiedenen Schulen geben wird. Auch das wird ein deutlicher Beitrag zur Entbürokratisierung sein.

Das ist besonders wichtig für die notwendige Abstimmung der Schulentwicklungsplanung, auch im Hinblick auf die raumökonomischen Planungen, denn das Schulraumvolumen im Land ist für eine weitaus größere Anzahl von Schülerinnen und Schülern ausgelegt, als wir in den nächsten Jahren haben werden.

Im Bereich der beruflichen Bildung wird die Trägerschaft bei den Kreisen bleiben. Die heutige Situation der 15 Schulträger der Beruflichen Schulen halten meine Fraktion und ich für eher unbefriedigend. Kreistage und Gewerbeorganisationen klammern sich zu gern an die vorhandenen Strukturen. Kreisübergreifende Absprachen über die Fachklassenbildung oder die Bildung von Bezirksfachklassen sind immer schwierig geblieben und meistens nur durch Intervention der Schulaufsicht gelöst worden. Großkreise - auch das ist ein Ergebnis des Koalitionsausschusses - schaffen neue Perspektiven und Formen der Berufsbildungsplanung. Das kann nur im Interesse der Wirtschaft und der Wirtschaftsverbände sein und wird auch hier zu einem Abbau von Bürokratie beitragen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und CDU)

Gleichwohl muss auch der Schullastenausgleich neu organisiert und vereinfacht werden. Bisher ist seine Abwicklung ein echter bürokratischer Akt, der zweimal im Jahr auszuführen ist. Bislang hat es in der kommunalen Familie im Vorwege der Diskussion um das Schulgesetz keine Einigung über das Verfahren gegeben. Lediglich die Einbeziehung der investiven Kosten in die Schulkostenbeiträge ist unstrittig. Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal intensiv für die Idee des Schülerkostenfonds werben.

Meine Damen und Herren, es war die Frage in der Presse, ob denn der Schulgesetzentwurf nach den Koalitionsvereinbarungen der große Wurf sei. Ich

(Dr. Henning Höppner)

glaube, das hat die „Schleswig-Holsteinische Landeszeitung“ vor etwa 14 Tagen geschrieben. Ich sage für meine Fraktion ganz eindeutig Ja. Das schleswig-holsteinische Schulgesetz, dieser Schulgesetzentwurf ist bundesweit bemerkenswert. Der Gesetzentwurf ist auch deswegen bemerkenswert, weil er endlich das widerspiegelt, was Eltern in unserem Land von der Schule erwarten, nämlich Offenheit und Chancengleichheit und nicht ein System, in das die Kinder mehr oder minder fremdbestimmt einsortiert werden. Ich finde, das ist die wichtigste Nachricht, die wir auch nach draußen vermelden können.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Dr. Höppner. Das Wort für die FDP-Fraktion hat nun der Herr Abgeordnete Dr. Ekkehard Klug.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Monatelang haben sich CDU und SPD darüber gestritten, ob in Schleswig-Holstein die Gemeinschaftsschule oder die Regionalschule eingeführt werden soll. Herausgekommen ist der typische Kompromiss einer großen Koalition: Es soll nunmehr beide neuen Schulformen geben. Dafür wird dann das gegliederte Schulwesen mit Ausnahme der Gymnasien zu zwei Dritteln abgewickelt: Real- und Hauptschulen werden landesweit abgeschafft.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Kostenneutral!)

Die große Koalition stellt damit lauter ungedeckte Schecks aus. Bezahlen müssen das die Schüler, wenn die neuen Schulformen ihnen künftig schlechtere Bildungschancen vermitteln als bisher. Den Praxistest müssen diese neuen Schulformen, die Sie einführen, ja erst in den kommenden Jahren erbringen. Man wird sehen, ob sich die Versprechungen, die sich mit der Einführung verbinden, wirklich erfüllen werden.

(Beifall bei der FDP)