Protokoll der Sitzung vom 21.05.2010

Die Abschiebung der Roma ins Kosovo ist auszusetzen. Die Menschen müssen bleiben. Wenn etwas zurückgenommen wird, dann das Rückübernahmeabkommen. Die anstehende Innenministerkonferenz bietet dazu eine Chance.

Ich will generell darauf hinweisen, es geht um ein Problem, das sich nicht nur auf die Frage der Minderheitenproblematik reduziert. Es geht auch um europäische Integrationspolitik. Ich will das etwas verkürzen. Dieses Feld europäischer Politik ist weitgehend unterentwickelt. Wir müssen sehen, dass es uns gelingt, auf der europäischen Ebene im viel stärkeren Maße so etwas wie eine abgestimmte

(Astrid Damerow)

und koordinierte europäische Integrationspolitik auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sonst überlassen wir es den einzelnen Staaten. Das Beispiel zeigt wieder, das ist nicht gut.

Es geht eben nicht nur um das Kosovo. Das möchte ich kurz sagen. Wir wissen, dass nicht nur dort Minderheiten und gerade die Volksgruppen der Sinti und Roma unterdrückt, diskriminiert und ausgegrenzt werden, sondern dass dies auch in vielen anderen europäischen Staaten geschieht.

Zwölf Millionen Menschen zählen sich zu dieser Minderheit. Diese Zahl stellt uns eine Aufgabe, der wir bisher noch nicht richtig gewachsen sind. Noch immer leben die Roma am Rande der Gesellschaft, am Rande der Städte, in Slums, Gettos und Lagern.

Ich bitte Sie alle, sich die Roma-Fotos aus dem Kosovo einmal anzusehen. Die Kolleginnen und Kollegen aus der christlichen Fraktion können mich sicherlich an den Lautsprechern hören; denn dort werden sie im Augenblick alle sein. Ansonsten wünsche ich guten Appetit. Auf den Fotos, die wir sehen und die uns berühren, sehen wir Menschen vor dem Hintergrund von Müllhalden und Schrott unserer Wegwerfgesellschaft.

Wenn es eines Symbols bedarf, dass man sich um diese Menschen kümmern muss, dann sind es diese Fotos. Weil das so ist, dürfen diese Menschen nicht ins Kosovo abgeschoben werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Dort gibt es Zustände, die der Menschenrechtskommissar des Europarats als „schwerwiegendstes humanitäres Menschenrechtsproblem in Europa“ bezeichnet. Weil das so ist, kommt es auf die Politik der Nationalstaaten an, egal, ob Berlin oder Schleswig-Holstein und egal, wie groß die Zahl ist. Humanität ist doch keine Frage der Größe von Zahlen. Es ist die Frage, ob ich bereit bin, humanistische und demokratische Anforderungen aufzunehmen, sie umzusetzen und mich mit ihnen zu beschäftigen. Das müssen wir auch im Land Schleswig-Holstein tun. Selbst wenn es nur 17 oder 18 Menschen sind, ist es eine Verpflichtung für uns, hier in diesem Landtag darüber zu diskutieren.

(Beifall beim SSW)

Es kommt auf die Politik der Nationalstaaten an. Es geht um eine besondere Bedeutung und Verant

wortung. Um diese Verantwortung geht es, wenn wir heute über das Rückübernahmeabkommen sprechen.

Lassen Sie mich meine Rede verkürzen, aber noch sagen: Abschiebung ist keine Lösung. Wir sehen, dass die Menschen dort in unmenschliche Verhältnisse geraten. Sie führen dazu, dass die Menschen wieder versuchen, dort wegzukommen, dass sie wieder zurückkommen und möglicherweise bei uns wieder in die Illegalität gedrängt werden.

Zum Abschluss möchte ich deutlich sagen, ich habe großen Respekt dafür, dass es in Niedersachsen bereits erste Kirchenasylbewegungen gibt, die diese Menschen auffangen und ihnen Schutz bieten. Das ist die Realität. Das ist eine wirklich gute und starke Hilfe in einer Situation für bedrängte Menschen. Das ist vorbildlich. Ich unterstütze das sehr.

