Protokoll der Sitzung vom 12.11.2008

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie kann es sein, dass Sie dem Finanzausschuss noch gemeinsam mit dem Vorstand Friede, Freude,

Eierkuchen vorgespielt haben und nahezu zeitgleich externe Gutachter zur Überprüfung der Bilanzen der HSH Nordbank eingeschaltet wurden?

(Zuruf von Minister Rainer Wiegard)

- Herr Finanzminister, Sie sagen: Keine falschen Behauptungen! Ich hätte mir heute gewünscht und von Ihnen erwartet, dass Sie uns genau schildern, was da eigentlich zwischen der Finanzausschusssitzung und dem Donnerstagabend passiert ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Finanzminister, wann hat der Aufsichtsrat beschlossen, dass es eine Einschaltung externer Wirtschaftsprüfer geben soll? Ich bitte Sie, beantworten Sie diese Frage. Wussten Sie dies bereits in der Finanzausschusssitzung am letzten Donnerstag, und wenn ja, warum haben Sie dies nicht gesagt?

Im Protokoll ist das ein bisschen kryptisch formuliert. Da wird nur davon gesprochen: „Es gibt schon eine Prüfung“, sagt Herr Berger auf meine Frage hin. Welche Prüfung ist damit gemeint? Ist das die Einschaltung der KPMG?

Seit wann war für den Aufsichtsrat erkennbar, dass es zu einer derartigen Wertberichtigung der Bank kommen würde? Ich habe den Finanzausschussvorsitzenden, Herrn Neugebauer, gestern darum gebeten, dass dem Beteiligungsausschuss das Protokoll der letzten Aufsichtsratssitzung zur Verfügung gestellt wird. Meine Fraktion wird danach prüfen, ob wir einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss beantragen werden.

Wie kann es sein, dass das Risikocontrolling und das Risikomanagement laut einer Pressemitteilung der HSH Nordbank anscheinend erst jetzt zur obersten Priorität erklärt wurden? Niemand weiß, was in den Bilanzen noch schlummert. Heute erfahre ich aus der Zeitung, dass es noch während der Krise weitere hoch riskante Kreditgeschäfte gegebenen hat. Herr Wiegard, mein Eindruck ist, dass dem Aufsichtrat und damit auch Ihnen die Aufsicht komplett aus dem Ruder gelaufen ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Neugebauer, noch vor zwei Monaten, als ich hier im Landtag Zweifel an der Geschäftspolitik der Bank geäußert habe und dieses Thema auf die Tagesordnung des Landtages habe setzen lassen, wurde mir Populismus vorgeworfen. Heute stellt sich die Landesregierung hin und sagt, das Vertrauen in den Vorstandsvorsitzenden sei gestört. Herr Finanzminister, die Finanzkrise schwelt seit über einem Jahr. Wenn der Aufsichtsrat das Controlling bisher

(Monika Heinold)

nicht mit oberster Priorität eingestuft hat, dann hat er komplett versagt.

Herr Ministerpräsident, in Hamburg hat Ole von Beust die Sache zur Chefsache gemacht. Sie selbst sagen bisher nichts zur HSH Nordbank. Ich erwarte, dass Sie uns als Ministerpräsident klaren Wein einschenken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestern hat die Landesregierung die regionalisierte Steuerschätzung vorgelegt. Noch hat die Finanzmarktkrise kaum Auswirkungen auf die Zahlen, was angesichts der drohenden Rezession erstaunlich ist. Erst die nächsten Monate werden zeigen, wie belastbar die prognostizierten Zahlen wirklich sind.

Das missglückte zusammengeschusterte Konjunkturprogramm der Bundesregierung - man könnte es auch Automobilbranchen-Beglückungsprogramm nennen - wird mit Sicherheit nicht zu einer Stabilisierung der Wirtschaft beitragen. In jedem Fall ist es ökologischer Murks. Es ist doch eine Schande, dass wir Kinder aus armen Familien in die Suppenküche schicken, während dem Käufer eines Audi Q 7 mit 500 PS, der pro Kilometer 300 g CO2 ausstößt, ein Steuergeschenk von sage und schreibe 1.800 € gemacht werden soll.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, ich fordere Sie auf, diesen Unsinn im Bundesrat zu verhindern.

Auch auf Landesebene soll die Wirtschaft unterstützt werden. Die Entscheidung der Landesregierung, 42 Millionen € für den Schulbau bereitzustellen, begrüßen wir. Sie war überfällig.

