Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

Der Bericht ist dünn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es darum geht, die Frage zu beantworten, wie sich die Entwicklung des Realeinkommens auf bestimmte Einkommensgruppen auswirkt. Oder um es plakativer zu sagen: Das Kapitel zu den armutsgefährdeten Gruppen ist ein Armutszeugnis.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dabei wird auch in diesem Bericht bei genauerem Hinsehen deutlich, was Studien bundesweit seit Längerem sagen: Die Gesellschaft driftet weiter auseinander.

Die Grünen nennen in ihrem Antrag selbst die DIW-Studie zur „schrumpfenden Mittelschicht“ als Ausgangspunkt. Bei dieser geht es nicht zuletzt darum, dass die Gruppe der Durchschnittsverdiener schrumpft und dass die soziale Mobilität nach oben für die unteren Einkommensschichten gesunken ist. Davon zeugen auch die Tatsachen in diesem Bericht, dass sich der Anteil der geringfügig Beschäftigten im Land seit 2004 um die 22 % eingependelt hat und dass der Anteil der Teilzeitbeschäftigten kontinuierlich steigt und knapp unterhalb der 20-%-Marke liegt. Hinzu kommen die 5,3 %, die Arbeitslosengeld I und II beziehen. Viele Menschen mit niedrigstem Einkommen sind dauerhaft in diesen Verhältnissen gefangen.

Dies ist eine unhaltbare Entwicklung, der wir nicht nur durch das Drehen der einen oder anderen steuerrechtlichen Stellschraube - wie dem Kinderfreibetrag - und schon gar nicht durch Programme wie der „Offensive gegen Kinderarmut“ Herr werden können. Diese sind zwar zweifellos gut und richtig, aber sie lindern nur die Symptome. Hier geht es zuerst um handfeste arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Hier geht es um Mindestlöhne, um Tariftreue und um eine ganz andere Bildungs- und Qualifizierungspolitik.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und trotzdem kommen wir nicht umhin, dass die Finanzpolitik durch das Steuerrecht auch dazu beiträgt, dass die Gesellschaft weiter auseinanderdriftet. Ohne Zweifel muss endlich daran gearbeitet werden, die kalte Progression wieder „aufzuwärmen“. Gerade in einer Zeit, in der wir über die Ankurbelung der Konjunktur reden, können wir nicht hinnehmen, dass der Bund durch die kalte Progression zwischen 2006 und 2012 die Kaufkraft der breiten Bevölkerungsschichten stillschweigend um ganze 63 Milliarden € schwächt. Wir brauchen eine Streckung der Progressionszone durch eine Er

(Wolfgang Kubicki)

höhung des Spitzensteuersatzes und eine weniger aggressive Progression bei den unteren Einkommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine solche Entlastung der unteren und mittleren Einkommen könnte durchaus von den Topverdienern mitfinanziert werden. Denn wir sind noch weit von einer Gesellschaft entfernt, in der die breitesten Schultern auch die größten Lasten tragen. Deutschland hat nach wie vor im internationalen Vergleich eine extrem niedrige Besteuerung für Vermögensbestände, auch nach sieben Jahren rot-grüner Bundesregierung, wenn man noch den Tenor von Günter Neugebauer, Monika Heinold und Claus Möller aus der Debatte zum Vorgängerbericht von 1998 in den Ohren hat.

(Zurufe)

Die Besteuerung von Vermögen ist immer noch nicht der Rede wert. Auch die Besteuerung von Höchsteinkommen über 250.000 €, die sogenannte Reichensteuer, greift kaum und wird nach wie vor durch zahlreiche Abschreibungsmöglichkeiten unterlaufen.

Aber auch jenseits der Millionärshaushalte wurden starke Schultern durch eine stetig sinkende Obergrenze der Progressionszone bei der Einkommensteuer und einen sinkenden Höchststeuersatz entlastet. Es spricht nichts dagegen, Menschen unterschiedlich zu behandeln, je nachdem ob sie 52.000, 100.000 oder 200.000 € pro Jahr verdienen. Dies geschieht heute aber nicht.

Die Probleme sind groß, und der Leidensdruck in der Bevölkerung wächst. Leider macht der vorliegende Bericht aber in seiner Wortkargheit deutlich, dass wir von dieser Landesregierung ebenso wenig wie von der Großen Koalition im Bund weitere Schritte zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Mobilität in diesem Land erwarten können. Da gilt im wahrsten Sinne des Wortes: Armes Deutschland!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Deshalb brauchen wir die Linken!)

Das Wort nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Abgeordneter Dr. Stegner.

