Protokoll der Sitzung vom 21.05.2010

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Kollegen Ulrich Schippels das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ein wenig entsetzt darüber, dass hier vor allen Dingen vonseiten der Regierungskoalitionen tatsächlich die Anzahl der Fälle ins Spiel gebracht wird. Auch wenn es nur einen Menschen betreffen würde, wäre es notwendig, dass wir uns damit beschäftigen und dafür sorgen, dass diesem Menschen kein Unrecht widerfährt.

(Beifall bei der LINKEN, SPD und SSW)

Das ist unabhängig davon, ob es einen, Hunderte oder Tausende Menschen betrifft. Ich denke, auch das ist eine Erfahrung aus der Geschichte beider deutscher Staaten. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir sind auf der Erde, um uns gegenseitig zu helfen und nicht, um uns gegenseitig das Leben schwer zu machen. Wir sind nicht hier, um uns gegenseitig auszugrenzen, andere Menschen zu unterdrücken und in ihren Freiheitsrechten zu beschneiden. Auf diesen Grundlagen fußt unsere Gesellschaft, auf dieser Grundlage fußen alle drei inzwischen bei uns heimisch gewordenen monotheistischen Religionen. Mit Erlaubnis möchte ich aus dem zweiten Buch Moses, 22,20 zitieren. Leider sind nicht alle von der CDU anwesend, aber die kennen das wahrscheinlich:

„Einen Fremden sollst du nicht ausnutzen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen.“

Ein zweites Zitat, das noch stärker auf unsere heutige Problematik heute hinweist, sei angeführt:

„Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.“

Sie - und ich meine hier leider alle Fraktionen im Bundestag, von CDU bis BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - haben die Wurzeln, auf denen unsere Gesellschaft ruht, offensichtlich vergessen. Sie haben ein Europa geschaffen, das sich nach außen abschottet; nicht vor Hedgefonds und anderen Irrtümern des internationalen Finanzsystems, sondern leider vor den Menschen, die bei uns Schutz suchen. Um Europa herum existiert leider wieder eine Mauer. Jedes Jahr sterben Hunderte von Flüchtlingen, die aus höchster Not zum Beispiel über das Mittelmeer aus ihrer Heimat nach Europa flüchten. Sie flüchten, um für sich eine Perspektive in der Fremde aufzubauen. Niemand verlässt seine Heimat gern. Niemand verlässt gern seinen eigenen Kulturkreis. Fluchtbewegungen sind weltweit Fol

(Gerrit Koch)

ge von Hunger und Krieg, und nur ein sehr kleiner Teil der Flüchtlinge - auch der aus dem Kosovo erreicht Europa. Viele derjenigen, die hier ankommen, werden leider wieder abgeschoben.

In sehr kurzem zeitlichen Abstand haben sich vor Kurzem in Hamburg zwei Häftlinge das Leben genommen. Wie verzweifelt müssen diese Menschen gewesen sein? - Wie falsch und - so möchte ich auch sagen - wie menschenverachtend müssen unsere Gesetze sein, wenn die Ausführungen dieser Gesetze dazu führt, dass sich Menschen umbringen? - Selbstverständlich sind wir gegen Abschiebungen ins Kosovo. Dies betrifft selbstredend auch die Abschiebung von Roma und Ashkali. Die Situation im Kosovo hat sich vor allem für die Minderheiten seit Jahren nicht verbessert. Herr Fischer hat darauf hingewiesen. Ihnen drohen weiterhin Diskriminierung und Anfeindungen. Für uns Deutsche kommt eine zusätzliche Bürde hinzu: Die Roma wurden seit Jahrhunderten auch bei uns benachteiligt, angefeindet, ausgegrenzt, diskriminiert, verfolgt und im Faschismus sogar ermordet. 500.000 Sinti und Roma mussten damals den Wahn der Faschisten mit ihrem Leben bezahlen.

Viele aus dem ehemaligen Jugoslawien in die Bundesrepublik geflohene Roma sind inzwischen gut integriert, obwohl sie auch hier unter den Sondergesetzen des Ausländerrechts leiden. Die bereits angelaufenen Abschiebungen zerstören, sie vernichten das Glück vieler Familien. Sie zerstören die berufliche Perspektive insbesondere der jungen Leute, die bei uns heimisch geworden sind. Für viele der hier geborenen Roma bedeutet die Umsetzung des Rücknahmeabkommens zwischen Deutschland und dem Kosovo, dass sie dort mit gefährlicher Diskriminierung und dauerhafter sozialer Ausgrenzung am Rand der Gesellschaft leben müssen. Die Gefahr von Pogromen ist im Kosovo weitaus höher als zum Beispiel hier bei uns. Schon der Begriff Rücknahmeabkommen ist entlarvend. Menschen werden hier als Objekte betrachtet, ihre Rechte werden mit Füßen getreten.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte den Kolleginnen und Kollegen von der FDP sagen, die zu Recht auf die Freiheitsrechte hinweisen: Wir wollen gleiche Rechte für alle Menschen, die hier leben. Um an das Zitat vom Anfang anzuknüpfen: Der Fremde, der sich bei uns aufhält, soll bei uns heimisch werden, und wir sollten ihn lieben wie uns selbst. Für mich ist das Credo: Die moralische und ethische Verfassung einer Gesellschaft messen wir - die messe ich - daran, wie sie mit den Schwächsten in ihr umgeht. Wir wollen ei

ne solidarisches Schleswig-Holstein ohne Ausgrenzung und ohne Abschiebung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fraktionsvorsitzende des SSW, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich lege mein Manuskript zu Seite und greife ein paar Bemerkungen auf, die in der Debatte gefallen sind. Erstens. Zu den Anträgen sage ich: Aus unserer Sicht hat die Antragslage weniger damit zu tun, wer in welcher Reihenfolge zu reden hat.

Sie hat vielmehr damit zu tun, dass es ein Geschäftsordnungsproblem gibt. Es ist ein Problem, dass es nicht erst heute gibt. Es war schon immer so, dass Anträge von Oppositionsfraktionen, von regierungstragenden Mehrheiten so geändert werden können, dass sich die Oppositionsfraktionen nicht ohne Weiteres in dem geänderten Antrag wiederfinden. Das ist etwas, das wir im Ältestenrat schon mehrfach diskutiert haben. Ich bin dem Landtagspräsidenten dankbar dafür, dass es jetzt auch anlässlich dieser Anträge zu einer weiteren Klärung kommen soll.

Zweite Bemerkung. Keiner stellt sich hin und formuliert einen Antrag zu solch einer komplexen Problemstellung, ohne sich im Vorwege über die Fakten zu informieren.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Lieber Kollege Koch, es ist eine Unterstellung zu behaupten, dass dies bei diesem Antrag nicht der Fall gewesen ist.

(Gerrit Koch [FDP]: Das habe ich nicht be- hauptet!)

- Das haben Sie gesagt.

Ich hätte jedem empfehlen können, bei der Veranstaltung der SPD-Fraktion letzten Montag dabei zu sein, wo es genau um diese Frage ging.

Dritte Bemerkung. Wir haben es - ich sagte es vorhin - wirklich mit einer komplizierten Gemengelage zu tun. Auf der einen Seite hat diese Problemstellung etwas mit Flüchtlingspolitik zu tun und damit auch mit dem Renommee Schleswig-Holsteins als Land mit einer liberalen Flüchtlingspolitik. Da schaue ich den FDP-Kolleginnen und -kollegen in

(Ulrich Schippels)

die Augen und sage: Sie haben hier auch ein Renommee zu verlieren. Denn es ist wirklich so, dass wir - SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und FDP; das war vor der Zeit der Linken - uns immer gemeinsam auf Anträge in Sachen Flüchtlingspolitik, Einwanderungspolitik, Bleiberecht haben einigen können.

Also, denken Sie daran, dass Sie hier auch etwas zu verlieren haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

(Beifall der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und des Ab- geordneten Peter Eichstädt [SPD])

Noch eine Bemerkung. Minderheitenpolitisch ist dies auch ein wichtiges Thema. Ich habe kürzlich das war über Himmelfahrt - an dem Jahreskongress der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen - das ist die NGO der nationalen Minderheiten in Europa mit 86 Mitgliedsorganisationen in 32 Staaten in Europa - teilgenommen. Dieser Kongress fand in Ljubljana in Slowenien statt. Dort ging es auch um die Situation der Roma in Europa. Die Menschenrechtsagentur der Europäischen Union hat letztes Jahr in einer großen Interview-Untersuchung - 22.000 Interviews wurden gegeben - schwarz auf weiß belegen können, wie groß die Diskriminierung von Roma in Europa weiterhin ist. Dies alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, berechtigt natürlich dazu, dass wir diesen Antrag stellen.

In der „Frankfurter Rundschau“ war zu lesen, dass die Abschiebung der Flüchtlinge und in erster Linie natürlich der Roma nichts anderes als eine ethnische Säuberung des eigenen Landes von Roma aus dem Kosovo sei. Diese ethnische Dimension ist der Kern der Verhandlung zwischen Deutschland und dem Kosovo, die schließlich in diesem Rückführungsabkommen mündete. Roma und Ashkali gehören - das ist mehrfach gesagt worden - einer Minderheit an und werden aus diesem Grund anders behandelt als andere Flüchtlinge und Asylsuchende. So zumindest lautet das Fazit vom Kommissar für Menschenrechte des Europarats, der auch schon vom Kollegen Fischer zitiert worden ist, nämlich von Thomas Hammarberg.

