Protokoll der Sitzung vom 29.06.2011

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ach, Herr Kubicki. - Es ging ihm natürlich um das Punktesammeln an den Stammtischen - das hat Herr Jezweski schon dargestellt -, aber auch bei den Polizistinnen und Polizisten.

Natürlich ist es so, dass sich ein Innenminister in schwierigen Situationen vor seine Beamten stellen muss. Das unterstützen wir, und das gehört sich auch so. Das muss ein Innenminister tun, und das ist auch wirklich sehr, sehr richtig. Aber der Zweck darf auch bei polizeilichem Handeln nie die Mittel heiligen. Und es gehört zu den Führungsqualitäten eines Ministers, hier Grenzen aufzuzeigen, und nicht durch eine Veröffentlichung im Intranet der Polizei gegen so etwas auch noch Stimmung zu machen.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

- Danke schön.

Es wäre stattdessen viel wichtiger darzustellen, wann und wie der Einsatz von Pfefferspray zu erfolgen hat. Da reicht nicht - so wie auch im Ausschuss - der schlichte Verweis auf das Landesverwaltungsgesetz.

Es ist tatsächlich so, dass der Kollege Dolgner und ich diese Presseerklärung noch vor dem Brief von Herrn Schlie verfasst haben. Das, was wir dort gefordert haben, ist in keiner Weise umgesetzt worden. Es ist im Gegenteil etwas ganz anderes gemacht worden. Es ist nämlich zuallererst die Urteilsschelte auf den Weg gebracht worden, obwohl da haben Sie natürlich recht - die Urteilsbegründung und die Rechtskraft des Urteils noch nicht vorliegen. Es ist dort über schwerwiegende Dinge geurteilt worden, die der Innenminister im Detail nicht kennt. In der Politik macht man das tatsächlich einmal. Vielleicht haben auch der Kollege Dolgner und ich das ein Stück weit getan. Aber wer hat denn die politische Führungsverantwortung im Innenministerium? Das sind nicht wir beide, sondern

(Thomas Rother)

das ist der Herr Innenminister. Wenn er uns da noch toppen will, herzlichen Glückwunsch!

(Beifall der Abgeordneten Serpil Midyatli [SPD])

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner?

Ja, gern.

Lieber Herr Kollege Rother, der Herr Innenminister hat ja umfänglich aus der Presseerklärung der SPDFraktion zitiert. Könnten Sie dem Hohen Haus einmal den Unterschied erläutern zwischen der von Abgeordneten geäußerten Erwartung einer Debatte im Innen- und Rechtsausschuss und dem Brief, den ein Innenminister an eine Richterin schreibt und er dann öffentlich macht?

- Manche Dinge kann man natürlich nur sehr schwer erklären. Wir hätten uns natürlich eine politische Klärung gewünscht. Wenn der Innenminister so tatkräftig ist, wie er das an manchen Stellen wie bei diesem Brief durchscheinen lässt, und das dann auch in diesem Fall gewesen wäre, hätten wir uns natürlich gefreut, wenn hier Klarheit und Rechtssicherheit zumindest auf den Weg gebracht worden wären, damit man dann zu einer vernünftigen Regelung kommt. Aber genau dieses ist unterblieben. Das ist das Problem, vor dem wir hier stehen.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher?

Sehr geehrter Herr Kollege Rother, können Sie uns erklären, warum Sie, wenn Sie wollten, dass der Innenminister Schlie im Ausschuss Rede und Antwort steht, dann nicht einen Brief an den Innenminister geschrieben, sondern eine Presseerklärung gewählt haben, in der Sie die Öffentlichkeit informierte, wie Sie über ein noch nicht veröffentlichtes Urteil denken?

- Den Weg an die Öffentlichkeit, Herr von Boetticher? Ich weiß nicht, ich bin schon ein bisschen länger im Parlament als, aber es ist im politischen Geschäft tatsächlich so, dass man über das spricht und berichtet und der Öffentlichkeit mitteilt, was man macht und wenn man den Minister auffordert wunderbar.

(Beifall der Abgeordneten Serpil Midyatli [SPD] und Birte Pauls [SPD])

Aber es ist tatsächlich etwas anderes. Wir haben keine Richterin namentlich beschimpft, was der Innenminister gemacht hat. Da ist ein gewisser Unterschied. Wir können gern noch einmal die Texte miteinander vergleichen und durchsprechen.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und verein- zelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber man fragt sich tatsächlich, da der Minister das alles wusste, wer ihn so schlecht beraten hat. Herr Minister, das ist wirklich eine schlimme Fehlentscheidung gewesen. Es wäre tatsächlich gut, wenn der Herr Ministerpräsident hier für Klarheit in seinem Kabinett sorgen würde, denn die Wirkung der schlieschen Aktion kann fatal sein. Herr Minister Schmalfuß - das Ganze ist verumdruckt worden, ich glaube, ich brauche es nicht noch einmal vorzulesen - hat darauf hingewiesen, welche Wirkungen das haben kann. Herr Ministerpräsident, es wäre wirklich Ihre Aufgabe, das Vertrauen in Justiz und Polizei in diesem Lande wiederherzustellen, auch einmal in diese saure Gurke zu beißen und Herrn Schlie an dieser Stelle zu stoppen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Ingrid Brand-Hückstädt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich regen sich täglich Menschen in Deutschland über Richter auf, besonders die, die einen Prozess verloren haben und nicht verstehen, warum. Natürlich dürfen sie das auch, denn Richter sind unabhängig, aber keinesfalls unfehlbar.

