Protokoll der Sitzung vom 29.06.2011

man nicht durch verwaltungsmäßiges Handeln aus. Schon den Ungeheuern in der Antike wuchsen Köpfe nach, die aber auch nur dort von Helden besiegt wurden.

Im Gegensatz zu den Rockern sowie diversen linken Gruppen und linksextremen Gruppierungen, die laut Verfassungsschutzbericht zum Teil sogar mit der PKK und mit PKK-nahen Organisationen kooperieren, geht jedoch von der NPD derzeit keine ernsthafte Gefahr für die Gesellschaft und die verfassungsmäßige Ordnung aus.

Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit im Nadelstreifen und am Stammtisch sollten uns mehr Sorge bereiten als die NPD als Partei an sich.

Sehr geehrte Damen und Herren der Linken, wer Leute in seiner Partei hat, die ganz offen Antisemitismus in Deutschland verbreiten, sollte erst mal in seinem eigenen Laden kehren.

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Ein Parteienverbot in einer Demokratie wie Deutschland hat eine schwerwiegende Dimension. Wo ist die Grenze zu Zensur und Maulkorb, wann darf ein Staat eine Partei, die an sich zunächst einmal durch das Grundgesetz geschützt ist, wirklich verbieten? - Die Richter des Bundesverfassungsgerichts waren 2003 vermutlich nicht unfroh, dass sie den Einstellungsbeschluss über das Parteiverbot der NPD auf Prozessgründe schieben konnten und keine Sachentscheidung treffen mussten, Prozessgründe, die natürlich wie eine Bombe einschlugen, denn damals wusste die Öffentlichkeit nicht, dass es VMänner des Verfassungsschutzes waren, die in die NPD-Kader integriert waren und nun gleichzeitig als Zeugen gegen die Partei und für ein Parteienverbot aussagen sollten.

Durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit und die Auflösung ihrer Organisationen werden Parteien von der freien Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes ausgeschlossen. Dies bedarf einer besonderen und auch gerichtlichen Legitimation, die damals nicht gegeben war. Dieses Problem werden wir vermutlich auch heute noch haben.

Man kann zu Recht fragen, ob es rechtsstaatlich legitim ist - Herr Stegner, das haben Sie getan -, eine Partei damit in den Griff zu bekommen, dass sie staatlich überwacht wird. Als Jurist kennt man aber auch das Ultima-Ratio-Prinzip, das heißt, es ist nurmehr der geringstmögliche Eingriff in ein hohes

Rechtsgut zu prüfen. Deshalb kann die FDP-Fraktion damit leben, dass es diese Kontrolle gibt.

Wir sind übrigens auch überzeugt davon, dass unsere über 60 Jahre alte Demokratie in der Bundesrepublik diese Partei nunmehr aushalten kann und muss. Wir können uns mehr Gelassenheit gegenüber den rechtsextremen Provokationen leisten, denn im Zweifel erfüllen sie einen Straftatbestand und bringen die Täter hinter Gitter.

Noch etwas gilt es zu bedenken: Jeder Antrag, ein Schauantrag wie zum Rechtsextremismus hier im Land, Kleine Anfragen mit 100.000 Fragen werten diese Leute und ihr verbrecherisches Gedankengut ungeheuer auf. Am Ende dieser Debatte könnten sie für ihre Anhänger als Märtyrer dastehen. Die Folgen davon, meine Damen und Herren, wären das Schlimmste, was uns Deutschen passieren könnte.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir haben weitere Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne. Begrüßen Sie mit mir bitte herzlich die Mitglieder des Rechnungsprüfungsamts der Stadt Lübeck. Seien Sie herzlich willkommen hier im SchleswigHolsteinischen Landtag!

(Beifall)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Luise Amtsberg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zum Gründungskonsens der Bundesrepublik, dass faschistische Bewegungen oder Parteien in Deutschland nie wieder an Bedeutung und Einfluss gewinnen dürfen. Dies ist unsere Gesellschaft vor allem den Millionen Opfern der NS-Diktatur schuldig. Aber sie haben an Einfluss gewonnen. Das ist die Realität. Ihre Ideologie ist rassistisch, völkisch und antisemitisch. Ihre Anhänger rufen offen zur Anwendung von politisch motivierter Gewalt auf, und nicht selten wenden sie sie auch an.

Meine Damen und Herren, ihre Ideologie - da sind wir uns einig - ist widerlich und unerträglich. Auf den ersten Blick würde jede Antifaschistin und jeder Antifaschist sagen: Weg damit!

(Ingrid Brand-Hückstädt)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD])

Weg mit all dem, was sich durch staatliche Autorität verbieten lässt! Das aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die emotionale Seite.

Wir dürfen nicht den Fehler machen - hierbei geht es nämlich um viel mehr -, über die sachlichen und faktischen Gefahren, die sich aus einem Verbot ergeben, hinwegzusehen. Auch wenn das NPD-Verbot vielen und auch uns aus dem Herzen spricht, wirft es demokratietheoretische Fragen auf, die letztlich auch Grund für uns Grüne sind, diese beiden Anträge abzulehnen.

Hilft ein NPD-Verbot tatsächlich in der Auseinandersetzung mit dem rechtsextremen Phänomen in Deutschland, oder weckt die Verbotsdebatte lediglich falsche Hoffnungen, wirkt sie vielleicht sogar kontraproduktiv? Sind es nicht die Wählerinnen und Wähler, die in einer Demokratie über Wert und Unwert einer politischen Partei oder von politischen Ideen letztlich mit ihrer Stimme entscheiden? Wie angreifbar machen wir andere Parteien und Gruppierungen, wenn wir die NPD verbieten? - Alles das sind Fragen, aber ganz generell lässt sich sagen, dass Parteiverbote ein hochsensibler Themenbereich sind und in ihrem tiefsten Ursprung eigentlich der Idee von Demokratie widersprechen.

Dieses Mittel sollte - das sage ich nachdenklich niemals undurchdacht oder leichtfertig genutzt werden. Knapp acht Jahre ist es nun her, dass das erste Verbotsverfahren eingestellt wurde. Nach dieser Zeit hatte die NPD eine enorme Professionalisierung im Bereich Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit erfahren. Wer sich damit befasst hat, der weiß das. Schon damals wurde das Scheitern des NPDVerbots seitens der Nazis selbst als Bestätigung und als Legitimation innerhalb des demokratischen Systems verstanden.

Das größere Problem aber ist, dass gerade - das motiviert uns zu sagen, dass das der falsche Weg ist die gewaltbereiten Nazis - das lassen alle Statistiken und Forschungsergebnisse erkennen - sich zunehmend in autonomen Gruppen engagieren. Sie wollen mit der nach ihrer Auffassung weichgespülten NPD, die sich nun verstärkt um Tierschutz und um soziale Gerechtigkeit kümmert, nichts mehr zu tun haben.

(Ulrich Schippels [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)

- Wir können darüber gern weiter diskutieren. Ich möchte das jetzt aber gern zu Ende führen. Das ist das, was wir an Erkenntnissen aus diesen ganzen Debatten in der Vergangenheit und auch jetzt gewonnen haben.

Deutschlandweit, bis auf wenige Ausnahmen, verliert die NPD Mitglieder. Das Paradoxe aber ist, dass auf der anderen Seite die rechtsextremen Straftaten zunehmen. Das allein zeigt schon, dass das NPD-Verbot völlig an den Realitäten vorbeigeht. Sicherlich, es wäre ein starkes Signal gegen Rechts, aber wegen Symbolik auf der einen Seite - das sage ich wirklich mit absolutem Nachdruck - können wir nicht demokratische Grundsätze auf tönerne Füße stellen. Ich halte das schlichtweg für falsch.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP sowie der Abgeordneten Hartmut Hamerich [CDU] und Peter Lehnert [CDU])

Ja, es ist absoluter Mist, dass sich die NPD durch Wahlkampfkostenerstattungen zu einem großen Teil selber finanzieren kann. Um Wahlkampfkostenerstattung zu erhalten, reichen lediglich 0,5 % der abgegebenen Stimmen. Aber, liebe SPD und liebe LINKE, lassen Sie uns doch, statt zu verbieten, weiter gemeinsam dafür kämpfen, dass diese 0,5 % nicht mehr bei der NPD landen. Das sollte unser Auftrag sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Nächste ist der Eindruck nach außen: Alle, die sich im Kampf gegen Nazis engagieren, wissen, wie wichtig die öffentliche Wahrnehmung dieses Problems ist. Gerade jetzt -

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

- Soll ich gleich die Zwischenfrage zulassen?

Frau Abgeordnete, Sie lassen eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner zu?

Sehr gern.

Frau Kollegin Amtsberg, wissen Sie, dass ein Großteil der rechtsextremen Aufmärsche deswegen stattfinden kann, weil die NPD sozusagen als legale Partei solche Demonstrationen organisieren kann, und ist Ihnen auch bekannt, dass

(Luise Amtsberg)

die NPD die Mittel, die sie aus staatlicher Finanzierung bekommt, auch dafür einsetzt, Verbindungen zu just den Gruppen zu finanzieren, deren Aktionen Sie eben kritisch gewürdigt haben?

