Protokoll der Sitzung vom 28.01.2011

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen unsere Tagung fort, und ich eröffne die heutige Sitzung. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich.

Zunächst einige geschäftsleitende Bemerkungen: Erkrankt sind weiterhin die Kollegen Detlef Buder, Jürgen Weber und Heinz-Werner Jezewski. Wir wünschen ihnen allen dreien gute Besserung, damit sie bald wieder mit dabei sein können.

(Beifall)

Für die Landesregierung ist Herr Minister Rainer Wiegard beurlaubt.

Begrüßen Sie gemeinsam mit mir unsere Gäste auf der Tribüne, Polizistinnen und Polizisten der PDAFB, unserer Landespolizeischule in Eutin auf der Hubertushöhe, sowie Schülerinnen und Schüler der Geschwister-Prenski-Gemeinschaftsschule aus Lübeck. - Herzlich willkommen hier bei uns im Schleswig-Holsteinischen Landtag! Ich wünsche Ihnen einen interessanten Vormittag.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein kurzes Wort zu unserer heutigen Tagesordnung. Wir starten mit den gesetzten Tagesordnungspunkten 49 Zukunftsperspektiven der jungen Generation in Schleswig-Holstein - und 35 - Jährliche Armutsund Reichtumsberichterstattung. Dann reihen sich Tagesordnungspunkte ein, die wir gestern nicht abgearbeitet haben, nämlich zum einen in verbundener Debatte die Tagesordnungspunkte 18, 33 und 52 zur Agrarpolitik, dann die Tagesordnungspunkte 21 - Atommülltransporte -, 28 - Keine Verharmlosung des Kommunismus - und 31 - Keine Verschlechterungen bei Integrationskursen. So ist es bis heute Mittag vorgesehen. Wir tagen bis 14 Uhr, haben dann eine verkürzte Mittagspause von 14 bis 15 Uhr, und um 15 Uhr setzen wir mit dem gesetzten Punkt „Resolution zu unserem Patenschiff ‚Gorch Fock’“ fort. Soweit die geschäftsleitenden Bemerkungen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 49 auf:

Zukunftsperspektiven der jungen Generation in Schleswig-Holstein

Bericht der Landesregierung Drucksache 17/1145

Zukunftspolitik statt Perspektivlosigkeit für die Jugend in Schleswig-Holstein

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1219 (neu)

Ich erteile zunächst dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die im letzten Jahr veröffentlichte 16. Shell Jugendstudie zeichnet unter dem Titel „Eine pragmatische Generation behauptet sich“ ein überwiegend positives, ein von Optimismus geprägtes und zum Optimismus berechtigtes Bild von jungen Menschen in unserem Land. Auf der Grundlage von Interviews von rund 2.600 Jugendlichen zwischen 12 und 25 Jahren gibt die Studie einen Überblick darüber, was junge Menschen heute denken, was ihnen wichtig ist und welche Werte sie teilen.

Zentrale Aussagen der Studie sind: Der Optimismus unter Jugendlichen hat gegenüber der vorigen Studie, die aus dem Jahr 2006 stammt, deutlich zugenommen. Fast 60 % blicken zuversichtlich in die Zukunft. Jugendliche sind heute deutlich familienorientierter als früher. Über 90 % haben ein gutes Verhältnis zu ihren Familien. Mehr als drei Viertel der Jugendlichen sagen für sich, dass sie eine eigene Familie brauchen und eine eigene Familie möchten, um glücklich leben zu können. Fast 70 % der befragten Jugendlichen wünschen sich eigenen Nachwuchs.

Nebenbei bemerkt und an der Stelle schon einmal den Hinweis, auf den ich später zurückkommen werde: Gerade hier lohnt es sich, wenn sich junge Menschen in dieser großen Prozentzahl vorstellen können, Kinder zu bekommen, eine Familie zu gründen, in einer modernen Gesellschaft dafür auch moderne familienpolitische Leistungen zu schaffen und diese familienpolitischen Leistungen auf ihre Zielgenauigkeit hin zu überprüfen.

