Protokoll der Sitzung vom 28.05.2008

Meine Damen und Herren, ich komme zum allerletzten Punkt. Die Große Anfrage zeigt, dass in vielen Bereichen die Situation der Menschen mit Behinderung ein Spiegelbild der gesamten Bevölkerungsentwicklung ist. Umso bedauerlicher ist es aus unserer Sicht, dass es kaum Informationen zu den Mitwirkungsmöglichkeiten oder zu örtlichen Teilhabeplanungen gibt. Sie erinnern sich, der Kollege Garg hat für unsere Fraktion vor geraumer Zeit einen Gesetzentwurf zur Änderung der Gemeindeordnung vorgelegt, mit dem wir ein Teilhaberecht der Behinderten bei örtlichen Planungen erreichen wollten. Auch dies konnten wir leider gegen den Widerstand der Mehrheit des Hauses nicht umsetzen.

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich freue mich, dass Sie wieder bei uns sind. Ich folge Ihnen natürlich ganz brav und habe eben schon den letzten Punkt angesprochen und wollte mich eigentlich nur mit dem allerletzten Satz von Ihnen verabschieden, jedenfalls für diese Debattenrunde.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank für die freundliche Verabschiedung. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition hat sich im Jahr 2006 einer Gesamtplanung für Menschen mit Behinderung, die Grüne, FDP und SSW gefordert hatten, hier im Hause verweigert. Maßgebliches Argument damals: Die Landesregierung habe die Thematik als ein Schwerpunktthema ihrer Arbeit im Blick. Außerdem wurde zugesagt, den Landtag auf dem Laufenden zu halten, wenn Ergebnisse vorlägen.

Dieses Versprechen hat die Landesregierung nicht gehalten. Wir haben zwar wiederholt in diesem Hause über die Situation von Menschen mit Behinderung diskutiert, aber nicht auf Initiative der Landesregierung. Wir haben uns mit dem Bericht zur Frühförderung behinderter Kinder, der Umsetzung des SGB XII-Ausführungsgesetzes sowie der Situation von älteren Menschen mit Behinderung beschäftigt, alles übrigens im Jahr der „Menschen mit Behinderung“, ausnahmslos aufgrund der von den Grünen ergriffenen Landtagsinitiativen. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Landesregierung in den letzten zwei Jahren von sich aus das Thema Menschen mit Behinderung auf die Tagesordnung dieses Hauses gesetzt hat. Es hat keine Vorstellung des viel gerühmten Inklusionskonzepts in diesem Haus gegeben. Es hat zwar wunderbare Veranstaltungen vor Ort, auch in diesem Haus, gegeben, sehr lohnenswert, mit den Betroffenen, aber warum nicht auch hier einmal die Debatte im Plenum?

Welchen Namen man dem Kind auch immer gibt Empowerment, Integration oder Inklusion -, ent

(Dr. Ekkehard Klug)

scheidend ist für uns, was geschieht. Kann uns die Große Anfrage der CDU hier Auskunft geben?

Ich habe da so meine Zweifel. Viele Seiten, viele Wörter, einige Tabellen, aber leider wenig Neues, kein Erkenntnisgewinn.

(Unruhe)

Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Rednerin.

(Vereinzelter Beifall)

Der Erkenntnisgewinn war hier durch die Debattenbeiträge auch der Ministerin größer als bei der Lektüre. Schade, denn die Anfrage war sicherlich gut gemeint. Dennoch verwundert es, dass ausgerechnet die CDU eine Große Anfrage stellt. Klassischerweise ist das ja ein Oppositionsthema. Warum tut sie das? - Um die Landesregierung voranzutreiben? Traut sie ihrem Koalitionspartner doch nicht zu, alles im Griff zu haben, oder will sie Amtshilfe leisten, damit die Landesregierung brillieren kann?

