Protokoll der Sitzung vom 13.11.2008

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt viele Missstände, die es zu beseitigen gilt. Frau Kollegin Franzen hat eben auf die bundesweit höchsten Elternbeiträge hingewiesen. Das ist wohl wahr. Frau Franzen, wissen Sie, woran das liegt? Ich will Ihnen das gern sagen. Das liegt daran, dass

wir vor 20 Jahren gerade einmal 350.000 DM für die Kinderbetreuung im Haushalt vorgesehen hatten. Das Land hat irre viel investiert, um das zu ändern. Das war ein Kraftakt von Land, Kommunen und anderen. Das ist der Grund.

(Beifall bei SPD und SSW)

Frau Franzen, ich will Ihnen und mir ersparen, das zu zitieren, was Frau Schuster früher zu diesem Thema im Landtag zu der Frage vorgetragen hat, wo die Kinderbetreuung stattzufinden habe. Diese habe natürlich zu Hause stattzufinden, alles andere sei Unfug und sozialistische Gleichmacherei.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] und Lars Harms [SSW])

Das ist etwas anderes. Wir brauchen eine qualifizierte Kinderbetreuung. Dafür müssen die Barrieren abgebaut werden.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Verehrter Herr Oppositionsführer, leider sind Ihre Zwischenrufe seit gestern nicht qualifizierter geworden. Beruhigen Sie sich doch ein bisschen. Wir wollen vor allen Dingen die Situation ändern, dass die Eltern Bittsteller im normalen Bildungsalltag sind. Wir wehren uns gegen Bildungsbarrieren. Das fängt bei den Kita-Gebühren an und geht weiter über die Lernmittelfreiheit - wenn es die nicht gegeben hätte, würde ich hier nicht stehen - bis hin zu den Studiengebühren. Weg mit den Bildungsbarrieren! Das ist der Punkt, den wir erreichen wollen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir wollen keine Stigmatisierung. Wir wollen keine entnervten Behördenmitarbeiter, die fragen, warum man Kinder hat, wenn man sie sich nicht leisten kann. Das ist der deprimierende Alltag, den Menschen in unserem reichen Land teilweise erleben. Das müssen wir ändern. Das Problem geht so weit, dass man kein Geld für Klassenreisen oder Ähnliches hat.

Verehrte Frau Franzen, auch zum Thema der Initiative „Kein Kind ohne Mahlzeit“ sage ich: Es ist wahr, dass die Eltern sich darum kümmern sollen. Der karitative Ansatz ist aber nicht das, was wir wollen. Wir wollen die Institutionen stärken. Wir wollen, dass jedes Kind eine warme Mahlzeit bekommt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

(Dr. Ralf Stegner)

Es kann doch nicht wahr sein, dass wir uns das nicht leisten können.

Ich möchte auch etwas zu der humoristischen Betrachtung sagen, die Sie zum ersten und zum dritten Kindergartenjahr vorgetragen haben. Ich finde es prima, dass Sie den ersten Gesetzesantrag gestellt haben. Wunderbar, herzlichen Glückwunsch dazu! Wir waren der Meinung, dass das, was die Fachleute sagen, nämlich dass man eigentlich im ersten Jahr beginnen muss, richtig wäre. Weil wir uns mit Ihnen aber auf den Stufenplan verständigt haben, haben wir gesagt: Okay, wenn wir einen Stufenplan beschließen, dann müssen wir auch einen Kompromiss schließen. Fangen wir also im dritten Jahr an. So ist das fiskalisch vernünftig, und man kann es vertreten. Bitte drehen Sie es aber nicht um. Machen Sie den Leuten kein X für ein U vor. Zumindest diejenigen hier im Landtag wissen, dass es anders ist. Den Menschen auf der Tribüne will ich es noch einmal sagen, damit Sie es auch gehört haben.

Was die Beitragsfreiheit angeht, so bedurfte es keiner Katholisierungsbemühungen gegenüber der Sozialdemokratie! In dieser Frage sind wir originär.

(Beifall bei der SPD)

Es ist sehr schön, dass noch einmal deutlich geworden ist, dass der vereinbarte Stufenplan 2009, 2011, 2013 mit den selbstverständlichen Betrachtungen, die Frau Erdsiek-Rave angestellt hat, natürlich dergestalt ist, dass ich für die SPD-Fraktion der Öffentlichkeit in Schleswig-Holstein erkläre: Wir werden dafür garantieren, dass das so kommt. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Denn die Beitragsfreiheit von Kindertagesstätten rechnet sich. Sie ist vernünftig, bildungspolitisch richtig und gerecht.

