Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

Zweitens. Ich schließe mich, was den Oppositionsführer betrifft, den Worten von Herrn Wadephul an. Ich bin deshalb etwas nachsichtig, weil er ja noch keine

100 Tage im Amt ist, nachdem wir uns geeinigt haben. Nach 100 Tagen will ich darauf eingehen.

(Heiterkeit und Beifall)

Wir haben in der großen Koalition wichtige Vorhaben auf den Weg gebracht, wichtige Vorhaben, auf die ich später noch eingehe. Herr Wadephul hat aber zu Recht darauf hingewiesen: Es bringt überhaupt nichts, wenn man unterschiedliche Auffassungen, die es auf Bundesebene zwischen CDU und SPD gibt und die ins Land hineinspielen, einfach verschweigt. Auch das gehört zum offenen Umgang miteinander.

Aber lassen Sie mich einige Punkte nennen, die wir in diesen 127 Tagen schon auf den Weg gebracht haben. Wer erwartet, dass Projekte, die benannt werden, die im Entwurf dargestellt werden, innerhalb von 127 Tagen so weit umgesetzt werden, dass sich die ersten Ergebnisse für den Haushalt zeigen, der sollte in diesem Jahr lieber Andersens Märchen lesen. Das wäre ein besserer Beitrag. Das braucht Zeit. Das muss mit den Betroffenen diskutiert werden. Das ist der Stil, den wir Sozialdemokraten im Land gepflegt haben und auch in Zukunft pflegen wollen.

Wir haben einen Entwurf für die Strukturreform der Amtsgerichte auf den Weg gebracht. Wir haben Leitlinien für die Verwaltungsstrukturreform auf den Weg gebracht. Ich bin dankbar, dass Herr Wadephul ausdrücklich darauf hingewiesen hat: Wir wollen eine Verwaltungsstrukturreform, keine Gebietsreform. Das muss auch den Kommunalpolitikern vor Ort noch einmal deutlich gemacht werden, damit hier Ängste genommen werden können.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir haben die so wichtige vorschulische Sprachförderung verstärkt, weil wir wissen, dass ausreichende Deutschkenntnisse wichtig sind, und zwar nicht nur für Kinder von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sondern auch für die eigenen deutschen Kinder,

(Beifall der Abgeordneten Sylvia Eisenberg [CDU])

damit ein erfolgreicher Schulbesuch am Ende auch mit einem gewissen Grad an Zuverlässigkeit in eine vernünftige Ausbildung mündet.

Wir haben den Schleswig-Holstein-Fonds - früher hieß er „Zukunftsinvestitionsprogramm“ - gestärkt auf den Weg gebracht. Wir haben uns noch einmal genau angesehen, welche Infrastrukturmaßnahmen mit diesem Fonds stärker von öffentlichen Investitionen aufgegriffen und gefördert werden, weil wir wissen, dass jeder öffentliche Euro, den wir ausgeben, dazu führt, dass drei bis 4 € zusätzliche Investitionen

(Lothar Hay)

getätigt werden. Das ist ein Schwerpunkt, der etwas mit Sparen, Konsolidieren und Investieren zu tun hat. Da sind wir auf dem richtigen Weg. Das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten sicherlich auch an einzelnen Beispielen deutlich spüren.

(Beifall bei SPD und CDU)

So schlecht können die Vorarbeiten der rot-grünen Landesregierung nicht gewesen sein. Deshalb kann ich mit Freude feststellen, dass in den vergangenen Tagen und Wochen allein durch den Wirtschaftsminister und durch seinen Staatssekretär folgende Maßnahmen aus rot-grüner Regierungszeit vorgestellt worden sind.

Die Elektrifizierung der Bahnstrecke HamburgLübeck-Travemünde. Das geht in diesem Jahr los.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt 5,3 Millionen € für die Modernisierung des ISIT in Itzehoe, 1,9 Millionen € für das Aktiv-Haus in Heiligenhafen, 627.000 € für das Kompetenzzentrum Windenergie, 5 Millionen € für den so wichtigen Ausbau des Lübecker Hafens, 7 Millionen € für die Seerosen-Therme in Glücksburg. Ich könnte die Aufzählung fortsetzen. Sie zeigt eines sehr deutlich: Wir waren auf dem richtigen Weg. Es freut mich, dass dies auch von Herrn Austermann und von Herrn de Jager mit rot-grünen Federn im Lande verkauft wird. Herzlichen Dank für diese gute Kooperation!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt weitere Beispiele einer guten Kontinuität in der Politik. Ich nenne die Fortsetzung der Aktivitäten zum Thema „Zukunft Meer“, die aktive Arbeitsförderung und den Ausbau der Qualifizierungsprojekte im Bereich der Pflege, die Fortsetzung der Gesundheitsinitiative, die Fortsetzung der Ostseekooperation, die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und den weiteren Ausbau der Nutzung regenerativer Energien in Schleswig-Holstein, was gerade für die Landwirtschaft angesichts der Veränderungen ein sehr wichtiger Beitrag ist. Da müssen wir in Schleswig-Holstein konsequent weitergehen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wenn ich in den letzten Wochen von Journalisten häufiger gefragt wurde - aus verständlichem Eigeninteresse; ich rede ja regelmäßig mit Journalisten -, ob die große Koalition nicht durch den Bundestagswahlkampf in Gefahr geraten könne, dann kann ich nur deutlich sagen: Nein, das ist nicht der Fall; denn wir wissen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Dies ist ein Programm für die nächsten fünf Jahre, bis zum Jahre 2010. Das werden wir Schritt für

