Protokoll der Sitzung vom 29.06.2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, mein Ziel war es, einen Diskussionsprozess über diese Frage und auch zwischen der Polizei und der Justiz entweder einzuleiten oder da, wo er schon vorhanden ist, zu vertiefen.

Es ist keineswegs meine Absicht gewesen, dass Urteil zu bewerten. Das habe ich auch nicht getan.

(Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Problematisch!)

Ich sehe mit großem Interesse, wie in vielfältiger Weise der Versuch unternommen wird - Herr Kollege Fürter, Sie haben das schon mehrmals versucht, und es ist immer wieder gescheitert -, etwas in den Brief hineinzuinterpretieren, was nicht in ihm steht. Sie sind im Innen- und Rechtsausschuss sogar so weit gegangen, dass ich mit der Richterin um die Ecken ziehen wollte. So haben Sie das wörtlich gesagt.

(Vereinzelte Heiterkeit)

- Nein, mir ist das wichtig, weil ich mich dagegen wehre, dass die Interpretationen und Unterstellungen über das, was in dem Brief nicht steht, dazu

(Silke Hinrichsen)

führen, dass hier eine Diskussion geführt wird, der ich mich an dieser Stelle überhaupt nicht zu stellen bereit bin.

(Beifall bei CDU und FDP)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jezewski?

Ich würde gerne die Dinge im Zusammenhang zu Ende führen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, der Brief gibt vielmehr die Verwunderung und die Verunsicherung vieler, sehr vieler Polizeibeamter wider. Der Einsatz polizeilicher Zwangsmittel zur Durchführung nicht befolgter Gewaltakte würde sich allein unter Notwehrgesichtspunkten rechtfertigen. Mich hat alarmiert - meine sehr geehrten Damen und Herren, das sollte uns alle alarmieren -, dass den im Einsatzgeschehen stehenden Polizisten der Eindruck vermittelt wird, eine solche Art verengter Sichtweise gefährde den polizeilichen Auftrag, für öffentliche Sicherheit zu sorgen.

Eine Verunsicherung bei den Einsatzmitteln zwingt den Innenminister zum Gegensteuern. Das ist meine Verantwortung, die ich in der Landesregierung wahrnehme. Diese Verantwortung kann ich auch nicht aussetzen, bis im Berufungsrechtsgang ein rechtskräftiger Abschluss des Strafverfahrens gegen den Beamten erreicht sein wird, den ich selbstverständlich - egal, wie er ausgeht - respektiere. Polizeiarbeit muss bis dahin weitergehen - so wie unsere Bürgerinnen und Bürger das von ihrer Polizei erwarten.

Gleichwohl - ich will es deutlich sagen - respektiere ich selbstverständlich den Brief des Kollegen Schmalfuß, in dem er seine Sicht der Dinge dazu beiträgt. Wir haben eine unterschiedliche, differenzierte Bewertung dazu. Ich respektiere diesen Brief.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist bereits zitiert worden, was am 10. Juni 2011 - sehr geehrter Herr Innenminister a. D. Stegner - die Innenpolitiker Ihrer Fraktion dazu gesagt haben. Ich will das zu Ihrer Verwunderung, Herr Abgeordneter Dr. Dolgner, hier noch einmal mit der Genehmigung des Präsidenten zitieren. Ich zitiere aus der Pressemitteilung der SPD-Fraktion vom 10. Juni 2011:

„Dieses Urteil verunsichert viele Polizistinnen und Polizisten im Lande,“

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Ohne es zu kennen!)

„die sich gerade in typischen Wohnungseinsätzen schwer abschätzbaren Gefahren aussetzen. Wir halten es für dringend notwendig, dass Innenminister Schlie im Innen- und Rechtsausschuss berichtet, welche Folgen dieses Urteil“

- ich soll über die Folgen dieses Urteils berichten; am 10 Juni 2011 geschrieben

„für den Streifendienst hat. Die Beamtinnen und Beamten dürfen in diesen schwierigen Situationen nicht auch noch mit Rechtsunsicherheit“

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Auch noch!)

- die offensichtlich entstanden ist

„bei der Wahl der geeigneten Mittel im Regen stehen gelassen werden.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Präsident, ich erlaube mir, noch einmal aus dem Brief zu zitieren, den ich geschrieben habe:

„Auch wenn das Urteil noch keine Rechtskraft erlangt hat, haben die vielen Reaktionen vor allem in der Polizei selbst, aber zum Beispiel auch aus dem politischen Raum gezeigt, welch sensibles Thema die Frage der angemessenen Verwendung von Zwangsmitteln im polizeilichen Einsatz darstellt. Ich gestehe offen ein, dass auch ich im Rahmen meiner dienstlichen Fürsorge für die Beamtinnen und Beamten der Landespolizei die möglichen Folgen Ihrer Entscheidung für nicht unproblematisch halte.“

Die möglichen Folgen einer von mir respektierten Entscheidung für nicht unproblematisch halte! Wo ist da der Skandal?

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich würde es gern im Zusammenhang darstellen, Herr Abgeordneter Habeck. Sie wissen, ich bin immer gern bereit, Dinge zu diskutieren. Hier geht es mir aber schon darum, Dinge im Zusammenhang darzustellen. Ich bitte um Entschuldigung.

