Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Die Landesregierung beteiligt sich mit erheblichen finanziellen Mitteln an der SGB-II-Umsetzung. Im Rahmen des Zukunftsprogramms Arbeit werden zahlreiche zielgruppenbezogene Förderansätze unterstützt, etwa für Alleinerziehende, für Migranten und insbesondere für benachteiligte Jugendliche. Letzteren steht mit dem Handlungskonzept „Schule und Arbeitswelt“ ein bundesweit vorbildliches Unterstützungsangebot für den Übergang von der Schule ins Erwerbsleben zur Verfügung. Das ist im Übrigen ein Angebot, das mit Blick auf den drohenden Fachkräftemangel noch zusätzlich an Bedeutung gewinnen wird.

Klar ist zugleich, dass bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende immer noch organisatorischer und inhaltlicher Optimierungsbedarf besteht. Diesen Bedarf bestreitet auch ernsthaft niemand. Ich will es einmal etwas flapsig ausdrücken: Dem Fordern müssen selbstverständlich auch die fördernden Angebote noch stärker folgen, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.

(Beifall bei der FDP)

Aktuell suchen Justizminister- sowie Arbeits- und Sozialministerkonferenz gemeinsam nach Wegen, die übermäßige Belastung der Sozialgerichte durch SGB-II-Rechtsstreitigkeiten abzubauen. Dabei muss mit den möglichen verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Änderungen der Schutzbedürftigkeit der SGB-II-Kunden dringend Rechnung getragen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der endgültigen Verabschiedung der neuen SGB-IIOrganisationsgesetze in diesem Juli besteht aber endlich Klarheit über die hoffentlich dauerhaften Arbeitsbedingungen in den zukünftig einheitlich als „Jobcenter“ firmierenden Organisationsmodellen der gemeinsamen Einrichtungen - also in dem, was noch bis Dezember ARGE heißt - und der entfristeten und ausgeweiteten kommunalen Option.

Das Prinzip der Hilfe aus einer Hand bleibt auch dank der eindeutigen Haltung von Landesregierung und Landtag auf Dauer erhalten. Dies ist ein großer Erfolg, der aber selbstverständlich auch seinen Preis hat. Denn die durchgesetzten, deutlich verbes

(Minister Dr. Heiner Garg)

serten Mitwirkungsrechte der Länder bei der SGB-II-Umsetzung werden mit erheblichem administrativen Mehraufwand verbunden sein. Dies wird ein Nachsteuern bei den bislang vorhandenen Personalressourcen erfordern; das will ich an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen.

Insgesamt ist als Fazit von fünf Jahren SGB-II-Umsetzung in Schleswig-Holstein festzuhalten: Es ist keine Bedrohung für Arbeitsuchende, sondern dank des engagierten Einsatzes aller Akteure auf dem Arbeitsmarkt des Landes eine echte Chance für die Eingliederung beziehungsweise Wiedereingliederung von Menschen, nicht nur in den Arbeitsmarkt, sondern als aktive Mitgestalter unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Redezeit des Ministers wurde um zwei Minuten überschritten. Diese zusätzliche Redezeit steht nun allen Fraktionen zur Verfügung.

Ich erteile jetzt für die Fraktion DIE LINKE der Frau Abgeordneten Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab noch einmal sagen: Eigentlich finde ich es ein bisschen erschütternd, dass wir bei einem solchen Thema, das die Menschen in Schleswig-Holstein betrifft, die unsere Hilfe brauchen und die unsere Unterstützung benötigen, hier vor einem halb leeren Saal sprechen. Eine Reihe von Abgeordneten haben den Saal zuvor verlassen.

(Beifall bei der LINKEN und SPD - Zuruf: Die kümmern sich um die Demonstranten da draußen!)

