Protokoll der Sitzung vom 28.05.2008

Die Träger von Freiwilligendiensten in SchleswigHolstein stehen jetzt vor der Aufgabe, die im Gesetz verankerten Ziele bei gleichzeitig weniger Geld umsetzen zu müssen. Die Zuwendungen des Landes zum FÖJ beispielsweise wurden in der Vergangenheit bereits rapide gekürzt. Angesichts der Tatsache, dass die Verpflichtungsermächtigung für den kommenden Doppelhaushalt eine weitere Absenkung vorsieht, bleibt abzuwarten, ob das derzeitige Angebot an FSJ- und FÖJ-Plätzen überhaupt aufrechterhalten werden kann. Ich befürchte, dass die Träger aufgrund der Mittelkürzungen ihr Angebot immer weiter werden reduzieren müssen.

Schon jetzt haben wir in Schleswig-Holstein die Situation, dass für einen FÖJ-Teilnehmer statt der vorgesehenen 495 € nur noch 408 € vorgesehen sind. Eine weitere Kürzung dieses Taschengeldes bei den Freiwilligen ist aber angesichts etwa der steigenden Energiekosten und damit der Fahrtkosten sowie Steuern und Abgaben nicht zumutbar,

wie wir meinen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass bürgerschaftliches Engagement künftig nur noch für solche Jugendlichen möglich sein wird, die von zu Hause aus Geld mitbringen können. Damit würde der Gedanke von FÖJ und FSJ konterkariert. Das kann, so meine ich, nicht Ziel der Neuregelung sein.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Gruppe des SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jugendfreiwilligendienste sind ein guter Weg für junge Menschen ab 16, ihre Beschäftigungsmöglichkeiten zu verbessern und gleichzeitig einen Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Schleswig-Holstein ist mit seinen Angeboten im Freiwilligen Ökologischen Jahr Vorreiter für einen aktiven Naturschutz durch Freiwillige geworden. Aus ganz Deutschland zieht es junge Erwachsene an unsere Küsten, wo ihnen einiges abverlangt wird und sie ordentlich zupacken müssen. Sie erarbeiten sich im wahrsten Sinne des Wortes die Natur und behalten lebenslang einen Respekt vor ihr, und das ist Ziel und Aufgabe eines solchen Dienstes.

In den letzten Jahren haben die Träger mit großen Anstrengungen die Zahl der Plätze konstant halten können, obwohl das Land Mittel gekürzt hat. Ich betrachte das als einen Erfolg dieses attraktiven Angebots. Die Ergänzung des Dienstes im kulturellen Bereich, also beispielsweise in den Museen des Landes, gehört für den SSW zur folgerichtigen Weiterentwicklung eines ganzheitlichen Konzeptes.

Für uns ist allerdings auch klar, was die Freiwilligendienste auf keinen Fall sind: Sie sind weder eine Überbrückung zwischen zwei Ausbildungsgängen, noch sollen sie reguläre Fachkräfte ersetzen. Seminare und begleitende fachliche Unterstützung im Jahr sollen ausschließlich der Bildungsfähigkeit dienen und den jungen Freiwilligen die Möglichkeit zur Bewährung geben.

Der SSW begrüßt daher ausdrücklich, dass die Zielsetzung der Freiwilligendienste eindeutig und klar gesetzlich geregelt werden soll. Der qualifizierenden Seite der Freiwilligendienste kommt angesichts kürzerer Schul- und Studienzeiten eine immer größere Bedeutung zu; schließlich möchte sich

(Dr. Ekkehard Klug)

kein angehender Bewerber nachsagen lassen, er habe ein ganzes Jahr verbummelt. In Baden-Württemberg ist man sogar noch einen Schritt weitergegangen: Dort gibt es mit dem „FSJ plus“ für Hauptschüler die Möglichkeit, neben der freiwilligen Tätigkeit im Laufe von zwei Jahren auch den Realschulabschluss nachzuholen. Ich denke, dass wir in diese Richtung auch in Schleswig-Holstein Angebote entwickeln könnten.