Wir haben im Innen- und Rechtsausschuss ausgesprochen intensiv über die Frage miteinander disku

(Minister Klaus Schlie)

tiert. Ich habe sie auch im Nachhinein intensiv aufbereiten lassen. Es gibt für den Einsatz von Pfefferspray - es hat übrigens auch im parlamentarischen Raum eine Diskussion darüber gegeben, ob dieses Einsatzmittel ein angemessenes ist -, sehr geehrter Herr Kollege Kubicki - wir beide haben uns als innenpolitische Sprecher und polizeipolitische Sprecher langjährig mit diesen Fragen auseinandergesetzt, und Sie haben eine vertiefte Kenntnis darüber; deswegen wende ich mich in dieser Frage insbesondere an Sie -, nicht die Möglichkeit, für jede einzelne Situation eine Handlungsanweisung im Erlasswege darzustellen. Das geht nicht. Das ist unmöglich. Wir müssen damit leben, dass Polizistinnen und Polizisten situativ abhängig, in Kenntnis ihrer fundierten Ausbildung, in Kenntnis ihrer eigenen Entscheidung, die sie manchmal in Sekundenschnelle zu treffen haben, das Zwangsmittel auf der Grundlage des Rechts, aber auch zum Schutz ihrer eigenen körperlichen Unversehrtheit einsetzen. Das ist die Grundlage, auf der das stattzufinden hat.

(Beifall bei der CDU)

Mein Anliegen war es, den Beamtinnen und Beamten Richtungsweisung und Rückhalt zu vermitteln, die einen konfliktreichen Auftrag haben und eine gefährliche Arbeit leisten. Um es deutlicher zu sagen: Ich wollte Ihnen klarmachen, dass Sie nach wie vor auf der Basis der rechtlichen Gegebenheiten situativ angemessen rechtlich abgesichert dann, wenn es notwendig ist, Pfefferspray einsetzen müssen. Das war meine Absicht. Ich habe in den Rückäußerungen erlebt, dass die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten dieses Landes das verstanden haben und so akzeptieren.

(Beifall bei der CDU)

Um zu unterstreichen, warum mir dieses Anliegen so wichtig ist, erlaube ich mir, auf einige zentrale Befunde der Forschungsergebnisse des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zum Thema Gewalt gegenüber Polizeibeamten hinzuweisen. Denn - auch da besteht Einigkeit mit dem Kollegen Schmalfuß - das zunehmende Gewaltpotenzial gegenüber der Polizei ist eine ernst zu nehmende und problematische Herausforderung,

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das bestreite ich auch nicht!)

die gemeinsam mit der Polizei, den Staatsanwälten und den Richtern zu bewerkstelligen ist. Die KFNStudie zeigt auf, dass Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit in sehr hohem Maße Aggressionen und Gewaltübergriffen ausgesetzt sind, und das mit deutlich

steigender Tendenz. Zwei Drittel der Angriffe werden von Personen begangen, die bereits polizeibekannt sind. Auch Alkoholeinfluss erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Übergriffs.

Zugleich müssen - auch das heute häufiger als früher - Beamte, die Opfer von Gewaltübergriffen geworden sind, nicht selten damit rechnen, dass ihnen mit dem Vorwurf eines eigenen Fehlverhaltens rechtliche Sanktionen angedroht werden. Das ist eine Erkenntnis der KFN-Studie. Die gebe ich hier wieder.

In Schleswig-Holstein hat die Landespolizei 2010 das ist bereits vom Abgeordneten von Boetticher dargestellt worden - intern 806 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte festgestellt, meist im Zusammenhang mit Einsatzlagen des täglichen Dienstes. Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, dieser Sachverhalt ist es, der mich als Innenminister zum Handeln getrieben hat - nicht irgendetwas anderes, das Sie mir möglicherweise unterstellen. Da gilt das, was ich eingangs für die Landesregierung erklärt habe, in vollem Umfang und uneingeschränkt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Auf der Zuschauertribüne begrüße ich eine weitere Besuchergruppe, nämlich Schülerinnen und Schüler des Marion-Dönhoff-Gymnasiums Mölln. - Seien auch Sie uns im Schleswig-Holsteinischen Landtag herzlich willkommen!

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rahmen der Aktuellen Stunde gilt: Wenn die Regierung gesprochen hat, könnte jede Fraktion noch einmal sprechen. Fünf Fraktionen haben sich gemeldet. Die rufe ich jetzt in der Reihenfolge des Eingangs der Wortmeldungen auf.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Regierung hat sich auch noch ge- meldet!)

- Ja, das habe ich alles im Blick. Herzlichen Dank!

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE erteile ich dem Herrn Abgeordneten Jezewski.

Vielen Dank, Herr Präsident! - Herr Innenminister, Sie haben eine Forderung, die im Raum stand, erfüllt. Sie haben sich erklärt. Sie haben ganz deutlich

(Minister Klaus Schlie)

gesagt - das werden wir morgen im Protokoll nachlesen können -, dass der Anlass Ihres Briefes nicht war, mit der Richterin in Kontakt und in einen Austausch zu treten, sondern eine öffentliche Diskussion loszutreten oder anzuregen und den Polizistinnen und Polizisten eine gewisse Sicherheit zu geben. Ich frage mich dann nur: Warum schreiben Sie dann einer Richterin? Diese beiden Anliegen hätte ich noch unterstützt. Wir müssen uns darüber unterhalten, warum Sie der Richterin geschrieben haben.

Folgendes verstehe ich nicht ganz. Sie sagen, Sie könnten keine Regeln für den Einsatz von Pfefferspray einführen, weil diese Regeln gar nicht möglich seien. Dann - das glaube ich mittlerweile müssten Sie den Einsatz von Pfefferspray bei der Polizei grundsätzlich untersagen. Denn jeder Polizist, der unter dem Eindruck dieses Urteils - auch wenn es noch nicht rechtskräftig ist - Pfefferspray einsetzt, ist potenziell gefährdet, eine Straftat zu begehen. Wenn Sie ihm nicht sagen können, wie er es einsetzt, müssen Sie ihm den Einsatz verbieten. Das habe ich aus Ihrer Logik geschlossen.