Protokoll der Sitzung vom 30.01.2008

Das Wort für die Landesregierung erhält Herr Minister Uwe Döring.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, ich komme mit der Zeit aus, versprechen kann ich das nicht.

Meine Damen und Herren, ich denke, die bisherige Debatte war sehr wohltuend. Sie hat gezeigt, dass man das Thema sachlich diskutieren kann. Allerdings befinden wir uns auch außerhalb eines Wahlkampfes, das muss man sehen. Es hat einige Unterschiede gegeben, es hat sich aber auch viel Gemeinsames gezeigt. Das ist erfreulich.

Sie wissen, dass ich in dieser Frage eine glasklare Position habe. Ich möchte zunächst einmal zu den Gemeinsamkeiten kommen. Wir alle wollen, dass

(Wolfgang Kubicki)

Jugendkriminalität möglichst gar nicht erst entsteht. Wenn Jugendliche dann doch Straftaten begehen, muss es eine konsequente und schnelle Ahndung geben. Wie ist die Wirklichkeit? Hat sich Jugendkriminalität tatsächlich so erheblich verändert, wie es einige Kriminalstatistiken im Zehnjahresvergleich zeigen? Viele Fachleute sagen auch, das Anzeigeverhalten habe sich verändert. Gott sei Dank ist mehr aus dem Dunkelfeld herausgekommen. Ich habe bei Statistiken immer große Vorbehalte. Man muss genau wissen, wie sie erhoben worden sind und was sie miteinander vergleichen. Deswegen möchte ich darauf nicht näher eingehen.

Unabhängig von dieser Frage bleibt jedoch festzustellen - und das können wir in der Tat belegen -: Die Rohheitsdelikte nehmen zu. Es gibt eine kleine gewaltbereite Anzahl von Intensivtätern, die mit hohem Frust und einer unglaublichen Brutalität Straftaten begehen. Davor darf man die Augen nicht verschließen. Es sind geschätzt etwa 5 % der Jugendlichen, die solche kriminellen Karrieren haben, die aber rund 75 % der Straftaten der unter 21-Jährigen begehen. Dieses sind Jugendliche aus nicht integrierten Gesellschaftsschichten. Das können Deutsche sein, Spätaussiedler, Jugendliche aus Einwandererfamilien oder Ausländer. Es kennzeichnet sie aber Folgendes: Sie sind nicht integriert in die Arbeit. Sie sind nicht integriert in die Bildung. Sie sind nicht integriert in die Kultur. Sie sind nicht integriert in unser Werte- und Rechtssystem. Sie sind nicht integriert in unsere Sprache das gilt auch für Deutsche. Sie leben in einer Parallelgesellschaft des sozialen Gettos.

Sie sind dagegen dadurch gekennzeichnet, dass sie ohne Hoffnung, frustriert und gewaltbereit sind. Gewalt ist in diesem Fall immer Frustgewalt. Das ist keine Entschuldigung, deshalb teile ich das, was Herr Kubicki gesagt hat. Gewalt kann niemals und von niemandem geduldet werden. Aber wir müssen verstärkt vorbeugend tätig werden und dies beginnt in der Familie, im Kindergarten, in der Schule und in der Berufsausbildung.

(Beifall im ganzen Haus)

Hierzu wird auch schon einiges getan und ich gebe die Anregung, wenn wir darüber im Innen- und Rechtsausschuss diskutieren, das nicht nur mit mir zu diskutieren, sondern auch mit Frau Erdsiek-Rave und dem Innenminister Lothar Hay. Insofern kann ich die Ziffern 4 und 5 der Entschließung nur begrüßen. Wird ein Jugendlicher doch straffällig, so muss dieses konsequent und schnell geahndet werden. Bei Intensivtätern muss in der Tat die Strafe auf dem Fuße folgen. Hierzu gehört eine enge Zu

sammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten und Jugendhilfe. Ich habe mich gerade mit dem Kollegen Hay vor Ort kundig gemacht: Die Polizei hat inzwischen für Intensivtäter spezielle Sachbearbeiter, die den Jugendlichen zugeordnet sind, unabhängig von den Orten, wo die Straftaten begangen wurden - egal, ob das in Itzehoe, in Meldorf, in Wilster oder in Pinneberg war. Die Polizei hat für diese Jugendlichen ein Gesicht. Das ist wichtig. Die kommen auch einmal unangemeldet und gratulieren zum Geburtstag. Die sagen: Wir haben dich im Visier. Mach keinen Mist heute, wenn du feierst.