Als Dienstvorgesetzter der Polizei ist es selbstverständlich richtig und notwendig, dass sich ein Innenminister Gedanken über die möglichen Folgen eines Urteils für seine Polizisten macht. Das gebietet die Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers.

(Thomas Rother)

(Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU])

Nicht richtig und notwendig ist es, deshalb die zuständige Richterin anzuschreiben - egal, mit welchem Text und zu welcher Einladung.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN sowie der Abgeordneten Günther Hildebrand [FDP] und Silke Hin- richsen [SSW])

Der Fürsorgepflicht wäre durchaus genüge getan, wenn man allen Polizisten eine E-Mail geschickt hätte: Erstens ist das Urteil noch nicht rechtskräftig und zweitens werden wir uns über die Folgen für die Polizei gemeinsam unterhalten, wenn die schriftliche Begründung vorliegt.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Richtig ist auch der Gedanke, dass wir nicht nur eine unabhängige, sondern auch eine fachlich kompetente Richterschaft brauchen. Nicht nur Kenntnisse über Gesetze sind erforderlich, sondern Lebenserfahrungen und Erfahrungen außerhalb von Universität und Gerichtsgebäuden. Es ist deshalb sicher sinnvoll, dass über Qualifizierung und Weiterqualifizierung von Richtern nachgedacht wird, ebenso wie es sinnvoll ist, dass ein intensiver Informationsaustausch zwischen Polizisten und Richtern stattfindet. Es ist aber nicht sinnvoll, diese Debatte über ein Schreiben an eine Richterin anzustoßen über ein Urteil, dessen schriftliche Begründung noch nicht vorliegt und das noch nicht rechtkräftig ist.

Denn es ist nun in einer Demokratie einmal so: Jedes Schreiben - ich betone: jedes Schreiben - mit persönlicher Ansprache an einen Richter nach oder vor einem Urteil - ob rechtskräftig oder nicht - hat nun einmal den Anschein der Beeinflussung von Justiz.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Aus unterschiedlichen juristischen Meinungen im Übrigen gleich eine Regierungskrise herbeizureden, ist nun völlig absurd.

Herr Fürter, auch Ihr Verständnis über die Gewaltenteilung war noch am 10. Juni 2011 mindestens defizitär.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Sie wollten die Richterin vor den Innen- und Rechtsausschuss laden, damit sie den Abgeordneten erklärt, was sie sich bei dem Urteil gedacht hat.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Was für ein Verständnis von Gewaltenteilung ist das denn, und war das bei Ihnen fahrlässig oder Vorsatz?

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU - Wolfgang Kubicki [FDP]: Vorsatz!)

Erst auf Intervention von uns FDP-Abgeordneten, die Sie auf die Rechtslage aufmerksam machten, murmelten Sie etwas davon, dass Sie es so nicht gemeint hätten. An diesem Fall wird deutlich, dass, wer meint, etwas von Energie- und Umweltpolitik zu verstehen, nicht unbedingt den Rechtsstaat versteht. Und es ist die FDP, die diesen Rechtsstaat immer verteidigen wird.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herrn Abgeordneten Dr. Robert Habeck.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich würde mir wirklich wünschen, Frau BrandHückstädt, dass die FDP den Rechtsstaat verteidigt. Ich habe - ich möchte es gern zu Protokoll geben, weil es nicht so häufig passiert - mit viel Vergnügen zugehört, wie Sie und auch der Kollege Kubicki gesprochen haben. Ich muss allerdings auch zu Protokoll geben, Herr Kubicki, dass Sie danach vom Innenminister genau das Gegenteil von dem gehört haben, was Sie gesagt haben. Ich muss leider feststellen, dass Sie sich an dieser Stelle nicht durchgesetzt haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist nur nicht mein Problem. Ich will ausdrücklich sagen: Es ist mir völlig wurscht, wie das Klima in der Koalition ist. Das interessiert mich eigentlich gar nicht. Aber ich will doch klar sagen, dass Herr Schlie nur Innenminister von Ihren Gnaden ist. Sie haben ihn gewählt, und Sie halten ihn. Und Sie waren, wenn ich an Guttenberg, Homburger und Westerwelle denke, oft viel weniger zimperlich, mit Leuten umzugehen und Kritik deutlicher zu formulieren.

(Ingrid Brand-Hückstädt)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Herr Minister Schlie, Ihre Ausführungen haben mich fassungslos gemacht. Sie haben nicht verstanden, worum es hier geht, und ein Maß an Uneinsichtigkeit präsentiert, über das ich mich wirklich gewundert habe. Die Ausführungen bis zu Montesquieu waren provokant, um es höflich zu formulieren. Ich will ausdrücklich sagen und Ihnen, Herr Schlie, widersprechen: Sie haben gesagt, Sie hätten nicht vorgehabt, die Justiz zu beeinflussen. Das hat Ihr Kollege Schmalfuß anders gesehen. Wenn Sie es sich nicht von der Opposition anhören wollen, will ich es noch einmal aus dem Brief vorlesen, den Herr Schmalfuß geschrieben hat - mit Verlaub, Herr Präsident. Dort heißt es: