Protokoll der Sitzung vom 18.06.2010

Wenn durch die gestrige Ausschusssitzung etwas klar geworden ist, dann ist es die Tatsache, dass es in diesem Zusammenhang schlicht und einfach viel zu viele offene Fragen gibt. Diese müssen aus Sicht des SSW erst einmal geklärt werden, bevor hier eine Entscheidung getroffen werden kann.

Als neues Mitglied des Landtags kann ich meine Verwunderung und Enttäuschung über die Art und Weise, wie mit diesem Thema umgegangen wird, nicht verbergen.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

20 Jahre lang bin ich im Kreistag Schleswig-Flensburg gewesen, und ich dachte, ich wäre schon etwas gewöhnt, aber so etwas hat man uns dort nicht geboten.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

In dieser Angelegenheit wäre es meiner Meinung nach das Mindeste, die Betroffenen im Rahmen einer Anhörung einzubeziehen. Hier meine ich vor

allem auch die Elternvertreter. Das wird doch auch in vielen anderen Fällen, die weit weniger komplex sind, ganz selbstverständlich so gemacht.

Diese indiskutable Vorgehensweise der Regierungsfraktionen liegt natürlich darin begründet, dass die ersatzlose Streichung des beitragsfreien Kindergartenjahres auf der sozial unausgewogenen und intransparent erarbeiteten Sparliste der Regierung steht. Als Begründung hierfür wird nun genannt, dass sich das Land die Kosten von rund 35 Millionen € pro Jahr einfach nicht mehr leisten kann.

Trösten soll die direkt Betroffenen anscheinend die Erhöhung der Zuschüsse für die laufenden Betriebskosten der Kindertagesstätten. Die Standards bei Personal und Gruppengröße werden, so jedenfalls der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung, durch die Aufstockung um 10 Millionen € gesichert. Dass die Erfüllung des Bildungsauftrags so ganz einfach nicht gelingen kann, weil sich die Einrichtungen und Fachkräfte schon längst an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit befinden, wird durch die Verantwortlichen leider völlig ignoriert. Genauso wie die Tatsache, dass die Erhöhung des seit 2004 festgefrorenen Betriebskostenzuschusses längst überfällig war, und die 10 Millionen € im Grunde nicht mehr sind als eine neue Deckelung zum Ausgleich der Kostenentwicklung in den vergangenen Jahren.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Für den SSW steht fest: Wir brauchen hier dringend eine Dynamisierung.

Auch ohne Anhörung muss klar sein, dass die ersatzlose Streichung des beitragsfreien Kindergartenjahres selbstverständlich unmittelbare negative Auswirkungen auf die Kinder und ihre Eltern hat. Sie müssen in Zukunft tiefer in die Tasche greifen, um diese unsinnige Sparmaßnahme der Regierung zu finanzieren. Oder aber sie verzichten auf dieses wichtige Angebot und nehmen eine Benachteiligung ihrer Kinder in Kauf. Wir alle wissen aber, dass es leider gerade die Kinder von gering Verdienenden und der Hartz-IV-Empfänger sind, die durch diese Entscheidung besonders hart getroffen werden. Vor dem Hintergrund einer uneinheitlichen Sozialstaffel, in der die Kosten für die Betreuung letztlich von der Postleitzahl abhängen, sehen manche Eltern kaum eine Möglichkeit, ihre Kinder in einer Kita zu belassen.

(Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN)

(Flemming Meyer)

Wir wissen zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht, welche zusätzliche Kosten auf diese Eltern zukommen. Wenn ich zum Beispiel an die Streichung der Zuschüsse für die Schülerbeförderung denke, dann kommt dort noch etwas auf diese Menschen zu. Eine Entwicklung mit solchen Konsequenzen ist aus der Sicht des SSW untragbar. Wir sind der Auffassung, dass frühkindliche Bildung kein Luxus ist, der vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf, sondern ganz einfach eine bildungsund sozialpolitische Notwendigkeit.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Gerade für die privaten Träger ergeben sich aus der Entscheidung der Landesregierung sehr ernste Probleme. Sie bemerken schon jetzt eine große Unruhe und Veränderungen im Anmeldeverhalten der verunsicherten Eltern. Die Kinder werden erst zum zweiten oder dritten Kita-Jahr angemeldet oder im Extremfall sogar abgemeldet. Nähere Zahlen hierzu existieren natürlich noch nicht, und sie erscheinen den regierungstragenden Fraktionen für eine Entscheidung offensichtlich auch nicht notwendig.

