Protokoll der Sitzung vom 18.06.2010

Wir begrüßen auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der Herderschule in Rendsburg. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Für die SPD-Fraktion hat nun der Vorsitzende Dr. Ralf Stegner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute genau vor einer Woche hat mein ältester Sohn sein Abitur gemacht.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU] und Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Meine Frau und ich sind auch sehr stolz. Ich weiß, Frau Kollegin Herdan, das ist bei Ihnen genauso, denn Ihr Sohn war ja in der Klasse von meinem

(Marion Herdan)

Sohn. Das ist bei mir anders als bei meinen Eltern. Bei meinen Eltern war es so: Die hatten fünf Kinder, da ging es nicht, die Kinder in den Kindergarten zu schicken. Ich war in keinem Kindergarten. Die Gebühren hätte man damals gar nicht bezahlen können. Wir hatten nicht einmal Lernmittelfreiheit. Ich weiß, was ich dem zu verdanken habe, dass sich das geändert hat.

Ich muss Ihnen sagen, Sie haben vieles gelernt, übrigens haben wir gemeinsam gelernt in den letzten Jahren. Aus 700.000 DM, die wir 1988 für die Kita-Förderung hatten, haben wir 60 Millionen DM gemacht. Meine Kinder sind in den neu gebauten Kindergarten in Bordesholm gegangen, den ich als Sozialstaatssekretär eröffnen durfte. Wir haben eine Menge Geld dort hineingesteckt.

Trotzdem haben wir einen Fehler gemacht, als wir aus Finanznot, ich bekenne mich dazu - das damals bei 60 Millionen DM gedeckelt haben. Es hat nicht gereicht. Ich habe manchen Strauß mit der Kollegin Heinold ausgefochten. Ich begrüße, dass Sie den Deckel aufheben. Ich glaube, dass das richtig ist. Wir brauchen nämlich Verbesserungen in den Kindertagesstätten. Ich bin auch froh, dass Sie auch etwas gelernt haben. Wir haben nämlich ganz oft im Koalitionsausschuss darüber verhandelt, dass Sie gesagt haben: Entbürokratisiert doch, entlastet die Gemeinden, lasst uns die Standards senken. Heute wollen Sie die Standards nicht mehr senken. Das begrüße ich sehr. Insofern haben Sie auch etwas gelernt.

Ich sage Ihnen aber auch, jetzt hinzugehen und zu sagen, wir heben den Deckel auf, die Eltern sollen das selbst bezahlen und der Rest geht in die Kasse des Finanzministers, das ist eine Schwerpunktsetzung, Frau Herdan, aber es ist eine Schwerpunktsetzung gegen Kinder und Familie. Das ist falsch,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

zumal Sie ja auch noch die Schülerbeförderungskosten den Eltern zuschieben wollen.

Bildung entscheidet heute über Lebenschancen. Wir wissen ganz genau, dass wir mehr für die frühkindliche Bildung tun müssen, dass wir mehr für Kinder mit Migrationshintergrund tun müssen, für Kinder von Alleinerziehenden, dass wir mehr für die Ausbildung von Erzieherinnen tun müssen. Die müssen übrigens auch besser bezahlt werden. Wir haben unglaublich viel zu tun. Das heißt, wir brauchen in diesem Bereich nicht weniger Geld, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern wir brauchen mehr Geld, und zwar erheblich mehr

Geld. Das werden wir als Schwerpunktsetzung, als Priorität wirklich so machen müssen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist für uns auch die erste Priorität. Es stimmt auch nicht das Argument, wenn Sie sagen: Das kommt doch anderen zugute. Habe ich nicht von Ihnen gehört, die letzte Erhöhung des Kindergeldes sei gut gewesen? Da ist der Effekt viel breiter und trifft andere. Hier ist das deutlich zielorientierter. Wir wissen ganz genau, dass, wenn wir das mit der Beitragsfreiheit von der Kita bis zum Studium schaffen, das die Chancen für Menschen erhöht, Aufstieg durch Bildung zu schaffen in einer Welt, wo Deutschland als führendes Industrieland buchstäblich Schlusslicht ist, was den Aufstieg angeht. Das müssen wir doch alle miteinander ändern wollen.

