Protokoll der Sitzung vom 16.07.2008

(Beifall bei SPD und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD und CDU, Drucksache 16/2180, abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen worden.

Ich lasse jetzt über den Gesetzentwurf der Landesregierung in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung einschließlich des soeben angenommenen Änderungsantrags Drucksache 16/2180 abstimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen.

Meine Damen und Herren, wir treten in die zweistündige Mittagspause ein. Wir setzen dann die Be

ratungen mit Tagesordnungspunkt 13 fort. Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung: 12:52 bis 15:01 Uhr)

Ich eröffne die Sitzung wieder. Auf der Besuchertribüne begrüße ich sehr herzlich Kursteilnehmer der Wirtschaftsakademie Kiel und die AG 60 plus aus Bad Schwartau. - Seien Sie alle uns sehr herzlich willkommen!

(Beifall)

Bevor ich Tagesordnungspunkt 13 aufrufe, weise ich geschäftsleitend darauf hin, dass wir Tagesordnungspunkt 7, den wir vor der Mittagspause nicht mehr beraten haben, im Anschluss an Tagesordnungspunkt 13 aufrufen werden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Sicherung des schleswig-holsteinischen Tariftreuegesetzes

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/2140

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile für den Antragsteller, den SSW im Landtag, Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass im April ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Tariftreue gefällt wurde, hat zu manchen Missverständnissen geführt. Manch einer sah das Urteil als Einstieg in den Ausstieg aus der Tariftreue an. Was steckt nun aber wirklich hinter dem Urteil?

Erst einmal können wir politisch schlussfolgern, dass das, was wir alle gemeinsam noch vor Kurzem abgelehnt haben, nämlich das Herkunftslandprinzip aus dem ursprünglichen Entwurf der EU-Dienstleistungsrichtlinie, hier durch die Hintertür wieder eingeführt wird. Aber weil wir dies seinerzeit als fatal für unsere Wirtschaft und unsere Beschäftigten abgelehnt haben, müssen wir natürlich entsprechend auf die neue Rechtsprechung des EuGH reagieren.

Ein erster Schritt mit einer mittelfristigen Zielsetzung wäre, dass wir als Land Schleswig-Holstein auf Bundesebene eine Initiative einbringen, um die

(Minister Lothar Hay)

europäische Gesetzgebung zu ändern, damit unzweideutig klar ist, dass die Tariftreue uneingeschränkt gelten muss. Das ist natürlich ein Ziel, das nicht von heute auf morgen umzusetzen ist. Aber es darf nicht sein, dass politisch gewollte Strukturen durch einen einzigen Richterspruch ins Gegenteil verkehrt werden können. Dann ist es Aufgabe der Politik, ein deutliches Signal zu setzen und darauf hinzuwirken, dass die rechtlichen Grundlagen geändert werden.

Viel wichtiger ist aber, dass wir uns sehr genau ansehen, was heute immer noch möglich ist. In Hamburg hat man sehr klar festgelegt, dass das dortige Vergabegesetz weiterhin anzuwenden ist. Das Gleiche müssen wir natürlich auch bei uns tun. Der EuGH verlangt, dass nur noch Löhne eingefordert werden können, die auf einer gesetzlichen Grundlage zustande gekommen sind. In erster Linie sind dies die Löhne, die im Arbeitnehmerentsendegesetz verankert sind. Diese Mindestlöhne für die entsprechenden Branchen können auf jeden Fall eingefordert werden. In Bezug auf unser Tariftreuegesetz wären dies zum Beispiel die Löhne aus dem Bauhauptgewerbe, dem Malerhandwerk, dem Abbruchgewerbe oder auch dem Dachdeckerhandwerk. So macht es auch Hamburg.

Hierdurch wird aber nur der Mindestlohn abgesichert und nicht der vor Ort gültige Tariflohn. Im Urteil des EuGH wird aber deutlich gesagt, dass Löhne, die als allgemeinverbindlich vereinbart sind, auch gelten können, weil sie eine gesetzliche Grundlage haben. Damit sind aber nicht nur Löhne nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz gemeint. Man kann auch andere Löhne aufnehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen können die allgemeinverbindlichen Löhne auch auf Landesebene vereinbart werden. Der Bundesarbeitsminister kann diese Kompetenz auf seinen Landeskollegen übertragen und diese können das formale Verfahren in Gang setzen, auch bei uns im Land. Wir sind der Auffassung, dass genau das geschehen sollte, damit den Unternehmen und Beschäftigten in unserem Land geholfen werden kann.

