Meine Damen und Herren, ich möchte darum bitten, den Plenarsaal weniger für bilaterale Debatten zu nutzen. Es ist sehr unruhig. Ich erteile nun der Frau Abgeordneten Luise Amtsberg für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit langer Zeit fordern Flüchtlings- und Wohlfahrtsverbände die Errichtung einer Clearingstelle hier in Schleswig-Holstein. Sie, die sich im täglichen Umgang mit den einzelnen Schicksalen von Menschen, die aus Kriegs- und aus Krisengebieten zu uns kommen, um Schutz zu suchen, befinden, haben sich bereits in der letzten Legislaturperiode für die Errichtung dieser Clearingstelle ausgesprochen. Mit § 42 SGB VIII wird das Jugendamt verpflichtet, minderjährige Flüchtlinge in Obhut zu nehmen, sollten diese sich ohne Vormund in Schleswig-Holstein aufhalten. Der Gesetzgeber sichert somit ganz ausdrücklich den rechtlichen Anspruch minderjähriger Flüchtlinge auf Schutz zu, zu Recht, denn wir haben es hier mit einer ganz besonderen Schutzbedürftigkeit zu tun.
Kinder, die Unerträgliches erduldet haben, für die Bürgerkrieg und Krieg zum Alltag wurden, die aus dieser Hoffnungslosigkeit heraus den langen Weg
der Flucht auf sich genommen haben, um hier Schutz zu finden, haben ihre Eltern und Geschwister verloren. Sie haben Gewalt erfahren und sind in den meisten Fällen schwer traumatisiert. Es sind Kinder, die lange keine Kinder oder Jugendliche mehr sein durften. Es ist nur menschlich, wenn wir uns diesen jungen Menschen mit ganz besonderer Hingabe widmen.
Es kam hier bei uns vor, dass Minderjährige in Abschiebehaft sitzen oder in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Das ist meiner Ansicht nach einer der größten Indikatoren dafür, dass wir hier unserer menschlichen, aber auch unserer politischen Verantwortung keineswegs gerecht werden. Kinder haben in Abschiebehaft und in Gemeinschaftsunterkünften absolut nichts verloren.
Meine Fraktion, die Grünen, spricht sich mit Nachdruck für die Errichtung einer Clearingstelle durch einen unabhängigen Träger aus. Lassen Sie mich erklären, warum wir das fordern: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Clearingstelle müssen das entsprechende Wissen über asylrechtliche Angelegenheiten haben. Sie müssen die Möglichkeit einer Familienzusammenführung prüfen können, sie müssen geeignete Vormünder finden, eine sozialpädagogische Betreuung besonders im Umgang mit den Krisensituationen leisten können, in denen sich diese Menschen befinden, und sie müssen Schulund Sprachförderungen gewährleisten; das alles vor dem Hintergrund, dass wir es hier mit jungen Menschen zu tun haben, die bei ihrer Ankunft einfach noch kein Deutsch sprechen können. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie bitte sollen die Jugendämter das alles noch bewerkstelligen können?
Ich glaube, dass es wahrlich keiner großen Anstrengungen bedarf, um zu erkennen, dass der Bedarf einer Clearingstelle absolut gegeben ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDUFraktion und auch von der FDP-Fraktion, ich erkenne mit Wohlwollen, dass Sie sich dieser Idee nicht gänzlich verschließen. Ein bisschen enttäuscht bin ich allerdings über den Weg, den diese Debatte hier geht. Ihr Argument für einen Berichtsantrag, den Sie unserem Antrag beistellen - oder wie auch immer - lautet, dass Ihnen Informationen über den Sachstand fehlen oder dass die Informationen veral
tet sind. Das irritiert mich ein bisschen. Frau Damerow, bei Ihnen lasse ich etwas Milde walten. Von Ihrer Fraktion habe ich nicht erwartet, dass Sie up to date ist. Zum Hintergrund: Im November hat dazu in Kiel eine Fachtagung stattgefunden. Man hätte dort hingehen können. Dort gab es Zahlen, Ergebnisse und Handlungsvorschläge. Wir haben also alles vorliegen. Ich finde es trotzdem in Ordnung, dass wir einen Berichtsantrag stellen, das sei nur nebenbei gesagt. Ich denke aber, dass es Sinn macht, das an den Ausschuss zu überweisen, um endlich mit dem Handeln anzufangen.