Schritt abarbeiten, zum Wohl des Landes SchleswigHolstein.

(Beifall bei SPD und CDU)

Der Bundestagswahlkampf lässt sich ja nicht vollständig ausblenden. Ich bin nicht nur schleswigholsteinischer Sozialdemokrat. Was mich umtreibt, ist das Steuerkonzept des Professors aus Heidelberg, Paul Kirchhof, der zum Spitzenteam der CDUKanzlerkandidatin gehört. Bei allen Steuerfragen - dies habe ich heute Morgen deutlich den Worten von Finanzminister Wiegard entnommen - müssen die Länder hellhörig werden; denn Entscheidungen in diesem Bereich betreffen eventuell unsere Einnahmesituation. Was wir uns nicht leisten können, wären sinkende Einnahmen. Wir brauchen stabile Einnahmen, um das, was als Grunddaseinsvorsorge von uns ins Land gebracht wird, auch in Zukunft zu sichern.

(Beifall bei der SPD)

Nun lassen Sie mich kurz einige Bemerkungen zum Konzept von Herrn Kirchhof machen. Die Wirkung ist in erster Linie durch den Eindruck eingetreten, alles sei ganz einfach. Dass das offenbar nicht der Fall ist, haben bereits im Februar 2004 die Steuerabteilungsleiter aller 16 Bundesländer festgestellt; da sind auch CDU-geführte dabei. Sie haben in einem Bericht den Vorwurf mangelnder sozialer Ausgewogenheit erhoben. Ich muss in aller Deutlichkeit für die Sozialdemokraten sagen: Wenn es denn so ist, dass die Krankenschwester und der Facharbeiter verlieren, der Chefarzt, der Manager und der Fraktionsvorsitzende hingegen gewinnen, dann ist das nicht der richtige Weg. Das wird mit uns auch nicht zu machen sein.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Gestatten Sie mir, um hier auch die Unterschiede deutlich zu machen und um deutlich zu machen, wie umstritten das Steuermodell in der CDU ist, was ich gut verstehen kann, eine kurze dpa-Meldung zu zitieren:

„Kirchhof stieß mit Angaben zu seinem Steuermodell erneut auf Widerspruch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er hatte der ‚Passauer Neuen Presse’ am Dienstag gesagt, eine Sekretärin mit 40.000 € Jahresgehalt“

- alle Achtung! -

„zahle in seinem Modell 4.000 € Steuern. Dagegen rechnete Unions-Fraktionsvize Michael Meister der Zeitung am Mittwoch vor, für eine ledige Sekretärin beträgt die Steuer nach Paul Kirchhofs Modell 6.750 €.“

(Lothar Hay)

Nun kommt es aber:

„Kirchhofs Mitarbeiter in der CDU-Zentrale erläuterte diese Diskrepanz. Gemeint sei keine ledige oder verheiratete Sekretärin, sondern eine rechnerische Größe, die Durchschnittssekretärin. Bei dieser Modellrechnung sei unterstellt, dass die Sekretärin 1,3 Kinder habe und zu einem gewissen Prozentsatz verheiratet sei. Dann ergebe sich die durchschnittliche Steuerbelastung von 4.000 €.“

(Heiterkeit und Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich hoffe nicht, dass das der Beitrag der CDU zur Familienpolitik ist.

