Protokoll der Sitzung vom 07.06.2007

Mit der Übertragung der Verantwortung auf die kommunale Ebene und der von manchen als provozierend empfundenen Zielsetzung Inklusion hat die Diskussion die Ebene der Fachleute verlassen und erreicht jetzt notwendigerweise und gewünscht breite Bereiche der Gesellschaft. Der Begriff „Inklusion“ irritiert manche. Dabei ist es damit eigentlich ganz einfach. Integration bedeutet die Eingliederung von etwas Unterschiedlichem in die Gesell

schaft. Inklusion geht von der Verschiedenheit der Menschen aus, die gleiche Rechte als Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft haben. Pointiert formuliert: Denn es ist normal, verschieden zu sein.

(Beifall bei der SPD)

Das Zweigruppendenken, die durchgängige Unterscheidung zwischen Behinderten und Nichtbehinderten, das System von Institution und Besonderung muss vollständig überwunden werden. Das ist Ziel von Inklusion.

(Beifall bei der SPD)

Zu den konkreten Fragen zur Umsetzung verweise ich auf den Bericht und möchte nur zwei Anmerkungen machen. Ich werte es als großen Erfolg, was in der kurzen Zeit an Teilhabeplanung schon aufgebaut worden ist. Die Zunahme von 80 auf 140 Hilfeplanerstellen in diesem Jahr wird nicht ohne positive Folgen für die Hilfegewährung bleiben.

Die mitgelieferte Tabelle zeigt, dass die Verhältnisse im Land noch sehr unterschiedlich sind. In der Tat, sie müssen angeglichen werden. Transparenz und intensive Diskussion sind aus meiner Sicht die beste Voraussetzung für eine solche Angleichung.

In diesem Prozess gibt es noch Meinungsunterschiede zwischen den Trägern und ihren Verbänden und den Kommunen. Aber auch hier setze ich darauf, dass sich die Diskussion über die Anpassung des Landesrahmenvertrages an den Interessen der Menschen mit Behinderung orientiert. Ich bin optimistisch, dass es im Laufe dieses Jahres Ergebnisse geben wird. Die von der kommunalen Seite vorgelegten Konzeptionen zur Eingliederungshilfe lassen jedenfalls von ihrer Grundtendenz und ihrer Grundlinie her hoffen, dass es zu dieser gemeinsamen Verständigung kommt.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Sie sind optimi- stisch!)

- Nicht nur optimistisch, sondern wir arbeiten auch daran, dass dieses Ergebnis erzielt wird.

Die bundesgesetzlichen Voraussetzungen sind in Schleswig-Holstein zügig umgesetzt worden, und die Rahmenbedingungen in Schleswig-Holstein sind so, dass bundesweit wahrgenommen wird, in welcher Weise das Thema der Menschen mit Behinderung hier in Schleswig-Holstein aufgegriffen wird. Einladungen zu Vorträgen, zu Diskussionen und die Bitte um Übersendung von Materialien belegen dies.

Der Bericht macht aber deutlich, dass mit der Organisationsentscheidung durch AGSGB XII durchaus ein schwieriger Prozess der Neubestimmung der

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Rolle von Land, Kommunen, Verbänden, Trägern und Menschen mit Behinderung selbst eingeleitet worden ist. Land und Kommunen sind hier noch nicht am Ende. Die Unterschrift der Kommunen unter den öffentlich-rechtlichen Vertrag zum gemeinsamen Ausschuss fehlt noch. Aber mit den jetzt laufenden regelmäßigen Konsultationsgesprächen ist ein entscheidender Schritt gemacht worden. Wir reden nicht mehr ausschließlich über Finanzen und Zuständigkeiten, sondern wir reden über Ziele, Methoden, konkrete Verabredungen und die berechtigten Erwartungen von Menschen mit Behinderung. Dies gilt auch für die Wohlfahrtsverbände, die Fachverbände und die Arbeitsgemeinschaften der Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Ich bin allen Beteiligten außerordentlich dankbar dafür, dass sie zu einer konstruktiven Mitarbeit und zur Weiterentwicklung der gemeinsamen Politik bereit sind. Wir können und wir werden damit schrittweise eine noch stärke Einbeziehung und Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung in Schleswig-Holstein erreichen. Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, dass dieses Ziel gelingt.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Frau Abgeordnete Angelika Birk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Warum solch eine lange Redezeit? Ich finde, dieses Thema hat es verdient; denn wir sind insgesamt nicht in einer so einfachen Lage, wie es die Ministerin hier hat anklingen lassen. Seit Anfang diesen Jahres sind die Kommunen allein für die Gestaltung der Leistungen für Menschen mit Behinderung, die gesetzlich unter dem sperrigen Namen „Eingliederungshilfe“ firmieren, zuständig, für alle Leistungen, auch der für die stationären Bereiche der Behindertenhilfe. Die Landesregierung hat im Übergang mit Fortbildung und Einarbeitung geholfen und leistet jährlich mit circa 365 Millionen € Unterstützung. Das ist eine sehr hohe Summe, und die soll sogar noch steigen. So weit so gut. So könnte es gehen.

