Protokoll der Sitzung vom 18.11.2009

Zum anderen kann die institutionelle Einbindung der Fraktionen von CDU und FDP leicht dazu führen - da bin ich wieder bei meinem Parlamentsverständnis, lieber Herr Kollege Kubicki -, dass nach der Beschlussfassung in der Kommission kein Spielraum für Änderungen durch den Landtag mehr besteht, weil die Koalitionsfraktionen bereits mitgewirkt haben und Kompromisse eingegangen sind. Das wäre für das Parlament ein ebenso schlechtes Signal wie die Tatsache, dass in den Bereichen Integration und Wirtschaftspolitik unter dem Deckmantel der Beauftragten die Funktion des Parlamentarischen Staatssekretärs wieder eingeführt wird. Dass diese Regierung das Parlament wenig ernst nimmt, hat der der Ministerpräsident bewiesen, als er ausgerechnet die Bühne der Landesvertretung in Berlin und ein Publikum aus der Wirtschaft gewählt hat, um seine Sparpolitik darzustellen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Diese Landesregierung wird nicht umhinkommen, den Menschen in Schleswig-Holstein Härten zuzumuten. Soweit ich sehen kann, wird es nicht gerade die Wirtschaft sein, die darunter zu leiden hat. Deshalb sollte Peter Harry Carstensen zumindest den Mut haben, seine bitteren Wahrheiten zuerst den betroffenen Menschen selbst und ihren Volksvertretern ins Gesicht zu sagen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Aber wenn der Ministerpräsident schon in der Hauptstadt war, dann hat er hoffentlich auch die Gelegenheit genutzt, mit der Bundesregierung Klartext zu reden. Denn das zweitgrößte Risiko für unseren Haushalt nach der HSH Nordbank ist die schwarz-gelbe Koalition auf Bundesebene.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Die treibenden Kräfte hinter der Schuldenbremse treiben nun eine kurzsichtige, schuldenfinanzierte Beglückung voran, und unser Land und unsere Kommunen dürfen mit 134 Millionen € jährlich zu dieser Zeche beitragen. Egal, wie sehr wir uns um Einsparungen bemühen: Dieses Wahlgeschenk der Bundesregierung bedeutet mehr Schulden für Schleswig-Holstein und schlechtere Leistungen für die Bürger. Deshalb muss die Landesregierung in Berlin an vorderster Front gegen die gemeingefährlichen Pläne der Bundesregierung kämpfen. Das hat der Ministerpräsident - wie üblich etwas später als andere Länderkollegen - jetzt auch selbst erkannt.

Diese Koalition ist als Koalition des Aufbruchs angetreten, aber sie wird als Koalition des - mir fällt leider kein anderes Bild ein - Abbruchs enden, wenn es ihr nicht gelingt, einen praktikablen Weg des Schuldenabbaus zu finden. Die Anpassung der Ausgaben an die Einnahmen wird es allein nicht bringen.

Wenn CDU und FDP sich nur auf die mehr oder weniger freiwilligen Ausgaben des Landes stürzen, bleibt vom gesellschaftlichen und sozialen Leben in Schleswig-Holstein nur noch ein Trümmerhaufen. Der einzige Weg zu einem finanziell gesunden Land ist ein systematischer Abbau der Altschulden, die uns jährlich Unsummen für Zins und Tilgung kosten. Deshalb ist es eine bittere Enttäuschung, dass das Wort „Altschuldenfonds“ in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten nicht ein einziges Mal verwendet wurde.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

In den nächsten Jahren wird die Finanzpolitik ein besonders hartes Brot sein. Umso bedenklicher ist es, dass dieses Topthema von einem Minister besetzt wird, der innerhalb eines Jahres das gesamte Vertrauen in seine Kompetenz und Handlungsstärke verspielt hat. Auch wenn die Große Koalition sie jetzt in ein anderes Ressort verlegt hat, bleibt die HSH Nordbank zuerst ein finanzpolitisches The

(Anke Spoorendonk)

ma und das Risiko Nummer 1. An dem seidenen Faden, der die Bank bisher vor einem Absturz gerettet hat, hängt auch die Existenz des Landes Schleswig-Holstein. Es ist Aufgabe der Landesregierung, dafür zu sorgen, dass dieser Faden nicht reißt. Wir teilen das Ziel der Landesregierung, den Sondermüll HSH so schnell wie möglich loswerden zu wollen. Nur leider wird ihn uns keiner abnehmen. Auch nach der unvorstellbar großen Geldspritze im Frühling wird keine Ruhe in die Diskussion um den Betrieb unserer Landesbank einkehren. Umso unerträglicher ist es, dass die Regierung sich beflissentlich aus all dem heraushält.

(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Große Koalition hat sich aus dem Aufsichtsrat zurückgezogen, und Schwarz-Gelb will keine Verantwortung übernehmen. Lediglich ein regierungsinterner Lenkungsausschuss soll es richten. Die Landesregierung verzichtet freiwillig auf ein direktes Mitspracherecht, während HSH-Chef Nonnenmacher und der Aufsichtsratsvorsitzende Hilmar Kopper die politisch Verantwortlichen und die Bürger unseres Landes weiter an der Nase herumführen. Deshalb möchte ich besonders in Richtung der FDP sagen: Den starken Worten müssen auch Taten folgen - nicht nur im Untersuchungsausschuss, sondern auch im Rahmen ihrer Regierungsverantwortung.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Der Koalitionsvertrag trägt in den Teilen, in denen wichtige Entscheidungen schon gefallen sind, die Handschrift der FDP. Das begrüßen wir, wenn es um die Innenpolitik geht. Wir werden jetzt gespannt lauschen, wie Innenminister Schlie, den wir nicht gerade als bekennenden Liberalen in Erinnerung haben, diese neuen Töne in der Praxis anstimmen wird.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Bereich der Polizei gewährt der Koalitionsvertrag erste Einblicke, die für den Anfang durchaus begrüßenswert sind. Dass im operativen Dienst keine Stellen gestrichen werden dürfen und dass es keinen Rückzug aus der Fläche geben darf, sind Selbstverständlichkeiten. Die bisherigen Reformvorhaben haben deutlich gemacht, dass die schleswig-holsteinische Polizei mit ihren Kapazitäten an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stößt. Es ist

Aufgabe der Landesregierung, zu verhindern, dass die Arbeitsbedingungen für die einzelne Polizistin und den einzelnen Polizisten sich durch immer neue Aufgaben weiter verschlechtern.

Weiter verschlechtern dürften sich auch die Bedingungen des Landeszentrums für den Datenschutz nicht. Es ist kein Geheimnis, dass die CDU bei diesem Thema nicht gerade in Wallung gerät - jedenfalls nicht im positiven Sinn. Aber Schleswig-Holstein hat im Bereich Datenschutz eine Vorreiterrolle für ganz Deutschland, und auch auf internationaler Ebene ist das ULD ein angesehener Partner. Diese Stellung müssen wir aktiv erhalten.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei CDU und SPD)

Dasselbe gilt für den Zwilling des Datenschutzes, die Informationsfreiheit. Hier sind die Ankündigungen der Koalition höchst beunruhigend. Eine Entbürokratisierung durch die Zusammenlegung des Umweltinformationsgesetzes und des Informationsfreiheitsgesetzes hört sich erst einmal fein an. Wenn das bedeutet, dass das IFG an die hohen Standards des Umweltinformationsgesetzes angepasst wird, dann hat das auch die volle Unterstützung des SSW. Allerdings haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass es eher um Verschlechterungen geht. Die Praxis belegt, dass der bürokratische Aufwand gering ist - im Verhältnis zum demokratischen Gewinn allemal.

Deshalb möchte ich davor warnen, dieses Wahrzeichen eines modernen Staates und einer modernen Verwaltung wieder zu opfern.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Trotzdem bleibe ich dabei: Für die Bürgerrechte ist dieser Koalitionsvertrag in weiten Teilen ein Fortschritt, den wir uneingeschränkt begrüßen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In einer Reihe anderer wichtiger Fragen wird dieses Bündnis unser Land aber nicht voranbringen. Besonders bitter ist der Kompromiss in der Bildungspolitik. Als Zukunft gilt nun eine „Gemeinschaftsregionalschule“, die an der frühen Sortierung der Kinder festhält und deren Gemeinschaftsschulteil durch äußere Differenzierung ausgehöhlt wird. Möglicherweise kehrt sogar die Realschule als Untote zurück. Diese Lösung, an einer halbfertigen

(Anke Spoorendonk)

Schulreform festzuhalten und möglicherweise noch ein wenig Altes zurückzuholen, mag Konflikte in der CDU und in der FDP befrieden. Für die Schulkinder und ihre Eltern ist dies eindeutig die falsche Richtung - für den Landesrechnungshof im Übrigen auch.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie vereinzelt bei der SPD)

Eine ähnliche Verflüchtigung der Verantwortung finden wir auch in der Hochschulpolitik. Hier und da wird ein bisschen rumgeschraubt, das grundlegende Problem der fehlenden finanziellen Ausstattung wird aber großzügig ignoriert. Umso mehr sehen wir der weiteren Übertragung von Verantwortung an die Hochschulen mit Skepsis entgegen. Eine Stärkung der Autonomie der Hochschulen kann natürlich von Vorteil sein. Die Beseitigung der Probleme mit der Bologna-Reform ist aus unserer Sicht vor allem die Aufgabe der einzelnen Hochschulen. Darüber hinaus besteht aber die Gefahr, dass das Land die Probleme auf die Hochschulen abwälzt und sich zurücklehnt.

Stärkung der Autonomie muss heißen, dass das Land zunächst seine Verpflichtung erfüllt, gute Rahmenbedingungen zu schaffen - dann haben die Hochschulen die Verantwortung, diese auch mit guter Lehre und Forschung auszufüllen. Der SSW erwartet weiterhin, dass die Landesregierung den Hochschulstandort Flensburg stärkt, die Universität Flensburg nicht zu einer verkappten Pädagogischen Hochschule zurückentwickelt und ihre Selbstständigkeit nicht antastet.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Serpil Midyatli [SPD] und Birte Pauls [SPD])

In der Minderheitenpolitik haben wir heute immerhin ein Stück Klarheit bekommen. 2005 hat sich der Ministerpräsident entschieden, die Kulturpolitik in der Staatskanzlei anzusiedeln und die neue Stelle der Kulturbeauftragten mit der Stelle der Minderheitenbeauftragten bei einer Person zu bündeln. Diese Struktur wird jetzt wieder infrage gestellt. Es gibt gute Gründe dafür, die Kultur wieder mit dem Bildungsministerium zu vereinigen. Wer das Ohr an die Kulturwirtschaft in SchleswigHolstein legt, weiß, dass sie nicht unbedingt besser schläft, seitdem die Kultur Chefsache ist. Für die Minderheiten ist es aber entscheidend, dass die Minderheitenpolitik nicht vom Tisch des Chefs fernrückt. Minderheitenpolitik ist in SchleswigHolstein immer eine partei- und ressortübergreifen

