Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD-Fraktion entspricht im Wesentlichen dem, was die SPD bereits im Bundestag und in anderen Landesparlamenten beantragt hat. Insoweit führen wir eine Debatte mit weitgehend bekannten Argumenten, allerdings an einem anderen Ort.

Nach Informationen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wird die Altersteilzeit offenbar

nicht mehrheitlich von denjenigen in Anspruch genommen, die körperlich besonders belastende Tätigkeiten ausüben. Nach Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nutzen insbesondere Beschäftigte aus Bürogruppen die Möglichkeiten der Altersteilzeit. Insoweit verfehlt das jetzige Modell im Ergebnis das Ziel, das eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte. Zudem gibt es Informationen, nach denen vor allem Konzerne und sehr viel weniger die kleinen und mittelständischen Betriebe die Regelungen genutzt haben.

Angesichts des im SPD-Entwurf geschätzten Kostenaufwandes von rund 3,6 Milliarden € ist es verständlich, dass sich die Berliner Koalition entschlossen hat, die Möglichkeit der bisherigen Altersteilzeit nicht zu verlängern. In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis von Bedeutung, dass die allergrößte Zahl der Anträge bislang dazu geführt hat, dass das Renteneintrittsalter vorgezogen wurde, dass also weniger der gleitende Übergang als das Ausscheiden aus dem Berufsleben im Mittelpunkt gestanden hat.

Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass angesichts des demografischen Wandels unserer Gesellschaft - also angesichts des Älterwerdens - und angesichts der Kostensteigerungen der Sozialsysteme auch manche Einschnitte nötig sind, über die man in besseren Zeiten noch wohlwollender hätte diskutieren können. Altersteilzeit ist für manche auch ein sinnvolles Instrument, zum Beispiel für diejenigen, die 30 bis 40 Jahre schweren beruflichen Anforderungen ausgesetzt waren und im Zweifel bis zum Alter von 65 beziehungsweise 67 Jahren zu arbeiten hätten. Ich hoffe, dass es für diese Berufsgruppen Wege gibt, dies abmildern zu können.

Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass es durchaus berufliche Tätigkeiten, gibt, die man nur schwerlich bis zum 67. Lebensjahr ausüben kann. Dabei beziehe ich mich nicht nur auf die Dachdecker. Altersteilzeit ist auch mit Einkommens- und Rentenverlusten verbunden, und zwar mit rund 20 %. Herr Kollege Baasch, Sie begehen einen Denkfehler, wenn Sie sagen, mit der Altersteilzeit könne man Armut bekämpfen. Sie würden das Rentenniveau nochmals um 20 % senken. Das wäre die Konsequenz aus dieser ganzen Angelegenheit. Deshalb ist Ihr Argument ein Denkfehler.

(Beifall bei CDU und FDP)

Altersteilzeit - wie heute im SPD-Antrag begründet - als Mittel zur Milderung der Wirtschaftskrise zu

sehen, halte ich für falsch. Ich zitiere aus dem SPDAntrag:

„Die Verlängerung von fünf Jahren stellt sicher, dass für alle derzeit über 50-Jährigen eine mit Mitteln der Arbeitsförderung geförderte Altersteilzeit in Betracht kommt.“

Sie nennen dies - wie vorgetragen - eine Beschäftigungsbrücke. Würde Ihr Antrag, der bedeuten würde, dass alle heute 50-Jährigen im Laufe ihres weiteren Berufslebens Altersteilzeit in Anspruch nehmen könnten, Wirklichkeit, so wäre dies nicht finanzierbar.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Die Mittel zur Finanzierung der Altersteilzeit müssen auch Beitrags- und Steuerzahler bereitstellen. Angesichts der zu erwartenden Zunahme der Arbeitslosigkeit und der geringen Spielräume der öffentlichen Haushalte sind zusätzliche Leistungen kein hilfreicher, sondern ein belastender Beitrag. Dies lässt sich nicht beiseite reden. Wer in der Krise ist, der kann keine weiteren Lasten schultern. Altersteilzeit kann die sich aus der Wirtschafts- und Finanzkrise ergebenden Probleme nicht lösen. Sie kann sie leider noch nicht einmal mindern. Ihr Antrag verfehlt die selbst ausgelobte Zielsetzung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Christopher Vogt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Den ersten Absatz des Antrags der SPD-Fraktion, in dem lediglich festgestellt wird, dass die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Bremen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Altersteilzeitgesetzes in den Bundesrat eingebracht haben, können wir meinetwegen sehr gern beschließen. Warum die SPD diesen Absatz an sehr markanter Stelle in den Antrag geschrieben hat, kann man nur erahnen. Vielleicht wollte sie damit einfach noch einmal dokumentieren, dass es in Deutschland noch einige wenige SPD-geführte Regierungen gibt. Sei es drum.

