Protokoll der Sitzung vom 25.04.2008

(Beifall bei der SPD)

Der Wettbewerb im Bereich der Zustellung hat zu den bekannten und hier noch einmal ausführlich dargelegten schwierigen Folgen für die dort Beschäftigten geführt. Der Wettbewerb wurde weniger über Qualität als über den Preis geführt. Bei den Mitbewerbern wurden überwiegend Löhne bezahlt, von denen man nicht leben kann. In den neuen Bundesländern lagen beziehungsweise liegen die durchschnittlichen Stundenlöhne bei weniger als 6 €. Die ersten Ergebnisse der Erhebung für 2007 zeigen, dass die 27 privaten Postdienstleister in Schleswig-Holstein 140 Personen sozialversicherungspflichtig in Vollzeit und 200 Personen sozialversicherungspflichtig in Teilzeit beschäftigten. 84 %, über 1.800 Betroffene, sind geringfügig beschäftigt. Diese Menschen sind, wenn sie keine zusätzlichen Arbeitsplätze haben, auf ergänzende staatliche Leistungen angewiesen. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Die bisher niedrigen Löhne bei den Wettbewerbern mit einem Stundenlohn von etwas über 7 € in Schleswig-Holstein verschärfen die Situation noch. Allein in Schleswig-Holstein haben im Januar 2007 über 30.000 sogenannte Bedarfsgemeinschaften ihre Erwerbseinkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken müssen. Dies ist durchaus Grund zur Besorgnis. Bundesweit reden wir von 738.000 Beschäftigen.

Mit der Aufnahme in das Entsendegesetz im letzten Jahr wurde die Branche der Briefdienstleistungen in letzter Minute vor einem Dumpingwettbewerb geschützt. Auch die Wettbewerber der Deutschen Post müssen nun menschenwürdige Löhne bezahlen. Wir wollen Wettbewerb über Qualität und Leistung, nicht über Lohndumping, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Mindestlohn ist ein Teil der Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit. Die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung ist ein anderer wichtiger Teil. Zu Recht wurden daher diese Bereiche in das Entsendegesetz aufgenommen. Löhne generell so zu kalkulieren, dass der Staat etwas dazuzahlen muss, hat nichts mit Marktwirtschaft zu tun, das ist staatliche Misswirtschaft. So habe ich mir das früher als AStA-Vorsitzender vor

(Minister Dietrich Austermann)

gestellt, aber dass es so kommt, hätte ich mir nicht träumen lassen.

(Beifall bei der SPD - Beifall und Heiterkeit des Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das ist Teil der Realität in diesem Land. Insofern teile ich überhaupt nicht die Einschätzung derer, die davon reden, das sei gegenüber den Wettbewerbern nicht in Ordnung. Vielmehr ist es zwingend notwendig, sich so zu verhalten; denn wir wollen nicht, dass sich Modelle etablieren, die nichts mit Qualität zu tun haben, sondern ausschließlich damit, Geschäfte mit Hungerlöhnen machen zu wollen und den Staat, also uns alle, auffordern zu wollen, das auch noch zu finanzieren.

(Beifall bei SPD und SSW)

Marktöffnung muss und darf nicht mit sozialem Lohndumping einhergehen. Deshalb war die Mindestlohnregelung für die Postdienste richtig und notwendig. Nun müssen wir darauf achten, dass der vereinbarte Mindestlohn nicht unterlaufen wird, wofür es leider bereits Hinweise gibt. Übrigens, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Gründung und Finanzierung von Scheingewerkschaften halte ich persönlich für kriminell. Gegen solche Dinge muss mit aller Kraft angegangen werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Der Abgeordnete und Kollege Bernd Schröder hat in der Debatte zum Tariftreuegesetz richtig gesagt ich zitiere ihn -, an einem gesetzlichen Mindestlohn und an der Allgemeinverbindlichkeitserklärung weiterer Tarifverträge führe kein Weg vorbei, wenn wir Beschäftigte und die einheimische Wirtschaft weiterhin gegen Lohndumping schützen wollten.

(Zurufe von der CDU: Ah!)

- Er hat damit völlig recht, und Sie sollten nicht darüber lachen, sondern sich seiner Einschätzung anschließen. Das wäre vernünftig.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Dafür setzt sich die SPD ein, und auch ich appelliere ausdrücklich an die Union, die gleiche Einsicht wie beim Tariftreuegesetz zu zeigen. 20 von 27 europäischen Ländern haben einen Mindestlohn. Jene, die ihn nicht haben, haben andere Wege gefunden, um zu einem faktischen Mindestlohn zu kommen, zum Beispiel Allgemeinverbindlichkeitserklärungen oder einen hohen Organisationsgrad,

indem die Arbeitslosenversicherung an die Gewerkschaftsmitgliedschaft gebunden ist. Nur Deutschland hat das nicht. Zu behaupten, die Deutschen seien in dieser Frage klüger als andere, halte ich für einigermaßen vermessen.

Das Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg hat den Niedriglohnsektor ausführlich untersucht. Insgesamt haben über 70 % der Niedriglohnverdiener eine abgeschlossene Berufsausbildung. Für über 45 % sind es Vollzeitstellen, und drei Viertel befinden sich in einem Alter zwischen 25 und 54 Jahren.