(Unruhe)

Wohl kaum, denn so gut ist die Antwort mit ihren Ergebnissen nicht. Es kann wohl sein, dass die CDU mit dieser Anfrage versucht hat, verspätet die Daten zu beschaffen, die die Regierung in ihrem Gesamtkonzept gebraucht hätte. Aber auch die Daten sind nicht gekommen. Es wurde schon gesagt, dass es nicht allein an der Landesregierung liegt, wenn auf den 80 Seiten so viele Fragen mit „kann man nicht sagen“ beantwortet werden. Zuständig für die Eingliederungshilfe sind nun einmal die Kommunen. Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben das bereits deutlich gemacht; ich kann mich dieser Kritik nur anschließen. Bei fast jeder zweiten Frage gibt es keine Angaben. Die Kommunen haben die Daten einfach nicht herausgegeben. Sie sagen an einigen Stellen etwas, aber das sind dann Daten, die schon an anderer Stelle vorliegen, die gar nicht neu sind. Wir kennen das Problem schon aus der Sozial- und Jugendpolitik: Auch hier hat die kommunale Seite dem Landtag und der Landesregierung mehrfach die Zuarbeit verweigert.

Nicht nur wir brauchen diese Daten, die Kommunen selbst brauchen diese Daten für ihre fachliche Arbeit und für ihre Haushaltstransparenz. Wenn sie dort nicht vorhanden sind, lässt das sehr tief blicken. Eine solche Arbeitsverweigerung der

Kommunen kann man nicht hinnehmen. Ich finde den Vorschlag der FDP gar nicht schlecht. Morgen findet der große Empfang der Kammer statt, bei dem man wieder freundlich beieinander sitzt. Vielleicht sollte man sich seitens des Landtages einmal überlegen, ob man da hingeht, oder, wenn man hingeht, sich vielleicht geschlossen erklären. Ich finde das durchaus aufgreifenswert. Die Menschen mit Behinderung haben ein solches Engagement verdient.

Auch die Agentur für Arbeit kann im Grunde nur wenig über Menschen mit Behinderung sagen. Auf der Suche nach Ausbildung waren im Jahr 2007 344 junge Menschen mit Behinderung. Die spezifische Ausbildungsquote der kommunalen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber lag bei beachtlichen 17 %, im Landesdienst dagegen nur bei 1,05 %. Im selben Jahr gab es bei uns 5.173 arbeitslose Menschen mit Behinderung, das entspricht einem Anteil an den Arbeitslosen von 4,5 %. Das erscheint wenig. Aber aussagekräftiger wäre ein Vergleich der allgemeinen Arbeitslosenquote mit der spezifischen von Menschen mit Behinderung gewesen. Diese lag in der Vergangenheit bei 20 % und mehr. Aber dazu finden wir eben nichts Genaues.

Ein weiteres Beispiel sind die Bereiche Schule und Jugendhilfe. Hier gibt es schlicht keine Erhebung des Merkmals Behinderung. Das kann man als gut im Sinne von „nicht diskriminierend“ werten. Aber es ist ebenso auch schlecht, denn ohne Daten und ohne Erkenntnisse kann es keine gezielte Förderung und Unterstützung geben. Und Inklusion kann nicht bedeuten, dass man darauf setzt, dass Selbstintegration und Autonomie sich quasi ohne Unterstützung überall von selbst ergeben. Das ist das Ziel, aber da sind wir noch längst nicht.

Was ist Behinderung? - Die Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich, dass es hier keine einfache Antwort gibt. Schon mit den Basisdaten lässt sich wenig anfangen: Behinderung ist nicht Behinderung. Es gibt Zahlen für anerkannte Schwerbehinderte. Das sind rund 465.000 Menschen in Schleswig-Holstein. Aber nicht jeder Behinderte lässt sich anerkennen. Es gibt Menschen, die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII erhalten. Das sind mehr als 22.000 Personen. Aber für viele Menschen mit Behinderung gibt es gar keine Eingliederungshilfe, andere erhalten mehrere Einzelleistungen nach dem SGB XII und werden vielleicht doppelt gezählt.

Behinderung kann körperlich bedingt sein, Mobilitätseinschränkungen, die primären Sinnesorgane, chronische Erkrankungen wie Diabetes und Herzer

(Angelika Birk)

krankungen und so weiter. Es geht aber vor allem auch um das große Feld der geistigen Fähigkeiten, der Seele und durch Psyche; Behinderungen, die manchmal durch Sucht oder durch Burnout-Syndrom entstanden sind. Behinderung ist nicht immer sichtbar und hat viele Ursachen.