Beim zweiten Absatz des Antrags wird es für uns mit der Zustimmung schon deutlich schwieriger. Wir sehen wie die SPD-Fraktion das Problem des drohenden Anstiegs der Arbeitslosigkeit durch die

(Werner Kalinka)

derzeitige Wirtschaftskrise, die ganz sicher noch lange nicht überstanden ist, durch die wir bisher aber - was den Arbeitsmarkt anbetrifft - relativ unbeschadet gekommen sind.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Und warum?)

- Ich komme noch dazu, Kollege Baasch. Die Frage, wie wir effektiv dazu beitragen können, dass sich die Wirtschaftskrise nicht nachhaltig auf den Arbeitsmarkt auswirkt, beschäftigt uns alle. Die Prognosen von Experten, die besagen, dass die Zahl der arbeitslosen Menschen vor allem durch das Auslaufen der Kurzarbeit von momentan ca. 3,5 Millionen auf ca. 4,2 Millionen ansteigen wird, bereiten uns große Sorgen. Herr Baasch, das ist der Punkt. Bei Betrachtung der Fakten müssen wir feststellen, dass die von der SPD geforderte Verlängerung der geförderten Altersteilzeit kein geeignetes Instrument ist, um die gewünschten Effekte zu erreichen.

Dieser Antrag, den die SPD nicht nur im Bundesrat und hier im Landtag, sondern auch im Bundestag einbringt, hat mehrere entscheidende Schwachpunkte. Die staatlich geförderte Altersteilzeit hatte sich in der Praxis nicht als das sinnvolle Instrument erwiesen, als das es hier beschrieben wird. Diese Regelung führt nicht - wie ursprünglich beabsichtigt - dazu, dass ein gleitender Übergang in die Ruhestandsphase stattfindet. Die geförderte Altersteilzeit ist in der Praxis faktisch zu einem Instrument der Frühverrentung geworden. Der Kollege Kalinka hat dies angesprochen. Dies liegt daran, dass sich etwa 90 % für das Blockmodell entscheiden und nur etwa 10 % für echte Teilzeit, die einen gleitenden Übergang darstellt.

Ein weiteres Problem dieser Regelung ist der Umstand, dass sie in der Praxis offenbar zu einem Großteil von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Anspruch genommen wird, die keine körperlich besonders belastende Tätigkeit ausüben. Diese Beschäftigten möchte auch die SPD ausdrücklich nicht für dieses Modell gewinnen, wenn man sich Presseberichte zum Beschuss des SPDPräsidiums aus dem Juni 2008 anschaut. Die SPD möchte außerdem, dass es möglich wird, bereits ab dem 60. Lebensjahr statt wie bei der bisherigen Regelung ab 63 Jahren eine geförderte Teilrente zu beziehen. Nicht nur an dieser Stelle fragt man sich, wie dies mit der recht unflexiblen Rente mit 67 zusammenpasst, für die sich die SPD und die Grünen in den vergangenen Jahren so vehement eingesetzt haben. Wenn man sich allein diese Umstände vor Augen führt, dann sind die 3,6 Milliarden €, die die Verlängerung der Regelung kosten würden, aus un

serer Sicht nicht gerechtfertigt. Der Kollege Kalinka hat darauf hingewiesen.

Wir sollten verstärkt dazu übergehen, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Anforderungen einer alternden Arbeitnehmerschaft besser gerecht werden. Die Erwerbstätigenquote bei den älteren Beschäftigten ist in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter angestiegen, was vor allem auf die gesetzlichen Änderungen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung zurückzuführen ist und weniger auf die geförderte Altersteilzeit.

Meine Damen und Herren, die FDP ist der Meinung, dass wir es uns nicht länger leisten können, die Kenntnisse, die Kompetenzen und auch die Kreativität älterer Menschen brachliegen zu lassen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wir werden den Antrag der SPD ablehnen, weil wir diesen nicht für den richtigen Weg halten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Andreas Tietze von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Die 2.000 Men- schen in Schleswig-Holstein, die es betrifft, werden es Ihnen danken! - Zuruf von der SPD: Die Fürsorge der Freiheitspartei ist das! - Weitere Zurufe von der SPD)

Haben Sie noch weiteren Gesprächsbedarf? Sonst würde ich gern anfangen. - Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass ältere Menschen in einem Unternehmen ein betrieblicher Wirtschaftsfaktor sind, ist spätestens seitdem Volkswagen ältere Ingenieurinnen und Ingenieure aus dem Ruhestand zurückholen musste, offenkundig geworden. Es ist eine Tatsache: Mit dem Ausscheiden aus dem Unternehmen verlässt vielfach wertvolles Spezialwissen den Betrieb. Wir haben es in Deutschland teilweise immer noch nicht geschafft, dieses Spezialwissen zu konservieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Innovationsfähigkeit von Unternehmen mit einer alternden Belegschaft insgesamt erscheint die qualifizierte Weiterarbeit bis zum gesetzlichen Rentenzugangsalter als eine zunehmend wichtige Option. Im

(Christopher Vogt)

Übrigen sind auch die Älteren selbst an einer Option zur Weiterarbeit interessiert, wenn damit spürbare Effekte wie Lebensqualität, Anerkennung, höhere Lebenszufriedenheit und auch Wertschätzung der Unternehmen verbunden sind.

