Protokoll der Sitzung vom 07.07.2010

Das Gesetz zur Sicherung von Beschäftigung und Stabilität in Deutschland - das sogenannte Konjunkturpaket II - kostet die Kommunen 2010 33,8 Millionen €. Das Gesetz zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums - das sogenannte Wachstumsbeschleunigungs-, in Wirklichkeit das Mövenpick-Förderungsgesetz - vom 22. Dezember 2009 kostet die Kommunen in Schleswig-Holstein jährlich 58,4 Millionen €. Damit ist längst nicht Schluss.

Zusammengenommen verlieren die Kommunen 2010 über 284 Millionen €, 2011 288 Millionen € und 2012 260 Millionen € allein durch Bundesgesetze. Und das - das können Sie leicht nachrechnen - entspricht in etwa 6.000 Vollzeitstellen.

Jetzt soll das Sparprogramm des Landes kommen, das vermutlich noch einmal so viele Stellen kosten wird und wieder da ansetzt, wo die Menschen sich nicht wehren können. Ganz persönlich sollten Sie sich für die Kürzung des Blindengeldes und die Abschiebung der Menschen in die Blindenhilfe, die die Kommunen zu zahlen haben, schämen!

(Beifall bei der LINKEN)

Seitdem aber die Politik der Steuersenkung für Superreiche, der Ermutigung der Banker zum Betrug und der Fehlsteuerung der verbliebenen Mittel in wertlose Kreditpapiere 2008 an die Wand gefahren ist, geht Schwarz-Gelb zum wirtschaftspolitischen Amoklauf über. Die Landesregierung beab

sichtigt, das Land und die Kommunen zu ruinieren, um eine vermeintlich schöne neue Wirtschaftswelt entstehen zu lassen.

Langsam aber wird den Menschen im Land Ihr Spiel klar. Als Erstes Steuersenkungen für Superreiche seit der Regierung Schröder mit der Folge hoher Staatsverschuldung, danach das Scheinargument, wir könnten uns den Sozialstaat nicht mehr leisten, es müsse gespart werden. Gleichzeitig irrsinnige Transfers an Banker, die Millionen-Boni aus den Steuereinnahmen nach Hause schleppen. Allein bis Ende 2009 wurden über 100 Milliarden € an die Banken ausgezahlt.

Nun droht die Überschuldung und erneut kommt die Drohung, wir könnten uns leider den Sozialstaat und die Kommunen nicht mehr leisten, und die vielen Kreise schon gar nicht mehr. Das alles, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, wissen Sie doch längst selbst. Man hört und liest es doch, wenn Sie sich selbst mit den Folgen Ihrer Sparanstrengungen beschäftigen.

Der gute alte Goethe hat Ihren Gemütszustand schon festgehalten. Der sagt:

„Nein, nicht länger kann ich’s lassen; will ihn fassen. Das ist Tücke! Ach! nun wird mir immer bänger! Welche Miene! Welche Blicke!“

Aber glauben Sie nicht, dass irgendwann der alte Meister um die Ecke kommen würde! Stellen Sie sich lieber auf die Straße, reden Sie mit den Menschen, gehen Sie in die Kommunalparlamente, und reden Sie mit haupt- und ehrenamtlichen Kommunalpolitikern! Die alle werden Ihnen das Gleiche sagen: Ihr Kurs geht in die Irre. Man will Sie nicht mehr. Schwarz-Gelb hat das kleine bisschen Vertrauen aus dem Herbst 2009 furios verspielt und steht heute ohne jeden Rückhalt innerhalb der Gesellschaft da.

(Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und des Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD])

Schauen Sie auf die Straße, wenn im September hier die nächsten Großdemonstrationen stattfinden, und sehen Sie: Sie sind am Ende!

Doch auch ich habe keine Hoffnung, dass Sie das einsehen werden. Am Ende wird wohl das höchste Gericht dieses Landes kommen müssen, um den guten Ausgang dieses Dramas zu erreichen. Denn am Ende wird - zumindest bei Goethe - doch noch alles gut. Der sagt nämlich:

(Heinz-Werner Jezewski)

„In die Ecke, Besen, Besen! Seid’s gewesen!“

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christopher Vogt [FDP]: Das war ja witzig!)

Das Wort für die SSW-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Nicht zuletzt durch die Debatte um die Verankerung einer Schuldenbremse in der Landesverfassung sollte jedem von uns klar geworden sein, wie bedrohlich die finanzielle Lage Schleswig-Holsteins mittlerweile ist. Der vorliegende Bericht der Landesregierung über die finanzielle Situation der schleswig-holsteinischen Kommunen zeigt, dass dies leider auch für viele Gemeinden, Städte und Kreise im Land gilt. Der bundesweite Vergleich, wonach es ihnen noch recht gut geht, spendet da wenig Trost. Der Deutsche Städtetag erwartet für 2011 und 2012 bundesweit zweistellige Milliardendefizite, und viele Städte und Gemeinden stehen buchstäblich mit dem Rücken zur Wand. Denn während die Einnahmen mitunter drastisch sinken, steigen die Ausgaben unaufhörlich weiter. So wird heute fast ein Viertel der kommunalen Einnahmen für steigende soziale Leistungen vor Ort aufgebracht.

