(Günter Neugebauer [SPD]: Aber nicht im Plenarsaal! - Die Abgeordnete Monika Hei- nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] betritt den Plenarsaal)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das europäische Subsidiaritätsprinzip soll sicherstellen, dass die EU von ihren Zuständigkeiten nur dann Gebrauch macht, wenn ihr Tätigwerden auch wirklich notwendig ist und einen zusätzlichen Nutzen für die Mitgliedsstaaten mit sich bringt. Dieses Prinzip gilt schon recht lange. Allerdings hat sich gezeigt, mitunter besteht ein Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Oft fällt beides weit auseinander, wie heute Morgen schon in einigen Beispielen dargelegt worden ist.
Daher sieht der Entwurf des europäischen Verfassungsvertrages die so genannte Subsidiaritätsrüge vor. Darauf ist hier hingewiesen worden. Mit einer solchen zusätzlichen Rüge könnten die nationalen Politikerinnen und Politiker sehr viel stärker in die Verantwortung genommen werden. Die nationalen Parlamente wären in der Verantwortung drin. Sie wären das aber leider erst mit Inkrafttreten der Verfassung. Das ist so. Wir haben uns heute Morgen schon sehr ausführlich über den aktuellen Stand der europäischen Verfassungsgebung unterhalten. Der Entwurf ist bekanntermaßen nicht angenommen worden. Wir werden sehen, wie der Ratifizierungsprozess weitergehen wird. Ein einfaches „Weiter so“ im europäischen Prozess ist sicherlich nicht das, um das es geht. Die Europäerinnen und Europäer können die Demokratinnen und Demokraten in diesem Punkt nicht einfach ignorieren. Das sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen.
Vorausgesetzt, die Subsidiaritätsrüge bliebe so bestehen, wie sie geplant ist, sollte sich ein Landesparlament rechtzeitig Gedanken darüber machen, wie es
sich unter den sich abzeichnenden Rahmenbedingungen in die europäische Debatte einmischen kann, wie es dort handlungsfähig werden kann, und dies bei 17 Regierungen und 17 Parlamenten in der Bundesrepublik und dies angesichts der Tatsache, dass man ein Drittel der nationalen Parlamente benötigen wird, um die Rüge auch auszusprechen, und dies angesichts des hier schon erwähnten sehr engen Zeitrahmens, der bei der Subsidiaritätskontrolle einzuhalten wäre. Mithin: Eine schnelle Abstimmung zwischen Bund und Ländern ist für diese europäische Maßnahme lebenswichtig.
Insofern darf ich daran erinnern, dass die Föderalismuskommission, die unter Mitwirkung der ehemaligen Landesregierung im vergangenen Jahr sehr intensiv zu diesem Thema diskutiert hat, auch schon Vorschläge erarbeitet hatte, wie Artikel 23 des Grundgesetzes etwas stromlinienförmiger, griffiger, handlungsfähiger formuliert werden könnte. Wir dürfen gemeinsam nicht die Augen davor verschließen, dass das Grundgesetz immer noch von einer Vertretung der Bundesrepublik nach außen - Europa ist noch außen - ausgeht, die dem Bund zusteht. Diese Vertretung obliegt nicht den Ländern, sondern ist Aufgabe des Bundes. Die Vertretung im Bund ist nach wie vor Aufgabe der Exekutive, der Landesregierung, und nicht der Landesparlamente. Dazu gab es sehr konstruktive Debatten in der Föderalismuskommission. Ich kann nur anregen, in der Dokumentation einmal nachzulesen, was eine kleine Kommission aus FDP, SPD und Rainder Steenblock von den Grünen erarbeitet hat, ein Vorschlag zur Neuformulierung des Artikel 23 Abs. 2, der versucht, der Einbindung der Landesparlamente Rechnung zu tragen.
