Protokoll der Sitzung vom 17.12.2010

Wir wollen mit dieser Verfassungsänderung Armut verhindern und bekämpfen, auch wenn dies als Wort nicht explizit drinsteht. Wir wollen soziale Sicherheit geben, Teilhabechancen für Kinder in unserem Land erhöhen, ihre Persönlichkeiten fördern und kindgerechte Lebensverhältnisse schaffen. Wenn dies mit Ihrem nun beschlossenen Haushalt kompatibel ist, müssen Sie mir das bei Gelegenheit einmal erklären. Herr Minister Garg ist heute nicht anwesend. Er soll es nicht erklären, indem er sagt: Wir holen die Wirtschaft mit ins Boot. - Kinderschutz und Jugendarbeit lassen sich nicht kostenneutral umsetzen. Guten Kinderschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Dazu braucht es eine gute soziale Infrastruktur.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Wir möchten damit die Verfassungsänderung nicht schlechtreden. Ich schaue nun nach dieser Woche lieber hoffnungsvoll in die Zukunft und setze sehr darauf, dass sich das, was wir heute in die Verfassung schreiben, nächstes Jahr und in weiteren Jahren im politischen Handeln widerspiegelt.

Ich danke noch einmal allen sehr herzlich, die an dem Gesetzentwurf mitgewirkt haben. Ich wünsche allen schöne Weihnachten und hoffe, dass das Jahr 2011 ein Jahr für Kinder wird.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Ingrid Brand-Hückstädt das Wort.

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was lange währt, wird endlich gut. Nach den vergangenen zwei Tagen ist es schön, zu einem Tagesordnungspunkt reden zu dürfen, bei dem wir uns alle einig sind. Allen, die an

diesem Ergebnis mitgewirkt haben, sage ich ein großes Dankeschön.

(Beifall bei FDP, CDU und SPD)

Der Regierungskoalition war und ist es ein großes Bedürfnis, die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern und Jugendlichen herauszustellen. Ich möchte auf den Koalitionsvertrag verweisen, in dem es heißt:

„CDU und FDP werden Rahmenbedingungen für eine kinderfreundliche Gesellschaft schaffen, in der sich Kinder zu individuellen, selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln können.“

(Zuruf: Dann mal zu!)

Zugegebenermaßen war dabei aus einem besonderem Grund nicht unmittelbar an eine Verfassungsänderung gedacht; denn Normierungen und Erweiterungen von Staatszielen in der Landesverfassung dürfen nicht der Beliebigkeit anheimfallen. Nicht alles, was im Moment wichtig erscheint, muss als Einzelziel in unser höchstes Gesetz geschrieben werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn es bereits einen bestehenden Artikel 6 a in Verbindung mit den im Grundgesetz normierten Grundrechten, eine ständige Rechtsprechung und das bestehende Kinderschutzgesetz gibt. Diese breite Grundlage bestehenden Kinderschutzes war der Grund für die zunächst etwas skeptische Haltung in unserer Fraktion zum Vorschlag der Volksinitiative. Herr Kollege Andresen, ich erwähne das, weil Sie das in Ihrem Redebeitrag am 17. November zu diesem Thema als „juristische Winkelzüge“ bezeichnet haben und ich es leid bin, die juristische Ahnungslosigkeit in Ihrer Fraktion unwidersprochen im Raum stehen zu lassen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Welche Bedeutung die Verfassung für ein demokratisch strukturiertes Land hat und was juristische Winkelzüge sind, wissen Sie vermutlich gar nicht. Sie kennen politische Winkelzüge.

Ich freue mich, dass es der Volksinitiative mit ihrem Vorstoß gelungen ist, das Thema Kinder- und Jugendschutz stärker in den Vordergrund und ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Die Würde des Menschen ist nicht teilbar. Kinder sind natürlich genau wie Erwachsene Träger von Grundrechten. Dennoch brauchen sie besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge. Beides ist übrigens nicht erste Aufgabe des Staates, sondern an erster Stelle Aufgabe der Eltern und der Familien.