- Das ist mir absolut klar. Ich weiß, dass 40 % dessen, was die NPD an Einnahmen hat - jetzt mal von dem abgesehen, was sie an Schulden zurückzahlen muss -, aus staatlichen Finanzierungen kommt. Das ist bitter. Wir kennen die Gründe dafür, weshalb das so ist. Ich werde im Weiteren, wenn das für Sie in Ordnung ist, darauf eingehen, warum ich glaube, dass ein anderer Weg an dieser Stelle der bessere ist. Mir sind die Probleme aber durchaus bekannt, und natürlich ist es das allgemeine Ziel, wie ich glaube, von uns allen hier, dass das in Zukunft nicht mehr so ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Gerrit Koch [FDP] und Peter Lehnert [CDU])

Das Nächste ist der Eindruck nach außen. Alle, die sich im Kampf gegen Nazis engagieren, wissen, dass die öffentliche Wahrnehmung ein Teil dessen ist. Die öffentliche Wahrnehmung ist entscheidend dafür, wie groß das Engagement gegen Rechts innerhalb einer Gesellschaft ist. Gerade in dieser Zeit, in der die europäische Osterweiterung, die europäische Freizügigkeit und die Situation an den europäischen Außengrenzen einen deutlichen Anstieg von latentem Rassismus in der Bevölkerung wahrnehmbarer machen, ist die Fixierung auf staatliche Maßnahmen in meinen Augen fahrlässig. Für mich ist dieses Verbot ein Verteilen von Placebos an die Gesellschaft, die diese Bedrohung nicht mehr offensichtlich erscheinen lassen. Sie verstecken sie zum Teil. Das ändert nichts an den Tatsachen. Das ist das Wichtigste von allem. Es ändert nichts an der Tatsache, dass es sie gibt.

Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, die diese Auffassung teilt, stellt kritisch die Frage nach der Ursache der ständigen Wiederholung dieser Diskussion. Sie antwortet darauf, was ich mit Erlaubnis zitiere:

„Bestenfalls Hilflosigkeit darf man vermuten. Und sie [die Debatte] wirkt umso hilfloser, je öfter die Diskussion wieder aufgewärmt wird.“

Ich weiß, dass es nicht Hilflosigkeit ist, die Sie dazu motiviert hat, diesen Antrag zu stellen, aber ich möchte anregen und darauf hinweisen, dass es uns zum Nachdenken anregen muss, wenn eine der größten politischen Stiftungen, die hier in Deutsch

land gegen Rechts arbeitet, von uns Politikerinnen und Politikern den Eindruck gewinnt, dass wir in dieser Frage hilflos sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verwundern tut mich dies nicht, denn Frau Kahane spricht davon, dass die Politik in Deutschland immer auf der Suche nach dem archimedischen Punkt ist. Manche kennen den Begriff vielleicht aus der Philosophie. Diesen Punkt muss man nur finden, um alle anderen viel größeren Probleme, die damit zusammenhängen, zu lösen. Das, was das NPDVerbot letztlich ausmacht, ist genau das Finden dieses archimedischen Punktes. Ich finde diesen Satz sehr klug, denn er drückt kurz und bündig aus, was mit einem Verbot nämlich nicht passiert - das möchte ich in aller Deutlichkeit unterstreichen -: Mit einem Verbot schafft man keine Nazis ab. Und weil das so ist, spricht sich die Fraktion der Grünen gegen ein NPD-Verbotsverfahren aus.

Für uns Grüne ist diese Debatte kein Selbstzweck. Daher arbeiten wir derzeit gemeinsam in Beratungen mit Experten auf Bundes- und Landesebene an einem Beratungskonzept für das Land SchleswigHolstein, in dem die kommunalen Erfahrungen und die Erfahrungen anderer Bundesländer genauso einen Platz bekommen wie die Erfahrungen der unzähligen Opfer rechter Gewalt.

Anstelle von Verboten wollen wir Opferberatungsprogramme. Wir wollen Prävention für Kinder und Jugendliche, Aussteigerprogramme besonders für Frauen und mobile Opferberatungsteams. Das ist unsere Antwort auf die NPD, auf rechte Gesinnung und auf latenten Rassismus in unserer Gesellschaft. Denn ich glaube, dies ist der wichtigste Punkt: Erst wenn die Zivilgesellschaft und die Politik alle Mittel der Demokratie ausgeschöpft haben, erst dann dürfen wir es uns erlauben, an ein Mittel zu gehen, das sich Parteienverbot nennt. Genau das ist hier aber nicht der Fall.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir haben weiß Gott nicht alle Mittel ausgeschöpft. Ich kann an dieser Stelle sagen: Wir Grünen haben in den vergangenen Jahren in allen Gremien unserer Partei diskutiert, abgewogen und analysiert, zuletzt während der vergangenen Fraktionssitzungen hier im Landtag. Ich möchte an dieser Stelle meinen Kolleginnen und Kollegen für die konstruktiven und ehrlichen Debatten danken.