Vor allem sind aber die erforderlichen Änderungen in den Einrichtungssatzungen bis zum 1. August ganz einfach nicht zu bewältigen. Die Behauptung, wir müssten gerade wegen dieses engen Zeitraums die Änderung des Kindertagesstättengesetzes in einer einzigen Tagung in erster und zweiter Lesung behandeln, wirkt auf viele einfach ignorant. Eines muss ich deshalb deutlich sagen: Die Abschaffung des beitragsfreien Kita-Jahres bereits zum August dieses Jahres hat zur Folge, dass in vielen Fällen kaum gegengesteuert beziehungsweise die Finanzierungsgrundlage geändert werden kann. Dass das Thema nun im Schnellverfahren abgehandelt werden soll, ändert an dieser Tatsache überhaupt nichts.

Uns allen sollte klar sein, welch enorme Bedeutung die Arbeit der Fachkräfte in den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung für unseren Nachwuchs hat. Durch ihre wertvolle Betreuungsarbeit werden die Kinder für die Schule vorbereitet und in der Entwicklung ihres Sozialverhaltens unterstützt.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Gespräche mit Fachkräften und Trägern zeigen leider immer wieder, dass die Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher nicht besonders gut sind. Die Träger sprechen deshalb auch von einem handfesten Rekrutierungsproblem. Doch an

statt Anreize zu geben, damit endlich mehr Menschen eine Arbeit als Fachkraft in einer Kita aufnehmen, wird die Attraktivität dieses Berufs noch verringert. Der Umgang mit diesem Thema und damit auch mit den betroffenen Fachkräften zeigt jedenfalls keine Wertschätzung dieser Arbeit.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die anspruchsvolle und völlig richtige Versorgungsquote für Kinder in frühkindlichen Betreuungseinrichtungen erfordert aber die Einstellung von rund 3.000 zusätzlichen Fachkräften. Nicht zuletzt durch den erweiterten Bildungsauftrag kommt den Einrichtungen und Mitarbeitern in der frühkindlichen Förderung die wichtige Aufgabe zu, die Kinder in ihren Stärken zu unterstützen und ihre Schwächen auszugleichen. Das beitragsfreie Jahr hat dafür gesorgt, dass jedes Kind zumindest für die Dauer eines Jahres in den Genuss dieser wichtigen Förderung kam.

In seiner Regierungserklärung zum Auftakt dieser Landtagstagung behauptete der Ministerpräsident, dass die frühkindliche Bildung unter der Führung von CDU und FDP gestärkt werde. Vor dem Hintergrund dieser Debatte fällt es mir persönlich aber sehr schwer, dies nachzuvollziehen.

(Beifall beim SSW)

Es ist ein Armutszeugnis für uns alle hier, wenn es nicht gelingt, die Bedingungen in diesem Bereich entscheidend zu verbessern. Hier geht es um nichts weniger als die Sicherung der Zukunft unseres Landes. Eine Stärkung der frühkindlichen Bildung lässt sich in der Abschaffung des beitragsfreien Jahres aus Sicht des SSW jedenfalls nicht erkennen.

Für eine weitere Verbesserung wäre vielmehr das Gegenteil notwendig. Das Angebot müsste dringend erweitert werden, damit der Zugang zu den Einrichtungen unabhängig von der finanziellen Situation der Eltern möglich wird. Stattdessen soll hier eine Gesetzesänderung durchgepeitscht werden, die einen empfindlichen Eingriff in das fragile Finanzierungssystem einer Kita darstellt. So viel und nicht viel mehr ist zu diesem Zeitpunkt sicher.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Flemming Meyer)

Ja. - Wenn es dann auch nicht gelingt, die Abschaffung des beitragsfreien Jahres zu verhindern, dann sollten wir aber im Sinne der Planungssicherheit der Träger zumindest dafür sorgen, dass die Streichung erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen wird. Wir haben ja gestern gehört, dass die Regierung, wenn es um die Erhöhung der Einnahmen durch die Grunderwerbsteuer geht, durchaus warten kann. Dann könnte sie auch in dieser Situation warten.

(Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN)

Das Wort zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Kollegen Peter Sönnichsen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist das Thema Grunderwerbsteuer angesprochen worden, das wir am gestrigen Tage hier behandelt haben. Darauf will ich gern zurückkommen. Ich bedauere es ein bisschen, dass das Ganze hier mehr oder weniger nur unter finanzpolitischen Gesichtspunkten gesehen wird, aber dann muss man auch dazu Stellung nehmen.

Als wir gestern die Debatte hatten, liebe Frau Kollegin Erdmann, sollte die Erhöhung der Grunderwerbsteuer dazu beitragen, die Sparziele dieses Landes zu erreichen. Überschrift „Einnahmen steigern, damit wir nicht nur über die Ausgabenseite reden“. Heute ist das alles hinfällig, und Sie sagen, die Grunderwerbsteuer nehmen wir lieber, um das beitragsfreie Kindergartenjahr zu bezahlen.

(Zuruf der Abgeordneten Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So und nicht anders war die Ansage. Das ist nachhaltige Finanzpolitik der Grünen, die Sie hier eben demonstriert haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Ich will auch noch einmal das ansprechen, was der Finanzminister wahrscheinlich mit seiner Frage ansprechen wollte. 2005 hatte dieses Land eine Neuverschuldung von 1,7 Milliarden €. Wir haben uns damals in der großen Koalition vorgenommen, das über zehn Jahre bis 2015 auf Null zu führen. 2007, zum Zeitpunkt der Entscheidung für das beitragsfreie Kindergartenjahr, waren wir diesem Ziel weit voraus. Die Neuverschuldung konnte halbiert werden, und es ist uns damals leicht gefallen, diese

Entscheidung zu treffen. Heute fällt es uns - das hat meine Kollegin vorhin angesprochen - natürlich unheimlich schwer, das wieder zurückdrehen zu müssen. Aber es muss ganz einfach aufgrund der Interessenlage des Landes sein.

Dann will ich Ihnen das noch an einem anderen Punkt verdeutlichen und mich dazu auch outen. Seit etwa acht Wochen bin ich Großvater.

(Beifall)

- Vielen Dank. - Wenn ich meinem Enkel jeden Monat 50 € auf das Sparbuch lege, hat er zu seinem 18. Geburtstag noch nicht einmal so viel, wie seine anteiligen Landesschulden sind. Das muss uns bewegen, hier vernünftige Politik zu machen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Frau Kollegin Silke Hinrichsen. - Der Kollege Lars Harms wollte jeweils 100 € aufs Sparbuch packen.

(Heiterkeit)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen noch eine Innen- und Rechtsausschusssitzung zu diesem Thema durchgeführt. Unsererseits wurde die Frage gestellt, wie denn die freien Träger darauf vorbereitet sind, wenn die Änderungen zum 1. August 2010 umgesetzt werden müssen. Die Antwort war, das sei diesen über die Kindergartenlenkungsgruppe mitgeteilt worden. Es sind nicht alle in diesem Gremium vertreten, aber sie sind tatsächlich informiert worden.

Was bedeutet das? Sie haben ein Schreiben vom 8. Juni 2010 gekriegt, in dem steht: Es könnte sein, dass ab heute möglicherweise eine Veränderung stattfindet und die Beitragsfreiheit aufgehoben wird.

Daraufhin unsere Nachfrage bei den freien Trägern: Wie machen Sie das denn? Die sagen: Ja, wenn wir ein Schreiben kriegen, in dem steht „könnte“, kann ich die Eltern immer noch nicht anschreiben.

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Richtig!)

Das bedeutet, dass nächste Woche, wenn ihnen das möglicherweise mitgeteilt wird, sämtliche Eltern in den jeweiligen Kindergärten angeschrieben werden müssen, ihnen erstens mitgeteilt werden muss: „Die Beitragsfreiheit für das dritte Kindergartenjahr wird

aufgehoben“, sie zweitens, wenn sie am dritten Kindergartenjahr teilnehmen wollen, gefragt werden müssen: „Möchten Sie das?“, und ihnen drittens gesagt werden muss: „Stellen Sie bitte so schnell wie möglich bei der Kommune“ - wohl gemerkt! - „den Antrag, wenn Sie die Sozialstaffel in Anspruch nehmen wollen.“