licht, die Gutachter würden sich unisono für eine Kreisgebietsreform aussprechen. Diesen Eindruck kann ich nicht bestätigen. Er ist auch falsch.
Sie und der Innenminister haben gesagt, unisono sei die Notwendigkeit einer Kreisgebietsreform bejaht worden. Nur, damit wir alle von den gleichen Gutachten ausgehen - mir wurden die Stellungnahmen folgender Gutachter vorgelegt: erstens Professor Dr. Hans-Peter Bull, zweitens Rechtsanwalt Professor Dr. Ewer, drittens Professor Dr. Helmut Seitz, viertens Professor Dr. Joachim Jens Hesse, fünftens Professor Dr. Ferdinand Kirchhof und sechstens Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein.
Zwei dieser Gutachten konnte man nach relativ kurzer Zeit beruhigt beiseite legen, weil sie für eine ernsthafte Beurteilung des Themas aus unserer Sicht nicht taugen. Das sind die Gutachten von Professor Bull und von Professor Seitz.
Professor Bulls Gutachten war geprägt von der bewussten Negierung des Inhalts des Urteils des Verfassungsgerichts des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Dabei war das Urteil ein Meilenstein. Es hat so manchem in beispielhafter Weise in Erinnerung gerufen, dass derjenige, der sich, wie der deutsche Gesetzgeber im Grundgesetz, für eine demokratische Selbstverwaltung mit ehrenamtlichen Vertretungen auf Kreisebene entschieden hat, auch die Gewähr dafür trägt, dass eine solche ehrenamtliche Selbstverwaltung möglich ist.
Ich sage das noch einmal ausdrücklich, auch in Bezug auf die Berechnungen von Professor Seitz: Demokratie hat ihren Preis. Demokratie fordert Geld Diktaturen fordern Menschenleben. Es ist schlichtweg nicht zulässig, Kreise aus rein fiskalischen Gründen so groß zu schneiden, dass die Mandatsausübung beispielsweise eines Kreistagsabgeordneten in der Freizeit nicht mehr möglich ist. Dabei kommt es nicht nur auf die Kommunikation mit der Verwaltung für die Vorbereitung eigener Beschlüsse an. Es muss den Kreistagsabgeordneten auch möglich sein, Termine vor Ort wahrzunehmen, um sich selbst ein Bild zu machen.
Der Kollege Wadephul und ich waren bei der Urteilsbegründung anwesend. Ausdrücklich ist mehrfach erklärt worden, dass das Demokratieprinzip bei dem Abwägungskriterium gegenüber allen anderen Kriterien, die einbezogen werden müssen, prioritär ist.
Es gehört zur Aufgabe eines ehrenamtlichen Kreistagsmitglieds, sich bei seinen Beurteilungen nicht nur auf die Verwaltung zu verlassen, um die Verwaltung kontrollieren zu können. Diese Möglichkeit ist nicht mehr gegeben, wenn Kreistagsmitglieder ein Gebiet von 4.000 km² zu bestellen haben. Die Größe des Kreises Rendsburg-Eckernförde dürfte in etwa die Grenze der Belastbarkeit darstellen. Genau dies scheint aber Professor Bull als ehemaliger Kommunalminister zu verkennen, indem er immer noch sein Vier-Regionalkreise-Modell verfolgt.
Professor Seitz scheint eine merkwürdige Auffassung über das Tätigkeitsfeld kommunaler Ehrenamtler zu haben. So schreibt er Folgendes:
„Im Zeitalter perfekter Kommunikation und Information ist eine physische Überschaubarkeit eines Kreisgebietes und auch Stadtgebietes kaum erforderlich, da alle relevanten Informationen für Kreistagsabgeordnete zur Verfügung stehen...“
Professor Seitz hat also ein Verständnis von Kommunalpolitik, in welchem ein Kreistagsmitglied Informationen nicht mehr aus eigener Anschauung, sondern durch Vermittlung von Anschauung gewinnt. So funktioniert Ehrenamt nicht.
Die Verwaltung ist vielerorts eine gute Hilfe, die Inaugenscheinnahme vor Ort aber in vielen Fällen nicht ersetzbar. Nach unserer Auffassung hat sich Professor Seitz mit diesen Fragen nur unzureichend auseinandergesetzt.
Er setzt aber noch einen drauf. Er zitiert eine Studie, nach der nur circa 20 % der Bevölkerung eine sehr enge Ortsbindung haben und daher das Argument der regionalen Identität von keiner gewichtigen Bedeutung für die Bevölkerung sei.