Der vorliegende Antrag weist zu Recht darauf hin, dass man neben dieser grundsätzlichen, auch bundesverfassungsrechtlichen Frage zu klären hat, wie die Landesparlamente angemessen beteiligt werden können. Ich denke schon, dass wir dieser Aufgabe der Einbindung, der Beteiligung nur dann gerecht werden können, wenn sich die Arbeitsabläufe und die Strukturen in den Parlamenten, auch hier in SchleswigHolstein, verändern. Die Arbeit in den Fachausschüssen muss sich stärker an Europa, an Brüssel orientieren. Möglicherweise haben wir hier einen kleinen Dissens. Es ist nicht nur der Europaausschuss. Es ist nur eine Frage der Querschnittsarbeit im Europaausschuss. Wir sollten nicht nur europäische Beschlüsse aus der Vergangenheit zur Kenntnis nehmen, sondern selber in einem sehr viel stärkeren Maß die Möglichkeit der politischen Initiative nutzen, um uns in politische Entscheidungsprozesse einmischen zu können. Dies ist auf europäischer Ebene durchaus auch jetzt schon möglich.
Ich vermute, dass Sie mit Ihrem Antrag ein Stück in diese Richtung gehen wollen. Wir unterstützen den Antrag grundsätzlich. Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, dass die grundsätzlichen Fragen, die dieser Antrag aufwirft, von demokratischer, grundsätzlicher und grundgesetzlicher Natur sind und im Übrigen kein Thema für den sich ankündigenden Bundestagswahlkampf sind.
Das ist mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Ich plädiere - wie auch Sie - für eine frühe Einbindung der Parlamente, für ein Selbstbefassungsrecht des Europaausschusses. Denn mithilfe des Internets, des Arbeitsplans der Kommission und vieler anderern Grünücher, die man einsehen kann - auch schon bei der Entstehung -, kann sich ein Landesparlament beschäftigen. Es wäre nur durch sich selbst daran gehindert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf der EU-Verfassung gibt ja den nationalen Parlamenten die Möglichkeit, die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungskompetenz - das heißt in Deutschland die Landtage - am so genannten Frühwarnsystem zur Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu beteiligen. Wie schon vorher gesagt worden ist, ist es wirklich traurig, dass auch genau dieser Punkt hinten runtergefallen ist.
Der Antrag der Regierungsfraktionen, die Exekutive darum zu bitten, Vorschläge für ein geeignetes Beteiligungsverfahren zu unterbreiten, ist daher grundsätzlich sinnvoll.
Ich glaube nicht, dass wir noch die Möglichkeit haben - - Nein, ich glaube, man muss das so deutlich sagen, lieber Kollege Fischer. Denn nur dann haben wir die Chance, überhaupt weiterzukommen. Die
Debatte über die Zukunft der EU ist natürlich nicht tot, sondern muss weiter geführt werden. In diesem Kontext muss auch der hier genannte Punkt mit einbezogen werden.
Wir müssen uns weiterhin mit dem Projekt Europa befassen, wir müssen uns aber auch um weitere Visionen bemühen.
In diesem Zusammenhang ist es auch eine Vision, sich zu überlegen, was ein „bürgernahes Europa“ eigentlich heißt. Es geht dabei aus unserer Sicht nicht um die geographische Entfernung zu Brüssel, sondern vielmehr um nachvollziehbare Entscheidungen und klare Kompetenzen der EU.
Da müssen wir zwei Prinzipien im Auge behalten: erstens eine klare Zuständigkeitsaufteilung und strikte Kompetenzgrenzen. Es sollte für den Bürger klar und leicht nachvollziehbar sein, wofür die EU zuständig ist und wofür die nationalen Ebenen Verantwortung tragen. Die Außen- und Verteidigungspolitik oder die Geldpolitik sollten europäisch geregelt werden. Europäische Standards zum Beispiel in der Gesundheitspolitik mögen hier und da wünschenswert sein, aber sie sind bestimmt nicht zwingend. Möglichen Zentralisierungstendenzen Brüssels sollten daher klare Grenzen gesetzt und dabei nach dem Grundsatz verfahren werden: Wer die Zeche bestellt, soll sie auch bezahlen.