Damit würden wir niemandem etwas vorschreiben, weil sich die Tarifpartner ja immer noch einigen müssten, ob sie einen allgemeinverbindlichen Lohn haben wollen. Außerdem wären weitere Kriterien zu erfüllen, wie zum Beispiel, dass mindestens 50 % der Beschäftigten eines Gebietes vom Tariflohn umfasst sein müssten.

Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass sich gerade die Arbeitgebervertreter des Baugewerbes und der Bauindustrie in Schleswig-Holstein für das Ta

riftreuegesetz eingesetzt haben und auch andere Arbeitgebervertreter aus anderen Branchen hinter dem Gesetz stehen, sollte dies keine unüberwindbare Hürde darstellen. Auch die Gewerkschaften sehen diese Vorgehensweise positiv, sodass wir mit einer sachbezogenen Diskussion unter Federführung unseres Arbeitsministers rechnen können. Diese Chance sollten wir im Interesse der Unternehmen und der Beschäftigten nutzen.

Wir können uns in jedem Fall nicht leisten, das Ganze auf die lange Bank zu schieben und das Problem auszusitzen. Eine Handlungsanweisung, wie sie die Landesregierung nun herausgebracht hat, reicht nicht aus, weil sie nicht auf die Rechtslage einwirkt. Sie ist nur eine Reaktion auf ein Urteil, keine Aktion zur Verbesserung der Situation. Wenn die Landesregierung weiter die Hände in den Schoß legt, werden wir in Schleswig-Holstein Arbeitsplätze verlieren und Unternehmen bei Ausschreibungen in Schwierigkeiten bringen. Das kann nicht Ziel der Landesregierung sein, zumal die SPD im Kommunalwahlkampf seinerzeit sehr deutlich gesagt hat, dass sie für Tariftreue ist. Diesen Worten müssen nun aber auch Taten folgen. Aber auch die CDU spricht sich immer wieder für unsere regionalen Unternehmen aus. Dann kann man diese jetzt nicht hängen lassen, nur weil ein Gericht ein Urteil gesprochen hat.

(Beifall beim SSW)

Wir als SSW wollen, dass unsere Unternehmen weiterhin die Chance haben, an einem fairen Wettbewerb ohne Lohndumping teilzuhaben, und dass die dort Beschäftigten und ihre Familien Zukunftsperspektiven haben. Dies geht bei öffentlichen Aufträgen aber nur, wenn die Politik handelt und weiterhin für vernünftige Rahmenbedingungen sorgt. Wir zeigen mit unserem Antrag auf, dass man dieses Ziel gemeinsam mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern erreichen kann und welchen Weg man hierfür gehen muss. Es liegt jetzt an der Mehrheit hier im Haus, den Betroffenen diese Chance auch zu geben. Nicht mehr und nicht weniger wollen wir.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Bernd Schröder [SPD])

Ich danke Herrn Abgeordneten Lars Harms. - Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Johannes Callsen.

(Lars Harms)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im April dieses Jahres hat sich der Landtag ausführlich mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Niedersächsischen Vergabegesetz befasst. Damals bereits zeichnete sich ab, dass das Urteil auch Auswirkungen auf unser schleswig-holsteinisches Tariftreuegesetz hat, zu dessen Zielen wir uns im Übrigen eindeutig bekannt haben. Aus Sicht der CDU-Fraktion ist unser Tariftreuegesetz in Schleswig-Holstein nach dem Urteil des EuGH nicht mit EU-Recht vereinbar. Man kann dies bedauern, aber es ist die juristische Realität. Wer den Menschen einen anderen Eindruck vermittelt, könnte auch sagen, die Erde sei eine Scheibe. Ist sie aber nicht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich finde, die Menschen haben von der Politik einen Anspruch auf Ehrlichkeit.

Als wichtige Konsequenz aus dem EuGH-Urteil hat die Landesregierung den Kommunen und Landesbehörden eine Handlungsempfehlung gegeben, wie mit dem Tariftreuegesetz jetzt zu verfahren ist. Darin wird empfohlen, die Tariftreueerklärung bei öffentlichen Ausschreibungen nicht mehr zu verlangen. Ich begrüße diesen Erlass ausdrücklich, weil er Rechtsklarheit bringt, weil er Schadensersatzforderungen bei fehlerhaften Ausschreibungen oder die gänzliche Aufhebung von Ausschreibungen, wie bei der Vergabekammer in Lüneburg geschehen, vermeidet. Wir stehen mit dieser Handlungsempfehlung im Übrigen nicht allein. Selbst das rot-grün regierte Bremen und andere Bundesländer haben Tariftreueerklärungen aufgehoben.