Es ist auch gut, die Kommunen ins Boot zu holen. Die Kommunen geben momentan eine Menge Geld für Sozialstaffeln aus, die bürokratisch sind und Aufwand verursachen. Insgesamt sind das über 40 Millionen €. Die Kosten sind im Land unterschiedlich. Wir wollen die Kommunen gar nicht stärker belasten. Die Konnexität gilt. Auch das hat Frau Erdsiek-Rave gesagt. Es ist aber das gemeinsame Interesse von Land und Kommunen, das Geld für bessere Kinderversorgung statt für bürokratischen Aufwand einzusetzen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Diejenigen unter Ihnen, die sich mit Kommunalpolitik beschäftigt haben, wissen natürlich, dass es für eine Kommune ein Standortvorteil ist, wenn eine

ordentliche Kinderbetreuung angeboten wird. Die Eltern ziehen nur in Orte, wo das der Fall ist. In ein paar Jahren wird es nirgendwo mehr Kita-Gebühren geben. Lassen Sie uns also nicht so kleinmütig darüber reden. Lassen Sie uns das auf allen Ebenen gemeinsam machen. Wir hatten mit dem Gemeindetag ganz vernünftige Gespräche. Das betrifft alle Ebenen, und wir müssen das gemeinschaftlich hinkriegen.

Ein Letztes sage ich in die Richtung derjenigen, die hier ständig Steuersenkungsversprechen abgeben, obwohl sie wissen, dass wir die gar nicht einhalten können. Denjenigen sage ich: Wir entlasten die Familien und Eltern durch die Beitragsfreiheit im Vergleich zu allen möglichen Steuersenkungsversprechungen, die andere Menschen ihnen geben könnten, um ein Vielfaches.

(Beifall bei SPD und SSW)

Die Kinderbetreuung und eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft sind gemeinsame Aufgaben. Wir haben gestern über das Chaos auf den Finanzmärkten gesprochen. Hier geht es teilweise darum zu versuchen, das Chaos im Familienalltag zu überwinden, um Chancengleichheit hinzukriegen. Es ist nicht richtig zu sagen: Dass es ein Oben und ein Unten in der Gesellschaft gibt, ist schon in Ordnung. Wir wollen das verändern, weil wir finden, dass jedes Kind in Deutschland die gleiche Chance haben muss. Deshalb machen wir das hier alles, wir machen das nicht aus anderen Gründen!

(Beifall bei SPD und SSW)

Die Reparaturen an dem einen oder anderen Ende sind uns nicht genug. Da mag der Unterschied zwischen uns liegen. Ich finde es in der Demokratie in Ordnung, dass man sich in Fragen unterscheiden kann. Der Freiheitsbegriff ist zwischen Parteien immer umstritten. Für uns Sozialdemokraten sage ich Ihnen: Freiheit gehört für uns zum selbstbestimmten Leben. Dafür ist Bildung essenziell. Die Bildungsfrage ist heute die Gerechtigkeitsfrage Nummer eins.

Wenn wir wollen, dass unsere Kinder und Jugendlichen eine gute Zukunft haben, wenn wir wollen, dass unsere Gesellschaft in Reichtum leben kann, dann müssen die Bildungsbarrieren weg. Kinder sind etwas Wunderbares, wir sollten ihnen die größtmöglichen Chancen eröffnen. Die sozialdemokratische Fraktion in diesem Landtag wird das mit aller Kraft begleiten. Wir bedanken uns für den sehr guten Bericht der Frau Bildungsministerin.

(Dr. Ralf Stegner)

(Anhaltender Beifall bei der SPD sowie ver- einzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Stegner. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Ekkehard Klug.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion bleibt bei der grundsätzlichen Kritik, die ich bereits in der Oktober-Tagung geäußert habe: So sehr auch die Einführung eines beitragsfreien Kindergartenjahres zu begrüßen ist, so unbefriedigend bleibt der Ansatz, den die Große Koalition dazu gewählt hat.

Indem das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei gestaltet wird, schafft man nur für rund 5 % des letzten Kindergartenjahres einen Anreiz zum Kindergartenbesuch. Im ersten Kindergartenjahr würde hingegen die Beitragsfreiheit für mehr als ein Drittel der Kinder dieses Jahrgangs, die bislang keine Kindertagesstätte besuchen, einen Anreiz dafür schaffen, dass ihre Eltern sie zum Kindergartenbesuch anmelden.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Dr. Henning Höppner [SPD])

Der damit verbundene Nutzen für die Erweiterung von Bildungschancen wäre also weitaus größer als bei dem von der Großen Koalition gewählten Modell. Wie gesagt, damit erreicht man nur diese fehlenden 5 %, die wir jetzt im letzten Kindergartenjahr haben.