Das ist personalintensiv und kostet Personal, das weiß Herr Kollege Hay besser als ich. Sie wissen, sie werden beobachtet. Das ist wichtig. Unser vorrangiges Jugendverfahren für gewalttätige Intensivtäter soll in der Regel dazu führen, dass die Gerichtsverhandlung vier Wochen nach der letzten Vernehmung - in der Regel sechs Wochen nach der Tat - stattfindet. Dieses wurde im Landgerichtsbezirk Itzehoe erprobt und inzwischen im Landgerichtsbezirk Flensburg und Kiel eingeführt. Wir wollen es in diesem Jahr auch in den meisten Amtsgerichten im Landgerichtsbezirk Lübeck einführen.

Kommen wir nun zum Jugendstrafrecht. Der Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht ist, dass hier Erziehung das Ziel ist - nicht Strafe und schon gar nicht Rache.

(Beifall im ganzen Haus)

Alle Fachleute sagen, dass die zur Verfügung stehenden Mittel ausreichen. Wir haben sogar eine größere Bandbreite als bei den Erwachsenen. Nun bin ich gern bereit, mich über weitere Instrumente zu unterhalten, wenn sie wirklich helfen. Doch hier fehlt es in der bisherigen Diskussion und ich möchte einige Anmerkungen machen.

Kommen wir zur Erhöhung der Höchststrafe von zehn auf 15 Jahre. Da möchte ich anmerken, dass in der Bundesrepublik jährlich nur etwas über 100 Jugendliche zu mehr als sechs Jahren verurteilt werden. Man muss sehen, über welche Größenordnung man redet.

Glaubt aber wirklich jemand, dass ein betrunkener oder adrenalin-gesteuerter junger Mann beim Zutreten oder Zuschlagen über Höchststrafe und Delikt nachdenkt? Ich denke nicht. Abschreckung funktioniert nicht, weil der Kopf zugedröhnt ist und man ohnehin nicht erwischt werden will. Das ist die Realität. Über Warnschussarrest könnten wir reden, wenn sich nicht Bewährung und Arrest in Teilen

(Minister Uwe Döring)

geradezu ausschließen oder kontraproduktiv sein können.

Beim Thema Erziehungscamps will ich die intellektuelle Redlichkeit der US-Bootcamps ausschließen, wo man den Willen brechen will. Das ist unserer Verfassung wesensfremd. Ich sage als Justizminister eindeutig: Auch ein Gefangener hat Menschenwürde.

(Beifall im ganzen Haus)

Genannt werden Erziehungscamps, um den Jugendlichen Disziplin, einen geregelten Tagesablauf, Ausbildung und Sport beizubringen. Dazu gibt es außerhalb des Strafvollzugs Heime der Jugendhilfe auch in Schleswig-Holstein. Ein geregelter Tagesablauf, verbindliche Ausbildung, verbindlicher Schulunterricht, verbindlicher Sport, geregelte Freizeit - all dies, meine Damen und Herren, haben wir im Dezember für den Strafvollzug in SchleswigHolstein beschlossen. Eine Lücke kann ich hier nicht erkennen.

(Beifall bei der SPD)

Die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre wollen wir, denke ich, nicht ernsthaft diskutieren. Kinder in den Knast kann niemand ernsthaft fordern.

(Beifall im ganzen Haus)

Meine Damen und Herren, in der öffentlichen Diskussion konnte man den Eindruck haben, das Jugendstrafrecht sei von Sozialpädagogen und nicht von Rechtspolitikern gemacht und werde von Luschen angewärmt. Mein Eindruck von SchleswigHolstein ist ein anderer. Ein Beispiel - ich bitte um Vergebung, dass ich die Redezeit etwas überziehe für die Vielfalt des Jugendstrafrechts aus dem Amtsgericht Kiel zitiere ich mit Genehmigung der Präsidentin aus den „Kieler Nachrichten“ vom 19. Januar 2008:

„Bad Boys - Dauerarrest und Arbeitsstunden“.