Ebenso individuell ist das Leben mit Behinderung. Hierzu kann man natürlich in der allgemeinen Statistik wenig herausfinden. Das gestehen wir zu. Aber gerade wenn wir das Konzept der Inklusion verfolgen, wünsche ich mir an dieser Stelle zu diesen Fragen und den unterschiedlichen Zugangsweisen, die man als Antworten finden muss, mehr als wir bisher vorliegen haben. Dem Satz: „Ich bin nicht behindert, ich werde behindert!“, müssen wir etwas entgegensetzen. Das heißt - und da komme ich auf die Punkte, die auch der Kollege Klug angesprochen hat -, wir brauchen ein strategisches Konzept. Wir brauchen Leistungsvereinbarungen mit Zeitplänen mit den Kommunen, aber auch mit anderen, die wesentlich zur Barrierefreiheit beitragen. Nicht umsonst hat Kollege Klug hier auch gerade das Bildungsministerium genannt.

Die Aufgabe, die Politik von und für Menschen mit Behinderung zu leisten hat, ist so zu gestalten, dass Ausgrenzung verhindert wird. Da muss ich Ihnen sagen, dass der Perspektivenwechsel von 2001, der angesprochen wurde, noch längst nicht erreicht ist, in der Theorie, ja, das Inklusionskonzept liegt vor, aber in der Praxis geschieht das Gegenteil. Die gemeinsamen Servicestellen nach SGB IX sind ein Rohrkrepierer. Das muss man wirklich so sagen. Die Sozialbehörden in den Kommunen arbeiten seit Jahren immer restriktiver bei der Leistungsgewährung. Das kann die Bürgerbeauftragte in ihren Berichten mit Zahlen und Fakten bestätigen. Die Probleme der kommunalisierten Eingliederungshilfe sind nicht gelöst. Daran erinnern nicht nur immer die kommunalen Spitzenverbände, die sagen, persönliches Budget, Assistenz dazu und Beratung sähen sie gar nicht ein und machten sie einfach nicht, sondern daran erinnern natürlich vor allem die Behindertenverbände. Gerade jüngst haben mich wieder Nachrichten von verschiedenen Verbänden erreicht, die ganz konkret sagen, die Landesrahmenvereinbarung wird vor Ort überhaupt nicht gelebt. Es ist, als hätte diese Verhandlung überhaupt nicht stattgefunden. Es geht alles wieder von vorn los. Jeder muss von vorn wieder die Verhandlungsbarrieren überwinden, von denen man dachte, man hätte sie auf Landesebene aus dem Weg geräumt. Das persönliche Budget fand bisher wenig Resonanz.

Und die Vorgaben zur Barrierefreiheit bleiben ohne Sanktionsinstrumente auch in der neuen Landesbauordnung ein zahnloser Tiger. Und da spreche ich nicht die Kommunen, sondern uns an. Wir haben die Landesbauordnung in der Anhörung gehabt. Es gibt eine Reihe von Dingen, die sich aus der Perspektive von Menschen mit Behinderung eher verschlechtern als verbessern wenn die Landesbauordnung so verabschiedet wird, wie sie vorliegt. Hier sollten wir uns zu konkreten Verabredungen und Verbesserungen durchringen. Die Ansage der FDP mit einer Zeitvorgabe und mit gewissen Sanktionen finde ich hier angemessen. Das ist etwas, was wir in den nächsten Monaten tun können. Ebenso können wir uns die Wohnungsbaugesetzgebung zum sozialen Wohnungsbau vornehmen. Hier sind wir als Landtag gefordert. Beides steht jetzt auf der Agenda.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gesetze für Menschen mit Behinderung sind nur der theoretische Überbau. Jetzt kommt es darauf an, dass wir in der Alltagspraxis vorankommen. Da möchte ich auch ausdrücklich die Anregung aufgreifen, dass wir in den Kommunen - gerade wenn jetzt die neuen Kommunalparlamente da sind - dort, wo wir Einfluss nehmen können, darauf hinwirken, dass sich Menschen mit Behinderung auch angemessen beteiligen können, dass es Gremien gibt, auf die in den Gemeinderäten gehört werden muss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich danke der Frau Abgeordneten Birk und erteile für den SSW Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage setzt sich mit allen Lebensbereichen der Menschen in unserem Land auseinander, die von einer Behinderung betroffen sind: Es geht um die Situation von Menschen, die sich in genauso unterschiedlichen Lebensumständen befinden wie Menschen ohne Behinderung. Es ist das Verdienst der Landesregierung, diese Vielschichtigkeit angemessen abzubilden. Wer es vorher noch nicht wusste, weiß es spätestens jetzt: Es gibt nicht den Behinderten, sondern Menschen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Behinderungsformen und unterschiedlichen Schweregraden.