Ich frage mich: Hat dieser Gutachter nicht mitbekommen oder einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen, was in Dithmarschen, in Nordfriesland oder im Herzogtum Lauenburg los gewesen ist, also in Gebieten mit einer gewissen Historie oder mit einer eigenen Sprache und Kultur wie in Nordfriesland? Hat er nicht mitbekommen, dass in diesen drei regional begrenzten Regionen innerhalb kurzer Zeit ohne Probleme weit mehr als nötig Unterschriften für eine Volksinitiative zusammengekommen sind? Dort ist der Beweis doch greifbar, dass es sehr wohl eine regionale Identität gibt. Wir wissen das in diesem Haus doch, dass das so ist: Westküste, Ostküste, Landesteil Schleswig.
Nein, allein diese Thesen machen es obsolet, sich inhaltlich mit dem Gutachten von Professor Seitz weiter ernsthaft zu befassen.
Herr Rechtsanwalt Professor Ewer geht da bereits vorsichtiger an die Angelegenheit heran und beurteilt ein Acht-plus-zwei-Modell noch nicht als verfassungswidrig, regt aber unbedingt eine „Freiwilligkeitsphase der Kreise“ vor einer Gebietsreform an. Er hat aus dem Urteil aus Mecklenburg-Vorpommern die richtigen Konsequenzen gezogen und sehr wohl die Problematik der Gebietsgrößen von Regionalkreisen als auch die notwendige umfassende Anhörung der kommunalen Gebietskörperschaften in sein Gutachten aufgenommen.
Kommen wir aber nun zu den aus unserer Sicht entscheidenden Gutachten. Da ist zunächst das Gutachten des Finanzministeriums unter Leitung des unbestrittenermaßen fachkundigen Abteilungsleiters Dr. Schliesky. Das Finanzministerium hatte die Auswirkungen von E-Gouvernement auf die Aufgabenerledigung und auf die IT-Struktur untersucht und kam zu einem eindeutigen Ergebnis. Ich darf kurz aus dem Gutachten zitieren:
„Aus Sicht des Finanzministeriums zeigen weder die Auswirkungen von E-Gouvernement auf die Aufgabenerledigung, noch diejenigen der IT-Struktur eine zwingende Notwendigkeit einer Gebietsreform auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte, um die vorgesehenen Aufgabenübertragungen zu realisieren.“
Das ist mehr als deutlich. Es ist aber umso interessanter, als diese Aussage von dem Abteilungsleiter stammt, der für die Landesregierung mit der Aufgabenübertragung auf die kommunale Ebene befasst ist. Er stellt fest, dass für die Umsetzung einer neuen IT-Struktur und des E-Gouvernements keine Kreisgebietsreform notwendig ist. Dieses Argument dürfte für die Befürworter einer solchen Reform also künftig entfallen.
Die beiden Gutachten, die am spannendsten sind, sind die Gutachten von Professor Hesse und von Professor Ferdinand Kirchhof.
Professor Hesse rät in seiner Stellungnahme zu einer Kreisgebietsreform, die am Ende einer Freiwilligkeits- und Kooperationsphase steht. Die Frage lautet: Was ist das für eine Freiwilligkeitsphase, wenn am Ende schon als Ergebnis eine Gebietsreform feststeht? Das hat mit Freiwilligkeit wenig zu tun. Dazu komme ich aber noch.
Professor Hesse macht mit seiner Stellungnahme einen erstaunlichen Schritt. Schließlich war es sein Gutachten für den Bund der Steuerzahler aus dem Jahr 2000, das folgende Sätze enthielt, die ich kurz zitieren darf:
„Unter den gegebenen Umständen sind die sozioökonomischen Ergänzungs- und Ausgleichsfunktionen der schleswig-holsteinischen Landkreise infolge der erfolgreichen Kreisgebietsreform als gewährleistet einzuschätzen. Wählt man die Fläche als dasjenige Kriterium, das von der Größe von Kreisen im Interesse der Bürgernähe Grenzen setzt, und stellt man die Bevölkerungsstärke als Grundlage der notwendigen Verwaltungskraft gegenüber, zeigt die nachfolgende Darstellung, dass Schleswig-Holstein mit seiner Kreisgebietsreform ein strukturelles Optimum erreicht hat.“
Seit dem Jahr 2000 hat sich die Aufgabenstellung der Kreise nicht so dramatisch geändert, dass sich diese These heute nicht mehr aufrechterhalten ließe.
