Protokoll der Sitzung vom 23.03.2011

(Sandra Redmann [SPD]: Ist das jetzt das Neueste, oder was?)

- Offensichtlich ja.

(Zuruf der Abgeordneten Sandra Redmann [SPD])

- Passen Sie auf! Was Rot-Grün gemacht haben, ist, zu sagen, was sie nicht wollen, nämlich keine Atomenergie, den Ausstieg, den ich vernünftig finde. Der Ausstieg muss doch begleitet werden von der Frage,

(Antje Jansen [DIE LINKE]: Seit 30 Jahren reden wir über den Ausstieg!)

wie man den Weg aus der dann vorhandenen Energielücke schafft. Wissen Sie, was die Antwort gewesen ist,

(Zuruf der Abgeordneten Sandra Redmann [SPD])

und zwar unterstützt von vielen aus der Bundespolitik?

(Zuruf von der SPD: Moratorium!)

Das war der Weg in die Kohle. 40 neue Kohlekraftwerke. Dann kann man sich hier hinstellen und sagen: „Das will ich nicht.“ Man kann auch sehr energisch auftreten und sagen: „Das will ich immer noch nicht.“ Aber wenn man sieht, dass in Deutsch

(Dr. Christian von Boetticher)

land genau das passiert, muss man doch mit anderen Konzepten Antworten darauf entwickeln, wie das vernünftig geht und wie man das unterstützt.

(Zurufe von SPD und der LINKEN)

Dann muss man darüber reden,

(Beifall bei der CDU)

was das auch an Durchsetzung beispielsweise für Leitungstrassen vor Ort heißt. Wir werden 500 km Leitungstrassenneubau benötigen. 200 km brauchen wir neu im Bereich der Erneuerung, 300 km brauchen wir neu im Bereich des Neubaus. Man muss mit den Menschen darüber reden und ihnen sagen, was das an Belastung bedeutet. Das muss eine ehrliche Debatte sein. Man darf nicht immer nur sagen, was man nicht will, dass man den Ausstieg will,

(Beifall bei CDU und FDP)

sondern muss eine ehrliche Debatte führen über das, was auf uns zukommt.

Darum glaube ich, dass unser Antrag genau richtig ist. Er geht auch auf die Dinge ein, die wir als Übergang benötigen. Es sei auch noch einmal daran erinnert: Der Greenpeace-Antrag sah im Jahr 2007 eine Weiternutzung von acht Jahren Kernenergie vor. - Auch dort kein Sofortausstieg. Bei Ihnen, Herr Stegner, beträgt der Übergang elf Jahre. Auch kein Sofortausstieg. Bei uns war der Übergang in der Tat am Ende nach dem Kompromiss leider länger, nämlich über 20 Jahre. - Auch kein Sofortausstieg. Aber zu sagen, lieber Herr Stegner, Atomkraft sei bei Ihnen keine Brückentechnologie, stimmt nicht. Mir ist es egal, wie Sie das nennen. Nennen Sie es Übergangstechnologie. Aber auch Sie hätten für die nächsten elf Jahre nicht auf Kernkraft verzichtet. Das gehört doch zur Ehrlichkeit an diesem Tag auch dazu.

(Beifall bei CDU und FDP)

Darum lassen Sie uns darüber reden, wie wir diesen Übergang, egal, ob elf Jahre oder zehn Jahre, vernünftig verkürzen können. Da sind wir sehr offen. Aber es muss konzeptionell belegt werden. Es reicht nicht, wenn man sagt, was man nicht will. Es muss System haben. Man muss deutlich machen, was der Preis ist, den man dafür zahlen muss, welche Wege es dafür gibt, und auch, was das manchmal an Belastung für die Bevölkerung vor Ort bedeutet.

Wir sind dazu bereit, im Übrigen auch aus einer inneren Überzeugung von der Nachhaltigkeit. Wir haben im Bereich der Finanzen bewiesen, dass wir

hinter der Nachhaltigkeit stehen. Dasselbe gilt für den Bereich der Nachhaltigkeit der Ressourcenschonung. Wir brauchen da keine Angst zu haben, wir brauchen da keine Panik. Es ist unsere innere Überzeugung, auch meine innere Überzeugung. Daran werden wir arbeiten.

(Beifall bei der CDU)

Darum ist der Antrag, den wir heute vorlegen, sehr vernünftig. Er ist die Erwartung, die wir auch gegenüber der Bundesregierung zum Ausdruck bringen, dass die Zeit der drei Monate genutzt wird, genau diesen Weg zu beschreiten: eine deutliche Verkürzung der Übergangsfristen. Wenn es ein Konzept gibt, das auf das rot-grüne zurückgeht, habe ich damit überhaupt kein Problem. Wenn es ein vernünftiges Konzept gibt, das noch schneller zum Ausstieg führt, habe ich damit erst recht kein Problem. Aber sich hinzustellen und zu sagen, was man nicht will, wird auch für die zukünftige Debatte nicht reichen. Wir sind hier offen. Wir reichen allen, die an vernünftigen Konzepten arbeiten wollen, die Hand, aber offen und ehrlich, und wir sagen den Menschen auch, was an Belastungen auf sie zukommt.

(Anhaltender Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort erteile ich dem Vorsitzenden der FDPLandtagsfraktion, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.

(Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt aber bitte eine politische Rede! - Zuruf: Zum Thema! - Antje Jansen [DIE LINKE] Jetzt Ausstieg! - Heike Franzen [CDU]: Man kann Politik auch sachlich ma- chen!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Fritzen, ich habe Ihren Zwischenruf nicht verstanden, weil ich nicht differenzieren kann zwischen inhaltlich-sachlicher Argumentation und politischer Argumentation. Das kann nachher vielleicht der Kollege Habeck differenzieren. Ich will versuchen, mich dem Problem, vor dem wir stehen, mit einigermaßen Sachlichkeit zu nähern. Ich hoffe, dass Sie das verstehen.

Wir sind über die Ereignisse in Japan, insbesondere im Atomkraftwerk Fukushima zutiefst betroffen und bestürzt, und selbstverständlich gilt der japanischen Bevölkerung unser tiefstes Bedauern.

(Dr. Christian von Boetticher)

Die Wirkungen des GAUs sind politisch, wirtschaftlich und kulturell bis zu uns zu spüren. Er war nicht der Grund, wohl aber der Anlass für Veränderungen. Gekannt haben wir die Gefahren bereits zuvor, nur mit den Bildern sind sie uns erst jetzt wieder nachhaltig bewusst geworden.

Nach dem 11. März 2011 wird in der zivilen Nutzung der Kernenergie nichts mehr so sein, wie es zuvor gewesen ist. Dass es dazu eines solchen Ereignisses bedurfte, ist traurig, aber wahr. Der Mensch ist hierbei häufig wie ein großes Kind. Er lernt nicht durch die tatsächliche Erkenntnis, sondern erst durch eine schmerzhafte Erfahrung, dass er von Dingen Abstand nehmen muss.

Wir haben uns nach dem Unglück von Tschernobyl gern damit getröstet, dies liege nur an den veralteten Reaktoren, an den unfähigen und wenig ausgebildeten Sicherheitsingenieuren. Kurzum, wir haben blind darauf vertraut, dass in einer hoch technologisierten Gesellschaft mit einer vorbildlichen Wartung so etwas nicht möglich sei. Nun hat sich gezeigt, wie hoch die Selbstüberschätzung auch unserer Möglichkeiten war.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Mich stört es, wenn Menschen sagen, Situationen seien nicht vorhersehbar gewesen, weil so etwas noch nie zuvor passiert sei. Diesen Menschen sage ich: Auch der Zusammenprall zweier Verkehrsflugzeuge am Boden war unvorstellbar oder die katastrophalen Folgen eines Tunnelbrandes nach einem Verkehrsunfall - und trotzdem ist es geschehen.

Das Bild des explodierenden Reaktorgebäudes hat sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Es muss uns zu Veränderungen bei der zivilen Nutzung der Kernenergie zwingen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Entscheidung zur zivilen Nutzung der Kernenergie war eine politische, keine wirtschaftliche. Denn bei einer rein wirtschaftlichen Erwägung hätten wir von einem Einstieg abgesehen. Die Politik hat die Kosten der Atomenergie künstlich gesenkt. Die Kosten der Endlagerung und des Transportes wurden nicht den Unternehmen in Rechnung gestellt, sondern den Steuerzahlern.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Würde man sämtliche anfallende Kosten der Kernenergie mit einbeziehen, wie unter anderem die La

gerung und Bewachung der Brennstäbe für die nächsten Hunderttausende von Jahren, würde ein Unternehmen bei der Bildung der notwendigen Rückstellungen schnell feststellen, dass Kernenergie alles andere, nur nicht billig ist.

Das Ereignis in Japan stellt eine Zäsur dar. Wir sehen zum ersten Mal, dass die Risiken eines solchen Unglücks weder beherrschbar sind, noch die lang geglaubte und erzählte Mär des günstigen Atomstroms der Wahrheit entspricht. Alle Argumente, die bei der Beschlussfassung über die Laufzeitverlängerung genannt wurden, sind entweder mit dem Ereignis in Japan obsolet geworden oder haben jedenfalls ihre Bedeutung verloren.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Welchen Gegenwert hat ein um drei Cent pro Kilowattstunde günstigerer Strom, wenn seine Produktion gleichzeitig solch immense Risiken birgt?

Stellen Sie sich vor, wir hätten wie die betroffenen Menschen 15 Minuten Zeit, um unsere Wohnung zu räumen. Alles, was wir in unserem Leben erworben und erlebt haben, müssten wir innerhalb einer Viertelstunde hinter uns lassen. Wir müssten unser wichtigstes Hab und Gut in einer kleine Tasche verstauen und alles andere stehen und liegen lassen, in der Gewissheit, in unserem verbleibenden Leben nie wieder unser Haus betreten zu dürfen und die damit verbundenen Erinnerungen einzubüßen.

Natürlich ist ein Beben von der Stärke 9,0 in unserem Gebiet unwahrscheinlich. Dies schließt aber nicht ein anderes Ereignis aus, das am Ende des Prozesses in einer Kernschmelze mündet. Die, die meine Worte skeptisch sehen, will ich mit dem Begriff „Stuxnet“ konfrontieren. „Stuxnet“ war ein Computerwurm, dessen Herkunft aus israelischamerikanischen Geheimdienstquellen vermutet wird. Das Ziel war, die iranischen Atomanlagen zu sabotieren.

Das Programm hatte die Messwerte der Atomanlage Bushehr manipuliert und den Kontrolleuren über Wochen falsche Daten geliefert. Tatsächlich wurden die Zentrifugen in der Anlage dadurch beschädigt und mussten ausgewechselt werden.

Man stelle sich nun eine Gruppe von technisch versierten Terroristen vor, die das Programm entsprechend umschreiben würden, es würde ihnen gelingen, die Daten in einem Atomkraftwerk zu manipulieren. Wir würden das tatsächliche Problem vermutlich erst dann feststellen, wenn wir nicht mehr

(Wolfgang Kubicki)

eingreifen könnten. Eine Kernschmelze wäre dann vermutlich nicht mehr zu verhindern.