Ich stelle fest, meine Damen und Herren: Die derzeitige Regelung zur Altersteilzeit ist tatsächlich eine Art Stilllegungsprämie für ältere Menschen gewesen und gescheitert. Das hat dazu geführt auch das finde ich sehr bedauerlich -, dass sich bei uns in der Gesellschaft eine äußerst negative Kultur der Altersarbeit entwickelt hat. Das drückt sich auch sprachlich aus, indem ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft als defizitär bezeichnet werden, dass gesagt wird, dass „sie es nicht mehr bringen“. Das können wir uns angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels nicht mehr leisten, wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Ich möchte ausdrücklich auch auf den in Zukunft in unserer Gesellschaft noch stärker zu verzeichnenden hohen Fachkräftemangel hinweisen. Dies gilt gerade für wichtige Schlüsselpositionen, die wir in unterschiedlichen Firmen und Branchen dringend besetzen müssen.

Nach unserer Auffassung ist das Altersteilzeitgesetz, so wie es jetzt festgeschrieben ist, ein Rezept aus den 80er-Jahren. Sind wir einmal ehrlich - das darf ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, so sagen -: Ich habe nicht verstanden, wie das mit der Forderung nach einer Rente mit 67 zusammenpasst. Einerseits soll man länger arbeiten, andererseits soll man früher aus dem Beruf ausscheiden. Das ist ein eklatanter Widerspruch. Ich glaube, das kann man den Bürgerinnen und Bürgern heute nicht mehr erklären.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, FDP und SSW)

Von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern wurde es bereits gesagt: Echte Teilzeit sieht anders aus.

Aber ich möchte den Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, die jetzt bei meinen Ausführungen klatschen, sagen: Nichts zu tun, ist auch nicht die Lösung. Uns geht es tatsächlich darum, dass wir weiterdenken müssen. Meine Fraktion würde gern eine Debatte darüber anstoßen, wie wir ein über den gesamten Lebensverlauf gestrecktes Lebensarbeitszeitvolumen organisieren können,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

mit Phasen der Arbeitszeitreduzierung und Unterbrechung und besonders unter Berücksichtigung schwankender lebens- und arbeitsweltlicher Anforderungen. Meine Damen und Herren, das Leben ist keine gerade Strecke. Es geht auf und ab, und das haben die Leute in unserer Gesellschaft, so glaube ich, heute gut begriffen.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das ist aber individuell!)

Genauso möchten wir in einem Kontext lebenslangen Lernens speziell für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen neuen beschäftigungspolitischen Stellenwert schaffen können, der auf Qualifizierungspolitik und -strukturen und auf einen nachhaltigen Effekt setzt. Unter den Bedingungen des demografischen Wandels und im Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft lassen sich unseres Erachtens zukünftig wichtige wirtschaftliche und gesellschaftspolitisch besonders relevante Bereiche benennen, in denen wir das Potenzial der Älteren angemessen berücksichtigen müssen.

Wir meinen, es muss künftig flexiblere Lebensarbeitszeitmodelle geben, moderne Instrumente. Ich nenne zum Beispiel die Sabbaticals. Die Leute wollen einfach nicht mehr bis zum Ende ihrer Lebenszeit warten. Sie wollen zwischendurch ihre Träume verwirklichen. Wie heißt es so schön? Wir Deutschen leben, um zu arbeiten, während unsere französischen Nachbarn eher nach dem Motto leben, zu arbeiten, um zu leben. Ich glaube, dass diese französische Lebensart auch in unseren deutschen Gesellschaften mehr und mehr wichtig wird, nicht nur bei jenen von Ihnen, die in der Bretagne Urlaub machen.

Es existiert also ein enger kausaler Zusammenhang von betrieblicher Arbeitszeitgestaltung und der Fähigkeit und Bereitschaft weiterzuarbeiten. Daher müssen die individuelle Arbeitszeitgestaltung, der Erhalt und die Pflege des Humankapitals sowie die Vereinbarkeit von arbeits- und lebensweltlichen Anforderungen im Zentrum einer modernen Arbeitsmarktpolitik stehen.

Wer hat eigentlich von der bisherigen Arbeitsteilzeitgesetzgebung profitiert? - In der Regel waren es die großen Unternehmen und der öffentliche Dienst. Dort wurden allerdings kaum Stellen reduziert, und durch die freiwillige Einbeziehung der Beamtinnen und Beamten im Sinne der Gleichberechtigung sind Mehrkosten entstanden. In 85 % aller Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten gibt es die Altersteilzeit, während es in Firmen mit weniger als 50 Beschäftigten nur ganze 4 % sind. Meine

(Andreas Tietze)