Der SSW fordert deutlich bessere Verdienstmöglichkeiten für die Freiwilligen. Viele Träger bieten neben kostenloser Verpflegung und Unterkunft lediglich ein Taschengeld zwischen 100 bis 200 € an. Sie können derzeit auch nicht mehr zahlen. Das ist zu wenig. Diejenigen, die solche Bedingungen akzeptieren, müssen sich auf ergänzende Unterstützung aus der Familie verlassen, um sich Anschaffungen des täglichen Bedarfs leisten zu können. Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus sozial schwächeren Familien bleibt angesichts dieses nicht existenzsichernden Taschengeldes die Teilnahme an Freiwilligendiensten versperrt. Sie können sich einen Freiwilligendienst einfach nicht leisten.

In Hamburg fand sich 2007 nur ein Hauptschüler im Programm für das Freiwillige Ökologische Jahr. Ich kenne keine Zahlen aus Schleswig-Holstein, befürchte aber, dass es bei uns nicht anders aussieht, dass die Freiwilligendienste also ein Programm für junge Erwachsene aus der Mittelschicht sind. Das ist mehr als ärgerlich; das ist ein Webfehler im System. Die Schieflage sollten wir angehen und das FSJ und FÖJ gerade auch für Jugendliche aus sozial schwächeren Familien öffnen und auch die Durchlässigkeit für Jugendliche erhöhen, die einen Hauptschul- oder Realschulabschluss haben.

Das sollte unser Ziel sein. Insofern schließe ich mich den anderen Rednern insbesondere hinsichtlich des Punktes Umsatzsteuer an. Es ist wichtig, dass wir dieses Problem auf gesetzlicher Ebene lösen und wenn dafür komplizierte Verfahren notwendig sind, dann müssen wir diese in Kauf nehmen. Ich glaube, jeder bürokratische Aufwand lohnt sich für dieses Ziel.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, sodass ich die Beratung schließe.

Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/2049, federführend an den

Sozialausschuss und mitberatend an den Umweltausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann haben wir einstimmig so beschlossen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 24 auf:

Flexible Eingangsphase der Grundschule

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/2075

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Somit eröffne ich die Aussprache und erteile für die FDP-Fraktion dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Grundschulen sollen in unserem Land selber darüber entscheiden, ob sie in den Klassen 1 und 2 jahrgangsübergreifenden Unterricht erteilen wollen. Dies will die FDP-Fraktion durch ihren Antrag erreichen. Nicht mehr und nicht weniger. Hier geht es um die pädagogische Eigenverantwortung der Schulen

(Beifall bei der FDP)

oder darum, ob die Landesregierung par ordre de Mufti vorschreibt, wie Grundschulen arbeiten sollen.

Was wir für die schleswig-holsteinischen Grundschulen fordern, das hat auch der Berliner SPD-Bildungssenator Jürgen Zöllner im Februar den Berliner Grundschulen zugestanden. Die „Welt“ berichtete am 11. Februar:

„Die Entscheidung über die Einführung des jahrgangsgemischten Unterrichts soll künftig bei den Schulen liegen. Das hat jetzt Bildungssenator Zöllner entschieden.“

Vorausgegangen war eine monatelange Auseinandersetzung in der Berliner Öffentlichkeit und natürlich auch an den Schulen.