Die Wirtschaftsprognosen für das nächste Jahr zeigen, in welch stürmischen Zeiten wir uns befinden. Vorausschauende Planungen der Landesregierung sind Fehlanzeige. Die Landesregierung hat sich nicht einmal auf einen kleinen Sturm vorbereitet. Wie wollen Sie einen Taifun überstehen? In den Jahren Ihrer Regierungsverantwortung haben Sie leichtfertig die große Chance verspielt, notwendige strukturelle Maßnahmen einzuleiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Verwaltungs- und Strukturreform fiel erst dem Koalitionsgezänk und dann den CDU-Kommunalpolitikern zum Opfer. Den tatsächlich erzielten Personalabbau von einer Stelle pro Jahr mit dem Tempo einer Schnecke zu vergleichen, wäre eine Beleidigung für die Schnecke.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Kommen wir von der Kriechspur wieder zurück zur Überholspur!

Stabile Finanzmärkte spielen eine wichtige Rolle für eine funktionierende soziale und ökologische Marktwirtschaft. Das gilt ebenso für die Finanzierung von Unternehmen wie für den Aufbau einer Altersvorsorge bei Privatpersonen.

Deshalb ist es erforderlich, die Finanzmarktunordnung schnell zu reformieren. Bestehende Einlagensicherungssysteme und Haftungsverbünde der Finanzwirtschaft müssen quantitativ und qualitativ ausgeweitet werden. Die verpflichtende Eigenkapitalhinterlegung muss verstärkt werden. Die bilanzielle Risikoauslagerung in Zweckgesellschaften gehört verboten. Hedgefonds, Private Equity und andere unregulierte Finanzmarktakteure müssen zukünftig in einen regulierten und kontrollierten Finanzmarkt einbezogen werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei einer Weitergabe verbriefter Kredite muss zukünftig ein wesentlicher Teil dieser Risiken in den eigenen Büchern bleiben. Auch müssen die Rahmenbedingungen der Bankmanager für eine nachhaltige Geschäftsentwicklung gestärkt werden, und zwar durch eine gesetzlich festgelegte Haftungsausweitung in den privaten Vermögensbestand hinein, durch eine Begrenzung und Transparenz bei den Managergehältern und - der Herr Finanzminister ist ebenfalls darauf eingegangen - durch eine Bemessung der erfolgsabhängigen Gehaltszahlungen an langfristigen und nachhaltigen Unternehmenszielen statt an kurzfristigen Gewinnen.

Außerdem müssen verbesserte Aufsicht und Kontrollen über die neu regulierten Märkte sichergestellt werden, und zwar durch die Ausweitung der Kompetenzen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auf sämtliche Bankgeschäfte, durch internationale Zusammenarbeit und durch die Austrocknung von Steueroasen, durch die Schaffung einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Europäischen Rating-Agentur, durch die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Finanz-TÜVs zur Prüfung, Zertifizierung und Zulassung der Finanzprodukte und durch ein dauerhaftes Verbot von sogenannten Leerverkäufen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir Grüne fordern schon seit Jahren eine Finanz- umsatzsteuer, die sogenannte Tobin-Steuer. (Monika Heinold)

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Sie wissen gar nicht, was das ist!)

Sie würde einen Beitrag des Finanzsektors zum Gemeinwesen sichern und Spekulationsanreize dämpfen. Ich bin enttäuscht darüber, dass wir mit dieser Forderung noch immer alleinstehen.

Es gibt also eine Menge zu tun. Dabei dürfen wir die notwendigen Verbesserungen des Verbraucherschutzes nicht vergessen. Immer mehr Menschen müssen zum Beispiel über ihre privat finanzierte Altersvorsorge umfassende und langfristige Anlageentscheidungen treffen. Dazu muss es bei den Verbraucherschutzeinrichtungen unabhängige Beratungsangebote geben, die von der Finanzbranche finanziert werden. Außerdem muss es Informationsstandards über die Funktion und die Risiken von Finanzanlagen geben, die eine Vergleichbarkeit mit anderen Finanzprodukten erleichtern. Außerdem brauchen wir eine Umkehr der Beweislast, sodass der Finanzdienstleister zukünftig beweisen muss, dass er seine Kunden umfassend über Kosten, Risiken und die Eigenschaften des Produktes beraten hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeden Tag gibt es neue Berichterstattungen darüber, wer wieder hereingefallen ist, wer sich von seiner Bank oder von seiner Sparkasse falsch beraten lassen hat. Wir diskutieren hier immer nur über die großen Beträge, über Milliardenbeträge und über die Banken. Ich sage Ihnen aber, wir müssen auch auf diejenigen Menschen einen Blick werfen, die 10.000, 20.000 oder 30.000 € verloren haben. Für diese Menschen ist das oft alles, was sie haben. Es ist ihre Altervorsorge. Damit werden sie zurzeit alleingelassen. Aus den Verbraucherzentralen bekommen wir die Meldung, dass die Menschen in Warteschleifen hängen, weil es zu wenig Beraterinnen und Berater gibt. Das ist in der heutigen Situation ein Unding. Es muss für alle Menschen eine gute Beratung geben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Krise auf den Finanzmärkten ist einem kurzfristigen Schmalspurdenken geschuldet. Der schnelle Profit Einzelner zulasten der Allgemeinheit hat die Wirtschaft kurz vor den Abgrund geführt. Aus der Krise zu lernen, heißt Konsequenzen zu ziehen. Wir müssen Schluss machen mit dem Kasinokapitalismus. Stattdessen müssen wir globalisierungsfeste Finanzsysteme und staatliche Kontrollsysteme aufbauen. Wir brauchen auch nachhaltige Konjunkturprogramme, die die großen Aufgaben Klima

