Protokoll der Sitzung vom 26.01.2011

(Heike Franzen)

(Heike Franzen [CDU]: Das stimmt doch nicht!)

und wollen de facto das Grundprinzip des binnendifferenzierten Unterrichts abschaffen. Das nennen Sie dann auch noch Freiheit, obwohl Sie genau damit die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 erschweren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Es wäre auch ein Gebot des Anstands, den Erfolg oder Misserfolg der Initiative „Schulfrieden jetzt“, die in kurzer Zeit 25.000 Unterschriften gesammelt hat, abzuwarten. Im vergangenen Jahr hatten Sie auch die Entscheidung über die Wiedereinführung der Realschulen von der entsprechenden Volksinitiative des Verbands der Realschullehrer abgewartet, obwohl jeder, der etwas davon verstand, wissen musste, dass diese Initiative ein totgeborenes Kind war. Aber Sie handeln nach dem Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!

Der grundlegende Wandel der Schullandschaft mit ihren rund 1.000 Schulen wurde von den Lehrerinnen und Lehrern, den Schulleitungen, den Schülerinnen und Schülern, den Schulträgern und den Eltern in den Schulen, den Gemeindevertretungen und den Verwaltungen mit viel Zeit, Geld und Engagement auf den Weg gebracht. Sie sind mitten in der Arbeit. Es wäre auch dies ein Gebot des Anstands, den Akteuren die Zeit zu geben, diesen Wandel vernünftig zu gestalten, anstatt sie mit Ihrem Schulverschlechterungsgesetz vor den Kopf zu stoßen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich habe am Montag einen Brief vom Bad Bramstedter Bürgermeister bekommen, einen von unzähligen Briefen ähnlichen Inhalts. Es ist übrigens völlig egal, welcher Partei diese Bürgereister angehören. Er schreibt: In der von der dortigen Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Resolution verweist die Stadt auf die Gefährdung der Investitionen, die auf Grundlage des Schulgesetzes von 2007 getätigt wurden, auf die Gefährdung der einvernehmlich auf den Weg gebrachten Schulstruktur in Bad Bramstedt und fordert die vom amtierenden Ministerpräsidenten im Wahlkampf versprochene Ruhe an den Schulen.

Genauso, wie Sie sich in Berlin über den Atomkonsens hinweggesetzt haben, hinter dem die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung steht, so setzen Sie sich jetzt über den hier geschaffenen Konsens im Schulbereich hinweg.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zurufe der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Christopher Vogt [FDP])

Ich könnte dies beinahe noch nachvollziehen, wenn es denn eine Herzensangelegenheit der gesamten Koalition wäre.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Genau!)

Dabei sitzt nur eine Partei mit in der Regierung, die von dem bis jetzt gültigen Gesetz nichts hält.

Der Kollege von Boetticher bezeichnet Demonstrationen für G 9 als „voll daneben“ und wirbt in mäßig besuchten Veranstaltungen für G 8. Ihre Junge Union fordert Sie auf, das Schulverschlechterungsgesetz noch zu stoppen. Müssen Sie eigentlich Ihr regierungsinternes Chaos in die Schulen SchleswigHolsteins tragen?

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Dass die FDP in Schleswig-Holstein leider für eine besonders rückständige Bildungspolitik steht, wissen wir. In Abwandlung eines bekannten Zitats von Karl-Otto Meyer müsste man sagen: Bildungsminister sein, Klug heißen und dann ein solches Schulverschlechterungsgesetz vorzulegen, passt wirklich nicht zusammen.

Aber wo ist eigentlich Ihr Erkenntniszuwachs, Herr Ministerpräsident, gegenüber unserem gemeinsam getragenen Schulgesetz? Kümmern Sie sich eigentlich noch um die Regierungsgeschäfte oder nur noch um das, was man in Zeitungsfotos von Ihnen sehen kann? Hat Herr Kubicki jetzt offiziell die Regierungsverantwortung übernommen, oder was ist in Ihrer Regierung eigentlich los?

(Lachen bei CDU und FDP)

Und Sie, Herr Kollege von Boetticher, der Sie doch Herrn Carstensen nachfolgen wollen - da bin ich bei Ihnen -: Warum lassen Sie etwas zu, was es im ganzen Tierreich nicht gibt und man auch in „Brehms Tierleben“ vergeblich suchen würde, nämlich dass hier der gelbe Schwanz mit dem schwarzen Hund wedelt? Das würde ich von Ihnen gern wissen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Natürlich gibt es bei einem solchen Wandel auch Dinge - wenn intensiv in den Fraktionen beraten wird - bei denen man sich aktuellen Entwicklungen anpasst. Frau Kollegin Franzen, das war auch eher vorgeschoben, was Sie vorgetragen haben. Das war

(Dr. Ralf Stegner)

ja nicht das Motiv für das Gesetz, das Sie gemacht haben.

Herr Abgeordneter Dr. Stegner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Mit dem größten Vergnügen.

Herr Kollege Dr. Stegner, da wir bei einer Bildungsdebatte sind: Würden Sie mir freundlicherweise mitteilen, welches schwarze Tier einen gelben Schwanz hat?

(Heiterkeit bei CDU und FDP)

- Ich sagte gerade, dass es das in der Wirklichkeit nicht gibt. Sie sind auch eine virtuelle Liebeskoalition. Aber Sie wollten nur noch einmal hören, dass Sie wirklich wedeln. Das kann ich Ihnen bestätigen.

(Heiterkeit und Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Solche Mutationen werden übrigens nicht alt.