(Angelika Birk)

Die Probleme von älteren Menschen mit Behinderung sind nicht neu. Wir haben uns im Landtag schon mit fehlenden Wohnmöglichkeiten ehemaliger Beschäftigter der Werkstätten für Behinderte beschäftigt. Auf dem Land ist es schwierig, einem geistig behinderten Senior eine angemessene Wohnform anzubieten. In den großen Städten des Landes sieht es auch nicht viel besser aus. Wir müssen in den nächsten Jahren neue Strukturen schaffen. Jeder zehnte Beschäftigte ist heute 51 Jahre und älter, wird also mittelfristig in den Ruhestand wechseln. Für diese Personengruppe stehen keine ausreichenden Strukturen bereit. Ich rede hier nicht von Pflegeeinrichtungen, sondern von altersgerechten Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der Abgeordneten Ulrike Rodust [SPD])

Der Verweis auf die kommunalen Zuständigkeiten ist nach meinem Dafürhalten völlig unzureichend, denn die Kommunen allein werden es nicht schaffen, in ausreichendem Maße Angebote zu schaffen. Ich glaube, da wird auch die helfende Hand des Landes notwendig sein.

Die klare und deutliche Sprache der Antwort lässt ansonsten nichts zu wünschen übrig. Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken, dass nicht um den heißen Brei herumgeredet wird. Das gilt besonders für die Fragen, die Kinder betreffen. So referiert die Landesregierung die Einschätzung der Sozialpädiatrischen Zentren. Deren Fachleute berichten aus ihrer Arbeit, dass soziale Benachteiligung zu Behinderung führen kann. Sie beobachten Lernstörungen, emotionale Verwahrlosung und Entwicklungsverzögerungen im Zuge zunehmender Verarmung. Diesen Zusammenhang sollten wir umgehend weiter untersuchen

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und uns insbesondere um die zunehmende Verarmung unserer Gesellschaft kümmern, die eben auch Grund für Behinderung sein kann.

Im Zusammenhang mit diesem Komplex möchte ich die Eingliederungshilfe für Kinder ansprechen. Ich habe bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass die Förderung und Unterstützung von Familien mit behinderten Kindern immer noch in einigen Kreisen unseres Landes mehr als Gnadenakt denn als Anspruch gesehen wird.

(Beifall der Abgeordneten Jürgen Weber [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Woran es hapert, ist klar: einheitliche Verhaltensmaßstäbe, die für Eltern, Pädagogen und auch für die Kreise verlässliche Rahmen schaffen und transparente Zuständigkeiten brauchen. Die Lebenshilfe schlägt seit langem statt des Begriffswirrwarrs von Hilfeplanung, Casemanagement und Eingliederungsplanung vor, von „persönlicher Teilhabeplanung“ zu sprechen. Das wäre schon einmal der erste Schritt zu einem einheitlichen Vorgehen, wenn man erst einmal eine einheitliche Denke schafft.