Leider geht es bisher aber nicht so; denn die Kommunen haben sich entschlossen, in Konfrontationsstarre zu verfallen, trotz der Mehreinstellungen, die sie bisher vornehmen, trotz einiger positiver Zeichen, die auch ich anerkenne. Insgesamt ist das Kli

ma auf Kosten der Betroffenen, der Menschen mit Behinderung und ihrer Angehörigen, im Augenblick nicht einfach. Die Kommunen haben den Landesrahmenvertrag, der Grundlage für die Finanzierung aller Leistungen für die Menschen mit Behinderung ist, schon Ende letzten Jahres gekündigt und weigern sich in ihrem Fachausschuss, der die Rahmenbedingungen neu gestaltet, den gewichtigsten Mitfinanzier, das Land, angemessen an der Mitsprache zu beteiligen. Die Wohlfahrts- und Behindertenverbände lassen sie erst recht nicht an ihren Tisch.

Noch längst nicht alle Kreise und kreisfreien Städte haben für die neue Aufgabe der Bewilligung von Behindertenhilfe in stationären Einrichtungen ausreichend Fachleute eingestellt und ausreichend fortgebildet. Die Tabelle zeigt ja, was jetzt passieren soll. Aber das ist noch längst nicht überall umgesetzt. Wenn man guckt, woher die einzelnen kommen: Ostholstein hat bisher die viele Arbeit, die es schon für diesen Sektor gab, mit zwei halben Stellen bewältigt. Da ist natürlich der Sprung besonders groß, der zu machen ist.

Am schwersten wiegt aber, dass viele Kommunen ihre neue Zuständigkeit vor allem als Chance ansehen, in diesem Bereich massiv einzusparen, und dies, obwohl unstrittig ist, dass es zukünftig deutlich mehr Menschen mit Handicaps geben wird als früher, seien sie seelischer, geistiger oder körperlicher Art. Das heißt positiv ausgedrückt, mehr Verschiedenheit. Vielerorts wurde schon Monate vor der Übergangszeit zur neuen gesetzlichen Regelung über Anträge der Menschen mit Behinderung lieber erst einmal nicht entschieden.

Damit nicht genug! Unterstellen die Kommunen denjenigen, die die Hilfeleistung erbringen - in Schleswig-Holstein sind dies überwiegend Einrichtungen der Behinderten- und Wohlfahrtsverbände -, schlichtweg eine grundsätzliche Befangenheit? Sie sprechen ihnen damit die Kompetenz ab, im Sinne der Menschen mit Behinderung an der Hilfeplanung für den einzelnen Menschen, aber auch an der Planung für die unterschiedlichen Hilfen in einer Region von Anfang an mitzuwirken.

Natürlich ist dies ein sensibles Feld. Auch wir denken, dass da nicht alles so bleiben kann, wie es ist; das ist klar. Aber wie aus den Schriftwechseln zwischen den Wohlfahrtsverbänden und den kommunalen Landesverbänden deutlich wird, gehen die Vertreter der kommunalen Landesverbände per se davon aus, dass ihre eigene bisher gezeigte Haltung, nämlich bei diesem Thema immer zuerst ans Geld zu denken, auch die Philosophie der Behinderteneinrichtungen ist. Dies kommt auch in den

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

durch den Bericht dokumentierten Entscheidungsdiagrammen der Kommunen zum Teil zum Ausdruck.