Da geht man doch nicht hin und sagt: Dann schaffe ich das mit der Beitragsfreiheit ab, was wir hier gemeinsam mit Stolz beschlossen haben. Ich war stolz darauf, dass wir dieses Gesetz hier gemacht haben. Dass wir dieses Gesetz nun abschaffen sollen, das finde ich ein falsches Signal. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, das wird auch niemand verstehen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Genau!)

Natürlich kostet das Geld. Das weiß ich auch. Ich will Sie auch nicht damit behelligen zu sagen, dass Sie ja selbst im Dezember dazu beigetragen haben, indem Sie einfach die Stimme gehoben haben, um Leuten zu helfen, die die Hilfe gar nicht brauchen. Das hätte für zwei kostenfreie Kita-Jahre gereicht. Warum tut man so etwas? Das ist kein wirkliches Argument.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Aber selbst wenn man mit dem Geld argumentiert, kann man es anders machen. Sie wissen doch ganz genau, wenn man heute Kinder fördert, wenn man ihnen Chancen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Leben zurechtkommen, dass nicht die Jugendhilfekosten steigen, wie wir es in den Gemeinden haben, groß ist. Wir wissen, was aus ihnen wird, wenn man ihnen nicht hilft. Sie bekommen keinen Ausbildungsplatz, ihnen wird nicht geholfen bei der Sprachförderung, sie landen am Ende im Sozialtransferbezug. Das wollen wir doch alle vermeiden.

Es ist also nicht nur gerecht, es zu fördern, sondern es ist auch fiskalisch vernünftiger. Das Argument

(Dr. Ralf Stegner)

mit dem Geld ist ein Falsches. Deswegen sollten wir das auch nicht tun.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Ich weiß, Sie bekommen zurzeit sehr viel Lob in den Zeitungen, das sei sehr mutig. Meine Damen und Herren, was ist daran eigentlich mutig, wenn man den Schwächsten, den Kindern und den Familien, etwas wegnimmt? Das ist nicht mutig.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Unglaublich! Ich fange gleich zu wei- nen an!)

Im Gegenteil. Ich muss Ihnen sagen, das ist wirklich falsch. Mich zumindest berührt auch die Frage, dass wir bei diesem Thema auch über unsere Glaubwürdigkeit reden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Genau!)

Wir haben das vor wenigen Monaten beschlossen. Wir sind im Wahlkampf, übrigens beide Parteien. Ich bedaure sehr, dass der Herr Ministerpräsident bei diesem Thema nicht hier im Raum ist und zuhört. Wir haben bei diesem Thema landauf und landab dafür geworben, dass wir den Eltern diese Beitragsfreiheit geben. Die Union hat sogar gesagt, sie seien die Ersten gewesen, die das Gesetz eingebracht haben.

Wenn Sie dann ein halbes bis dreiviertel Jahr später nach dieser Wahl, nachdem sie sie knapp gewonnen haben, sagen, jetzt seien die Verhältnisse völlig anders, dann ist das ein dermaßener Tort gegenüber dem Thema Glaubwürdigkeit, dass es nicht nur Ihnen schadet, sondern uns allen hier.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Das müssen Sie gerade sagen!)

Deswegen will ich Ihnen auch gar keine Zitate vorhalten - was ich tun könnte. Ich möchte Sie nicht quälen, sondern an Sie appellieren.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- An Sie appelliere ich nicht, Herr Kubicki. - Ich appelliere an die Kollegen Abgeordneten insbesondere in der Unionsfraktion, sich gut zu überlegen, ob Schleswig-Holstein heute das Signal geben sollte, dass wir das Versprechen, das wir Kindern und ihren Eltern gemacht haben, übrigens auch den Kommunen - in Schleswig-Holstein gibt es bundesweit die höchsten Beiträge, weil wir so haben nachholen müssen - zurücknehmen. In Rheinland-Pfalz

haben die auch mit dem ersten Kita-Jahr angefangen. Die haben jetzt mit einer SPD-geführten Regierung, aber mit Zustimmung der Oppositionsfraktionen beschlossen, dass jetzt alle Jahre beitragsfrei sind und es nach vorne geht. Das haben die in Rheinland-Pfalz beschlossen.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW)

Das kann man doch auch tun. Natürlich wissen wir, dass die Gelder knapp sind. Und Sie werden, wenn wir unsere Haushaltskonsolidierungsvorschläge vorlegen, feststellen, dass auch wir werden sagen müssen, dass der bisherige Zeitplan in der Ehrgeizigkeit nicht zu halten sein wird. Aber am Ziel wird festgehalten. Und man geht doch nicht rückwärts. Deswegen appelliere ich an Sie, das heute ernst zu nehmen und es sich zu überlegen, ob Sie wirklich einen so traurigen Tag für Schleswig-Holstein in dem Sinne beschließen wollen, dass Sie das zurücknehmen, was Sie den Eltern versprochen haben, was uns einen kleinen Schritt in die richtige Richtung gebracht hat.

Meine Fraktion hat auch deswegen namentliche Abstimmung beantragt, weil ich wirklich glaube, dass man, wenn man mit einem solchen Thema in den Wahlkampf hineingeht und man die Beitragsfreiheit verspricht, nicht ein Dreivierteljahr später sagen darf, dass das nicht mehr gilt. Das schürt Politikverdrossenheit. Tun Sie das bitte nicht. Überlegen Sie es sich. Stimmen Sie bei der Abstimmung mit Nein. Ich appelliere an jeden Einzelnen von Ihnen und sage Ihnen: Der Dank aller - nicht der Oppositionsfraktionen, darauf legen Sie keinen Wert Menschen in Schleswig-Holstein ist Ihnen gewiss, wenn Sie dieses tun. Mich haben viele angesprochen und gefragt, ob wir das wirklich machen und ob wir dabei bleiben. Natürlich habe ich im Wahlkampf für die SPD geworben. Aber ich habe auch gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass die Union, die das mitbeschlossen hat, das zurücknimmt. Ich appelliere an jeden Einzelnen von Ihnen, in dieser namentlichen Abstimmung noch einmal zu überdenken, ob es wirklich richtig ist, die Beitragsfreiheit abzuschaffen. Die SPD findet dieses falsch. Meine Fraktion wird in namentlicher Abstimmung geschlossen gegen dieses schlechte Gesetz stimmen. Wenn Sie es anders machen, dann wird Ihnen das noch leidtun.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

(Dr. Ralf Stegner)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin wirklich beeindruckt von dem neuen Ralf Stegner.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich wünschte mir, er würde dabei bleiben, künftig in dieser Form von Theatralik seine Reden zu halten. Das wäre angenehmer als das, was wir sonst erleben.

(Serpil Midyatli [SPD]: Kommen Sie zum Thema! - Heiterkeit)

- Das ist Teil des Themas, gnädige Frau.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben über die Frage des kostenfreien Kita-Jahres in den vergangenen Wochen schon oft gestritten, zumeist hart, aber zugleich nicht immer fair. Hier haben wir es auch oft mit gewagten argumentativen Seiltänzen zu tun gehabt, mit moralischen Vorwürfen, mit hanebüchenen Forderungen, aber auch - das gilt es herauszustellen - mit einigen wenigen klugen und ehrlichen Stimmen.

Emotionalität ist natürlich in dieser Auseinandersetzung nie ganz auszuschalten, eben weil es um die Zukunft unserer Kinder geht. Zunächst möchte ich zitieren, was die SPD-Abgeordnete Astrid Höfs am 23. April 2008, also vor der Einführung des kostenfreien Kita-Jahres, in diesem Hause erklärte:

„Von den fünfjährigen Kindern besuchen zurzeit etwa 95 % eine Kita. … Ich denke, jene 5 % der fünfjährigen Kinder, die zurzeit eine Kita nicht besuchen, werden wahrscheinlich auch nicht erscheinen, wenn die Kita beitragfrei ist.“