Wie wir alle wissen, steht den Kommunen, anders als Land und Bund, auf der Einnahmeseite aber nur ein recht geringer Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Die Situation strukturschwacher Kommunen gibt daher wenig Anlass zur Hoffnung, denn eine Verbesserung aus eigener Kraft scheint in vielen Fällen kaum möglich. Selbstverständlich gilt dies bei Weitem nicht für die gesamte kommunale Familie und für sämtliche kommunalen Gebietskörperschaften in allen Landesteilen. Die Tatsache, dass der Bericht für rund ein Drittel der Kommunen eine positive Bilanz ausweist, nehmen natürlich auch wir gern zur Kenntnis.

Festzuhalten gilt jedoch, wie es die Landesregierung in ihrem Bericht auch richtig erfasst, dass es nicht zuletzt aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise grundsätzlich zu einer Verschlechterung der Finanzsituation unserer Kommunen gekommen ist. Aus Anlage 7 des Berichts geht daher auch deutlich hervor, dass die Kommunen im vergangenen Jahr einen deutlichen Rückgang der Einnahmen aus Fi

nanzausgleich und Steuern hinnehmen mussten. Zusätzlich werden ab 2011 die Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich deutlich zurückgehen, was den Druck aufseiten des Landes noch erhöht. Auch die Ergebnisse der Mai-Steuerschätzung verheißen für die Kommunen nichts Gutes. Selbst die äußerst zweifelhafte Lösung, auf alle freiwilligen Leistungen zu verzichten, kann die strukturelle Überschuldung mancher Kommunen auch nicht mehr aufhalten.

Vor diesem Hintergrund müssen wir uns der Kritik an der Verhandlungsführung unseres Ministerpräsidenten im Bundesrat anschließen. Der Kollege Jezewski, aber auch die Kollegin Heinold haben deutlich gemacht, wo da die Defizite waren.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei SPD und der LINKEN)

Die bitter benötigten Kompensationen, zum Beispiel für das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, wurden vom Ministerpräsidenten zwar großspurig angekündigt, doch bedauerlicherweise blieben sie bis heute aus. Sie finden sich auch nicht in dem Bericht. Darin steht nichts über diese Kompensation.

(Beifall beim SSW)

Die Mindereinnahmen für die Kommunen von rund 60 Millionen € im Jahr fehlen für wichtige Investitionen, vor allem im Bildungs- und Sozialbereich. Dies hält der SSW für völlig unverantwortlich, und wir fordern die Landesregierung daher ausdrücklich auf, zügig nachzuverhandeln und dafür zu sorgen, dass der Bund auch zu seinen Versprechen steht.

(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Die angestrebte Kompensation für die Einnahmeausfälle des Landes und der Kommunen durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz soll ja vor allem in Form von Bundesmitteln für Bildung erfolgen. Das halten wir grundsätzlich auch für begrüßenswert, denn auf diesem Weg profitieren sowohl das Land als auch die kommunalen Gebietskörperschaften.

Angesichts der angespannten Finanzsituation darf es aber nicht bei bloßen Verlautbarungen bleiben. Das erneute Scheitern des Bildungsgipfels deutet leider auch darauf hin, dass der Erhalt dieser Mittel in weite Ferne gerückt ist. Wir dürfen auch nicht vergessen: Viele Dinge sind kozufinanzieren, was für einige Kommunen nicht mehr leistbar ist, sodass sie an diesem Segen nicht mehr partizipieren können, weil ihnen einfach das Geld ausgeht.

(Heinz-Werner Jezewski)

Wir sehen die Landesregierung deshalb in der Pflicht, im weiteren Verhandlungsverlauf einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Hier ist die Landesregierung in der Bringschuld gegenüber den Kommunen. Sollte es der Landesregierung nicht gelingen, hier Kompensation durch den Bund zu erlangen, dann muss das Land eine eigene Finanzierung auf die Beine stellen. Das aber erscheint mir nahezu unmöglich, und deshalb noch einmal unser Appell an die Landesregierung: Verhandeln Sie nach, und sichern Sie den Kommunen das, was Sie ihnen ohnehin versprochen haben - nicht mehr, aber auch nicht weniger!

(Beifall beim SSW)

Eine weitere Ursache für die Haushaltslage unserer Kommunen stellt der Eingriff in ihre Finanzen in Höhe von 120 Millionen € jährlich dar. Dieser Eingriff durch das Land bringt unweigerlich eine Reduzierung der kommunalen Investitionen mit sich. Das bedeutet in seiner Konsequenz: weniger öffentliche Aufträge für die heimische Wirtschaft und damit weniger Wachstum sowie eine schlechtere Infrastruktur für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort. Die Steuergeschenke des Bundes führen dazu, dass Verzweiflungstaten zulasten der Steuerzahler wie die Erhöhung von Eintrittspreisen in Schwimmbädern oder die Gebührenerhöhung für die Kita begangen werden.

Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat deshalb eine völlig gegenteilige Wirkung als ursprünglich angestrebt, und nach Meinung des SSW muss auch hier dringend gegengesteuert und dieses Gesetz zurückgenommen werden.

Um die Finanzsituation der Kommunen nachhaltig zu verbessern, halten wir eine Stärkung der Einnahmeseite für dringend geboten.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Flemming Meyer [SSW])

In der Debatte zur Erhöhung der Grunderwerbsteuer haben wir uns für die zeitnahe Anhebung um einen Prozentpunkt ausgesprochen. Wir haben uns unter anderem deshalb dafür eingesetzt, weil diese Mittel auch den Kommunen zur Verbesserung ihrer Haushaltslage zur Verfügung stünden. Das wäre schon eine riesige Hilfe für die Kommunen. Neben der Stärkung der Einnahmeseite muss natürlich auch über strukturelle Reformen nachgedacht werden, um die Aufgabenwahrnehmung der Kommunen effizienter zu gestalten.

Wir haben deshalb bereits in einem früheren Antrag die Abkehr von der gemeinsamen Aufgabenwahr

nehmung verschiedener Gebietskörperschaften gefordert. Wichtig ist und bleibt dann aber, dass die so erreichten Effizienzgewinne dann auch bei den Kommunen bleiben.

Bemerkenswert scheint mir die Tatsache, dass auch der Bericht wieder einmal eine oftmals völlig unterschiedliche Lage von Städten und ländlichen Gebietskörperschaften unterstreicht. Während die kreisfreien Städte wie Lübeck, Kiel oder Flensburg chronisch klamm sind, geht es der ländlichen Region vergleichsweise gut. Das ist natürlich in vielen Fällen durch die vorgehaltene und von den umliegenden Gemeinden mit genutzte Infrastruktur der Städte zu erklären.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Hier müssen wir einen Weg finden, um über den kommunalen Finanzausgleich und über die Änderung des zentralörtlichen Systems faire Bedingungen und damit letztlich auch einheitlichere Lebensbedingungen in unserem Land zu schaffen. Es kann dann aber auch nicht bei den bestehenden Gemeindegrößen bleiben. Vielmehr müssen wir in der Landespolitik - dies gilt insbesondere für die Landesregierung - den Mut aufbringen, eine Gemeindereform anzustoßen, die dazu führt, dass wir größere und leistungsfähigere Gemeinden erhalten, die auch Bereiche wie Theater und Ähnliches mittragen können. Solche Aufgaben sollten also nicht bei den Städten allein hängen bleiben.

Die bisherige Kleinstaaterei in Schleswig-Holstein ist nicht nur deutschlandweit einmalig. Sie ist auch einmalig teuer und ineffizient. Die finanzielle Lage der Kommunen ist gerade auch von den kommunalen Strukturen abhängig. Wer etwas zugunsten der finanziellen Lage der Kommunen ändern will, muss hier ansetzen und etwas verändern. Er muss den Mut zu einer Gemeindereform haben.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht zuletzt werden die Haushalte der Kommunen im Rahmen des Sparpakets der Bundesregierung zusätzlich durch die Einschnitte in die vorgelagerten und durch Bundesmittel finanzierten sozialen Sicherungssysteme belastet. Der Bürger, der durch diese Systeme schlechter gestellt wird, landet mit seinen berechtigten Ansprüchen bei der Gemeinde. Die kommunalen Sozialausgaben werden also auch hierdurch weiter steigen.

Der SSW sieht es daher als dringend erforderlich an, dass sich der Bund vor allem stärker an den

(Lars Harms)

Kosten der Unterkunft für Bedürftige beteiligt. Der Vermittlungsausschuss findet hier hoffentlich eine Lösung. Diese kann unserer Meinung nach eigentlich nur so aussehen, dass der Bundesanteil an den tatsächlichen Kosten orientiert und damit spürbar erhöht wird.

Eines muss ich zu diesem Punkt deutlich sagen. Sozialleistungen sind ganz einfach gesetzliche Aufgaben, die von den Kommunen nur treuhänderisch für den Bund und für das Land erfüllt werden. Die hier notwendige auskömmliche Finanzausstattung sieht der SSW daher als selbstverständlich an.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)