(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW], Jürgen Weber [SPD] und Anne Lüt- kes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
In Deutschland wurden Zuständigkeiten zulasten der Legislative in den Ländern und zugunsten der Exekutive, das heißt der Landesregierungen und des Bundesrates, verschoben. Das ist ja das, was wir im Landtag auch in der letzten Legislaturperiode wiederholt diskutiert haben. Das erweist sich auch als Hauptgrund der politischen Starre dieser Republik.
Das heißt, das Ringen um politische Lösungen muss aus den verschlossenen Räumen - ob nun EUKommission oder Vermittlungsausschuss - wieder in die Parlamente zurückkehren. Nur so hat der Bürger die Chance, politische Konflikte und Kompromisse nachzuvollziehen. Ansonsten fühlt er sich nur als Opfer technokratischer Sachzwänge und verweigert die Gefolgschaft, also das, was wir jetzt gerade mit der Ratifizierung der EU-Verfassung hautnah miterleben.
Wir wissen sehr wohl, dass der Landtag nicht Herr des ganzen Verfahrens ist. Europa sollte uns aber so
wichtig sein, dass wir uns nicht nur mit einem möglichst reibungslosen Beteiligungsverfahren beschäftigen, bei dem wir genauso wie bei Staatsverträgen letztlich nur noch das Ganze abnicken können. Wir müssen uns auch mit Europa als Vision auseinander setzen und mit der Frage, warum diese Vision den Bürgern zunehmend abhanden kommt, genau das, was wir auch heute Morgen in der Aktuellen Stunde miteinander debattiert haben.
Was können wir nun konkret machen? Da teile ich die Auffassung der Kollegen, dass wir im Europaausschuss das Frühwarnsystem natürlich umsetzen müssen. Wir müssen sehen, welche Möglichkeiten es schon jetzt gibt, was die Entscheidungswege sind, damit wir uns zeitnah in den Entscheidungsprozess einbinden können, damit wir wirklich unsere Interessen als Land gegenüber Brüssel vertreten können. Das ist eine wichtige Aufgabe, die wir uns schon jetzt vornehmen können.
- Herr Minister, ich bitte Sie sehr herzlich um Entschuldigung. Ich darf Sie nach vorn bitten und Ihnen das Wort erteilen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Heinold, wenn das so wäre, wundere ich mich, dass wir gebeten werden, Ihnen einen Vorschlag zu machen.
- Ja, ich habe den Redebeitrag von Frau Lütkes eben aber nicht so verstanden, dass Sie sich distanzieren.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt nicht wiederholen, was gesagt worden ist, was wäre, wenn wir die Verfassung hätten; wir haben sie zurzeit nicht. Dort waren entsprechende Regelungen vorgesehen.
Unser Hauptproblem ist in der Tat, dass die Menschen nicht mehr verstehen, was in Europa gemacht wird, und zwar nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern dass auch wir es in Teilen nicht mehr verstehen oder, wenn wir es verstehen, es nur zur Kenntnis nehmen, nachdem alles beschlossen ist. Das heißt, wir haben der Europapolitik zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt; das muss sich ändern. Das hätte sich über die Verfassung geändert. Die Verfassung werden wir in den nächsten Jahren in der Form nicht haben. Also müssen wir sagen: „Der Ernstfall ist jetzt“, und fragen: Was machen wir jetzt, was machen wir mit den bescheidenen Mitteln eines Landes wie SchleswigHolstein?
Wir werden im Bereich der Vorfeldbeobachtung verstärkt tätig werden müssen, was in den einzelnen Gremien der Europäischen Union auf der Agenda steht. Wie schwierig allein dies ist, zeigt die Zahl von über 900 Direktiven, die sich in Arbeit befinden und die schon meiner Europaabteilung Schwierigkeiten macht. Das heißt, wir werden versuchen, das Wichtige vom Unwichtigen abzuschichten und uns auf das zu konzentrieren, was uns in Schleswig-Holstein tatsächlich berührt.