Eine Passage aus diesem Zitat ist allerdings besonders wichtig: Das ist die Beziehung Fläche zur Bürgernähe. Da haben wir nach den Aussagen von Professor Hesse aus dem Jahr 2000 ein strukturelles Optimum bei der bestehenden Kreisstruktur erreicht. Diese These wird auch durch sein jetzt vorgelegtes Gutachten nicht stichhaltig revidiert. Im Umkehrschluss heißt das aber, dass die notwendige Bürgernähe nicht mehr durch eine weitere Gebietsreform gewährleistet wird. Das hingegen hat auch Auswirkungen auf die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Reform.
Professor Hesse macht aber auch ansonsten interessante Ausführungen, die bei einer konsequenten Verfolgung seiner Argumentation eigentlich ein ganz anderes Tor aufstoßen. Dann reden wir nämlich nicht mehr über eine Kreisgebietsreform, dann müsste die Landesregierung konsequenterweise über einen Nordstaat nachdenken.
So ist eines der genannten Argumente für eine Zusammenlegung der Hamburger Umlandkreise die größere Durchsetzungsfähigkeit schleswig-holsteinischer Umlandinteressen in Verhandlungen mit Hamburg durch eine Konzentration des institutionellen und personellen Aufwandes. Es würden „Einigungskosten“ für die Absprachen der Kreise untereinander entfallen, wenn es weniger Kreise gäbe, die mit Hamburg verhandeln. Da kann man berechtigt die Frage stellen - das macht Professor Driftmann an anderer Stelle auch -, warum dann nicht gleich ein Zusammenschluss mit Hamburg vorge
schlagen wird. Dann wird eine solche Einigung noch leichter. Es fallen noch weniger Kosten an wenn das das Argument ist.
Es fällt ohnehin auf, dass in dem Gutachten von Professor Hesse die Hamburger Umlandkreise wegen ihrer Nähe zu Hamburg oft anders beurteilt werden als die übrigen Landkreise. So wird unter anderem die Übereinstimmung vom Verwaltungsgebiet der Kreise mit den vorhandenen Wirtschaftsräumen abgeglichen. Einer der Aspekte war die Eigenversorgungsquote mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen im Verwaltungsgebiet. Alle vier Hamburger Randkreise schneiden hier schlechter ab als der Landesdurchschnitt. Nur Plön liegt neben diesen Kreisen noch unter dem Landesschnitt. Da aber viele Arbeitnehmer der Umlandkreise in Hamburg ihrer Arbeit nachgehen, werden die Kreise anders beurteilt als beispielsweise der Kreis Plön. Das ist nur nachvollziehbar, weil ansonsten die für die Landesregierung schwierige Frage aufkäme, warum man nicht eigentlich gleich das ganze Land mit Hamburg fusioniert. Wie wenig aussagekräftig dieser Ansatz bei den Pendlerströmen im Übrigen ist, zeigt uns die Tatsache, dass die vier wirtschaftsstärksten Kreise, die Schleswig-Holstein hat, die Hamburger Umlandkreise sind. Ähnliches gilt für die Verkehrsströme und die Stadt-Umland-Problematik.
Herr Professor Hesse befindet sich mit seinem Gutachten in mehreren Schwierigkeiten. Eine Nordstaatdiskussion drängt sich nach seinem Gutachten geradezu auf. Wer also nach seinem Gutachten die Kreise vergrößern will, muss eigentlich gleich den nächsten Schritt mitdenken. Das hingegen wäre mit Sicherheit politisch für die Landesregierung nicht opportun bei den Schwierigkeiten, die sie bereits heute mit einer möglichen Umsetzung der Kreisgebietsreform hat.
Ebenso kann Herr Professor Hesse nicht stichhaltig beantworten, warum nun auf einmal das Kriterium Bürgernähe nicht mehr die Rolle spielt wie noch im Jahr 2000 für seine Gutachten. Am Fortschritt in der IT-Entwicklung kann es nicht liegen, denn durch die Stellungnahme des Finanzministeriums wissen wir, dass für eine Umsetzung der neuen ITStrukturen keine Gebietsreform notwendig ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme nun zu dem letzten Gutachten, das kurz und knapp beschreibt, dass eine Kreisgebietsreform nach den den Gutachtern vorgelegten Unterlagen heute unzulässig wäre. Ich empfehle wirklich allen Mitgliedern des Hauses - es ist ja nicht so viel -, die 20 Seiten von Professor Kirchhof zu lesen.