Lieber Kollege Koch, nach Ihrem Beitrag von heute Morgen zur Enquetekommission fällt mir nicht viel Mildes mehr ein. Ihnen ist aber sicher bewusst, dass Ihre Fraktion diesen Antrag mit uns Grünen und dem SSW schon einmal eingebracht hat?
Er wurde von Experten bewertet und in diesem Haus diskutiert. Sie haben sich dahintergestellt. Ich frage Sie: Was an der Situation hat sich denn jetzt für diese Kinder geändert, um die es hier geht?
- Der Wortlaut, interessant! Das ist wirklich interessant. Man lässt jetzt wieder zwei Monate ins Land gehen, bevor man anfängt, hier zu handeln. Das halte ich für ungünstig.
Sie schreiben in Ihrem Koalitionsvertrag - darüber waren wir überrascht; wir haben schon in der letzten Plenartagung darüber gesprochen -, dass der Bedarf einer Clearingstelle geprüft werden soll. Drei Monate hatten Sie dafür Zeit. Der zuständige Minister, Herr Schmalfuß, kommt auch aus Ihren Reihen. Wann, liebe Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Parteien, können wir denn endlich mit Ergebnissen in dieser Sache rechnen?
Zum Schluss noch ein Gedanke. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welchen Beitrag ein menschenwürdiger, vor allen Dingen ein sensibler Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen für unsere Integrati
onspolitik leistet. Insofern wundere ich mich doch stark, Herr Lehnert. Wir haben heftig darüber diskutiert, wie viel Sinn es macht, jemanden, der überhaupt nichts mit Integrationspolitik zu tun hat, als Integrationsbeauftragten mit zusätzlich Geld und Infrastruktur auszustatten. Aber gut, Herr Lehnert, vielleicht tue ich Ihnen unrecht. Dann tut es mir leid.
Sie haben sich in Ihrer Tätigkeit sicherlich damit auseinandergesetzt und können drei Minuten nach vorn kommen und uns erklären, wie Sie die Situation einschätzen.
Abschließend, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU- und FDP-Fraktion, verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte Sie nicht angreifen, auch wenn ich es getan habe.
Ich bitte Sie einfach mit Nachdruck: Handeln Sie endlich! Lassen Sie sich keine Zeit mehr! Bei minderjährigen Flüchtlingen geht es um jeden Tag. An dieser Stelle ist Reden Silber, Handeln und Umsetzen aber Gold.
Schleswig-Holstein braucht ein anständiges Clearingverfahren. Um mit der Arbeit sofort beginnen zu können, würde ich den Antrag gern an den Innen- und Rechtsausschuss überweisen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die aktuelle Lage für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die in Schleswig-Holstein aufgegriffen werden, ist alles andere als gut. Dies haben meine Vorrednerinnen und Vorredner auch schon gesagt. Es gibt keine zentrale Anlaufstelle, es gibt aber auch kein einheitliches Konzept, wie mit ihnen umzugehen ist.
pflichtet sind, Minderjährige in Obhut zu nehmen, wenn diese unbegleitet nach Deutschland kommen und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten. Immerhin ist damit geregelt, dass diese Flüchtlinge einen Rechtsanspruch auf eine vorläufige Inobhutnahme haben und dass die Jugendämter die Handlungspflicht für die Erstversorgung und die unverzügliche Regelung der gesetzlichen Vertretung haben. Leider ist jedoch bei Minderjährigen ab 16 Jahren auch eine Aufnahme nach dem Ausländerrecht in Asylunterkünfte möglich. Das halten wir für keine gute Lösung. Minderjährige sind Minderjährige, und diese sind nach unserer Ansicht gleich zu behandeln.
In Schleswig-Holstein gibt es beziehungsweise gab es deshalb unterschiedliche Vorgehensweisen der Ämter. 2008 wurden circa 100 minderjährige Flüchtlinge unbegleitet aufgegriffen. Im vergangenen Jahr waren es schon über 300. Die Jugendämter können in Teilen damit überfordert sein, diesen Jugendlichen eine angemessene Behandlung zukommen zu lassen. Es ist vorgekommen, dass in einem Gespräch im Jugendamt festgestellt wurde, dass für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kein Jugendhilfebedarf besteht und damit eine Erstund Anschlussversorgung aus der Jugendhilfe nicht gewährt wird. Damit wird eine anschließende Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende eingeleitet, anstatt vorrangig die Inobhutnahme vorzunehmen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich dabei um Kinder und Jugendliche handelt, die häufig durch die Flucht traumatisiert sind. Zum Teil glauben sie, in Schweden angekommen zu sein, weil Deutschland, Schleswig-Holstein häufig als Transitland nach Skandinavien genutzt wird. Die Kinder werden hier ausgesetzt, haben häufig eine lange und schwere Flucht hinter sich.
