Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

es für mich am wichtigsten ist, dass wir so schnell wie möglich neu wählen, da wir gestern eine verhängnisvolle Entscheidung getroffen haben, die ich so schnell wie möglich rückgängig machen möchte. Dies betrifft das Blindengeld. Ich halte das für einen Skandal.

Wir bedauern es, dass es bisher leider noch nicht gelungen ist, einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zum Wahlrecht einzubringen. Das lag nicht an den Vorgaben, die uns das Landesverfassungsgericht gemacht hat, sondern das lag an den unterschiedlichen Interessen. Niemand zweifelt daran, dass es diese gibt.

Wir haben uns deshalb vornehm zurückgehalten und erst einmal keinen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, weil wir einen Konsens wollten. Da alle in Stellung gingen, haben wir entschieden, dass wir uns mit leichten Modifikationen - zum Beispiel Wahlrecht ab 16 - dem Entwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW anschließen werden, um damit gemeinsam in die Debatte gehen zu können.

Ich verkenne nicht, dass es natürlich unterschiedliche Interessen gibt. Sie müssen natürlich darauf achten, möglichst viele Direktkandidatinnen und Direktkandidaten wieder platzieren zu können.

Aber ich denke schon, wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass das bisherige Wahlrecht - das hat uns das Bundesverfassungsgericht auch ins Stammbuch geschrieben - auf ein Drei-, vielleicht auch Vierparteienparlament ausgerichtet ist und eben nicht darauf, dass fünf oder, wie bei uns in Schleswig-Holstein, sechs Fraktionen vorhanden sind. Das bedeutet, wenn wir grundsätzlich nichts ändern an den Vorgaben, die wir im Wahlrecht machen, kommen wir letztlich zu großen Parlamenten. Das wollen wir nicht, das will die Bevölkerung nicht. 69 war schon eine gute Zahl, mit der können wir alle arbeiten. Wir legen sehr viel Wert darauf, dass wir diese Zahl nicht regelmäßig überschreiten.

Ich möchte hier einmal einen Aspekt erwähnen, auch an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von der CDU. Sie reden immer davon, die Wählerinnen und Wähler sollten auch die Möglichkeit haben, Personen direkt in den Landtag zu schicken. Herr Kubicki, es ist doch nicht so, dass Ihre Direktkandidatinnen und Ihre Direktkandidaten so viel schlechter gewesen sind als die von der CDU.

(Christopher Vogt [FDP]: Das stimmt!)

Aber die Wählerinnen und Wähler haben dann in der Mehrheit trotzdem nicht mit der Erststimme Ihre Kandidatinnen und Kandidaten gewählt, sondern doch eher die Kandidatinnen und Kandidaten der CDU. Das machen sie deshalb, weil sie rationale Wählerinnen und Wähler sind, weil sie wissen, dass eine Erststimme für die CDU- Kandidatinnen und CDU-Kandidaten vielleicht zu einer Koalition führt, die sie haben wollen.

Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist, dass die Debatte der Persönlichkeitswahl heute doch gar nicht mehr diese Rolle spielt, wie Sie uns das heute noch sagen. Das lassen Sie uns bitte alles in Ruhe diskutieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Uns geht es also einmal um die Abbildung des Wählerinnen- und Wählerwillens. Das muss natürlich gewährleistet sein. SPD und CDU hatten ja die Möglichkeit, im Sommer 2009 einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zu machen. Dann hätten wir das auch jetzt schon realisiert. Es ist gut, dass wir das jetzt machen wollen. Das ist sogar eine Selbstverständlichkeit, was hier passiert. Wir wollen deshalb einen vollen Ausgleich der Überhangmandate. Wir wollen die Verkleinerung des Landtags.

Folgende Wegpunkte sind uns noch besonders wichtig: Es gibt drei verschiedene Formen der Auszählung von Wählerinnen- und Wählerstimmen. Zumindest ist das bei uns so üblich. Eine bevorzugt die großen Parteien; das ist d’Hondt. Eine bevorzugt die kleinen Parteien; das ist Hare-Niemeyer. Und die dritte schafft eine weitgehend gerechte Umsetzung des Wahlergebnisses in die Sitzverteilung des Parlaments.