de Politik gewesen. Deshalb begrüßen wir, dass der Ministerpräsident weiterhin zuständig sein wird. Deshalb muss die Stelle der Minderheitenbeauftragten auch in der Staatskanzlei bleiben.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für den SSW steht die Gleichstellung der Minderheiten auch in dieser Wahlperiode ganz oben auf unserer Agenda. Wir haben in den letzten Jahren einiges erreicht. Unsere Kinder und Erwachsenen erhalten von ihrem Land aber immer noch nicht dasselbe wie ihre Gleichaltrigen in der Mehrheitsbevölkerung. Deshalb können wir nur davor warnen, hier wieder den Rotstift anzusetzen. Der SSW akzeptiert, dass die Lage des Landes so kritisch ist, dass es in den kommenden Jahren wenig Spielraum für eine weitere Annäherung an die Gleichstellung gibt. Wir werden aber keine Rückschritte akzeptieren. Wenn wir gleichgestellt sind, werden wir selbstverständlich auch solidarisch finanzielle Opfer erbringen wie der Rest der Bevölkerung. Aber solange dies in zentralen Bereichen nicht der Fall ist, werden wir das Ziel der Gleichstellung weiter verfolgen.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Minderheitenpolitik ist aber mehr als Finanzpolitik, und deshalb kann die schlechte Haushaltslage nicht als Entschuldigung dafür dienen, in diesem Bereich jetzt den Stillstand zu üben. Der SSW wird in dieser Wahlperiode Vorschläge für eine Sprachenpolitik des Landes unterbreiten, die nicht nur den kulturellen Reichtum unseres Landes herausstellt, sondern auch den Standort Schleswig-Holstein international profilieren und stärken kann. Wir hoffen dabei auf offene Ohren und tatkräftige Unterstützung durch die Landesregierung.

(Beifall bei SSW, der LINKEN und der Ab- geordneten Birte Pauls [SPD])

Stillstand können wir uns ebenso wenig leisten, wenn es um die Fortentwicklung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit unseren dänischen Nachbarn geht. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, dass Ministerpräsident Carstensen in dieser Frage wesentlich mehr geleistet hat als seine sozialdemokratische Vorgängerin.

(Beifall bei der CDU)

(Anke Spoorendonk)

Allerdings müssen wir auch erkennen, dass die neuen Jahrespläne im Jahrestakt nicht erfüllt werden. Die Hauptschuld hierfür trägt die Landesregierung, die gern Pläne schmiedet, aber die Umsetzung auf andere Ebenen abwälzt und sich vor der Finanzierung der konkreten Projekte drückt. Die Zusammenarbeit mit unseren dänischen Nachbarn ist die entscheidende strategische Perspektive, um Wachstum und Arbeitsplätze im Norden zu schaffen. Deshalb muss die Landesregierung hier endlich Butter bei die Fische tun.

Eine Voraussetzung für die grenzüberschreitende Entwicklung ist, dass die Infrastruktur stimmt. Deshalb begrüßen wir, dass der Ausbau der B 5 und der Ost-West-Verbindungen auf dem Plan der Koalition stehen. Große Projekte für den Norden wie den Ausbau der A 7 bis zur dänischen Grenze oder die Erneuerung der Rendsburger Hochbrücke werden aber nicht erwähnt. Es ist ganz offensichtlich, dass die feste Fehmarnbelt-Querung im Zentrum der Verkehrspolitik steht und für lange Zeit die Aufmerksamkeit und die Gelder in den Südosten des Landes lenken wird.

Dies lässt sich auch nicht dadurch beheben, dass beim Straßenbau nun die öffentlich-private Partnerschaft forciert wird. Der Fall L 192 - Betonstraße hat ja gezeigt, dass selbst der Landesrechnungshof einen wirtschaftlichen Gewinn durch ÖPP nicht klar belegen kann. Trotzdem habe ich keine Zweifel, dass in den kommenden Jahren die Privatisierungsprojekte wie Pilze aus dem Boden schießen werden. Die große Vorliebe von CDU und FDP für Privatisierungen ist weder rational noch empirisch, sondern ideologisch begründet - und sie ist überholt.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Die Privatisierung von öffentlichen Aufgaben ist eine Lösung der 80er- und 90er-Jahre. Die Praxis hat längst bewiesen, dass sie alles andere als ein Allheilmittel ist. Die Vorteile haben nicht zuerst die Bürger, sondern die Unternehmer, die damit Profit generieren. Die Politik gibt ihre Steuerungsmöglichkeiten für elementare öffentliche Aufgaben ab, trägt aber weiterhin die Risiken. Das ist ein Holzweg.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Von einem anderen Holzweg sind wir glücklicherweise abgekommen: Das Ergebnis der Landtags