Die spannende Frage wird sein: Wie wird künftig Casemanagement gestaltet? Und wird es immer so sein, dass man zuerst zu einer behördenartigen Casemanagement-Stelle gehen muss, bevor man sich Rat bei einer Behinderteneinrichtung, sei sie ambulant oder stationär, holen darf? Wenn es so sein sollte, wäre es lebensfremd und ginge an den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen vorbei.

Inzwischen ist der Dialog in Gang gekommen, aber nur deshalb, weil neben dem Ministerium auch wir vom Landtag Druck gemacht haben. Das Ministerium engagiert sich ja in dieser Hinsicht.

Druck gemacht haben aber auch die Menschen mit Behinderung selbst. Sie haben schon Anfang des Jahrtausends, als sich die ersten Zeichen für geänderte Zuständigkeiten abzeichneten, gefordert, dass nicht ohne sie entschieden wird. Sie haben sich mehrmals öffentlich zu Wort gemeldet.

Aber diese Förderung steht noch im Raum. Von ihrer Erfüllung sind wir noch weit entfernt.

Wir stellen also fest: Der Begriff „Inklusion“ ist da, aber die Gesellschaft ist noch lange nicht offen für die selbstverständliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Daher ist es gut, wenn vom Land durch öffentliche Veranstaltungen und Förderung einzelner Modellprojekte Promotoren und Vernetzungsangebote neue Wege der gesellschaftlichen Teilhabe besonders gefördert werden.

Doch, Frau Trauernicht, sosehr ich dies anerkenne und schätze und sosehr dies - das muss ich deutlich sagen - ein Unterschied zu den Schwerpunkten Ihrer Vorgängerin ist, so reicht dies politisch nicht zu einem so massiven Konflikt. Wir können als Land und als Landesregierung nicht zuschauen, wie die kommunalen Landesverbände an dieser Stelle weiterhin so unterschiedlich agieren. Ich finde, es muss sichergestellt werden, dass alle Menschen vor Ort zu ihrem Recht kommen, die ein Recht auf die Leistung von Behindertenhilfe haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bisher haben die Bundes- und Landesgesetze - das wissen wir alle - falsche finanzielle Anreize gesetzt. Die 2004 im Grundsatz beschlossene und jetzt schrittweise umgesetzte Reform war überfällig. Leider ist es nicht gelungen, ein Leistungsgesetz zu schaffen, das den Bund verpflichtet, Land und Kommunen bei der Finanzierung zu entlasten. So werden Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung

von ihrem Rechtsstatus her immer noch zu Sozialhilfeempfängern gemacht. Dies wirkt, da können wir sagen, was wir wollen, leider immer noch gesellschaftlich ausgrenzend.

Jetzt komme ich zu denjenigen, die die Hilfe erbringen. Auch hier gibt es Kritisches zu sagen. Ausgrenzend ist immer noch die Struktur der hiesigen Hilfeangebote. So haben sich vielerorts monopolartige Einrichtungen der stationären Behindertenhilfe gebildet. Die systematische Förderung neuer Arten von Integrationsbetrieben haben auch wir Grünen - das geben wir hiermit freimütig zu - bei unserem früheren Koalitionspartner in SchleswigHolstein nicht durchsetzen können. Viele stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe sind inzwischen dabei, sich zu wandeln und zu öffnen.

Trotzdem: Solange diese stationären Einrichtungen durch Investitionszuschüsse gegenüber ambulanten Hilfeleistungsformen privilegiert sind und noch nicht einmal ordentlich abrechnen müssen, wie es der Landesrechnungshof zu Recht kritisiert, wird der Wandel nicht belohnt, sondern bestraft. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie hier einen finanziellen Wandel wollen. Ich unterstütze das sehr.

Ich war sehr erschrocken - das muss ich deutlich sagen -, als ich die Summen gesehen habe, die offensichtlich über zehn Jahre nicht richtig abgerechnet worden sind. Wenn man an die vielen kleinen Summen im Sozialbereich denkt, die uns oft fehlen, dann wirken natürlich zweistellige Millionenbeträge, die nicht ordentlich abgerechnet worden sind, schon erschreckend.

Wir haben uns auf Bundesebene für das persönliche Budget eingesetzt. Der Landtag hat dazu schon vor mehreren Jahren Modellversuche vor Ort eingefordert. Nach langem Zögern entsprechen nun erste Kommunen in Schleswig-Holstein diesem Auftrag.