(Beifall bei FDP und CDU sowie vereinzelt bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Eine weitere Aussage der Shell-Studie: Das Interesse junger Leute an der Politik und die Bereitschaft zu sozialem Engagement nehmen insgesamt zu.

Allerdings sagt die Studie, dass es eher die sogenannten sozial Bessergestellten sind, die sich interessieren und engagieren. Die Studie bezeichnet Jugendliche als pragmatisch und unangepasst. Das bedeutet, einerseits stehen für 60 % von ihnen Fleiß, Ehrgeiz und Anstrengung hoch im Kurs, andererseits sagen 70 %, dass es richtig ist, sich gegen Missstände in der Gesellschaft und der Arbeitswelt zur Wehr zu setzen. Ich finde, das ist eine gesunde Mischung, die mit „No Future“ oder ähnlich dummen Sprüchen absolut nichts mehr zu tun hat. Diese Menschen können damit nichts anfangen, haben damit nichts am Hut. Es ist aber auch mit dem Extrem bloßer karrieristischer Anpassung nicht zu beschreiben. Davon sind diese jungen Menschen ebenfalls weit entfernt. Das heißt, wir haben engagierte, zupackende, selbstbewusste junge Menschen hier in Deutschland. Das ist durchaus Anlass zu Optimismus.

(Beifall bei FDP und CDU sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Bildung wird als Schlüssel und Erfolgsfaktor für die persönliche Zukunft gesehen. Dementsprechend sind junge Menschen ohne Schulabschluss pessimistischer als solche mit einem Schulabschluss. Darauf komme ich noch einmal zurück. Insgesamt sind 71 % der Jugendlichen davon überzeugt, dass sich ihre beruflichen Wünsche erfüllen werden. Das ist eine deutliche Trendwende gegenüber früheren Erhebungen. Die Autoren sprechen von einer großen Mehrheit, die durch ausgeprägten Pragmatismus, zupackende Tatkraft und den Wunsch, das eigene Leben und die eigene Zukunft zu gestalten und in den Griff zu bekommen, geprägt sei. Jugendliche sind am Leistungsaufstieg interessiert und suchen individuelle Möglichkeiten, ihre Ziele umzusetzen. Die Studie bilanziert:

„Nach wie vor erweisen sich Jugendliche in Deutschland als selbstbewusste Generation, die es gelernt hat, mit dem gesellschaftlichen Druck umzugehen und sich auch unter schwierigen Rahmenbedingungen zu behaupten.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine, dass der in der Studie dokumentierte Optimismus berechtigt ist. Demografischer Wandel, der auch in diesem Haus immer wieder unter ganz vielen Facetten diskutiert wird, vor allem strittig vor dem Hintergrund der Fragen diskutiert wird, wie man ihn beherrscht, mit welchen Antworten man auf ihn reagiert, der ganz oft als Herausforderung bezeichnet wird, manchmal sogar als Schreckensgespenst an die Wand gemalt wird, demografischer Wandel

bedeutet eben auch, junge Menschen haben heute ganz hervorragende Chancen auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Ausbildungsmarkt, und haben damit auch sehr gute Aussichten, ein Leben zu verwirklichen, das ihren Vorstellungen entspricht.

(Beifall bei FDP und CDU)

Lassen Sie mich an der Stelle auch die durchaus kritische Bemerkung machen: Das bedeutet auch, dass das eine Chance ist, jetzt eine Fehlentwicklung der vergangenen Jahre in Schleswig-Holstein korrigieren zu können. Es sind aus meiner Sicht immer noch viel zu viele junge Menschen in sogenannten berufsvorbereitenden Maßnahmen, für die ich mir wünschte, dass sie tatsächlich in einer Ausbildung wären.

(Beifall bei FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und SSW)

Es ist eine wirkliche Chance, wegen der hohen Nachfrage aufgrund der Tatsache, dass es zunehmend eng auf dem Ausbildungsmarkt wird - und zwar nicht eng für die jungen Menschen, sondern eng für die Unternehmer. Das ist etwas, woran wir gemeinsam arbeiten sollten: dass junge Menschen nicht in Maßnahmen beschäftigt werden, sondern dass sie tatsächlich eine reelle Chance auf Ausbildung und später auf einen Arbeitsplatz bekommen.

(Vereinzelter Beifall bei FDP und CDU)

Es gibt bei allem Optimismus, den die Studie im Übrigen deutlich zum Ausdruck bringt, deutliche Differenzierungen und Schattenseiten. 6 % der jungen Menschen sehen ihre Zukunft - ich zitiere aus der Studie - „eher düster“. Das sind ganz überwiegend sozial benachteiligte junge Menschen. Diese 6 % entsprechen den Resultaten der beiden vorangegangenen Shell-Studien. Die Zahlen können an sich niemanden überraschen. Unter nachteiligen Lebensbedingungen mit teilweise unzureichendem Bildungszugang und daher absehbar negativen persönlichen Aussichten ist es wenig verwunderlich, dass junge Menschen dann keine Zuversicht, kein Selbstvertrauen und auch keine positive Haltung zu ihrer eigenen Umgebung entwickeln können.

Überraschend ist eigentlich, wenn man sich die Anzahl der von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen vergegenwärtigt, dass es - bitte in Anführungszeichen verstanden - lediglich 6 % sind, die düster in die Zukunft blicken. Umgekehrt - positiv - bedeutet das aber auch, dass viele Jugendliche unter schwierigen Rahmenbedingungen den Kopf nicht hängen lassen und eine grundsätzlich offene Haltung an den Tag legen.

(Minister Dr. Heiner Garg)

Da sage ich ganz deutlich: Genau das wollen wir nutzen, und wir nutzen es bereits, um junge Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Der angesprochene demografische Wandel bedeutet: Junge Menschen auch mit einem eher schlechteren Start in die Schulkarriere haben in Zukunft bessere Chancen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, als das etwa noch vor zehn Jahren der Fall gewesen wäre.

Die Autoren der Studie haben eine ganze Reihe von Empfehlungen und Diskussionsanregungen vorgelegt. So wird eine integrierte, ressortübergreifende Jugend-, Familien- und Bildungspolitik empfohlen, um das Potenzial der gesamten jungen Generation zu stärken.

Auch wenn es möglicherweise nicht üblich ist, will ich mich an dieser Stelle ressortübergreifend bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken. Ich finde, die Zusammenarbeit zwischen dem Wirtschaftsministerium, dem Landwirtschaftsministerium, dem Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration und dem Bildungsministerium klappt ausgezeichnet. Anders wären nämlich die vor uns liegenden Aufgaben überhaupt nicht zu bewältigen. Mein Dank an die Kolleginnen und Kollegen, dass wir das gemeinsam hinbekommen.

(Beifall bei FDP, CDU und der Abgeordne- ten Anke Spoorendonk [SSW])

Namentlich: Der Jugendpolitik wird die Aufgabe ins Stammbuch geschrieben, auf die Bewältigung von gesellschaftlicher Komplexität vorzubereiten. Dabei sollen die Chancen auch für die Gruppe der sogenannten Benachteiligten verbessert werden. Besonderen Handlungsbedarf sehen die Autoren im Hinblick auf Bildung und Selbstmanagement von männlichen Jugendlichen. Das ist leider auch immer mit dem Thema Gewaltprävention verbunden. Im Bereich der Jugendmedienpolitik werden Maßnahmen zur Förderung von Medienkompetenz und von Kreativität förderndem Umgang mit Medien nahegelegt. Das ist einer der Schwerpunkte, den wir derzeit im Rahmen unserer präventiv ausgerichteten Jugendpolitik verfolgen. Weitere Empfehlungen vonseiten der Studienautoren sind dem Bericht zu entnehmen.