(Zuruf von der FDP: Obama!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte heute Morgen schon Gelegenheit, auf die wirklich umwerfende ökonomische Kompetenz des Herrn Oppositionsführers hinzuweisen. Dass Sie das aber noch einmal toppen, indem Sie sich hier hinstellen und die Regierung angreifen, weil die Löhne nicht die Höhe hätten, die die Arbeitnehmer verdienen, macht Sie nicht zum Arbeitnehmervertreter. Das zeigt nur, dass Sie nicht wissen, dass wir in Deutschland Tarifautonomie haben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine bemerkenswerte Unkenntnis der Verhältnisse.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Oppositionsführer, in den Bereichen, in denen wir leider zu geringe Löhne und keine Mindestlöhne haben und dies durch den Staat ändern wollen, sind Sie dagegen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Anbetracht der Tatsache, dass wir so viel Sozialtransfer brauchen, wo wir uns eher Mindestlöhne wünschen, damit die Menschen von ihrer Arbeit leben können, finden Sie das Eingreifen des Staates mit Kombilöhnen richtig und wollen sogar mehr davon, sodass noch mehr Unternehmen ihren Leuten nicht ordentliche Löhne bezahlen und die Staatsknete sozusagen den Rest besorgt. Das ist Ihre ökonomische Kompetenz, und das finde ich schon ziemlich dürftig.

Eine zweite Anmerkung: Es erschreckt mich doch ein bisschen - und da kann man froh sein, dass nicht so furchtbar viele Leute diese Debatte hören können -, dass hier der Eindruck erweckt wird, wenn wir über so ein Thema reden, als ob das kein Einnahmenproblem sei und die Menschen mit ihrem Geld nicht umgehen könnten. Diese Bemerkung, die ich da vorhin von der rechten Seite dieses Hauses gehört habe, müssen die Menschen als Hohn empfinden,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

die in der Tat merken, dass die Arbeitnehmerentgelte seit 2003 um 2,9 % gestiegen sind - real sind sie gesunken. Die Einkommen aus Unternehmer

(Anke Spoorendonk)

tätigkeit und Vermögen sind aber um 40 % gestiegen.

Insofern ist die Konsequenz nicht die, wie die FDP bundesweit fordert, die Steuern zu senken, sondern einen handlungsfähigen Staat zu haben, der durch Bildungsinvestitionen und anderes dafür sorgt, dass sich dies ändert. Das wollen wir gern haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort für einen weiteren Beitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erhält Herr Abgeordneter Kubicki.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Frau Präsidentin, es lohnt sich nicht, ich ziehe zurück! - Günter Neugebauer [SPD]: Der traut sich nicht! - Zurufe des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Danke. - Damit liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/2278, dem Finanzausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Beamtenrechts in SchleswigHolstein Beamtenrechtsneuregelungsgesetz (LBNeuG)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/2306

Die Fraktionen haben vereinbart, den Gesetzentwurf ohne Aussprache an den Ausschuss zu überweisen. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 11 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Pflegegesetzbuches Schleswig-Holstein - Zweites Buch - (PGB II) - Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/2290

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Grundsatzberatung und erteile der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren, Frau Dr. Gitta Trauernicht, das Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, für die Landesregierung den Entwurf des Pflegegesetzbuches Schleswig-Holstein - Zweites Buch - vorstellen zu können. Gesetze haben gelegentlich ja etwas sperrige Namen. Der vorliegende Entwurf sagt schon mit dem Titel programmatisch, worum es geht: Wir bringen heute das Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedürftigkeit oder Behinderung ein. Dieses Landesgesetz wird das Heimgesetz des Bundes für Schleswig-Holstein ablösen, nachdem die bisherige Bundeszuständigkeit auf die Länder übergegangen ist.

Mit diesem Gesetz geht es aber nicht nur um die Umsetzung einer geänderten Kompetenzzuweisung, es geht um nicht weniger als eine nachhaltige rechtliche und im Ergebnis - wie wir hoffen - auch tatsächliche Besserstellung von Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung.

Der vorliegende Gesetzentwurf hat seinen Ausgangspunkt in der Vorgabe von Artikel 5 a unserer Landesverfassung. Artikel 5 a fordert vom Land aktives Handeln zum Schutz der Rechte und Interessen von pflegebedürftigen Menschen und eine menschenwürdige Versorgung. Dieses Gebot bezieht sich gleichermaßen auch auf Menschen mit Behinderung, für die das künftige Gesetz auch gelten wird.

Ausgangspunkt der Neuregelung ist, dass wir noch weiter wegwollen von einem, wie in der Vergangenheit leider gezeigt, oft genug bevormundende Züge annehmenden Fürsorglichkeitskonzept. Drehund Angelpunkt sind daher die Stärkung von Selbstbestimmung bei gleichzeitigem Schutz von pflegebedürftigen und behinderten Menschen. Uns war es dabei wichtig, die Balance zwischen mehr Selbstbestimmung und notwendigem Schutz für die verschiedenen Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen neu und den heutigen Vorstellungen von Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung entsprechend auszutarieren. Die Neuregelung berücksichtigt insbesondere auch neue Wohnformen von äl

(Dr. Ralf Stegner)

teren Menschen und dazu passende Pflege- und Betreuungskonzepte. Beides wird zunehmend nachgefragt von den Menschen. Diesen Trend begrüßen wir nicht nur, sondern die Landesregierung fordert ihn nachdrücklich.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Neben die herkömmlichen stationären Einrichtungen treten somit individuelle, auf Eigenständigkeit ausgerichtete Wohn- und Betreuungsformen mit begleitender Assistenz, wobei der Grad der Betreuung individuell wählbar sein soll, denn - noch einmal -: Die Stärkung der Selbstbestimmung ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Vorhabens.