Wenn man die Einführung beitragsfreier Kindergartenjahre nicht allein - nicht allein! - unter dem sicherlich wichtigen Aspekt der finanziellen Entlastung der Eltern sieht, sondern vor allem als Beitrag zur Verbesserung der frühkindlichen Bildung, dann bleiben CDU und SPD weit hinter den Notwendigkeiten und Möglichkeiten in diesem Politikfeld zurück.

Wenn das Land in diesem Bereich schon hohe zweistellige Millionenbeträge in die Hand nimmt, dann sollte doch unbedingt auch die größtmögliche Wirkung damit erzielt werden. Das ist leider nicht der Fall.

Die FDP-Fraktion ist der Meinung, anstelle des letzten Kindergartenjahres sollte zunächst das erste

der drei Kindergartenjahre beitragsfrei gestaltet werden.

(Beifall bei FDP und SPD)

Ich komme nun zum zweiten Kritikpunkt; der betrifft die offenen Fragen der Finanzierung, die auch nach dem Bericht nach wie vor offen sind, und betrifft die erste Stufe, nämlich das letzte Kindergartenjahr. Ich habe dazu in der Oktober-Tagung des Landtags dargelegt, dass zwischen den bisherigen Haushaltsansätzen der Landesregierung - Frau Erdsiek-Rave hat sie hier wieder erwähnt - und den Zahlen, die die Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Frau Kollegin Höfs, in der April-Tagung des Landtags für die Jahre 2009 und 2010 genannt hat, zusammengerechnet schon eine Lücke von insgesamt rund 10 Millionen € klafft. Anfang Mai 2008 erklärte die Landesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Kollegin Monika Heinold, Drucksache 16/2032, Frage 4:

,,Unter der Annahme, dass sich die Elternbeiträge für eine fünfstündige Betreuung im Kindergarten zwischen 120 und 180 € im Monat bewegen und sich damit ein Mittelwert von 150 € ergibt, würden dem Land für die Übernahme... Kosten in Höhe von rund 45 Millionen € jährlich entstehen".

Auch hieraus ergibt sich im Verhältnis allein zum bisher von der Regierung für 2010 veranschlagten Betrag - 35 Millionen € - eine Lücke in Höhe von 10 Millionen €.

Statt der seinerzeit angesetzten durchschnittlichen Summe von monatlich 150 € an durchschnittlichen Elternbeiträgen rechnet die Landesregierung nunmehr mit monatlich 120 €. Das ist günstiger, das kostet die Landesregierung weniger. Die neue, kostengünstigere Zahl basiert aber nicht auf eigenen Erhebungen, sondern auf dem Bertelsmann Länderreport 2008 zur frühkindlichen Bildung. Just zu dieser Untersuchung aber, die dem Land Schleswig-Holstein im Bereich der Vorschulbildung bekanntlich den schlechtesten Rangplatz aller Bundesländer bescheinigte, erklärte Bildungsstaatssekretär Meyer-Hesemann laut „Flensburger Tageblatt“ vom 23. Oktober 2008: Die Studie spiegele nicht die aktuelle Situation wider.

Das ist wirklich famos: Die Landesregierung bestreitet vehement die Korrektheit einer von dritter Seite vorgelegten Studie, stützt sich jedoch selber genau dann auf deren Zahlen, wenn es darum geht, möglichst niedrige Kosten für ein beitragsfreies Kindergartenjahr zu veranschlagen. Das ist wirklich ein bemerkenswertes Vorgehen.

(Dr. Ralf Stegner)

(vereinzelter Beifall bei der FDP)

All diese Ungereimtheiten ließen sich nur in einer gründlichen parlamentarischen Beratung klären.

Und damit komme ich zu unserem dritten Kritikpunkt. Laut vorliegendem Bericht soll - Frau Erdsiek-Rave hat das eben noch einmal ausgeführt die geplante gesetzliche Regelung zum dritten Kindergartenjahr „im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen zum Doppelhaushalt 2009/10 verabschiedet werden“. Der Termin der zweiten Lesung dieses Landeshaushalts wird voraussichtlich der 16. Dezember 2008 sein. Von heute an bleibt also gerade einmal ein Monat Zeit. Frau Ministerin, uns liegt bis heute kein Gesetzentwurf vor, meiner Fraktion jedenfalls nicht. Vielleicht haben Sie das den Kollegen von der Regierungsfraktion zugeleitet. Ein Gesetzentwurf liegt uns nicht vor.

(Zurufe der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])