Aus Sicht des SSW entspricht dieses Vorgehen in keiner Weise einem Umgang mit Minderjährigen, die vor allem auf der Flucht sind. Eine Inobhutnahme ist nach unserer Auffassung auch nicht nur eine rein ordnungspolitische Maßnahme, sondern ein Vorgang, der auch eine sozialpädagogische Funktion hat. Es muss in erster Linie darum gehen, diesen jungen Menschen zu helfen.
Aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dezentral trotz allem - in Jugendhilfeeinrichtungen oder Pflegefamilien untergebracht werden. Im Regelfall sollten ihnen ausgebildete Vormünder zur Seite gestellt werden, die für diese Fälle geschult sind und wissen, was sie tun müssen und können. Neben der de
zentralen Unterbringung ist es nach unserer Ansicht unerlässlich, eine Clearingstelle einzurichten, die die Vormünder und die jeweiligen jungen Menschen dann professionell begleitet.
In dieser Fachstelle käme es in erster Linie darauf an, die Situation dieser Menschen zu klären und ihnen professionelle Hilfe zu geben. Ihr Lebenslauf, ihre Identität, ihre Nationalität, ihre Erziehung und ihre Sozialisation, ihre kulturellen und sprachlichen Hintergründe, ihre gesundheitliche Aufklärung, dies alles sind notwendige Fragen, die mit ihnen geklärt werden müssen, um ihre Notlage besser bewerten zu können, aber insbesondere auch, um ihnen angemessene Hilfe zu geben. Anschließend muss es in einem aufgebauten Netzwerk, in dem alle relevanten Jugendämter, Ausländerbehörden, Gerichte, Verbände und weitere Institutionen lose miteinander verkoppelt sind, zu Kommunikation und vor allem Kooperation kommen. Zum Wohl dieser jungen Menschen muss es zu einer geeigneten Begleitung kommen. Jugendhilfe, Hilfebedarfsfeststellung, gesundheitliche und familiäre Situationsklärung und die Chance auf ein Asylverfahren sind dann die Zielsetzungen.
Aus Sicht des SSW kann es mit einer Clearingstelle möglich sein, in Schleswig-Holstein ein einheitliches und professionelles Vorgehen im Umgang mit den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu sichern. Die Betreuungs- und Beratungsqualität ist gewährt, sodass für individuelle Fälle die optimale Versorgung in Anspruch genommen werden kann. Auch die Unterbringung nach dem Ausländerrecht für Jugendliche sollte dadurch nach meiner Ansicht verhindert werden.
Es muss bei der steigenden Anzahl von jungen Flüchtlingen zu einer veränderten Vorgehensweise kommen. Eine Clearingstelle kann hier, wie es schon andere Bundesländer vormachen, eine professionelle Begleitung liefern, die alle Beteiligten unterstützt.
Wir bitten deshalb, unseren gemeinsamen Antrag an den Ausschuss zu überweisen. Hinsichtlich des Berichtsantrags freue ich mich, dann in der 6. Tagung den Bericht des Ministers zu dieser aktuellen Frage zu hören. Wir sollten im Ausschuss gemeinsam klären, welches das richtige Ziel ist und wie man den unbegleiteten minderjährigen Kindern helfen kann. Das steht an erster Stelle. Ich denke, im Ausschuss können wir das besser beraten als hier im Plenum. Ich bin beim Jugendamt der Stadt Flensburg gewesen und habe mich dort aufklären lassen, wie die dort handeln. Mir erschien es so, dass den Jugendlichen dort sehr gut geholfen wird.
Da es aber immer wieder Ausnahmen gegeben hat, wäre es schön, das zu klären und vielleicht mithilfe einer dezentralen Clearingstelle allen Jugendlichen im Land zu helfen.
Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Justiz, Gleichstellung und Integration, Herrn Schmalfuß, das Wort.