Wir können gern im Ausschuss über das Abkommen reden. Das ist ein guter Hinweis. Das Thema ist nicht beendet. Wir müssen aber aus diesem Abkommen heraus. Es hat keine Zukunft, weder aus unserer historischen Tradition noch mit Blick auf ein fortschrittliches und demokratisches Europa. Es gehört nicht hierher. Deswegen wäre es schön, wenn dieser Antrag auch von der anderen Seite unterstützt werden würde.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Gerrit Koch das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Amtsberg, haben Sie Angst vor Zahlen und Fakten, oder warum durften wir Ihrer Ansicht nach nicht zuerst den Bericht hören?

(Zuruf von Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ja. Erklären Sie es mir gleich einmal. Ich bin schon gespannt. Man kann nur schlauer werden.

(Zuruf von Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Das ist ja unglaublich.

Dem Justizminister Schmalfuß danke ich für seinen ausführlichen Bericht. Insbesondere seine Erläuterungen der rechtlichen Grundlagen und gerade auch der Möglichkeiten, die unserem Land und den Be

(Rolf Fischer)

troffenen offenstehen, sind wichtig für die Beurteilung des Oppositionsantrags.

Der FDP-Fraktion ist durchaus bewusst, dass die Lage im Kosovo nach wie vor nicht einfach ist. Eine sorgfältige Beschäftigung mit diesem Thema ist deshalb unerlässlich. Deshalb unterstützen wir nachher auch die Überweisung an den Ausschuss.

(Beifall bei der FDP)

Zunächst teilt die FDP-Fraktion aber in rechtlicher Hinsicht das Ergebnis, zu dem der Justizminister kommt.

Die Gesetzeslage lässt keinen Alleingang Schleswig-Holsteins zu. Auch würde eine Beratung auf der Innenministerkonferenz nichts daran ändern, zumal genau die Bundesländer, in denen sich die meisten Betroffenen aufhalten, nämlich NordrheinWestfalen und Niedersachsen, keine Möglichkeit für einen generellen Abschiebestopp ohne Gesetzesänderung sehen. Die Änderung der gesetzlichen Grundlagen obliegt aber bekanntlich allein der Bundesebene. Der Bericht führt auch vor Augen, über wie viele menschliche Schicksale wir hier in Schleswig-Holstein überhaupt debattieren. Der Antrag der Oppositionsparteien könnte - ich will nichts Böses unterstellen - unbeabsichtigterweise den Eindruck erwecken, es würde allein in unserem Bundesland mindestens 10.000 Betroffenen die Abschiebung in das Kosovo drohen. Das ist vielmehr annähernd die Zahl der Fälle auf Bundesebene. In Ihrer Antragsbegründung ist dies etwas undifferenziert.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Heinold?

Nein, die gestatte ich nicht. - Tatsächlich geht es in Schleswig-Holstein nur um 18 Personen. Selbstverständlich muss das Land auch das Schicksal dieser Menschen interessieren. Gleichgültigkeit kann der Landesregierung allerdings auch nicht unterstellt werden, denn die Zahlen sind unter anderem deshalb so niedrig, weil vielen Betroffenen über die Härtefallregelung geholfen und ein Bleiberecht verschafft werden konnte. Ich betone also zu Recht, dass diese Menschen weder dem Land noch den Fraktionen von CDU und FDP quasi egal sind. Wir wissen um die verantwortungsvolle Behandlung eines jeden einzelnen Falles durch unsere Behörden.