Lassen Sie mich nun noch etwas zum Thema Mehrwertsteuererhöhung sagen. Ich bin dem Kollegen Wadephul dankbar, dass er in aller Deutlichkeit gesagt hat, dass er zum Thema Mehrwertsteuererhöhung eine feste und klare Position hat. Die Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein haben im letzten Jahr ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt. Ich habe es nie verschwiegen; wir haben es im Landtag mehrfach diskutiert. Darin enthalten ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wollen wir die Lohnnebenkosten senken, damit in Schleswig-Holstein und in Deutschland Arbeit wieder günstiger wird und die Unternehmen mehr Arbeitsplätze schaffen können. Das ist der richtige Weg. Da finden Sie uns an Ihrer Seite. Ich muss natürlich bekennen: Auf Bundesebene haben wir uns in der SPD noch nicht durchsetzen können. Aber wir verschweigen das nicht.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ein weiterer Punkt ist auch wichtig - da werden wir uns von der CDU sicherlich unterscheiden -: Nach unserem Konzept soll der verminderte Mehrwertsteuersatz von 7 % aus sozialen Gründen ausgeweitet werden, damit sich für diejenigen, die über wenig Einkommen verfügen, die Kosten der Grundversorgungsmittel durch eine Anhebung der Mehrwertsteuer in Zukunft nicht erhöhen. Das war unser sozialer Ansatz. Das ist eben die SPD, die nach wie vor sagt: Sozial gerecht und den Sozialstaat im Auge haben; das sind unsere Grundsätze in der Politik.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich eine Bemerkung zum Thema Arbeitsplätze machen. Ich habe auch bei dem Kollegen Kubicki - ich habe aufmerksam zugehört - den Eindruck gewonnen, wir Politiker wären in der Lage, von heute auf morgen Arbeitsplätze zu schaffen. Wir kön

nen die Rahmenbedingungen verändern. Die Arbeitsplätze werden durch Entscheidungen von Unternehmen in Schleswig-Holstein und darüber hinaus getroffen. Das sollten wir uns ehrlicherweise einmal selbst sagen. An der Veränderung dieser Rahmenbedingungen arbeiten wir in der großen Koalition. Das werden wir auch in Zukunft tun.

Wenn man sich über Arbeitsplätze unterhält, dann muss man auch das Thema Hartz IV ansprechen. Dabei handelt es sich um eine notwendige Entscheidung, die auch heute noch Mängel hat, die behoben werden können und müssen. Ich darf in diesem Zusammenhang an das Schreiben der Bürgerbeauftragten erinnern, das uns zugegangen ist. Ich gehe davon aus, dass wir uns in den Fachausschüssen mit diesem Thema beschäftigen. Es ist eine ganz ernste Angelegenheit. Wer in seiner Verwandtschaft Empfänger von ALG II hat, weiß, was es heißt, mit dem Geld auskommen zu müssen. Das dürfen wir in der gesellschaftlichen Wirklichkeit einfach nicht ausblenden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Was wir in Zukunft brauchen - da haben wir sicherlich eine Mitverantwortung -, sind mehr einfache Arbeitsplätze, einfache Arbeitsplätze, die auch durch Entscheidungen des Landtags in der Vergangenheit abgebaut worden sind. Wir haben dann wieder gegengesteuert. Aus meiner Sicht ist es durchaus sinnvoll, einfache Arbeitsplätze mit einem niedrigen Einkommen anzubieten. Das ist immer noch besser, als auf Dauer von staatlichen Hilfen zu leben. Bei dem Angebot eines Arbeitsplatzes geht es auch um die Würde des Menschen. Das können wir nicht ausblenden. Nicht alle Menschen sind auf Dauer für einen hoch qualifizierten Arbeitsplatz geeignet. Das wäre eine gesellschaftliche Lüge, die wir nicht weiter verbreiten sollten.

(Beifall bei SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Punkt, der mich umtreibt, ist: Wie gehen wir mit unseren über 50-Jährigen um? Wie viele sind noch in Arbeit und Lohn? Guckt man sich Skandinavien an, so stellt man fest, dass dort Zahlen von weit über 60 % erreicht werden. Wenn die Unternehmen begreifen würden - das muss man denen auch noch einmal deutlich sagen -, dass es angesichts einer geringer werdenden Zahl von jungen Menschen darauf ankommt, die Erfahrungen und die Leistungsfähigkeit der über 50-Jährigen einzusetzen und dieses nicht erst in zehn Jahren zu machen, sondern jetzt, dann wären wir ein weiteres Stück vorangekommen und könnten uns endlich dem EU-Durchschnitt annähern. Der liegt nämlich weit über dem, was in

(Lothar Hay)

Schleswig-Holstein vorhanden ist. Wir sollten auch im Zusammenhang mit staatlichen Programmen der Arbeitsförderung Anstrengungen unternehmen, um mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für über 50Jährige zu schaffen, und endlich erklären, dass diese Menschen wertvoll für einen Betrieb sind - die Mischung macht es - und dass es nicht darum gehen kann, einen 35-Jährigen mit der Berufserfahrung eines 60-Jährigen einzustellen.