Protokoll der Sitzung vom 01.09.2005

(Jürgen Feddersen [CDU]: Schaumschläger! Ketzerisch formuliert: Die schwarz-rote Zielmarke für die Halbierung der Nettoneuverschuldung hatte Rot-Grün bereits im Haushalt 2004 erreicht. (Lachen bei der CDU)

Oder anders formuliert: Am Ende dieser Legislaturperiode will die große Koalition das Niveau von RotGrün wieder erreicht haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für so viel Selbstlob ist das kein Grund.

In den vergangenen Jahren hat die CDU-Opposition die rot-grüne Landesregierung landauf, landab für zu wenig Sparbemühungen kritisiert, nicht ohne gegen jede Kürzung - ich habe selber eine Reihe von Demonstrationen erlebt - von Rot-Grün zu polemisieren oder selber zu demonstrieren. Seit dem 27. April 2005 gibt es bei der CDU einen bemerkenswerten Erkenntnisgewinn: Eine Haushaltssanierung ist nicht durch eigene Maßnahmen des Landes zu erreichen. - So der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung im Mai dieses Jahres.

Da zwingt sich die Frage auf, warum man in Berlin mit dem Subventionsabbau nicht richtig vorangekommen ist, zumal mit den Herren Austermann und Carstensen zwei ehemalige Bundestagsabgeordnete, ja sogar der ehemalige haushaltspolitische Sprecher der Union, schon seit Jahren gern nach Kiel wechseln wollten. Die Wahrheit ist, dass die CDU mit Unterstützung der FDP seit Jahren einen umfassenden Subventionsabbau und damit die jetzt eingeforderte Hilfe von außen selber blockiert und verhindert hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Rot-Grün hatte sich bereits im Herbst 2002 auf einen umfassenden Subventionsabbau im Steuerbereich geeinigt. Maßgebende Leitlinien waren mehr Gerechtigkeit in der Steuerpolitik und die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung.

Ich will drei der wichtigsten Blockaden der CDU, über die sie jetzt selber klagt, in Erinnerung rufen.

Erste Runde: Es gab das Steuervergünstigungsabbaugesetz. Der erste Aufschlag war im Frühjahr 2003. Vorgesehen war ein zusätzliches Aufkommensvolumen von rund 15,6 Milliarden €. Die Union hat dies im Bundesrat fast völlig verhindert. Übrig blieben 2,4 Milliarden € an Mehreinnahmen. 13,4 Milliarden € Steuermehreinnahmen konnten nicht realisiert werden. Gut 200 Millionen €, die Schleswig- Holstein dringend benötigt hätte und die es uns jetzt leichter machen würden.

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

- Danke, Günter.

Diese Millionen fehlen heute in den öffentlichen Kassen und verhindern gleichzeitig ein Mehr an Gerechtigkeit in der Steuerpolitik. Unter anderem zu verantworten von den Bundestagsabgeordneten Austermann und Carstensen.

Die zweite Runde: Im Herbst 2003 folgte ein weiterer Verhandlungsmarathon im Vermittlungsausschuss. Herr Stegner und ich können sich noch lebhaft daran erinnern. Auch hier hatte sich Rot-Grün ein großes

(Klaus Müller)

Pensum an Subventionsabbaumaßnahmen vorgenommen. Das Haushaltsbegleitgesetz 2004 umfasste ein Konsolidierungsvolumen von rund 14,6 Milliarden €. Die Palette der Subventionsabbaumaßnahmen reichte von der Abschaffung der Eigenheimzulage über die Umstellung auf monatsgenaue statt halbjährlicher Abschreibungen, die Senkung der Entfernungspauschale auf nur noch 15 ct/km bis hin zu Einschränkungen beim Agrardiesel, der Mineralölsteuervergünstigung für Land- und Forstwirte und und und.

Von unserem ursprünglich vorgesehenen Paket zum Abbau von Steuersubventionen in Höhe von fast 15 Milliarden € sind rund 7 Milliarden € am Widerstand der Union im Bundesrat gescheitert.

Ich will noch an die dritte Runde erinnern: das Gesetz zur Reform der Gewerbesteuer. Gerade bei der Gewerbesteuer hatte Rot-Grün eine deutliche Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und einen weiteren Abbau von Ausnahmeregelungen geplant. So sollten Freiberufler, die bisher ungerechtfertigt von der Gewerbesteuer befreit sind, künftig in die Gewerbesteuerpflicht einbezogen werden. Insgesamt wären zusätzliche Steuereinnahmen von fast 3 Milliarden € zu erzielen gewesen. Auch hier hat die Unionsmehrheit im Bundesrat die meisten Maßnahmen blockiert. Übrig geblieben sind gerade einmal 0,6 Milliarden € an Mehreinnahmen. 2,2 Milliarden € an steuerlichen Sonderregelungen konnten nicht abgebaut werden.