Niemand in diesem Lande, zumindest ich nicht, begreift, warum große oder kleine Parteien bevorzugt werden sollten, und niemand begreift, warum in den Entwürfen von SPD und CDU und jetzt auch wieder von der SPD das d'Hondtsche Auszählverfahren weiterhin Gültigkeit behalten soll.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe)

- Nun gut, wir begreifen das schon, weil es natürlich größere Parteien begünstigt. Bei der FDP zweifele ich allerdings daran, welcher Sinn dahinter steckt. Dieser Passus, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, könnte Ihnen übrigens bei der nächsten Landtagswahl auf die Füße fallen, sollten Sie noch einmal die 5-%-Hürde überspringen.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der FDP)

(Ulrich Schippels)

Vielleicht überdenken Sie doch noch einmal Ihre Mitteilung dazu bis zu den anstehenden Ausschussberatungen.

Zweitens. Das Landesverfassungsgericht hat uns ausreichend Zeit für die Neuwahl gegeben. Ich habe schon am Anfang gesagt, es geht uns vor allen Dingen darum, möglichst schnell zu wählen.

(Beifall bei der LINKEN)

Den Termin zur Verabschiedung des Wahlgesetzes haben wir beinahe schon bis an die gerichtlich vorgegebene Grenze ausgereizt, ohne dass dies wirklich nötig gewesen wäre. Ich warne jetzt davor, auch den vom Gericht vorgegebenen Wahltermin so auszureizen. Die Wählerinnen und Wähler in unserem Lande merken sehr genau, ob notwendige Prozeduren einen Zeitkorridor erhalten sollen oder ob es allein um umfragetaktische Spielchen geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Manch eine Partei sollte vielleicht einen frühen Wahltermin anstreben, bevor sie endgültig das Schicksal der DDR ereilt. Sie wissen, Herr Kubicki, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Bei einer Reduzierung der Direktwahlkreise um maximal ein Drittel kann mir niemand weismachen, wir bräuchten zur Vorbereitung und Durchführung der Neuwahl nach der Verabschiedung des Gesetzes noch einmal ein halbes Jahr. Wir könnten das Wahlgesetz im Februar verabschieden, im März die Wahlkreiszuschnitte festlegen und im Mai oder spätestens direkt nach der Sommerpause neu wählen. Das wäre ein ehrgeiziger Plan, der wirklich kaum Luft enthielte.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber es wäre möglich.

Erinnern Sie sich doch einmal daran, wie schnell es 2009 möglich war, zu wählen; schneller, als es den meisten Beteiligten in den Kram passte, weil Sie hofften, dass Sie die Mehrheit der Stimmen erreichen würden, was Ihnen dann nicht glückte. Aber es reichte leider trotzdem zur Regierungsmehrheit hier im Parlament.

Oder schauen wir einmal nach Hamburg. Auch dort geht es ja schnell. Aber auch hier gilt wie bei der Anzahl der Direktwahlkreise: Auch hier gibt es unterschiedliche Interessen. Ich verstehe natürlich, wenn sich CDU und FDP an die Macht klammern und sie möglichst lange behalten wollen. Aber ich fürchte, letztlich ist das kontraproduktiv. Das ist nicht nachhaltig, sondern Sie werden die Quittung erhalten.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abge- ordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kubicki, ich fürchte, dass Sie dann nicht mehr im Parlament sind. Dann ist der Unterhaltungswert ein bisschen geringer.

Drittens zum Wahlalter. Wir fordern in unserem Änderungsantrag, wie auch die Sozialdemokratie, die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre. Wir haben damit bei der Kommunalwahl gute Erfahrungen gemacht. Bisher ist nicht bekannt, dass deshalb die kommunale Selbstverwaltung dem Zusammenbruch nahe sei, eher wegen Ihrer Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wissen Sie, es gibt viele 16- und 17-Jährige, die sich für eine Berufsausbildung entscheiden müssen. Dies prägt den gesamten Lebensweg entscheidend. Dies ist nur schwer wieder zurückzuholen. Bei der Wahl ist es so, dass sich auch junge Menschen in der Tat einmal vertun können. Aber das können sie ja bei der nächsten Wahl revidieren. Das ist also nicht wirklich so schlimm. Deshalb ein bisschen mehr Mut an dieser Stelle.