Als wir im September letzten Jahres im Bildungsausschuss über den von der FDP beantragten Bericht zur Eingangsphase der Grundschule diskutiert haben, stellte ich der Ministerin genau diese Frage, ob denn die Schulen das selbst entscheiden könnten. Das Ausschussprotokoll vom 20. September gibt die Antwort von Frau Erdsiek-Rave wie folgt in indirekter Rede wider:

(Lars Harms)

„… die Bildung von jahrgangsübergreifenden Lerngruppen hänge von der Organisationsform der Schule und den Verhältnissen vor Ort ab.“

Das konnte man eigentlich nicht anders verstehen als im Sinne einer Entscheidungsfreiheit der Schulen vor Ort. Deshalb war ich umso erstaunter, als ich kürzlich bei einem Schulbesuch vor Ort hörte, der jahrgangsübergreifende Unterricht werde in den kommenden Jahren nach Auskunft der zuständigen Schulräte verpflichtend eingeführt. Der Schulleiter - übrigens ein engagiertes Mitglied der Grünen - fand diese Anweisung von oben im Übrigen gar nicht gut.

Meine erste Vermutung war: Da haben vielleicht Vertreter der unteren Schulaufsicht vor Ort eine hundertünfzigprozentige Linie vertreten. Deshalb stellte ich zu diesem Themenkomplex eine Kleine Anfrage. Die Antwort hat mich echt überrascht. Die Landesregierung antwortete:

„Die Grundschulen sind … verpflichtet, in der Eingangsphase jahrgangsübergreifende Lerngruppen zu bilden.“

Die Reaktionen auf meine Pressemitteilung kann man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Frau Susanne Herold, die schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, forderte vom Ministerium eine Klarstellung. Frau Herold meinte, die Antwort sei wohl nur dadurch zu erklären, dass - Zitat - „es sich bei der vom Kollegen Klug beanstandeten Formulierung nur um ein Missverständnis bei den Sachbearbeitern im Ministerium für Bildung und Frauen handeln kann“.

Das Ministerium aber antwortete wie gehabt: Die Vorgabe habe „verpflichtenden Charakter“ und werde bis 2011/12 landesweit umgesetzt. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Ministerin noch vor wenigen Monaten auf meine entsprechende Frage im Ausschuss die Antwort geben konnte - ich zitiere sie nochmals, weil sie so schön ist -, „die Bildung von jahrgangsübergreifenden Lerngruppen hänge von der Organisationsform der Schule und den Verhältnissen vor Ort ab“.

Da muss man schon sagen: Was hat man eigentlich von einer Landesregierung zu halten, deren Antworten an Abgeordnete so glitschig sind wie ein Aal? - Da kann ich schon verstehen, dass sich auch der Koalitionspartner von der Ministerin an der Nase herumgeführt sieht.

Gänzlich missverstanden hat nach meinem Eindruck die Kollegin Angelika Birk von den Grünen

diesen Sachverhalt. Frau Birk wandte sich gegen die Position der FDP, weil angeblich nur in altersgemischten Lerngruppen in den ersten Grundschulen ein Sitzenbleiben vermieden werden könne. Das ist natürlich Unfug. Bekanntlich bedeutet die flexible Eingangsphase, dass Schüler diese normalerweise zwei Schuljahre umfassende Zeit eventuell auch in einem oder aber in drei Jahren durchlaufen können; so steht es in § 4 Absatz 3 und 4 der Grundschulverordnung. Für Schüler, die drei Jahre in der Eingangsphase verbringen, bedeutet dies logischerweise, dass sie auch bei altersgemischtem Unterricht der Jahrgangsstufen 1 und 2 wenigstens einmal faktisch eine solche altersgemischte Lerngruppe wiederholen müssten. Formal wird das allerdings nicht als Sitzenbleiben gewertet. Insofern ist das, was Sie zu unserer Pressemitteilung gesagt haben, Frau Birk, schlicht und ergreifend Unfug. Es tut mir leid, dass ich es Ihnen so sagen muss.

Meine Damen und Herren, ich denke, das ist eine Frage, hinsichtlich derer wir den Schulen mehr Eigenverantwortung und mehr pädagogische Spielräume einräumen könnten. Ich finde es wichtig, dass wir uns mit diesem Thema im Landtag und auch im Bildungsausschuss auseinandersetzen und uns darum bemühen, den Schulen in diesem Bereich Gestaltungsmöglichkeiten zu geben, die über das hinausgehen, was das Schulministerium ihnen einzuräumen gewillt ist.