Hätte die CDU im Bundesrat nicht mit zunehmender Stärke blockiert, wären wir beim Subventionsabbau schon viel weiter. Allein die bisher nicht durchsetzbaren Maßnahmen summierten sich auf rund 23 Milliarden € pro Jahr voller Wirksamkeit. Davon 9,5 Milliarden € für die Länder, ungefähr 300 Millionen € jedes Jahr für Schleswig-Holstein.

Jetzt läuft der Ministerpräsident im Wahlkampf durchs Land und beschimpft die Grünen bei seinen Wahlkampfauftritten als „Lumpen“.

(Zuruf der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Das ist nicht nur peinlich für einen Ministerpräsidenten. Es hat auch mit Ehrlichkeit und Redlichkeit nichts zu tun. Bei dem Haushalt 2006 werden wir über weitere Beispiele von mangelnder Ehrlichkeit und mangelnder Redlichkeit zu diskutieren haben.

Die grüne Fraktion hat sich entschieden, im Finanzausschuss eine Reihe von Änderungsanträgen zum Nachtragshaushalt zu stellen, die dort von der großen Koalition ohne Zögern und Zaudern abgelehnt worden sind.

(Holger Astrup [SPD]: Stimmt!)

- Nicht wahr, Holger?

Über den Schleswig-Holstein-Fonds werden wir uns noch im Rahmen des Haushaltes 2006 ausführlicher zu unterhalten haben. Er kommt uns in weiten Teilen durchaus bekannt vor. Darum will ich das in der Sache nicht kritisieren. Unter Rot-Grün hatte das einen anderen Namen. Damals hieß es Zukunftsinvestitionsprogramm.

Was wir jetzt merken, ist: große Koalition bedeutet große Ausgaben. Wir halten deshalb die 35 Millionen € des Schleswig-Holstein-Fonds in 2005 für maßlos, eindeutig überdimensioniert und haben deshalb eine Kürzung vorgeschlagen, was übrigens entsprechend weniger neue Schulden bedeuten würde.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kürzungen bei den soziokulturellen Zentren, den Zuschüssen für die Sprachförderung, der Weiterbildung, bei der Gewaltprävention in Schulen oder der Sanierung von Schulen halten wir für genauso falsch wie eine Reihe von Kürzungen bei der Schutzgebietbetreuung, den Biotopverbundsystemen, dem Vertragsnaturschutz oder Vorsorgemaßnahmen gegen Waldschäden.

Als zu üppig betrachten wir die Budgeterhöhung für die Ämter für ländliche Räume. Ja, hier gab es Defizite. Aber gleich 4 Millionen € auf das Personalbudget draufzuschlagen, halten wir genauso für unvertretbar wie - angesichts der Finanzlage - die Höhe der Zuschüsse für die Dorferneuerung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grünen werden nach intensiven Diskussionen - und wir haben uns das nicht leicht gemacht - den Nachtragshaushalt heute ablehnen, weil es keinen überzeugenden Versuch gibt, der Verfassungswidrigkeit durch eine entsprechende Erläuterung zu begegnen, weil der SchleswigHolstein-Fonds in seiner Höhe maßlos ist und die Verschuldung zusätzlich erhöht und weil zahlreiche Änderungen im Nachtragshaushalt in eine falsche Richtung zeigen und deutlich machen, dass insbesondere Ökologie an Stellenwert verlieren wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Müller von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und erteile für den SSW im Landtag der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutigen Beratungen zum Haushalt des Landes

(Anke Spoorendonk)

stehen im Schatten der Bundestagswahl. Ich glaube, das haben wir auch an der heutigen Debatte merken können. Aus Sicht des SSW ist in diesem Bundestagswahlkampf insbesondere die Diskussion über eine mögliche große Koalition in Berlin interessant. Teilweise dieselben Politiker und Medien, die sich in Schleswig-Holstein noch im Frühjahr energisch für die Bildung einer großen Koalition eingesetzt haben, sind nun entschiedene Gegner einer solchen Konstellation auf Bundesebene. Die Argumente gegen eine große Koalition sind dieselben, die der SSW seinerzeit hier im Land vorgebracht hat, nämlich dass eine große Koalition großen Stillstand bedeutet, weil die beiden Partner dazu neigen, sich gegenseitig in Schach halten.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Dieses Beispiel zeigt, dass in der politischen Auseinandersetzung nichts so vergänglich ist wie das Geschwätz von gestern, lieber Kollege Astrup, und dass es eben doch viel zu oft um Macht geht und nicht um politische Ziele oder Inhalte.