(Heiterkeit und Beifall bei SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich sind wir auch dafür, dass die zuständige Schulart geregelt wird. Das hätte man auch anders machen können. Dabei haben Sie selbstverständlich unsere Unterstützung. Aber Ihre Behauptung, Sie hätten deswegen das Schulgesetz geändert, ist so lächerlich, dass Sie es nicht einmal selber glauben, auch wenn Sie es hier vortragen.

Was Sie in Wirklichkeit machen, ist etwas anderes. Sie wollen unsere Unterstützung haben, wenn Sie auf der Autobahn in Richtung eines einfachen und durchlässigen Schulsystems bei 200 km wenden. Jeder weiß, dass das verboten ist, und jeder kennt die Folgen. Aus den Trümmern des unvermeidlichen Crashs schaffen Sie dann mit viel Liebe zum Detail einen Blechprototypen. Ihr Sondermodell Schleswig-Holstein blinkt in drei Richtungen. Sie spalten das Gymnasium in mindestens drei Formen auf: solche, die nach acht Jahren zum Abitur führen, solche, die es nach neun Jahren tun, und solche, die beides zugleich anbieten. Freuen Sie sich schon einmal auf die Dankschreiben der Schüler, denen das Unglück widerfährt, im Laufe ihrer Schulzeit von einem Ort mit einem G 9-Gymnasi

um in einen mit einem G 8-Gymnasium umzuziehen!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein teurer Formelkompromiss. Sie haben das an die Schulen wegdelegiert. Bezahlen müssen dafür die anderen Schularten, besonders die Gemeinschaftsschularten. Denn es ist doch klar, dass für dieses teure Y-Chaos mehr Lehrkräfte benötigt werden, wenn mehr Zweige an den Schulen existieren. Gerade das ist aber für Sie offensichtlich kein Argument gegen, sondern eher für ein solches Modell. Und all das nur, weil über allem die Philosophie der FDP steht: So viel aussortieren wie irgendwie möglich und so wenig Gemeinsamkeit wie unvermeidbar.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wo ist eigentlich die Fortschrittsperspektive dieser Freien Demokratischen Partei geblieben, die man aus früheren, sozial-liberalen Zeiten kennt?

Wie isoliert Sie in dieser Frage sind, hat erst vor wenigen Tagen die völlig missglückte Pressearbeit des FDP-Vorsitzenden gezeigt. Sie konnten sich gerade noch auf die beiden konservativsten Lehrerverbände stützen. Vermutlich hatten Sie gehofft, dass jemand auf den Rosstäuschertrick hereinfällt, wenn sich einer davon den hochtrabenden Namen „Interessenvertretung der Lehrkräfte“ gegeben hat, obwohl jeder weiß, da ist nur der Realschullehreverband umbenannt worden. Dann hatten Sie noch eine Landeselternvertretung im Boot und einen Mitwirkenden, den Sie schamhaft als Vertreter des Landeselternbeirats Gymnasien angekündigt haben. Dabei wussten Sie genau, dass sich der Landeselternbeirat für Gymnasien für die Beibehaltung von G 8 ausgesprochen hat und dass nur eines seiner Mitglieder die FDP-Position teilt, ohne aber die Prokura zu haben, diesen Landeselternbeirat nach außen hin zu vertreten. Diese Art von Scheinkulisse passt wirklich zu dem DDR-Vergleich, den Sie, Herr Kubicki, für Ihre eigene FDP-Führung gewählt haben. Dort passt das hin, aber nicht in die Realität unseres Landes.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden Sie heute wohl leider nicht daran hindern können, Ihre Schulverschlechterungsgesetzesnovelle zu verabschieden. Wir sagen Ihnen aber eines sehr deutlich: Sobald diese nicht durch den Wählerwillen legitimierte Regierung abgewählt ist,

(Dr. Ralf Stegner)

werden wir als Erstes die wesentlichen Inhalte dieser Novelle wieder zurückdrehen.

(Zurufe von CDU und FDP - Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Sehr gut, dass Sie das sagen!)

Dieses Gesetz ist so überflüssig wie ein Kropf. Es ist ein Grund mehr, dass Sie Ihr Gastspiel schleunigst beenden. Wir werden das gemeinsame Lernen als Grundprinzip der Gemeinschaftsschulen und auch der Regionalschulen wieder verankern. Wir werden den Eltern eine klare Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 geben, indem die Gymnasien nach acht Jahren zum Abitur führen werden und die Gemeinschaftsschulen nach neun Jahren. Wir werden auch die schweren Verwerfungen im Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit in diesem Land wieder bereinigen, indem die dänischen Schulen auf der Basis von 100 % der Schülerkostensätze finanziert werden.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie sind selbst schuld, wenn diese Verbände sagen, diese Regierung müsse abgewählt werden. Beklagen Sie sich nicht darüber, das ist das Ergebnis Ihrer Politik!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden erleben, dass dieser heutige Tag für Sie ein Pyrrhussieg ist. Die knappe Mehrheit für das Schulgesetz wird der erste Stein zu Ihrer Abwahl sein. Ich beantrage für meine Fraktion eine namentliche Abstimmung über dieses schwarz-gelbe Schulverschlechterungsgesetz.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der FDP-Landtagsfraktion, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott sei Dank muss noch gewählt werden, sodass wir uns auf die Ankündigung des Kollegen Dr. Stegner, der zunächst noch aufgestellt werden muss, momentan nicht einlassen müssen. In den vergangenen Wochen und Monaten sind der Landesregierung und den regierungstragenden Fraktionen viele Vorwürfe gemacht worden. Dass diese