Fünf Jahre Hartz IV - Herr Minister Garg, ich denke, wir beurteilen dies anders. Für uns ist und bleibt die Einführung von Hartz IV ein Skandal. Unsere Bilanz nach fünf Jahren Hartz IV fällt entsprechend vernichtend aus. Selbst der von der Landesregierung vorgelegte Bericht kann nicht verbergen, dass im System Hartz IV etwas faul ist. Ich zitiere mit Verlaub -:

„Die Akzeptanz der Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Bevölkerung ist gering. Die Grundsicherung wird im allgemeinen Sprachgebrauch noch immer mit dem Syn

onym ,Hartz IV’ umschrieben und ist allein dadurch ausgesprochen negativ besetzt.“

Man muss nicht lange fragen, warum das so ist. Es ist nicht so, dass hier ein soziales Netz viel zu wenig nicht verstanden würde. Im Gegenteil: Die Bevölkerung hat den Kern sehr genau verstanden, meine Damen und Herren. Hartz IV bedeutet Armut per Gesetz. Das war bei der Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 so, und das ist auch heute so. Aktuell sind etwa 240.000 Menschen in SchleswigHolstein davon betroffen. Mit dem milliardenschweren Hartz-IV-Beitrag zum jüngsten Sparpaket der Bundesregierung ist auch für die Zukunft die Richtung vorgegeben: Die soziale Ausgrenzung durch Armut ist noch lange nicht zu Ende.

Die sogenannten Hilfen aus einer Hand haben zu einem System von zentralisierter Armutsverwaltung geführt. Auch nach fünf Jahren sind die Ämter nicht in der Lage, verständliche und überprüfbare Leistungsbescheide zu verschicken. Um die Richtigkeit eines Bescheids überprüfen zu können, muss man ihn erst einmal verstehen können.

Die Landesregierung möchte gerne das Vertrauen in die Richtigkeit des Verwaltungshandelns stärken. Aber selbst der Landesrechnungshof hat eine auffällig hohe Fehlerquote bei den Bescheiden der Hartz-IV-Behörden festgestellt. Jede andere Haltung als Misstrauen gegen die Papierwüsten der Leistungsbescheide ist einfach fahrlässig und unverantwortlich. Auch mit Bescheiden kann man Menschen schikanieren, wenn diese zehn und mehr Seiten umfassen oder wenn sie im Abstand von wenigen Tagen wieder ersetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das berichten uns Betroffene in den Kommunen aus eigener Erfahrung. Manche bekommen sogar 80 Seiten Papier zugeschickt.

Hartz IV hat sich als rechtliche Flickschusterei erwiesen. Die gesamte rechtliche Konstruktion war mit heißer Nadel gestrickt. Welchen Jahrgang des Berichts der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten Sie auch aufschlagen - es spielt keine Rolle -: Immer bildet Hartz IV den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Schon das ist ein Skandal. Mängel in der Rechtsanwendung haben eine Prozesslawine ausgelöst, für die ein Ende nicht abzusehen ist.

Hartz IV hat sich als Armutsfalle erwiesen. Mit einiger Spannung warten wir darauf, was uns Frau von der Leyen als neue Regelsätze für Kinder auftischen will, nachdem das Verfassungsgericht der

(Minister Dr. Heiner Garg)

Bundesregierung die bisherige Regelung um die Ohren gehauen hat, weil das Recht auf Bildung und soziale Teilhabe von Kindern darin nicht vorgekommen ist.

Die von der Ministerin angezettelte Sommerdebatte zur Bildungs-Chipkarte lenkt von den eigentlichen Problemen ab. Von den Regelsätzen kann natürlich keiner leben. Mit ihnen wird Armut verrechtlicht. Die Diskussion, ob mit Chipkarte oder ohne, bedeutet eine weitere Stigmatisierung, Entmündigung, Ausgrenzung und bewusste Demütigung aller Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Hartz IV hat die soziale Spaltung, das Gefälle zwischen Arm und Reich in dieser Gesellschaft vertieft und zementiert. Das war 2005 die Absicht der Politik, und das hat sich bis heute nicht geändert. Ich frage Sie: Warum erhöht sich die Armut in Schleswig-Holstein, warum wird sie nicht verringert? Diese Frage können Sie in Ihrem Redebeitrag hier beantworten.