schutz und Bildung in den Mittelpunkt stellen und zukunftsfest machen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der FDP erteile ich das Wort dem Herrn Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vergangenen Monate waren geprägt von täglich neuen Meldungen über Bankenzusammenbrüche, über Milliardensummen, die sich über Nacht in Luft auflösten und über eine daraus resultierende erhebliche Unsicherheit bei Bürgerinnen und Bürgern. Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass der Finanzminister den Weg einer Regierungserklärung gewählt hat, um dem Land zu vermitteln, was diese Regierung zu tun gedenkt, um dieser Krise zu begegnen.

Es scheint mir allerdings wichtig, zunächst auf die Ursachen der Krise einzugehen. Denn nur dann können die Folgen ausreichend abgeschätzt und wirksame Maßnahmen eingeleitet werden. Herr Finanzminister, ich widerspreche am Beginn meiner Rede Ihren Ausführungen zu Beginn Ihrer Rede. Es ist nicht ein Versagen des Marktes, es ist kein Marktversagen, sondern ein Versagen der Marktakteure. Der Markt funktioniert.

(Beifall bei der FDP)

Am Beginn der Krise standen staatliche Eingriffe, Herr Finanzminister, in den US-Immobilienmarkt. Jahrzehntelang war es erklärtes Ziel der Politik in den USA, auch nach unserem Verständnis nicht kreditwürdigen Personen zu Wohneigentum zu verhelfen. Gleichzeitig sorgte die US-Notenbank mit ihrer Niedrigzinspolitik für billiges Geld. Diese politisch falsche Rahmensetzung blieb nicht ohne Folgen. Die Banker entdeckten profitable neue Geschäftsfelder und die Bürger den Weg zum erträumten Eigenheim auch ohne das notwendige Eigenkapital. Der Markt für massenhafte faule Kredite war geboren. Staatliche Kontrolle: weitgehend Fehlanzeige.

Im Sommer 2007 geriet der deutsche Bankensektor in den Sog der internationalen Finanzkrise. Die IKB, eine staatlich dominierte Bank, meldete eine akute Schieflage. Krisenmeldungen anderer Finanzinstitute, insbesondere der staatlichen oder halbstaatlichen Landesbanken, folgten. Denn zu

(Monika Heinold)

mindest alle Landesbanken hatten sich auf dem internationalen Markt für Subprimekredite engagiert. Es hat mich überrascht - wie andere vielleicht auch -, dass wir entgegen den Aussagen des Vorstandsvorsitzenden Berger mir persönlich gegenüber, aber auch den Anteilseignern gegenüber im Februar 2008 feststellen mussten, dass sich die HSH Nordbank mit 1,8 Milliarden € in Subprimekrediten engagiert hatte.

Mit dem Zusammenbruch des US-amerikanischen Immobilienmarktes verloren diese Papiere an Wert. Allein die Landesbanken haben bis heute - ohne Sachsen LB - einen Abschreibungsbedarf von über 20 Milliarden €, Tendenz steigend.

Hier stellt sich die erste Frage: ob es überhaupt Aufgabe öffentlicher Banken ist oder sein sollte, in Finanzmarktpapiere zu investieren. Herr Finanzminister, Mitglied des Aufsichtsrats der HSH Nordbank, Sie reden davon, dass die HSH Nordbank mit 10 Milliarden € Geschäftskunden im norddeutschen Raum finanziert. Aber 30 Milliarden € wurden in Finanzmarktpapiere investiert, von denen die meisten gar nicht wussten, um welche Konstrukte es sich handelte.