In der World Vision Kinderstudie 2010 wurden deutsche Kinder nach der Zufriedenheit mit den Freiheiten, mit der Anzahl der Freunde sowie nach ihrem allgemeinen Wohlbefinden in der Schule befragt. Fast 90 % der Kinder fühlte sich sehr wohl oder zumindest ziemlich wohl. Mit anderen Worten: Sie sind glücklich. - Glück bedeutet für Kinder von heute, sich der elementaren Bedürfnisse sicher und sozial eingebunden zu sein. Exemplarisch ist die Beantwortung der Fragen eines Elfjährigen zu sehen, was Glück für ihn bedeutet: Zum Überleben etwas zu essen - lecker -, etwas zum Trinken - also auch viel trinken -, ein Dach über dem Kopf - also ein Haus -, ein Spielzeug und einen Freund.

Gute ökonomische Bedingungen im Familienhaushalt sind also entscheidend, um Wohlbefinden und Glück zu empfinden. Armut ist für Kinder eine Horrorvorstellung, der sie unbedingt entrinnen wollen. Wer kann ihnen das verdenken?

Die heute zu beschließende Verfassungsänderung ist ein wichtiger Schritt. Sie fordert uns alle auf, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Kinderrechte unter größtmöglicher Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel umzusetzen. Bekanntermaßen steht uns kein großes Investitionsbudget zur Verfügung. Unsere Herausforderung wird also darin bestehen, Wege zu finden, die genannten Ziele dort umzusetzen, wo dies trotzdem möglich und auch erforderlich ist. Das bedeutet unter anderem: konkrete Projekte vor Ort unterstützen, aktive Informationen über Kinderrechte, gewaltfreie Erziehung und Prävention, Opferschutz unter Beachtung des Kindeswohlvorranges und Beachtung des Kindeswohls zum Beispiel beim Umgang mit Flüchtlingskindern.

Die Koalition handelt auch konkret. Bildung ist aus unserer Sicht der Schlüssel, um jedem Kind ein lebenswertes Leben und eine angemessene Teilhabe überhaupt zu ermöglichen.

(Beifall bei der FDP)

Die frühkindliche Bildung ist ein politischer Schwerpunkt dieser Regierung. Vorschulische Sprachentwicklung und Hochbegabtenförderung und der Einstieg in die Schulsozialarbeit sind weitere Stichworte. All dies wurde mit der Verabschiedung des Haushalts auf den Weg gebracht. Deshalb sage ich: Das Weihnachtspaket ist nicht leer.

(Beifall bei der FDP)

Ich schließe mit einer Antwort des elfjährigen Sebastian auf die Frage, was arme und reiche Menschen kennzeichnet: Arm: also wenn jemand kein

(Ingrid Brand-Hückstädt)

Geld hat, nix, vielleicht nur einen Cent, wohnt auf der Straße. Und der macht immer so Musik und muss Geld verdienen. Reich: wenn sie ganz viel Geld gemacht haben, dann haben sie Tausenderscheine, Hunderte von Tausenderscheinen, mehrere 1.000 Millionen, Trilliarden von Tausenderschein.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen das und ein frohes Weihnachtsfest.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Rasmus Andresen das Wort.

(Zuruf von der SPD: Aber keine Winkelzü- ge! Jedenfalls keine juristischen!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde keine Winkelzüge machen, versprochen. Ich will dazu auch gar nichts sagen, weil ich das Thema für viel zu wichtig halte, als dass ich jetzt in ein Kleinklein verfallen könnte. Ich beginne einfach mit meiner Rede.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei FDP und der LINKEN)

Heute ist ein guter Tag für die Kinder in SchleswigHolstein, und es ist ein guter Tag für SchleswigHolstein. Ich freue mich sehr, dass wir heute - voraussichtlich einstimmig - die Kinderrechte in der Verfassung verankern werden. Allen, die diesen Schritt ermöglicht haben und allen voran natürlich den Initiatoren der Volksinitiative, gebührt großer Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Mit diesem Schritt baut Schleswig-Holstein die Vorreiterrolle bei den Kinderrechten weiter aus. Gerade vor dem Hintergrund, dass Bundesfamilienministerin Kristina Schröder in der vergangenen Woche den nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland“ alternativlos beendet hat, erscheint mir dies als sehr vorbildlich.