Vor dem Hintergrund des minderheitenpolitischen Engagements Schleswig-Holsteins ist gerade unsere Landesregierung aufgerufen, hier tätig zu werden, um diese Ungerechtigkeit zu stoppen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW], des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD], der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie der Abgeordneten Ellen Streitbörger [DIE LIN- KE])

Die Dinge hängen zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Genau dazu hat der Minister die Gelegenheit, wenn in zwei Wochen bei der Frühjahrs-Innenministerkonferenz in Hamburg diskutiert werden soll. Wir unterstützen das Anliegen des Ministers, wenn es darauf hinausläuft, dieses Rückübernahmeabkommen wieder zunichte zu machen. Wir unterstützen ihn auch, wenn er sagt, er kann das uneingeschränkte Bleiberecht so nicht genehmigen. Aber er muss tätig werden getreu den liberalen Prinzipien der schleswig-holsteinischen Ausländerpolitik. 16 Personen in Schleswig-Holstein sind betroffen.

Wir wissen, dass in anderen Bundesländern - das wurde auch gesagt eine andere Stimmung herrscht. Das ist kein Zufall, dass es in Niedersachsen eine Kommission gegeben hat, die in das Kosovo gereist ist. Natürlich war es vorhersehbar, dass man sagte, es sei alles in Ordnung und es gebe keine Probleme. Denn wenn man sich mit der Materie befasst, weiß man auch, dass die Verfassung und die Gesetze des Kosovo 1a demokratisch sind und Minderheitenschutz vorsehen. Aber hier klaffen Theorie und Wirklichkeit auseinander. Darum geht es. Deshalb ist es vernünftig, dass wir noch einmal den Flüchtlingsbeauftragten anhören.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das Wort für einen Dreiminutenbeitrag erteile ich der Frau Kollegin Luise Amtsberg.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Koch, ich muss mich leider direkt an Sie wenden, obwohl ich gern darauf verzichtet hätte. Ich muss Ihnen tatsächlich eine Frage stellen. In Ihrer Rede wurde mehrfach erwähnt, dass Sie sich auf einen Bericht beziehen. Mich würde wundern, wenn Sie den gerade mündlich bekommen und mitgeschrieben haben. Für mich hört es sich sehr danach an, dass Ihnen der Bericht schriftlich vorlag. Ich möchte gern von Ihnen beantwortet haben, ob das der Fall ist und - wenn ja - warum eine schriftliche Rede oder ein schriftlicher Bericht den Oppositionsparteien vorenthalten wurde.

(Anke Spoorendonk)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Gerrit Koch [FDP]: Ich darf doch mit dem Minister sprechen!)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe die Beratung. Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag Drucksache 17/559 durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/520. Es ist Überweisung federführend an den Europaausschuss und mitberatend an den Innen- und Rechtsausschuss beantragt worden. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist so beschlossen.

Ich darf Ihnen mitteilen, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer übereingekommen sind, dass der Tagesordnungspunkt 39, Ausbau des Flughafens Lübeck-Blankensee, nicht in dieser Tagung, sondern erst in der Juni-Tagung aufgerufen wird.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 38 auf:

Ölförderung im Wattenmeer spätestens 2011 beenden

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/536

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Kollegin Marlies Fritzen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Sie heute Morgen Radio gehört haben, werden Sie die neuesten Nachrichten aus dem Golf von Mexiko mitbekommen haben: 38 km Marschland vor der Küste Louisianas sind bereits mit Öl verpestet - alles Leben tot! Seit vier Wochen sehen wir die dramatischen Bilder aus dem Golf von Mexiko. Das Loch, aus dem täglich Millionen Liter Öl strömen, ist bis heute nicht geschlossen. Nur ein geringer Teil davon wird nun auf ein Schiff geleitet. Die eingesetzten Chemikalien verursachen weitere Umweltprobleme, deren Auswirkungen niemand kennt.

Unterdessen treibt das Öl weiter unaufhaltsam auf die Küste zu. Erwartet werden Schäden in gigantischer Höhe. Einnahmeverluste der Fischer oder Tourismusbranche kann man vielleicht noch ausgleichen. Die Zerstörung der Natur ist jedoch nicht wiedergutzumachen. Mangrovenwälder sind nirgendwo käuflich zu erwerben, auch nicht für noch so viele Milliarden.