Es bleibt Spekulation, ob Hartz IV mehr Menschen in existenzsichernde Arbeit gebracht hat als die alte Arbeitslosenhilfe, so wie es uns Minister Garg gerade berichtet hat. Sicher ist nur: Seit der Einführung von Hartz IV ist der Niedriglohnsektor enorm gewachsen. Minijobs und Billiglohn sind angewachsen. Gerade Ein-Euro-Jobber werden immer öfter eingesetzt. Leben kann man davon nur als Aufstocker.

Das ist alles andere als ein Erfolg von Arbeitsmarktpolitik. Es beschreibt vielmehr die Gitterstäbe der Armutsfalle Hartz IV. Hartz IV muss weg. Diese Forderung bleibt die einzig richtige Antwort, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn Hartz IV ist nicht nur ein schlecht gemachtes Gesetz, das sich nachbessern ließe; Hartz IV ist ein gesellschaftlich bösartiges Konzept, das Ausgrenzung, Schikane und das Leid der Menschen vergrößert.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich ist Hartz IV in erster Linie Bundesrecht. Die Landesregierung ist aber für die Menschen, die hier in Schleswig-Holstein von Armut betroffen sind, und vor allem für die von Armut betroffenen Kinder im Land verantwortlich. Sie könnte und muss mit den Kommunen, Vereinen, Initiativen und auch Verbänden gemeinsam die Situation der armen Menschen verbessern. Aber wie man gestern

in der Debatte um den Haushalt gehört hat, wird dies nicht stattfinden.

Notwendig ist für uns die Schaffung von Arbeitsplätzen. Man kann die vorhandene Arbeit anders verteilen. Die Verteilung der vorhandenen Arbeitslosen auf prekäre Arbeitsplätze ist hingegen überhaupt nicht möglich.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 10 €, der dem Skandal der Armut trotz Arbeit ein Ende macht. Wir brauchen einen öffentlichen Beschäftigungssektor, der endlich Schluss macht mit dem Skandal der Ein-Euro-Jobs.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen eine die Existenz sichernde Grundsicherung. Das bedeutet eine Anhebung der Regelsätze auf mindestens 500 €.

Fünf Jahre Hartz IV machen klar: Hartz IV muss weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion der CDU hat der Herr Abgeordnete Werner Kalinka das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 25-seitige Bericht zieht unter den gegebenen Umständen eine positive Bilanz. Er spart nicht mit Lob für die Akteure, auch nicht für das Ministerium. Eine gute Verwaltung lobt natürlich auch den Minister. Dem wollen wir uns gern anschließen. Ich glaube in der Tat, dass bei diesem schwierigen Thema zwar kein Anlass zum Jubel besteht, dass aber eine seriöse positive Gesamtbilanz gezogen werden kann.

(Beifall bei CDU und FDP)

In dem Bericht ist mir der Satz aufgefallen, der dialogbereite Politikansatz habe in der schleswig-holsteinischen Arbeitsmarktpolitik Tradition. Wünschen wir uns doch, dass dies auch andere Felder erfassen möge, und zwar auch mit Blick auf die Diskussion, die wir gerade eben geführt haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitslosenzahl ist in Schleswig-Holstein in den vergangenen fünf Jahren von 180.000 auf 105.000 gesunken. Ich glaube, dass dies auch mit veränderten Arbeitsmarktakzenten zu tun hat. Von 2006 bis 2009 hat

(Antje Jansen)

die Zahl der Menschen, die in Schleswig-Holstein auf SGB-II-Leistungen angewiesen sind, kontinuierlich und stärker als im Bundesgebiet abgenommen. Auch dies verdient, festgehalten zu werden.

(Beifall bei CDU und FDP)