(Zurufe von der CDU: Hört, hört!)

In einem zweiten Schritt müssen wir jetzt überlegen, wie mit dem Tariftreuegesetz in Gänze verfahren werden soll. Der Europaausschuss hat sich Anfang Juni von Staatssekretär Schmidt-Elsaeßer über die Konsequenzen, die sich aus dem Urteil ergeben, informieren lassen. Dabei wurde deutlich, dass es sich um einen äußerst komplexen Rechtsvorgang handelt, der sauber abgearbeitet werden muss. Ihr Antrag, lieber Kollege Harms, trägt dazu leider nicht bei.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn man den Antrag des SSW genau liest, wird deutlich, dass auch der SSW die Nichtigkeit unseres Tariftreuegesetzes erkannt hat.

Meine Damen und Herren, wer sich zu Europa bekennt, wer die Vorteile des gemeinsamen Marktes

nutzen möchte, muss auch die europäischen Regelungen und den europäischen Rechtsrahmen akzeptieren. Dazu zählen die europäischen Verträge, die Verordnungen, Mitteilungen und Richtlinien der Kommission sowie die Rechtsprechung.

Europa ist kein Bauchladen, aus dem man sich die Rosinen herauspicken kann. Gerade die deutsche Wirtschaft - auch unsere in Schleswig-Holstein profitiert erheblich von dem einheitlichen europäischen Rechtsrahmen. Da wir die Grundfreiheiten wie die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit für unsere Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten einfordern - und wir sind froh, dass zum Beispiel der dänische Markt für unsere Handwerker offener geworden ist -, muss dieses Recht auch in Deutschland für ausländische Unternehmen gelten.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir wollen in Europa keinen Wettlauf um die niedrigsten Sozialstandards. Statt mit staatlichen Eingriffen ist unseren Unternehmen und den dortigen Arbeitsplätzen mehr geholfen, wenn wir ihre Wettbewerbssituation verbessern, etwa durch die weitere Senkung der Lohnnebenkosten oder eine vernünftige Entlastung von der Erbschaftsteuer bei Betriebsübernahmen.

(Beifall bei der CDU)

Es hilft uns auch nicht, in Aktionismus zu verfallen, wie es der SSW mit diesem Antrag tut. Eine Änderung des europäischen Rechtsrahmens zu fordern, ist gut und schön. Allerdings fehlt mir der Glaube daran, dass dies geschehen wird - und wenn, dann auf keinen Fall kurzfristig. Selbst der tschechische EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla glaubt nicht so war es im „Handelsblatt“ am 21. Mai zu lesen -, dass sich eine Veränderung des europäischen Rechtsrahmens durchsetzen lässt. Dies würde an den osteuropäischen Mitgliedsländern scheitern. Wir sollten also die Kirche im Dorf lassen und den Menschen nicht mit aussichtslosen Forderungen Sand in die Augen streuen.

Der erste Punkt des SSW-Antrages deckt sich im Übrigen mit einem Antrag der Bundesländer Rheinland-Pfalz, Bremen und Berlin, der im Bundesrat gerade am 4. Juli mit deutlicher Mehrheit abgelehnt wurde. Es macht also wenig Sinn, jetzt einen neuen Anlauf zu starten.

Hinsichtlich des zweiten Punktes des Antrages sehe ich die Landesregierung nicht als ersten Adressaten. Es ist nach unserem Verständnis die originäre Aufgabe der Tarifparteien, Tarifverträge auszuhandeln und Allgemeinverbindlichkeitserklärungen

durchzusetzen, wie es im Übrigen im Baubereich gelungen ist.

(Beifall bei CDU und FDP)

Meine Damen und Herren, schauen wir uns andere Bundesländer an: So hat beispielsweise die rheinland-pfälzische Landesregierung ihren Entwurf für ein Tariftreuegesetz nach der ersten Beratungsrunde zurückgezogen, da die sozialdemokratische Landesregierung davon ausgeht, kein europarechtskonformes Gesetz vorlegen zu können.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Wie heißt der Minis- terpräsident?)

Ebenso interessant dürfte es zu erfahren sein, welche Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen nach der Aufhebung des Tariftreuegesetzes im November 2006 gemacht wurden.