Obwohl sich SPD und CDU im Bundestagswahlkampf erbittert bekämpfen, hat dies noch keine negativen Auswirkungen auf die große Koalition in Schleswig-Holstein gehabt. Von dem wechselseitigen Getöse aus dem Landtagswahlkampf ist in SchleswigHolstein nichts mehr zu vernehmen. War das also auch nur die übliche hohle Rhetorik der Politik? Wenn man will, kann man also zusammenarbeiten. Wir sagen, es wäre wichtig, diese Zusammenarbeit zwischen politischen Gegnern endlich als Normalfall zu begreifen und sie nicht nur als etwas zu sehen, wozu man in einer Koalition verdammt ist.

Mit anderen Worten: Der SSW wird sich weiterhin für eine neue demokratische Kultur in SchleswigHolstein einsetzen - mit dem Ziel, dass die Parteien lernen, dass Regierung und Opposition vernünftig miteinander reden und wenn nötig gemeinsam Reformen zum Wohle der Menschen im Land anpacken können.

(Beifall beim SSW)

Die neue Landesregierung mit Ministerpräsident Peter Harry Carstensen ist seit April im Amt und steht mit dem Nachtragshaushalt 2005 und dem Haushalt 2006 vor ihrer ersten wirklichen Bewährungsprobe. Die Erwartungen der Menschen an die große Koalition in Schleswig-Holstein waren ja - wir wissen es noch - turmhoch und nach den ersten Umfragen scheint die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ja auch mit der Landesregierung zufrieden zu sein. Das liegt sicherlich auch daran, dass Ministerpräsident

Carstensen auf die Menschen zugeht und sowohl in den Medien als auch vor Ort präsent ist.

(Beifall des Abgeordneten Jürgen Feddersen [CDU])

Im Großen und Ganzen ist es dem Ministerpräsidenten bisher gelungen, seinen Laden zusammenzuhalten. Dafür hat er unseren Respekt.

(Beifall bei der CDU)

Wir bleiben allerdings auch bei unserer Einschätzung, dass seine Regierung den Beweis, dass sie mehr kann, als gut zu repräsentieren, den Bürgern noch schuldig bleibt.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Nachtragshaushalt für 2005 ist auch der erste Haushalt, den der neue Finanzminister Rainer Wiegard dem Landtag vorlegt. Auch wenn uns die Zahlen im Einzelnen nicht begeistern können, begrüßen wir, dass er einen Nachtragshaushalt vorgelegt hat - und in Klammern bemerkt: auch einen Entwurf für den Haushalt 2006 -, der in schonungsloser Offenheit das ganze Ausmaß der Finanzmisere des Landes verdeutlicht.

Denn sieht man sich die Zahlen des Nachtragshaushalts für 2005 an, kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Lage der Finanzen des Landes Schleswig-Holstein noch nie so dramatisch war wie heute. Das Defizit des Haushaltes beträgt in 2005 sage und schreibe rund 1,7 Milliarden € - und das bei einem Haushalt mit einem Volumen von insgesamt 8,2 Milliarden €. Die Neuverschuldung des Landes liegt damit dreimal so hoch wie in den 90er-Jahren und die Verfassungsgrenze gemäß Artikel 53 der Landesverfassung wird mit diesem Nachtragshaushalt um 1,15 Milliarden € überschritten. Die Schulden des Landes werden auf rund 22 Milliarden € ansteigen. Das sind die Fakten, die aus dem Haushaltsentwurf hervorgehen.

Die Ursachen dieser Entwicklung sind ja schon oft in diesem Landtag angesprochen worden: Genau wie in der übrigen Bundesrepublik ist die Einnahmeentwicklung in Schleswig-Holstein seit Jahren stagnierend und ist das Wirtschaftswachstum nur mäßig. Gleichzeitig sind die hohe Arbeitslosigkeit und damit die Ausgaben extrem angestiegen. Diese unheilvolle Entwicklung hat dazu geführt, dass die jährlichen Kredite im Landeshaushalt schon seit 2002 jedes Jahr höher waren als die Summe der Investitionen des Landes. Laut Landesverfassung darf das Land aber nur so viele Schulden machen, wie es Investitionen getätigt hat.