Eine durchaus humanitäre und umsichtige Geste der bundesweit geübten Praxis ist es, wenn die Zahl der jährlich abgeschobenen Menschen 2.500 nicht übersteigen soll, obwohl die Zahl der Betroffenen bekannterweise mehr als viermal so hoch ist. Nicht übersehen werden sollte, dass im Jahr 2009 gerade einmal 500 Rückführungen, also nur ein Fünftel der 2.500 Ersuchen, stattgefunden haben. Wie in vielen anderen Fällen beweist der mündliche Bericht des Justizministers einmal mehr: Erst die Fakten kennen, dann handeln. Bevor schnelle und sicherlich auch gut gemeinte Forderungen öffentlich aufgestellt werden, sollte man sich zunächst die rechtliche und tatsächliche Lage vor Augen führen.

Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag antwortete die Bundesregierung, dass ihr keinerlei Anzeichen für gewalttätige Übergriffe vonseiten der Behörden der Republik Kosovo gegenüber ethnischen Minderheiten vorliegen. Auch die von Privatpersonen verübten, ethnisch motivierten Gewalttaten seien in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

- Ich komme gleich zu einigen, die sich das vor Ort angeguckt haben. Nach Erkenntnissen der vor Ort tätigen internationalen Organisationen ist der ganz überwiegende Teil der Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen nicht primär ethnisch motiviert. Der Anteil der aus ethnischen Motiven verübten Gewalttaten habe demnach im Jahr 2007 im unteren einstelligen Prozentbereich gelegen. Die Lage vor Ort hat der Bund bei der Aushandlung des Rückübernahmeabkommens also durchaus berücksichtigt.

Die Bundesrepublik Deutschland lässt die Rückkehrer ins Kosovo auch dort nicht allein, sondern hat mit einigen Bundesländern im Kosovo das Rückkehrerprojekt „URA 2“ eingerichtet. Das Projekt bietet umfangreiche Integrations-, Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen zur Wiedereingliederung an. Für alle Rückkehrer aus Deutschland steht eine soziale und psychologische Erstbetreuung zur Verfügung.

(Zurufe)

- Ich weiß nicht, warum Sie darüber lachen. Ich finde, das ist ein wichtiges Thema.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

(Gerrit Koch)

Außerdem erhalten auch rückgeführte Personen Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Es werden schließlich weitere Leistungen vor Ort gewährt, insbesondere Lebensmittel- und Mietkostenzuschüsse, Zuschüsse zu den Kosten einer medizinischen Behandlung und eine Erstausstattungshilfe. Freiwillige Rückkehrer können sogar noch weitere Hilfen erhalten.

Nun wollte ich von jemandem berichten, der da war. Ich meine eine Delegation des niedersächsischen Innenministeriums, die im November vergangenen Jahres vor Ort war. Diese Kommission hält eine Rückkehr für möglich, die allerdings behutsam und schrittweise erfolgen sollte. Die Umstände würden dies erlauben.

Meine Damen und Herren, aus Sicht der FDP-Fraktion wird mit den hier lebenden Menschen aus dem Kosovo einwandfrei und verantwortungsvoll umgegangen. Die Fraktionen von FDP und CDU unterstützen Herrn Minister Schmalfuß aber zugleich darin, die Lage im Kosovo und die Einhaltung des Rückübernahmeabkommens, aber auch die Diskussion auf Bundesebene, wo sie primär auch hingehört, mit sehr wachen Augen zu verfolgen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Nein. Ich bin mit meiner Rede zu Ende.

Meine Damen und Herren, ich erlaube mir die Zwischenbemerkung, dass wir mit den Parlamentarischen Geschäftsführern übereingekommen sind, die Frage der Geschäftsordnung und ihrer Auslegung auf die nächste Tagesordnung des Ältestenrats zu setzen, damit wir Einigkeit darüber haben, wie wir in Zukunft mit diesen Punkten umgehen können, sodass jede Fraktion nach der Reihenfolge zu Wort kommt, in der die Anträge eingegangen sind. Das machen wir während der nächsten Ältestenratssitzung. Somit können wir uns in der Debatte auf die inhaltlichen Punkte konzentrieren.

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Kollegen Ulrich Schippels das Wort.