Die Verankerung der Kinderrechte in der Landesverfassung darf aber nur ein Anfang sein. Erst recht vor dem Hintergrund des demografischen Wandels brauchen Kinder in Zukunft eine stärkere Lobby.

(Beifall der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Wir brauchen in der Gesellschaft nicht weniger als ein grundsätzliches Umdenken. Die Rechte von Kindern müssen in Zukunft eine größere Rolle in unserem Alltag spielen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines der Hauptprobleme bei der Verankerung von Kinderrechten ist, dass Kinder oft nichts über ihre Rechte wissen. Über 90 % der Kinder haben beispielsweise noch nie etwas über die UN-Kinderrechtskonvention gehört.

Aufklärungsarbeit in Vereinen, Jugendtreffs und Schulen ist deshalb von zentraler Bedeutung. Die Einrichtung einer Koordinierungsstelle Kinderrechte in Form eines Beauftragten oder eines Kinder- und Jugendbüros durch Stellenumschichtungen im Ministerium könnte ein erster konkreter Schritt sein.

Eine andere Baustelle ist der Kinder- und JugendAktionsplan. Man könnte ihn weiter ausbauen, und zwar indem man konkrete Handlungsoptionen zusammen mit Kindern und Jugendlichen gestaltet.

Der besondere Schutz für Kinder sowie Kinderund Jugendbeteiligung sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Uns als Politikern kommt aber eine besondere Verantwortung zu. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Anhörungsverfahren zur Gemeindeordnung, insbesondere bezogen auf § 47. Abends in Dorfgasthöfen, wo Sie Ihre Anhörungen durchführen, Herr Minister Schlie, treiben sich aber wenige Kinder und Jugendliche herum.

Ein anderes Beispiel ist „Jugend im Landtag“. So erfolgreich und beliebt diese Veranstaltung bei jungen Menschen auch ist, müssen wir uns dennoch fragen, ob es ausreicht, die Jugendlichen mit allgemeinen Stellungnahmen zu ihren Beschlüssen zufriedenzustellen.

Vor ungefähr einem Jahr habe ich in meinem ersten Landtagsantrag mehr Beteiligung für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende gefordert. Er sollte ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Damals gab es in der Plenarsitzung Lippenbekenntnisse, wie wichtig die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sei. Alle waren sich einig. Immerhin haben wir eine schriftliche Anhörung durchgeführt. Wir haben als grüne Fraktion die Ergebnisse der Anhörung zum Großteil aufgegriffen und in einem Antrag zusammengefasst. Sie haben jedoch unsere konkreten Forderungen abgelehnt.

(Ingrid Brand-Hückstädt)

Es ist Ihr gutes Recht, unsere Anträge abzulehnen. Sie haben aber keine eigenen alternativen Vorschläge vorgelegt. Das Signal, das bei der Schülerschaft und der Studierendenschaft ankam, war fatal.

Außerdem ist die Umsetzung des Leitprojekts „Kommunale Beteiligung von Kindern und Jugendlichen stärken“ noch mangelhaft. Da viele von Ihnen auch Kommunalpolitiker sind, wollte ich diesen Punkt noch einmal ansprechen. In den meisten Kommunen ist hierbei noch viel Arbeit zu tun.

Auch die Debatte um das Wahlalter - in der Öffentlichkeit wird das oft provokativ unter dem Stichwort „Wahlalter 0“ zusammengefasst - ist eine wichtige Debatte, die auch zu dieser Thematik gehört. Eigentlich geht es aber um etwas viel Grundsätzlicheres. Wir müssen politische Prozesse neu denken, für junge Menschen verständlich machen und neue Formen der Beteiligung schaffen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht um eine Bewusstseinsveränderung in unserer aller Köpfe. Dies geht nur gemeinsam und fraktionsübergreifend. Deswegen ist dies ein guter Schritt. Es geht aber auch nur gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen.