Protokoll der Sitzung vom 26.05.2011

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

(Präsident Torsten Geerdts)

Deutschland braucht offensichtlich den Druck der Europäischen Union, um die beschämend schlechte Platzierung in Sachen Geschlechtergleichstellung zu verlassen und durch konkrete Maßnahmen Gegenstrategien zu entwickeln. Was für Deutschland insgesamt gilt, gilt auch und gerade für SchleswigHolstein. Unter sozialdemokratischer Führung war unser Land bundesweit Vorreiter in Sachen Gleichstellung, und jetzt?

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Wir geben aber die Hoffnung nicht auf, dass sich auch die jetzt regierungstragenden Fraktionen den nach wie vor vorhandenen Defiziten in der Gleichstellungspolitik endlich stellen und unserem Antrag zustimmen.

Neun Monate sind seit der Verabschiedung der Europäischen Gleichstellungsstrategie vergangen, in unserem Land wurden keine zukunftsweisenden Strategien entwickelt, im Gegenteil, Gleichstellungspolitik scheint allenfalls eine Nebenrolle zu spielen.

Zu viel Zeit ist schon vergangen, ohne dass an einer regionalen Strategie für Schleswig-Holstein gearbeitet wurde. Handeln Sie jetzt! Die Frauen haben keine Zeit bis zum Regierungswechsel im nächsten Mai.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Erlauben Sie mir noch einige Worte zu Ihrem sogenannten Änderungsantrag. Das ist wieder so ein typischer CDU-FDP-Antrag, wie wir ihn hier häufig haben. Unser Minister macht eine Konferenz, sucht sich ein Thema und wir stellen einen Berichtsantrag. Damit es dann auch ein Änderungsantrag wird, nehmen wir die Worte Europäische Kommission mit hinein. Das ist es dann. Sicherlich werden Sie das mit Ihrer Mehrheit beschließen, und der Bericht kann ja auch nicht schaden. Mit dem Thema hat es aber herzlich wenig zu tun.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Für die CDU-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Katja Rathje-Hoffmann das Wort.

Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass wir unsere Anträge so stellen, wie wir es für richtig halten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Die Erfolge bei der Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern haben das Leben vieler Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner positiv beeinflusst und bilden das Fundament für eine echte Gleichstellung in der Gesellschaft. Wir begrüßen die Aktivitäten der Europäischen Union, eine Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern bis 2015 aufzuzeigen. Zahlreiche der in dieser Strategie beschriebenen Maßstäbe und Aktionen haben bereits bei uns im Land Einzug in die Gesetzgebung und ins tägliche Leben gehalten.

Um das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe der Geschlechter zu erreichen, werden aktive Steuerungsmaßnahmen, kluge Personalentwicklungen sowie mehr und mehr flexible Angebote für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf benötigt. Wir begrüßen zudem die Initiativen und Impulse zur Entgeltgleichheit. Zum Stand der Gleichstellung in Entscheidungsprozessen ist anzumerken, dass es in Deutschland im mittleren Management von mittelständischen Unternehmen bereits einen Frauenanteil von rund 31 % im Jahr 2009 gegeben hat. Davon bekleideten rund 11 % eine Top-Position.

Deutlich schlechter sieht es in den Vorständen der TOP-200-Unternehmen in der Bundesrepublik aus. Hier finden wir einen Frauenanteil von mageren 3,2 %. Das ist beinahe Schlusslicht in Europa, und das ist schlimm. Die Kommission regt an, die Möglichkeiten gezielter Initiativen zur Verbesserung des Geschlechtergleichgewichts in Entscheidungsprozessen zu prüfen. Hier müssen wir Fortschritte machen und zu Taten schreiten.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Ja!)

Ebenfalls hervorheben möchte ich die Aktivitäten der EU zum Schutz der Würde und Unversehrtheit. Der Schutz vor häuslicher Gewalt bleibt eine Hauptaufgabe für die gesamte Gesellschaft. Erfreulicherweise ist dies auch ein Thema der im nächsten Monat stattfindenden Frauen- und Gleichstellungsministerkonferenz in Schleswig-Holstein. Die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, die geschlechterspezifische Gewalt und damit verbunden

(Siegrid Tenor-Alschausky)

der Schutz der von Gewalt und Missbrauch bedrohten Frauen, steht dort im Vordergrund.

Ganz oben auf der Agenda befindet sich auch die verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern und der gerechte Kostenausgleich unter den Bundesländern. Bei uns werden anerkannte Frauenhausplätze pauschal vom Land finanziert. Ein Kostenausgleich mit den Heimatkommunen der hilfesuchenden Frauen ist dabei nicht vorgesehen. Bei genauerer Betrachtung stellen wir fest, dass rund 30 % der Frauenhausplätze in Schleswig-Holstein mit Frauen aus anderen Bundesländern belegt sind und dass anteilig etwa 10 % Frauen aus unserem Land in anderen Bundesländen Zuflucht finden.

Bedauerlicherweise müssen hierfür jedoch die schleswig-holsteinischen Heimatkommunen der auswärtigen Frauen für die dort anfallenden Kosten der Unterkunft aufkommen. Wir bemängeln hier nicht die Unterbringung der Frauen in anderen Bundesländern, die oft lebensnotwendig ist, sondern wir bemängeln nur die ungenügende Finanzierung. Denn nur in Schleswig-Holstein fehlt die Rechtsgrundlage für eine Heranziehung der Heimatgemeinden der Frauen aus anderen Bundesländern.

Fazit: Unser so gutes, unbürokratisches und einzigartiges Finanzierungsmodell wird somit sehr teuer und ist auch in Sachen Kostenausgleich für unser Land leider sehr nachteilig.

(Beifall bei der CDU)

Hier gibt es eine finanzielle Schieflage zuungunsten Schleswig-Holsteins. Wir zahlen für die auswärtigen Frauen und erhalten nichts für die Frauen aus anderen Bundesländern zurück. Das ist doppelt nachteilig für uns. Wir begrüßen, dass der Minister für Justiz, Gleichstellung und Integration zugesagt hat, nach einer geeigneten Lösung zu suchen. Eine Lösungsmöglichkeit wäre eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung zur Finanzierung der Frauenhäuser für einen gerechten Ausgleich unter den Bundesländern. Wir begrüßen weiterhin, dass dieses ein wichtiges Thema für die im Juni stattfindende Gleichstellungsministerkonferenz in Kiel sein wird. Wir bitten den Minister um einen Bericht zu den Ergebnissen der Konferenz, auch unter Einbeziehung der europäischen Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2010 bis 2015.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Kirstin Funke das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die von der EU-Kommission im März vergangenen Jahres auf den Weg gebrachte Strategie zur Gleichstellung von Mann und Frau ist nicht nur Teil der EU-Strategie 2020, sondern auch ein ambitioniertes Werk, das bis 2015 europaweit in Angriff genommen werden soll, um die Lebensverläufe von Männern und Frauen anzugleichen. Wenn Sie die Inhaltspunkte der Strategie mit dem Gleichstellungsbericht der Bundesregierung von Anfang dieses Jahres vergleichen, so greifen sie ineinander. Die EU-Strategie greift die wichtigen Themen auf, in denen ein gesellschaftliches Umdenken erforderlich ist. Hier geht es zum einen um die gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit, gleiches Entgelt für gleiche Arbeit, Schutz der Würde und Unversehrtheit, Gleichstellung in der Außenpolitik und in den Instrumenten und Rechtslagen der Gleichstellung.

Die EU kommt zu dem Schluss, dass ein angeglichener Lebensverlauf von Männern und Frauen in Europa nur dann zustande kommt, wenn die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen gestärkt wird. Nur wer wirtschaftlich unabhängig ist, kann sein Leben selbstbestimmt gestalten. Gleichzeitig wird durch eine höhere Beschäftigungsquote von Frauen der demografische Wandel kompensiert. Nur durch eine höhere Beschäftigungsquote von Frauen können wir unser Wirtschaftswachstum weiter steigern. Nur durch die Verbesserung der Beschäftigungsquote von Frauen kann das Ziel der EU-Strategie 2020 einer 75-prozentigen Beschäftigungsquote von Männern und Frauen bis 2020 EUweit durchgesetzt werden. Es bedarf gezielter Strategien, um den Frauenanteil zu erhöhen. Denn Frauen übernehmen nach wie vor einen übermäßig großen Teil der Verantwortung für die Familie, sei es bei der Kindererziehung oder bei der Pflege eines Familienangehörigen.

In denjenigen Mitgliedstaaten, die die Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf getroffen haben, sind viele Frauen und Männer berufstätig. Auch die Geburtenraten sind dort relativ nachhaltig. Der Ansatz der EU, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders zu fördern und in den Fokus zu nehmen, stößt auf Unterstützung der FDP-Fraktion.

(Katja Rathje-Hoffmann)

Zu einem gleichgestellten Lebensverlauf gehört auch, dass Männer und Frauen gleichermaßen die Chance haben, in ihrem Beruf Verantwortung in den Führungsebenen zu erhalten.

(Beifall bei FDP und der LINKEN)

In der Strategie geht es aber explizit nicht darum, eine Frauenquote festzulegen,

(Beifall des Abgeordneten Tobias Koch [CDU] - Zuruf: Wer klatscht denn da? - Hei- terkeit)

sondern die Kommission unterzieht sich selbst einem Prüfauftrag. Im EU-Bericht über den Prozess der Gleichstellung von Mann und Frau im Jahr 2010 ist zu lesen, wie unterschiedlich die einzelnen EU-Mitgliedstaaten dies geregelt haben. Interessant ist dabei, dass in Schweden und Finnland, die eine Berichtspflicht der Unternehmen haben, in denen die Unternehmen transparent darstellen müssen, wie viele Männer und Frauen auf der mittleren und oberen Managementebene beschäftigt sind, eine höhere Anzahl von Frauen in den Führungsetagen zu finden. Sie sind damit Spitzenreiter in der EU.

In diesem EU-Bericht gibt es ebenfalls einen Hinweis auf Norwegen, bekanntlich kein EU-Mitgliedsland, das als erstes Land eine gesetzliche Frauenquote für Aufsichtsräte einführte. Die Frauenquote in den Aufsichtsräten hat sich von Anfangs 7 % auf 42 % gesteigert. Ein gesetzlicher Erfolg ohne Zweifel. Allerdings - und das ist bedenklich hat sich der Anteil von Frauen in Norwegen in den Managementpositionen, die nicht unter die gesetzliche Frauenquote fallen, nicht geändert.

(Zuruf - Heiterkeit - Glocke des Präsidenten)

Im norwegischen Management sind Frauen immer noch stark unterrepräsentiert. An der Osloer Börse sind zum Beispiel nur 2 % der Manager weiblich. Zusätzlich geht innerhalb der Aufsichtsräte die Geschlechterhierarchie oft weiter, da meist ein Mann den Vorsitz innehat und Geschäftsführerinnen noch immer die Ausnahmen sind. Daraus folgt für mich: Es bedarf mehr als einer Quote, um gesellschaftliches Umdenken zu erreichen.

Wie bereits erwähnt, greift die EU-Gleichstellungsstrategie ebenfalls den Schutz und die Unversehrtheit der Würde von Männern und Frauen auf. Die FDP-Fraktion begrüßt es sehr, dass ebenfalls Minister Schmalfuß bei der Gleichstellungsministerkonferenz im Juni in Plön zum Thema „Gleichstellung im Lebensverlauf“ auch das Thema „Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen“ als weiteres, zentrales Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Das schleswig-holsteinische Ansinnen, von dem der Minister bereits im Parlament berichtete, auf Kostenerstattung der Frauenhausaufenthalte zwischen den Ländern ist ein wichtiger Schritt, um in der Bundesrepublik einen Ausgleich zu schaffen, damit keine Frau - gleichgültig, in welchem Bundesland sie sich aufhalten möchte -, Nachteile erleidet.

Ich beantrage, den Änderungsantrag Drucksache 17/1555 entsprechend der Absprachen im Ältestenrat zu einem eigenständigen Antrag zu erklären und über den Antrag in der Sache abzustimmen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Kollegin Dr. Marret Bohn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen begrüßen die Initiative der Europäischen Kommission zur Förderung der Gleichberechtigung ausdrücklich. Wir freuen uns darüber! Endlich ist sie da - besser spät als nie!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Die Kommission hat eine Fünfjahresstrategie für mehr Chancengleichheit von Frauen und Männern in Europa angenommen, die dazu beitragen soll, das Potenzial der Frauen besser für die wirtschaftlichen und sozialen Ziele der EU zu nutzen.

Die Kommission hat gezielte Maßnahmen erarbeitet, und sie will einen jährlichen Gleichstellungsdialog einführen. Das begrüßen wird. Wir als Grüne stehen 100-prozentig für Gleichstellung von Frauen und Männern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber die Initiative von Kommissarin Viviane Reding für eine Europäische Gleichstellungsstrategie kann nur mit Unterstützung der nationalen Regierungen erfolgreich sein. Ob da von Herrn Sarkozy oder von Herrn Berlusconi viele Akzente kommen werden, wird sich zeigen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])