(Beifall bei der FDP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Susanne Herold das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Klug, wenn ich alles in einen Antrag einfließen lassen würde, was ich irgendwann mal in der Schule höre, dann hätten wir viel zu tun.

Meine Damen und Herren, die Förderung der einzelnen Schülerin und des einzelnen Schülers ist durchgängiges Unterrichtsprinzip in allen Schulen und macht eines der Grundprinzipien des neuen Schulgesetzes aus. In Kindergärten, Grundschulen und in weiterführenden Schulen wird dieses Konzept umgesetzt. Ziel muss es dabei sein, möglichst viele Schülerinnen und Schüler zu einem für ihre Leistungsstärke passenden Abschluss zu führen. Uns geht es um das Ausschöpfen der Lernmöglichkeit eines jeden Kindes, und dafür ist die flexible Eingangsphase in der Grundschule eine gute

(Dr. Ekkehard Klug)

Möglichkeit. Dies belegen auch die gestern veröffentlichten Ergebnisse des „Politik-Check Schule“, die das Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, im Auftrag der Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ vorgelegt hat.

Die Eingangsphase wird für die meisten Kinder zwei Jahre dauern. Wenn besondere Begabungen vorliegen, deren Förderung der CDU ebenfalls ein wichtiges Anliegen ist, ist es möglich, nur ein Jahr in der Eingangsphase zu verweilen. Bestehen besondere Nachhol- und Förderbedarfe, ist eine Verweildauer von drei Jahren vorgesehen. Mit der flexiblen Eingangsphase kann die Grundschule stärker berücksichtigen, dass sich Kinder in unterschiedlichem Tempo entwickeln und unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbringen. Dabei entscheidet die Schulkonferenz über die jeweilige Ausgestaltung der Eingangsphase.

An dieser Stelle kommen wir zu Ihrer Forderung, Herr Klug, den Grundschulen möglichst große Gestaltungsspielräume einzuräumen. Ich denke, dass wir uns darüber einig sind, dass Grundschulen auch im Hinblick auf weitere anstehende pädagogische und strukturelle Neuerungen größtmögliche Freiräume zur Ausgestaltung des Schulalltags gewährt werden müssen. Aus Sicht der CDU muss dabei den Gegebenheiten vor Ort, den unterschiedlichen pädagogischen Konzepten und auch den vorhandenen Ressourcen an den Schulen Rechnung getragen werden.

Was den jahrgangsübergeifenden Unterricht betrifft, so wird dieser ja bereits in vielen Grundschulen des Landes praktiziert. Jahrgangsübergreifender Unterricht kommt dem Ansatz des individuellen Förderns der Schüler in besonderer Weise nach und soll deshalb nach entsprechender Fortbildung der Lehrkräfte auch im Schulalltag der Grundschulen Berücksichtigung finden. Über das Ausmaß und den Zeitraum entscheiden die Schulen. So ist es im Schulgesetz nachzulesen, und so wird es auch praktiziert.

Für den jahrgangsübergreifenden Unterricht sollen, wie aus der Pressemitteilung des Bildungsministeriums vom 15. Mai zu entnehmen war, schulindividuelle Lösungen gefunden werden, die die spezifische pädagogische Tradition vor Ort berücksichtigen. Jahrgangsübergreifender Unterricht wird demnach in den Jahrgängen stattfinden, in denen er umsetzbar ist. Unseres Erachtens darf sich der Prozess keinesfalls so gestalten, wie es die Schule Owschlag entschieden hat, nämlich verpflichtend ohne entsprechende Vorbereitungs- und Fortbildungszeit jahrgangsübergreifenden Unterricht zu verordnen.

Damit werden Lehrer und betroffene Eltern überfordert, und der positive Ansatz des jahrgangsübergeifenden Unterrichts wird ins Gegenteil verkehrt.