Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

Meine Damen und Herren von CDU und SPD, statt ein Wahlgesetz zu schreiben, das der Verfassung entspricht, schreiben Sie die Verfassung so um, dass sie Ihren - letztlich durch nichts anderes als durch parteipolitische Bangbüxigkeit geprägten Vorstellungen eines Wahlrechts entspricht. Das ist doch skandalös!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dieser Vorschlag - 35 - ist nicht erst nach langem Ringen entstanden. Er hat sich von Anfang an abgezeichnet. Denn die Formulierung, die immer im Raum stand - jede Fraktion müsse etwas geben -, blendet völlig aus, dass wir ein Urteil eines Verfassungsgerichts haben und dass dieses Urteil - wie eingangs gesagt wurde - gezielt im Lichte einer demokratischen Sorge gesprochen wurde, nämlich dem massiven Schwund an Vertrauen in die Gewählten.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Diese Sorge vor dem Schwund politischer Autorität sollte auch Sie umtreiben, Herr Kubicki. Da auf Geben und Nehmen zu setzen, ist wirklich blamabel, denn dies ist ja kein Basar, sondern ein Rechtsstaat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Christopher Vogt [FDP])

Sie sagen, es läge im Interesse der Grünen, möglichst wenige Wahlkreise zu haben. Warum sollte das im Interesse der Grünen liegen?

(Tobias Koch [CDU]: Parteiinteresse!)

Meinen Sie nicht, dass es auch bei uns in der Partei mehr als zwölf Leute gibt, die Interesse daran haben, an einer besseren Politik mitzuwirken? Nach dieser Logik läge es im Interesse von Grünen, FDP und SSW - und wen immer Sie noch zu den kleinen Parteien zählen wollen -, dieser sogenannten kleinen oder Listen-Parteien, wenn man eigennützig und egoistisch - wie Sie es tun - denkt, einen möglichst großen Landtag mit möglichst vielen Überhangmandaten zu haben, die dann ausgeglichen werden können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Unterschied ist jedoch, dass wir diesem Interesse nicht - wie Sie - nachgeben, dass wir den Landtag eben nicht als Verfügungsmasse betrachten, sondern als demokratisches Gut.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ja, ich kenne auch den letzten Einwand: Die Landtagswahl war so extrem, und so krass wird es schon nicht wieder kommen. - Kann sein, kann aber auch nicht sein. Genauso gut ist das Argument, dass dies nicht der Krassheit letzter Schluss war. Selbstverständlich ist es möglich, dass eine Partei zukünftig mit 28 % Landesergebnis alle Wahlkreise gewinnt. Und es ist noch nicht einmal völlig unwahrscheinlich, dass es so kommt. Die Rechnung - 89 Abgeordnete nach dem bestehenden Wahlergebnis; das habe ich ja gesagt, da kam gleich der Zwischenruf von der Regierungsbank - ist eine konservative. Ich habe ja der SPD fünf Wahlkreise zugeschlagen, bei einem Landtagswahlergebnis von 25 %.

Das Grundproblem ist ein ganz anderes. Das Grundproblem hat mit der allgemeinen Delegitimation von politischer Autorität zu tun und ist, dass die Zeit der Volksparteien vorbei ist

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Christopher Vogt [FDP] und Antje Jansen [DIE LINKE])

und dass es Ergebnisse, in denen zwei Parteien 40 % erzielen und sich die Wahlkreise hälftig teilen, absehbar nicht mehr geben wird.

Das wiederum hat eine tiefer gehende Ursache. Es liegt daran, dass die Gesellschaft ausdifferenzierter, vielfältiger, pluraler geworden ist. Damit ist sie besser geworden. Deshalb kämpfen Sie einen aus

(Dr. Robert Habeck)

sichtslosen Kampf. Sie können vielleicht die Verfassung ändern, aber nicht mehr die Gesellschaft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Ein Letztes: Immer wieder höre ich, dass der direkt gewählte Abgeordnete ein würdigerer Abgeordneter sei als ein Listenabgeordneter, und deshalb sei die Persönlichkeitswahl heiliger.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Nun, das ist schon rechnerisch Quatsch. Im Moment haben wir 40 Direkt- und 55 Listenmandate. Nach dem von Ihnen vorgeschlagenen Wahlrecht wären es für diesen Landtag bei einer konservativen Rechnung 35 Direkt- und 54 Listenmandate. Die Logik des vollen Ausgleichs bei schwächelnden Großparteien bedeutet: Je mehr Wahlkreise wir haben, desto ungünstiger wird das Verhältnis von Persönlichkeitswahl zu Listenplätzen. Viele Wahlkreise schwächen geradezu die Persönlichkeitswahl. Ihr eigenes Argument richtet sich gegen Sie. Die Direktmandatsheiligkeit ist ein Fetisch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört, hört!)

Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus. Der Anteil von Listenplätzen sichert die Teilhabe von politischen Minderheiten, deshalb sollte sich ein modernes Wahlrecht daran messen lassen.

(Peter Lehnert [CDU]: Genau!)

Bleibt als Letztes die Frage: Muss in der Verfassung geregelt sein, wie groß ein Landtag sein soll? Nein, das muss es selbstverständlich nicht.

(Zuruf von der FDP: Sehr gut!)

Aber wir müssen ein Wahlgesetz schaffen, das sichert, dass der Landtag nicht groß, sondern klein ist. Das ist unabhängig von der Verfassung ein Gebot politischer Vernunft - gerade an einem Tag wie heute nach der gestrigen Debatte. Alles wird kleiner, überall wird gespart, nur nicht an der Zahl der Abgeordneten - toller Wahlkampfslogan! Viel Spaß beim Plakatieren!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter Dr. Habeck, Ihre Redezeit ist überschritten.

Letzter Satz, letzte Seite!

(Zuruf der Abgeordneten Herlich Marie Tod- sen-Reese [CDU])

Die Verkleinerung von 75 auf 69 Abgeordnete

(Zurufe)

- das müssen Sie noch zur Kenntnis nehmen - war eine Gegenleistung für die Erhöhung der Diäten. Das wurde ganz offiziell so begründet. Mit der Verfassungsänderung stellen Sie eine Lizenz zur Aufblähung aus.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Sie nehmen die Gegenleistung zurück, aber die Diätenerhöhung von damals nicht. Deshalb muss sich jeder Landtag an der Zahl 69 messen. Es gibt an dieser Stelle nur ein Motto.

Herr Abgeordneter Habeck, Ihre Redezeit ist abgelaufen!

Trau keinem über 30!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Herr Abgeordneter Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute das Landeswahlgesetz, nachdem uns das Landesverfassungsgericht einiges ins Stammbuch geschrieben hat, was die Kritik an der Vergangenheit angeht. Obwohl mir das nach dem Redebeitrag von eben schwerfällt, will ich trotzdem zunächst damit beginnen, dass ich mich auch zu

(Dr. Robert Habeck)

Beginn dieser Rede seitens der Sozialdemokraten dazu bekenne, dass bei der Formulierung des Wahlgesetzes Fehler gemacht worden sind, als wir es das letzte Mal geändert verabschiedet haben. Deswegen ist es korrigiert worden. Zu diesen Fehlern gehörte übrigens auch, die Anzahl der Abgeordneten in die Verfassung zu schreiben, wie das nahezu nirgends in anderen Ländern oder im Bund der Fall ist.

Es ist zwar wichtig, die Größe des Landtages angemessen zu halten, aber andere Verfassungsprinzipien, nämlich dass die Wahlen frei, gleich, allgemein und geheim sind und dass der Wählerwille zum Ausdruck kommen muss, scheinen mir doch höherrangige Ziele zu sein als die Anzahl der Abgeordneten.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der FDP und Beifall des Abgeordneten Peter Lehnert [CDU])

Gleichwohl muss es darum gehen, für diesen Landtag eine angemessene Größe zu erreichen und diese im Wahlgesetz auch festzuschreiben. Mir scheint, dass für ein Land der Größe und Einwohnerzahl Schleswig-Holsteins die Zahl 69 die angemessene Richtgröße ist. Wir sind damit - relativ gesehen das zweitkleinste Parlament der Republik. Dennoch - und darauf lege ich großen Wert, Herr Kollege Habeck - entscheiden am Ende die Wählerinnen und Wähler konkret über die Größe von Parlamenten. Ausgleichs- und Überhangmandate sind nämlich auch ein Ausdruck davon, dass die Gleichheit umgesetzt wird und sich der Wählerwille - anders als in dieser Wahl - in der Verteilung auf Regierung und Opposition auch wiederfindet.

Ich will als allererste Priorität für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in diesem Haus sagen, dass wir ein Wahlgesetz verabschieden wollen, das den Anforderungen des Landesverfassungsgerichts entspricht und die Möglichkeit ausschließt, dass wir erneut mit einem neuen Wahlgesetz in Schleswig landen. Das wäre der politische Super-GAU, das kann niemand vertreten. Jeder, der das vorschlägt, müsste sich dafür politisch entschuldigen.

(Beifall bei SPD, FDP und vereinzelt bei der CDU)