Der Sachverhalt: Die beiden Kieler hatten am Abend des 16. Mai 2007 am noch belebten Skandinaviendamm auf Höhe der Esso-Tankstelle zwei 16-Jährige mit einem Teppichmesser beworfen und mit dem Vorwurf, sie hätten einem Kollegen 100 g Haschisch geklaut auf ein abgelegenes Schulgelände eskortiert. Mit der spitzen Klinge am Hals des Opfers ließen sich die Räuber Bargeld und EC-Karte aushändigen, presstem dem Verängstigten auch noch die PIN ab, hielten ihn fest, bis der „Geldbote“ vom Bankautomaten zurückkam.

Als Geständnisse konnte man die Einlassungen der Angeklagten kaum bezeichnen. Wie oft bei solchen Delikten war von angeblichen Delikten die Rede; ein Messer will keiner gesehen haben. Doch die Aussagen der Überfallenen waren eindeutig. Das Urteil lautete auf schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung und Computerbetrug. Die Sanktion: Der Täter wurde für die Serie von Straftaten zu 20 Monaten Jugendstrafe mit Bewährung verurteilt, muss als Auflage 200 Stunden abarbeiten, ein Antiagressionstraining absolvieren, Schadensersatz für die 90 € Beute leisten. Verstößt er gegen die Bewährung, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er die Haftstrafe antreten muss.

Das juristisch „mildere“ Urteil trifft den Mittäter, der auch noch wegen einer weiteren Körperverletzung verurteilt worden ist. Der Schläger muss nun 100 € Schmerzensgeld zahlen und geht umgehend für vier Wochen in die Jugendarrestanstalt Neumünster-Moltsfelde. Der Tagesablauf: Um 7 Uhr wecken, stundenlange Gruppengespräche als Auseinandersetzung mit der Tat. Ein Erwachsener ExHäftling aus der JVA erzählt den Newcomern, dass es im richtigen Knast noch viel ungemütlicher zugeht. Wer nicht mitreden will, muss in die Holzwerkstatt oder im Garten ackern. Kein Telefonkontakt nach außen, keine Besuche, kein Ausgang. Nur Briefe sind erlaubt. Angehörige können sich bei der Anstaltsleitung nach dem Befinden der zu 90 % männlichen Arrestanten erkundigen. Kein TV, kein Handy, keine Playstation, dafür viel Sport in der Gruppe. Bis zu 42 Arrestanten gleichzeitig werden zurzeit - diese Aussage bezieht sich auf das vergangene Jahr - hier untergebracht, 994 waren es insgesamt.

Meine Damen und Herren, das ist die Wirklichkeit. Ich kann dazu nur sagen: Ich vertraue unseren Jugendrichterinnen und Jugendrichtern, und ich freue mich auf die fachliche Diskussion. Ich bin gern bereit, mit Ihnen über die Frage zu diskutieren: Gibt es wirkliche Verbesserungen im Jugendstrafrecht? Das ist ja möglich, aber es müssen auch wirkliche Verbesserungen sein. Auf diese Diskussion freue ich mich.

Ich bitte um Verzeihung, dass ich die Redezeit so stark überzogen habe, aber es war der Sache dienlich.

(Beifall im ganzen Haus)

Herr Minister, ich danke Ihnen. Sie brauchen nicht um Verzeihung zu bitten; Ihre Vorredner haben das

(Minister Uwe Döring)

Gleiche getan und das Präsidium war in Anbetracht der heute zur Verfügung stehenden Zeitfülle sehr gnädig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 16/1816 (neu) dem Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Gibt es Stimmenthaltungen? - Es ist einstimmig so beschlossen worden.

Meine Damen und Herren, ich habe am Schluss eine geschäftsleitende Bemerkung zur laufenden Tagung zu machen: Bevor ich die heutige Sitzung

schließe, weise ich noch einmal daraufhin, dass sich morgen früh um 9:30 Uhr der Ausschuss zur Vorbereitung der Wahl der Mitglieder des Landesverfassungsgerichts im Sitzungszimmer 138 konstituieren wird.

Ich schließe damit die Sitzung und wünsche Ihnen einen schönen Abend. Morgen früh um 10 Uhr sehen wir uns wieder.

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss: 17:25 Uhr

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

Herausgegeben vom Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtags - Stenographischer Dienst und Ausschussdienst