- Herr Kollege Neugebauer, ich gehe davon aus, dass Sie das gelesen und auch verstanden haben. Ansonsten könnte ich den Zwischenrufe „Peinlich!“ überhaupt nicht verstehen.
Dabei handelt es sich bei Professor Kirchhof nicht um irgendjemanden, sondern um einen Fachmann, der seine Kompetenz bereits beim Rechtsstreit um den damaligen sogenannten Immobiliendeal unter Beweis gestellt hat und der aller Voraussicht nach demnächst Richter am Bundesverfassungsgericht werden wird.
Ich zitiere aus diesem Gutachten den nachfolgenden Absatz. Kollege Neugebauer, Fakten zu ignorieren, mag Ihnen politisch zwar weiterhelfen, nicht aber in der Wirklichkeit.
„Seit der Rastede Entscheidung von 1988 geht die Gerichtsbarkeit davon aus, dass lokale Aufgaben grundsätzlich den Gemeinden zustehen. Ein Ausschluss gemeindlicher Kompetenz ist nicht allein mit dem Argument mangelnder Verwaltungskraft, der Verwaltungsvereinfachung, der Zuständigkeitskonzentration, der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit oder einheitlichen Versorgungsniveaus zulässig, sondern erst, wenn überörtliche Interessen von überwiegendem Gewicht ihn insgesamt aus Gemeinwohlgründen rechtfertigen, vor allem wenn sonst die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht mehr sichergestellt wäre. Diese Rechtsprechung lässt sich auch allgemein auf Strukturreformen anwenden, vor allem falls Kreise sogar aufgelöst werden sollten. Die genannten Gründe bilden jeweils nur eines unter vielen Argumenten, die alle vollständig ermittelt, bewertet und in einem Gesamtbild abgewogen werden müssen; ein Hinweis auf einen einzigen isolierten Grund für eine Reform etwa die Kongruenz der Kommunal- mit der Raumordnungsstruktur oder die Kostenersparnis - reicht zur Legitimation nicht aus … Eine Kreisreform wäre erst nach Einbezug aller abwägungsrelevanten Elemente, auch derjenigen zugunsten der Kommunen, der Wirtschaft und der Bevölkerung zulässig... Die bisherigen Daten und Erwägungen berücksichtigen indessen allein Planungs-, Personal- und Kostenbelange des Landes und
Kurz gesagt, kann man redlicherweise noch nicht einmal die Zulässigkeit einer Kreisgebietsreform beurteilen, weil die Landesregierung ihre Hausaufgaben bisher nicht erledigt hat und das hierfür notwendige Material vorgelegt hat. Vor diesem Hintergrund sind für uns die anderen Gutachten mehr oder weniger für die Katz.
Die FDP-Fraktion will eine Freiwilligkeit bei möglichen Zusammenschlüssen von Kreisen. Sie sollen sich zusammenschließen, wenn sie dies nach aller notwendigen Abwägung so entschieden haben. Die Große Koalition und die Grünen wollen das nicht. Sie haben im Innen- und Rechtsausschuss gegen das Anliegen der Volksinitiative zur Änderung der Kreisordnung gestimmt und damit dokumentiert, dass den Kreisen kein effektives Mitspracherecht bei einer Kreisgebietsreform zukommen soll. Nur der SSW und wir haben sich anders verhalten.
Wir sind dafür, dass die Kreise ihre bisher schon weitreichenden Kooperationen weiter ausweiten. Immerhin liegt auch laut Professor Hesse hierin ein Einsparpotenzial von 30 Millionen €. Möglicherweise ist dieses Potenzial noch größer. Man muss die Kreise aber auch kooperieren lassen und keine Kooperationen verhindern, wie es das Innenministerium derzeit praktiziert. So hat das Innenministerium entgegen der eingeholten Rechtsauffassung des Landesrechnungshofes entschieden, dass die Rechnungsprüfungsämter der Kreise Steinburg und Dithmarschen nicht kooperieren dürfen, obwohl dies auch nach unserer Auffassung nach dem Gesetz über kommunale Zusammenarbeit durchaus möglich wäre und auch vom Landesrechnungshof so unterstützt wird.