Daran kann man doch sehen, dass es nicht um Zuverdienste, nicht um Übergangsjobs wie in Dänemark oder in den Niederlanden geht. Vielmehr geht es um ganz normale Arbeit. Dafür sollte es auch Löhne geben, die existenzsichernd sind, die ein eigenständiges Leben ermöglichen, ohne auf zusätzliche staatliche Leistungen angewiesen zu sein. Dass Sie das nicht verstehen, Herr Oppositionsführer, wundert mich nicht. Ich sage dennoch: Hungerlöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse sind für uns niemals akzeptabel. Das will ich hier deutlich feststellen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Die Menschen haben ein Recht auf einen Lohn, von dem sie leben können.

(Zuruf von der CDU: Oskar lässt grüßen!)

- Das hat mit Oskar gar nichts zu tun, sondern mit den kommunalen Kassen, sehr geehrter Herr Abgeordneter. Denn die kommunalen Kassen kommen dafür auf, wenn der Lohn nicht reicht, und bei der Hungerrente noch einmal. Das ist die Realität in diesem Land.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Lassen Sie mich nun zum zweiten Teil unserer Großen Anfrage kommen: Welche Auswirkungen hatte das für die Bevölkerung? Ich sehe dabei einige Parallelen zum Bereich der öffentlichen Banken und Sparkassen. Wer staatliche Privilegien genießt, wie es die Post als Post-Universaldienstleister nach wie vor tut, muss sich anders verhalten, als es eine rein betriebswirtschaftliche Berechnung gebieten würde.

Ich will zur Illustration aus einer dpa-Meldung vom 16. Januar dieses Jahres zitieren. Darin heißt es, nach dem Wegfall des Briefmonopols Anfang dieses Jahres solle nach den Vorstellungen Peer Stein

(Dr. Ralf Stegner)

brücks die Umsatzsteuerbefreiung nicht nur für die Post in vollem Umfang weiter gelten, von dem Privileg sollten auch Postkonkurrenten profitieren. Für diese Umsatzsteuerbefreiung, Herr Minister Austermann, müssen Sie jedoch flächendeckend alle PostUniversaldienste auch anbieten. Das ist der Punkt, um den es geht. Es geht nicht um Privilegien, sondern um Leistungsfähigkeit und Qualität. Das wollen wir haben.

(Beifall bei der SPD)

Die Post muss - so wurde es auch gesetzlich festgelegt - eine Mindestversorgung garantieren. Sie muss in der Fläche präsent sein und ortsnahe Dienstleistungen anbieten, auch wenn es sich teilweise betriebswirtschaftlich nicht rechnet. Wir können dem Bericht entnehmen, dass die meisten Sorgen unberechtigt waren, auch, weil es eben harte Vorschriften gab, weil es Flexibilität und Ideenreichtum gab, weil es gewerkschaftliche Vertretung gab und weil der Staat genau da die Rahmenbedingungen so setzt, wie er sie setzen muss, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.

Die Zusammenarbeit mit Markttreffs, die Möglichkeit, bei der Briefträgerin oder dem Briefträger auch andere Postdienstleistungen zu bekommen, will ich beispielhaft erwähnen. Dies zeigt, dass das für den ländlichen Raum und die ältere Bevölkerung essenziell ist. Darum hat man sich zu kümmern und nicht nur Zahlenspielereien anzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Wolfgang Thierse hat in der vorletzten Woche bei einer Veranstaltung der SPD-Fraktion hier im Haus eine Rede gehalten und im Zusammenhang mit dem Thema Demokratie Folgendes gesagt:

„Demokratie ist kostbar. Wir müssen aber zumindest Mindesterwartungen erfüllen. Wenn wir solche Dinge nämlich nicht tun, dann wird die Bevölkerung fragen: Was machen die eigentlich in der Demokratie? Und dann bleiben die entweder zu Hause oder sie wählen extreme Parteien.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen ist das wichtig und nicht irgendein Thema unter vielen.

(Beifall bei der SPD)

Es tut unserem Land nicht gut, wenn wir Menschen oder Regionen ausgrenzen, wenn wir sie abschreiben oder Menschen sagen, dass sie nicht gebraucht

werden, und uns dann wundern, welche Folgen das hat.

Wettbewerb kann unzweifelhaft enorme Potenziale in sich bergen. Wenn wir ihn aber nicht regulieren, geht er zulasten der Mehrheit der Menschen. Wir haben die Mittel, etwas dagegen zu tun. Was mich sehr positiv stimmt, ist: Bei allen Reden, die ich auch von anderen Parteien höre, stelle ich fest, dass sie insgeheim wissen, dass auch die Mehrheit ihrer Parteimitglieder oder -anhänger das richtig findet und nicht das, was offiziell in den Parteiprogrammen steht,

(Beifall)

denn die Menschen wollen, dass man von Arbeit leben kann und nicht, dass der Staat das Leben subventioniert. Das zeigt sich in diesem Bereich ganz besonders deutlich. Deswegen streite ich über ein solches Thema ganz besonders gern, und es gehört in diesen Landtag, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zuruf von der CDU)

Wir sollten uns nicht von allzu primitiven oder falsch verstandenen ökonomischen Theorien davon abhalten lassen, schon gar nicht von Leuten, die gar keine Ahnung davon haben, wie normale Menschen zurechtkommen müssen, die ein normales Einkommen, die eine Familie durchzubringen haben und in einem Bereich tätig sind, der für uns besonders wichtig ist.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Da kennen Sie sich ja aus!)

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Debatte.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion der CDU erhält Herr Abgeordneter Johannes Callsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Versorgung mit Postdienstleistungen ist gerade in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein elementarer Bestandteil der Daseinsvorsorge für die Menschen. Deswegen, sehr geehrter Kollege Dr. Stegner, will ich auch auf das eigentliche Thema dieser Debatte zurückkommen.