Eltern betreten in aller Regel völliges Neuland, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass ihr Kind behindert ist. Zunächst wissen sie nicht, auf welche Maßnahmen und Unterstützungsleistungen sie einen Anspruch haben. Viele Eltern beißen sich mit einer bewundernswerten Hartnäckigkeit durch das unübersichtliche System, das sich nur auf dem Antragsweg erschließt. Der Landesbehindertenbeauftragte weist auf Lücken in der Information und auch der Versorgung in jedem seiner Berichte hin. So sind die Eltern oftmals auf andere Betroffene oder Selbsthilfegruppen angewiesen, die dann die entscheidenden Hinweise geben. Zu wenige Eltern kennen und nutzen die Möglichkeiten, sich Unterstützung bei den Verhandlungen mit den Behörden zu holen. Es gibt natürlich in der Arbeit mit Behinderten klare Standards, Diagnoseprofile und natürlich auch Handlungspläne; so wie in der Medizin auch. Jeder Medizinstudent weiß, was bei einer Grippe angeraten ist. Das gilt für die Behindertenarbeit in gleicher Weise; nur dass dann die Kostenstelle und der Kostenträger über die Maßnahmen entscheiden. Deren Entscheidungen fallen in Zeiten knapper Kassen nach einem bestimmten Muster aus. Dass durch falsche Sparziele eher Mehrkosten entstehen, könnte Ausgangspunkt endloser Diskussionen sein. Könnte, aber Zeit ist genau das, was Eltern behinderter Kinder nicht haben.

Der SSW drängt daher darauf, einheitliche und transparente Hilfeplanmaßstäbe für Kinder und Jugendliche in allen Kreisen und kreisfreien Städten einzuführen. Die Gesundheitsämter sollten stärker als bisher eingebunden werden. Ich bin davon überzeugt, dass damit Hemmschwellen reduziert werden, die im Umgang mit dem Jugendamt oftmals vorprogrammiert sind. Anderseits ist durch die Federführung des Gesundheitsamtes gewährleistet, dass finanzielle Interessen in den Hintergrund treten. Eigentlich sollte der Wohnort der Familien keine Rolle spielen, wenn es um die Hilfepläne geht.

(Lars Harms)

Tatsächlich höre ich aber immer wieder, dass Eltern sogar einen Umzug in einen anderen Landkreis erwägen, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Das ist eine schlimme Entwicklung, die wir nicht länger dulden sollten.

Die Integration von Kindern mit Behinderung in die Normalschulen ist ein weiteres erstrebenswertes Ziel, das wir meines Erachtens viel zu langsam umsetzen. Andere Länder sind da viel weiter. Aber auch bei uns beginnt sich etwas zu bewegen. Die Statistik zeigt, dass die Sonderschulen auf dem Rückzug sind, zumindest was die Schülerzahlen angeht. Einige Kreise haben gar keine Sonderschulen mehr neben der Sonderschule für Schüler mit geistiger Behinderung.

Der SSW begrüßt diese Entwicklung, denn in kaum einem anderen Land wird so rigoros sortiert wie in Deutschland. Dabei könnten viele Schüler mit Behinderung durch entsprechende Assistenz, bauliche Maßnahmen und entsprechend qualifizierte Pädagogen eine Normalschule besuchen. Der SSW fordert, entsprechende Bemühungen weiter zu verstärken.

Gestern wurde erstmals der Integrationspreis an schleswig-holsteinische Betriebe vergeben, die vorbildlich in der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung sind. In Tönning ist die Firma Nissen dafür ausgezeichnet worden, dass sie bereits seit vielen Jahren erfolgreich mit den Werkstätten in Husum und Flensburg zusammenarbeitet und Arbeit für 200 Menschen mit Behinderung geschaffen hat. Ich hoffe, dass sich möglichst viele Betriebe von diesem guten Vorbild anstecken lassen.

Die steigende Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter spricht allerdings eine andere Sprache. Offenbar sitzen immer noch viele Unternehmer dem Irrglauben auf, dass Schwerbehinderte viel kosten. Dabei erfüllen sie bei entsprechender Ausstattung ihres Arbeitsplatzes alle Anforderungen und sind genauso gute Mitarbeiter wie alle anderen Mitarbeiter auch. Voraussetzung für die Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt ist eine qualifizierte Ausbildung. Diesbezüglich müssen wir weiterhin am Ball bleiben und mit den Unternehmerverbänden und Gewerkschaften zusammenarbeiten.