Sie können dem Bericht ebenfalls entnehmen, auf welchen Feldern die Landesregierung genau an diesen Punkten arbeitet: Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein, und zwar allen Kindern und Jugendlichen, bestmögliche Chancen zu eröffnen. Die Landesregierung nimmt junge Menschen in den Blick, deren Lebenslagen durch soziale und andere Teilhabebeschränkungen gekennzeichnet sind und

deren Zukunftschancen ohne Ausgleich deutlich eingeschränkt wären.

In der Shell-Studie thematisierte, integrierte Jugend-, Familien- und Bildungspolitik, die ich gerade angesprochen habe, ist ein Baustein. Bei der Integrationspolitik setzt diese Landesregierung nicht nur neue Akzente, sondern sie setzt sie vielfältig um. Der Bericht dokumentiert umfangreiche Maßnahmen von der Kita über Schule, das Handlungskonzept „Schule & Arbeitswelt“, die Bildungspatenschaften, die Jugendhilfe, durch die sich die Landesregierung für ein gutes Aufwachsen aller Kinder und Jugendlichen in Schleswig-Holstein einsetzt.

Ich will einmal ganz konkret machen, worum es jedenfalls aus meiner Sicht - geht: weniger hübsche Projektnamen und hübsche bunte Bilder als ganz konkret um Handlungen wie das Handlungskonzept „Schule & Arbeitswelt“.

(Beifall bei FDP, CDU, SSW und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für rund ein Drittel der Teilnehmer hat sich eine reelle Chance für einen gelingenden Start ins Arbeitsleben ergeben, und für ein weiteres Drittel haben sich die Chancen deutlich erhöht.

Das Wirtschaftsministerium fördert das Projekt „Ausbildung und Integration für Migranten“, das die türkische Gemeinde in Schleswig-Holstein auf die Beine gestellt hat. Wir wollen die Teilhabe von jungen Migrantinnen und Migranten am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt deutlich verbessern. Und wir müssen sie deutlich verbessern, wenn Sie sich die Arbeitslosenquoten junger Menschen mit Migrationshintergrund vergegenwärtigen.

Letztes konkretes Beispiel: Die Landesregierung ist dabei, ein Bündnis für Teilhabe zu schmieden, eine konzertierte Aktion von Land, Kreisen, kreisfreien Städten, von Verbündeten und von Unternehmen, weil Unternehmen auch integraler Bestandteil unserer Gesellschaft sind und Verantwortung für diese Gesellschaft nicht nur tragen, sondern gerade auch tragen wollen.

Wir wollen die bestehenden Aktivitäten und Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Einbindung und der Bildungsbeteiligung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen besser aufeinander abstimmen, koordinieren und weiter ergänzen.

Gestatten Sie mir ein Wort zum Schluss: Die größte Perspektivlosigkeit, in die wir junge Menschen laufen lassen würden, wäre, wenn wir ihnen keine eigenen Handlungsmöglichkeiten, keine eigenen poli

(Minister Dr. Heiner Garg)

tischen Gestaltungsmöglichkeiten einräumen würden, weil wir weiter finanziell alles verfrühstücken würden, wie das in der Vergangenheit bedauerlicherweise der Fall gewesen ist.

(Beifall bei FDP und CDU)

Dass sich diese Landesregierung auf den Weg gemacht hat und wir angefangen haben, Finanzen zu konsolidieren, mag nicht jedem gefallen. Das ist für mich aber ein Beweis dafür, dass wir es ernst meinen, junge Menschen ernst zu nehmen und jungen Menschen wieder zuzugestehen, im Zweifel auch ihre eigenen politischen Fehler machen zu dürfen. Das könnten sie nämlich nicht, wenn wir ihnen noch nicht einmal die finanziellen Möglichkeiten dazu lassen würden.