- Ich habe ausdrücklich um eine sachlichere Auseinandersetzung gebeten, und ich bitte alle Fraktionen, sich daran zu halten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ich will ein faires System für die gesetzliche Krankenversicherung.“ So wird der Bundesgesundheitsminister, Herr Rösler, in der aktuellen Ausgabe des „Deutschen Ärzteblatts“ zitiert. Das klingt wie ein Versprechen, doch leider ist es ein Versprechen, das jetzt schon gebrochen worden ist. Gesundheit ist für viele Menschen selbstverständlich. Für viele Kranke ist Gesundheit das, was sie sich am meisten wünschen. Gesundheit ist etwas Kostbares, und wir geben in Deutschland viel Geld für unser Gesundheitswesen aus. In diesem Jahr werden es in der gesetzlichen Krankenversicherung 170 Milliarden € sein, und das ist auch gut so. Wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, und das soll auch so bleiben.
Demografischer Wandel, Zunahme chronischer Erkrankungen und Fortschritt in der Medizin führen zu steigenden Kosten. Das Gesundheitswesen ist längst selbst zum Patienten geworden. Daher gibt es in regelmäßigen Abstände Therapieversuche, die sich „Gesundheitsreform“ nennen. Der letzte Therapieversuch ist der Gesundheitsfonds. Das aktuelle Symptom ist der Zusatzbeitrag, den ein Teil der Krankenkassen jetzt angekündigt hat. Unser Bundesgesundheitsminister Rösler sagt dazu, dass viele es für unfair halten, wenn alle dasselbe zahlen; die Erzieherin genauso wie der leitende Angestellte. Da hat er recht.
Gleichzeitig hält derselbe Herr Rösler verbissen am Zusatzbeitrag fest und knüpft sogar sein politisches Schicksal daran. Wie gesagt, das ist derselbe Herr
Rösler, der uns ein faires System versprochen hat. Eine klare Linie sieht anders aus. Um es ganz klar zu sagen: Ich fordere Herrn Rösler nicht zum Rücktritt auf. Damit ist aus meiner Sicht niemandem geholfen. Ich fordere ihn auf, sein System noch einmal zu überdenken. Es fehlen jetzt schon 3,5 Milliarden € im System. Daher rührt der aktuelle Zusatzbeitrag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz deutlich: Es sollte hier nicht um Schuldzuweisungen gehen, die bringen uns nicht weiter. Wir brauchen eine solide Finanzierung des Gesundheitssystems. Die ersten Kassen haben einen Zusatzbeitrag in Höhe von 8 € eingeführt. Daraufhin hat das Bundeskartellamt ein Prüfverfahren eingeleitet. Weitere Kassen haben Zusatzbeiträge im Laufe dieses Jahres angekündigt. Einige wenige hoffen und werben damit, dass sie vorerst ohne Zusatzbeiträge auskommen können. Die Frage ist nur: Klappt das? - Wenn ja, wie lange?
Die Verteuerung der Ausgaben im Gesundheitssystem geht derzeit einseitig zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitslosen. Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber werden bei dem neuen System nicht in gleichem Maße beteiligt. Völlig unerträglich ist die Situation für Langzeitarbeitslose. Der gesetzliche Krankenkassenbeitrag wird von den Jobcentern gezahlt, Zusatzbeiträge nicht. Das Argument lautet: Die Betroffenen können ja ihre Krankenkasse wechseln und damit den Zusatzbeitrag sparen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was passiert, wenn nach und nach alle Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben? - Wie sollen die Arbeitslosen dann verfahren? - Dann können sie nicht mehr von einer Kasse zur anderen wechseln; ganz zu schweigen von dem Verwaltungsaufwand und den Verwaltungskosten. Für uns ist klar: Zusatzbeiträge bedeuten eine weitere Entsolidarisierung des Gesundheitssystems. Genauso sieht es übrigens auch die CDU-Senioren-Union. Sie geißelt Zusatzbeiträge als einen Eingriff in den Solidarpakt, und ich sage Ihnen: Die Senioren-Union hat meine volle Unterstützung.
Ich sage Ihnen auch, warum: Die Bundestagsdrucksache 17/499 beantwortet eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Birgitt Bender. Wenn die Kopfpauschale kommt, dann fehlen 35 Milliarden € im System. Sie können sich dann entscheiden, ob Sie die Mehrwertsteuer um 4 % erhöhen wollen oder den
Spitzensteuersatz auf 73 %. Nur der Klarheit halber: Das ist nicht die Meinung meiner Kollegin, das ist die offizielle Antwort auf die Kleine Anfrage.
Haben Sie sich das gut überlegt, liebe Kolleginnen und Kollegen? Ist das wirklich das, was Sie wollen? - Eines muss uns auch klar sein: Jeden Euro, der im Gesundheitswesen investiert wird, müssen wir uns genau angucken. Wir müssen für mehr Transparenz und eine gerechte Verteilung im System sorgen. Daher begrüßen wir Grüne es ausdrücklich, dass mehr und mehr Krankenkassen sich auf freiwilliger Basis zusammenschließen. Wir müssen uns auch fragen, ob genügend moderne Verfahren wie das Critical Incident Reporting System - in der Drucksache als modernes Fehlerberichtssystem - in unseren Krankenhäusern in Schleswig-Holstein eingeführt worden sind, damit wir Geld einsparen und die Patientenversorgung trotzdem verbessern können. Bei all diesen Maßnahmen müssen wir jedoch realistisch bleiben. Es gibt zwei Fragen, die wir uns heute stellen müssen: Medizinischer Fortschritt für alle ja oder nein? - Solidarische Finanzierung des Gesundheitswesens - ja oder nein? - Für uns Grüne kann ich beide Fragen mit einem klaren Ja beantworten.
Es freuen sich alle, das finde ich gut. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem vorliegenden Antrag der Fraktionen von SPD und Grünen zu, denn natürlich gilt es zu den Plänen der Bundesregierung ein Gegengewicht zu setzen. Insbesondere die FDP will ihre unsoziale Ideologie mit aller Macht durchsetzen; hier mit Hilfe der Kopfpauschale. Die Krankenschwester und der Müllkutscher sollen am Ende dieselben Kassenbeiträge zahlen wie der Chefarzt und der Außenminister. Nicht mit uns, meine Damen und Herren, das ist in der Gesellschaft nicht konsensfähig!
Allerdings birgt der vorliegende Antrag auch Anlass zu deutlicher Kritik an den Antragstellern. Der Grund ist dieser: In Ihrer Antragsbegründung heißt es, die paritätische Finanzierung sei ein unver
zichtbarer Bestandteil einer solidarischen Krankenund Pflegeversicherung. Dieser Grundsatz gilt aber schon lange nicht mehr. Durch alle möglichen Zuzahlungszwänge, die den Versicherten in den vergangenen Jahren zunehmend aufgebürdet wurden, finanzieren diese inzwischen rund zwei Drittel der Gesundheitskosten. Die Arbeitgeber finanzieren nur noch ein Drittel. Mit Parität hat das rein gar nichts zu tun.
Diese Zuzahlungszwänge waren ein wesentliches Mittel der gewaltigen Umverteilung von unten nach oben, die seit Jahren hier betrieben wurde. Ich muss leider sagen: Die rot-grüne Bundesregierung hat ganz wesentlich mit an diesen Stellschrauben gedreht, nicht zuletzt durch Einführung der Praxisgebühr. Nun also gehen SPD und Grüne in die Opposition zu ihrer eigenen Politik und erwarten ausgerechnet von den schwarz-gelben Regierungen in Berlin und Kiel eine Rückbesinnung. Meine Damen und Herren, ich muss leider sagen, das ist reine Träumerei. Deshalb brauchen wir mehr als diesen Antrag. Wir brauchen in den Parlamenten Konzepte darüber, wie eine solidarische, paritätische Finanzierung tatsächlich herbeizuführen ist.
Hier müssen wir uns auf den Weg machen. Das Solidarsystem kann nur bestehen, wenn alle Berufsgruppen und alle Arten von Einkommen zu seiner Finanzierung herangezogen werden.
Die Beitragsbemessungsgrenze muss weg. Natürlich müssen auch Zins- und Kapitaleinkünfte, also die tatsächlichen leistungslosen Einkommen, mindestens zu gleichen Teilen beitragspflichtig werden.
Schon jetzt können sich Besserverdienende für geringere Beiträge eine bessere Versorgung einkaufen. Diese wird im bestehenden System durch die normalen Beitragszahler subventioniert, denn die vorhandene Infrastruktur und Qualität des Gesundheitswesens finanziert sich vornehmlich aus den Leistungen der Pflichtversicherten. Die Beiträge der Privatversicherten allein würden bei Weitem nicht reichen, um all das auch nur im Ansatz aufrechtzuerhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen und der grünen Fraktion, damit erzähle ich Ihnen nichts Neues. Viele Ihrer Parteifreundinnen und Parteifreunde äußern sich immer wieder
ähnlich in wohlfeilen Erklärungen und allen möglichen Talkrunden. Es wird höchste Zeit, diese Einsichten auch hier im Parlament in praktische Politik umzusetzen.
DIE LINKE im Landtag lädt Sie jedenfalls ganz herzlich dazu ein, gemeinsame Parlamentsinitiativen zur Schaffung eines echten und überlebensfähigen Solidarsystems auszuarbeiten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möchte gern vorweg sagen, dass ich sehr viel Verständnis für den Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN habe, denn die Bürgerinnen und Bürger haben sich nur vermeintlich mit den immer neuen Leistungsverschlechterungen beziehungsweise einseitigen Kostensteigerungen im Namen einer sogenannten Reform abgefunden. Tatsächlich sind die meisten mit dem Ausstieg aus dem Solidarsystem nicht zufrieden. Sie bemerken sehr wohl, wo die Reise hingeht, nämlich weiter in Richtung Beitragserhöhung und mehr Zuzahlungen. So kann es nicht weitergehen.
Der Antrag hat durch die Einsetzung von Arbeitsgruppen, wie vorgestern in Berlin bekannt wurde, eine ungeahnte Aktualität erlangt, die weit über den Antragstext hinausgeht. Wir müssen uns in der Tat mit der Zukunft der Kranken- und Pflegeversicherung beschäftigen. Wenn wir diesen Antrag nicht mitgetragen haben, dann liegt es daran, dass er bereits im Titel falsch ist. Die solidarische Krankenversicherung gibt es nicht mehr.
Die Solidarität wurde und wird schrittweise ausgehöhlt. Spätestens mit den Überweisungsvordrucken für die einseitige Beitragserhöhung, die den meisten gesetzlich Versicherten in den letzten Wochen ins Haus geflattert sind, war auch noch dem letzten Verteidiger des Solidarprinzips klar, dass es mit der solidarischen Finanzierung nicht mehr weit her ist.
Der paritätischen Finanzierung haben einseitige Zuzahlungspflichten der Patienten und die Praxisgebühr den Garaus gemacht. Der Sozialverband Deutschlands sprach vor wenigen Tagen von der
einseitigen Verlagerung der Gesundheitskosten auf die Versicherten. Die zusätzlichen Beiträge verstärken darüber hinaus die soziale Schieflage, weil ein Geringverdiener tatsächlich 96 € im Jahr mehr berappen muss, während sich ein Großverdiener seine Kosten über die Steuererklärung wieder zurückholen kann. Da gibt es also wenig zu erhalten. Die Solidarität ist perdu. Chronisch Kranke und Geringverdiener zahlen mehr, und das schon seit Jahren. Der Ausstieg aus der Solidarität durch die privaten Krankenversicherungen ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Das ist der einzige Weg.
Der SSW setzt sich darum für eine Kehrtwende in der Kranken- und Pflegeversicherung ein. Wir fordern eine Sozialversicherung, die die Lasten gerecht auf alle Schultern verteilt und dabei die Stärkeren stärker belastet und die Schwächeren weniger.
Wenn man genau hinguckt ist das ja auch dem Programm der Antragssteller zu entnehmen. Da heißt das Ganze solidarische Bürgerversicherung. Alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich an der Finanzierung, wobei allerdings alle Einkünfte, auch Kapitalerträge und Mieteinnahmen bei der Berechnung berücksichtigt werden.
Anstatt also mit Pflaster am Wasserrohr zu hantieren, sollten wir eine gründliche Renovierung durchführen. Das kann keineswegs die Kopfpauschale sein, das ist selbstredend,
weil sie die Privatversicherung erhalten und daneben den Arbeitgeberbeitrag einfrieren will. Das ist der direkte Weg in das Zwei- oder Dreiklassensystem.
Stattdessen müssen wir schleunigst über einen grundlegenden und gerechten Umbau des Sozialstaates nachdenken. Dazu gehört eine steuerfinanzierte soziale Grundsicherung bei der Krankenversorgung, wie wir sie in den skandinavischen Ländern kennen.