(Beifall bei der LINKEN)

Sorgen Sie dafür, dass zukünftig junge Menschen in Schleswig-Holstein die gleichen Rechte haben wie in vielen anderen Ländern der Welt. Geben Sie ihnen endlich auch das Wahlrecht für den Landtag.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. DIE LINKE sieht in diesem Wahlrecht eine Übergangslösung. - Oh Gott, Herr Stegner, Sie twittern hoffentlich nicht wieder; Herr Kubicki, gucken Sie mal nach!

DIE LINKE sieht in diesem Wahlrecht eine Übergangslösung, Herr Stegner. Wir brauchen kein Wahlrecht für zehn Jahre. Die Zeit des Dreiparteienparlaments und des Vierparteienparlaments in Schleswig-Holstein ist endgültig vorbei. Ein neues Wahlrecht muss auf die aktuellen Bedingungen der Parteienlandschaft ausgerichtet sein, ohne Veränderungen strukturell auszuschließen oder gar zu verhindern. Ich denke, dafür bräuchten wir viel mehr Zeit, als uns hier zur Verfügung steht. Deswegen denke ich, das müssen wir in der nächsten Legislaturperiode machen. Anders als vor 50 oder 60 Jahren wirken mehr Parteien in den Parlamenten nicht mehr destabilisierend. Sie sind vielmehr eine Bereicherung des politischen Geschäftes. Meine Fraktion wird daher in der nächsten Wahlperiode einen Entwurf für ein strukturell anderes Wahlrecht einbringen.

(Ulrich Schippels)

Herr Kubicki, da sind wir uns vielleicht sogar wieder einig. Ich finde schon, dass die Idee von Mehr Demokratie e. V. durchaus Aspekte hat, die wir vielleicht auch implementieren können. Darüber müssen wir in Ruhe diskutieren und nicht heute und hier.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Schluss möchte ich noch einmal klarmachen, dass wir weitere taktische Spielchen zur Verzögerung des Verfahrens nicht mittragen werden. Der Herr Landtagspräsident hat einen Prozess in Gang gesetzt, der es den Fraktionen und allen ermöglicht, noch innerhalb des ersten Halbjahres 2011 beziehungsweise dann gleich nach der Sommerpause Neuwahlen durchzuführen. Wir bedanken uns dafür noch einmal beim Landtagspräsidenten. Wir erwarten von allen, dass dieser Prozess beschleunigt fortgeführt wird, ohne dass die notwendige Sorgfalt vernachlässigt wird. Bei allen notwendigen Maßnahmen ist ein Termin im Herbst 2011 absolut realistisch. Wer versucht, diesen weiter herauszuzögern, der wird von den Wählerinnen und Wählern die Quittung dafür bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Kollegin Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regelungen für den Ablauf von Wahlen gehören zu den Grundfesten der Demokratie. Das Landeswahlgesetz wird vom Landtag beschlossen - das kann nicht anders sein -, aber das Wahlrecht gehört dem Volk und nicht den Parteien.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade weil das Parlament in der Vergangenheit diesem Anspruch nicht immer gerecht geworden ist, hat das Landesverfassungsgericht der Politik einen Fingerzeig geben müssen, wie sie mit dem Wahlgesetz umzugehen hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund hätte auch der SSW es vorgezogen, wenn die Fraktionen heute eine fraktionsübergreifende Antwort auf das Urteil vom 30. August hätten vorlegen können. Die Bemühungen des Landtagspräsidenten um einen Konsens haben große Anerkennung verdient.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Trotzdem sehen wir uns nicht imstande, auf einen Kompromiss einzugehen, bei dem das interfraktionelle Vorgehen Vorrang vor einer angemessenen Antwort auf das Verfassungsgerichtsurteil hat. Denn das Landesverfassungsgericht hat dem Landtag einen klaren Auftrag erteilt: Die Wahlrechtsgleichheit in Schleswig-Holstein ist aus dem Lot und muss wiederhergestellt werden.