Aber auch etwas anderes schreiben Sie fest: Sie wollen diese Finanzhilfen grundsätzlich für Menschen mit geistiger Behinderung ausschließen. Das können wir nicht nachvollziehen. Auch diese Menschen haben doch das Recht, dass sich die Hilfen nach ihren Bedürfnissen und nicht nach Sachzwängen einer Einrichtung oder nach der Kassenlage der Gemeinde richten. Deswegen ist es wichtig, auch darüber nachzudenken, wie diese Menschen zu einem persönlichen Budget kommen, auch wenn das zugegebenermaßen nicht ganz einfach ist.

Fazit: Der Bericht der Landesregierung kann es bei aller wohlwollenden Beschreibung eines Prozesses, der sich gerade radikal verändert und dessen Festschreibung wahrscheinlich heute schon gegenüber früher veraltet ist, nicht verbergen, dass die Ausein

(Angelika Birk)

andersetzungen um die Hilfen für Menschen mit Behinderung in weiten Teilen - das muss man einfach sagen - für die Kommunen ein beschämender Beitrag zum Jahr der Chancengleichheit sind.

Deshalb mein Appell an Sie alle: Gehen Sie auf Ihre Landräte und Bürgermeister zu! Verlangen Sie Rechenschaft darüber, wie vor Ort mit den Rechten und dem Geld für Menschen mit Behinderung umgegangen wird! Betätigen auch Sie sich als Moderatoren, um festgefahrene Strukturen zwischen den Verhandlungskontrahenten einerseits und den Behinderteneinrichtungen andererseits bei den Kommunen zu lockern! Denn das Problem ist nicht nur eines, das man auf zentraler Ebene lösen könnte. Es muss vor Ort gelöst werden. Vor allem müssen die positiven Beispiele, die Einrichtungen, die neue Wege gehen, die insbesondere das ganze Spektrum der ambulanten Hilfen nutzen, gefördert, gelobt und öffentlich unterstützt werden, auch in ihren Finanzverhandlungen. Es darf nicht sein, dass bestimmte Großeinrichtungen auf jeden Fall die Platzhirsche sind und sich die anderen eine solche Stellung schwer erkämpfen müssen. Wenn wir neue Wege gehen wollen und das persönliche Budget zu einem Erfolgsmodell machen wollen, dann erfordert es unseren ganzen Einsatz, damit endlich zumindest unsere Kinder sagen können: Es gibt verschiedene Menschen; aber das Wort „Behinderung“, wie wir es heute noch verwenden, muss der Vergangenheit angehören.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat die Frau Abgeordnete Heike Franzen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum 1. Januar 2007 ist das Landesausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch XII in Kraft getreten, das insbesondere den Leistungen der Eingliederungshilfe aus einer Hand den Rahmen geben soll. Die Hilfen für Menschen mit Behinderung sollen nicht mehr davon abhängig sein, wer Kostenträger ist, sondern insbesondere von den Bedürfnissen der Betroffenen.

An dieser Stelle sage ich deutlich, dass dieses Gesetz keine Kleinigkeiten regelt. Vielmehr werden hier ganz konkret die Aufgaben des Landes auf die Kommunen übertragen, und zwar mit den dazugehörigen Mitteln.

Der Bericht zeigt auf, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schulungen über die grundsätzlichen Themen und Verfahrensabläufe informiert und weitergebildet worden sind. Insbesondere bei der durchaus voluminösen Übergabe der Akten und der Verantwortlichkeiten zeigt der Bericht auf, dass die Zusammenarbeit mit den Kommunen und dem Ministerium offenbar sehr gut geklappt hat. Auch nach dem 1. Januar standen die Mitarbeiter des Ministeriums den kommunalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Rat und Tat zur Seite, sodass im Sinne der Betroffenen gehandelt werden konnte. Dafür mein ganz herzlicher Dank an beide Seiten!

(Beifall bei der SPD)

Die Kreise und kreisfreien Städte sind seit dem 1. Januar umfassend für die Abschlüsse von Leistungsvereinbarungen zuständig. Zu den ihnen ohnehin übertragenen Zuständigkeiten wurden ihnen auch die Leistungs-, Vergütungs- und Prüfvereinbarungen für die übrigen 420 voll- und teilstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe und 36 Kindertagesstätten mit heilpädagogischen Kleingruppen sowie 176 Kindertagesstätten mit integrativen Gruppen übertragen.