Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung, begrüße Sie sehr herzlich und wünsche uns einen guten Tag.
Zunächst einige geschäftsleitende Bemerkungen: Erkrankt sind Frau Kollegin Ranka Prante und Herr Kollege Mark-Oliver Potzahr. Wir wünschen ihnen gute Besserung und hoffen, dass sie nach der Sommerpause wieder in unserer Mitte sein werden.
Zum Ablauf der Tagesordnung! Die Fraktionen haben sich auf folgende Veränderungen verständigt: Wir beginnen mit den beiden gesetzten Punkten 18 und 24 zur Pflege. Es folgt Punkt 51 zur Situation von Älteren auf dem Arbeitsmarkt. Dann kommen die beiden Punkte, die gestern Abend nicht mehr aufgerufen werden konnten; das sind der Tagesordnungspunkt 26, Perspektiven des Wirtschaftsraums Brunsbüttel, sowie der Punkt 34 b, Dringlichkeitsantrag betreffend Keine Bevormundung der Kreise und Kommunen bei der Schülerbeförderung. Nachmittags geht es dann um 14 Uhr mit dem gesetzten Punkt „Folgen der Stilllegung der AKWs Brunsbüttel und Krümmel“ weiter.
Jetzt begrüßen Sie mit mir bitte Gäste auf unserer Besuchertribüne. Das sind Mitglieder des Sozialverbands Deutschland, Ortsverband HalstenbekRellingen. - Meine Damen und Herren, seien Sie herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort erteile ich für die SPD-Fraktion der Frau Abgeordneten Birte Pauls.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte seien Sie heute Morgen einmal so freundlich und bemühen Sie Ihre Phantasie. Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einer Berufswahl und entscheiden sich ganz bewusst für den Bereich Kranken- oder Altenpflege. Sie werden gefragt warum. Ihre Antwort wird lauten: Sie möchten kranken und pflegebedürftigen Menschen helfen und sie begleiten. Sie möchten in einem Team arbeiten. Sie möchten medizinische Behandlung, Geriatrie und Ernährung in der praktischen Arbeit umsetzen.
Keiner von Ihnen wird spontan antworten: Ich möchte in die Pflege, weil ich einen Schreibtischjob suche. - Fakt ist aber, dass bis zu einem Drittel der Arbeitszeit von Pflegefachkräften für die Dokumentation verwendet wird. Das sind durchschnittlich circa 20 Minuten pro Stunde.
Können Sie sich vorstellen, wie kostbar diese Zeit ist, wenn sie den Pflegebedürftigen zur Verfügung stehen würde, wenn diese wieder zur Selbstständigkeit mobilisiert werden sollen oder aber einfach auch, wenn die Lebenszeit einfach kürzer wird?
Das in einer sehr umfangreichen Ausbildung Erlernte kann oft genug nicht umgesetzt werden, weil immer mehr Zeit für die Dokumentation und für häufig unabgestimmte Kontrollmechanismen bereitgestellt werden muss. Der Personalschlüssel ist aber dazu parallel im Laufe der Zeit nicht erhöht worden. Immer mehr berufsuntypische Aufgaben fallen an, und immer weniger Zeit für die eigentliche Pflege steht zur Verfügung.
Das ist uns auch in den Pflegepraktika, die meine Fraktion im Mai gemacht hat, immer wieder bestätigt worden. Das ist einer der Gründe, warum so viele Kolleginnen und Kollegen den Beruf vorzeitig und sehr früh verlassen.
Ich möchte an dieser Stelle absolut nicht missverstanden werden. Dokumentation ist wichtig, sehr wichtig und sie sichert auch im Sinne des Verbraucherschutzes Qualität und Transparenz zwischen Patient und allen anderen Beteiligten. Sie gibt dem Pflegepersonal Aufschluss über Entwicklung und
Besonders in einer Zeit, in der Pflegezeit wertvoll ist und wir händeringend nach Fachpersonal in der Pflege suchen, dieses Personal durch unangemessene Rahmenbedingungen zu frustrieren, können wir uns in der Gesellschaft nicht länger leisten.
Wir wollen keine Abschaffung der Dokumentation - ganz und gar nicht -, sondern wir wünschen uns eine Reduzierung auf ein sinnvolles Maß, das Sicherheit, Transparenz und Qualität weiter gewährleistet, und eine Form der Dokumentation und Kontrolle, die die Profession Pflege nicht immer und ständig infrage stellt und natürlich mit allen Akteuren abgestimmt ist.
Wir brauchen für die Pflege gut motivierte Menschen. Denen müssen wir Rahmenbedingungen bieten, die es ihnen physisch, psychisch und organisatorisch ermöglichen, diesen anspruchsvollen Beruf möglichst lange auszuüben. Dazu gehören feste, verlässliche Arbeitszeiten, die mit Familien vereinbar sind, ein Gehalt, von dem man leben kann, organisatorische Rahmenbedingungen, in denen die eigentliche Pflege die Hauptrolle spielt und das Gelernte umgesetzt werden kann.
Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen, deshalb muss der Pflegebedürftigkeitsbegriff dringend geändert werden, weg von der Minutenpflege hin zur patientenorientierten Pflege - um nur einige Ansatzpunkte zu nennen.
Dazu gehört aber auch eine kostenlose Ausbildung. Bis 2020 fehlen uns deutschlandweit 300.000 Pflegefachkräfte in drei Ausbildungsgängen. 1.200 landesgeförderte Ausbildungsplätze in der Altenpflege sind nicht ausreichend. Ich erkenne zwar an, dass sie im letzten Jahr schon um 30 Plätze angehoben worden sind. Wer zu spät kommt, muss warten oder aber selbst das Schulgeld bezahlen. Und wer nicht warten will oder zahlen kann, sucht sich einen anderen Beruf und kehrt der Pflege den Rücken zu. In einem Land, in dem man kostenfrei Medizin studieren kann, sollte auch die Altenpflegeausbildung kostenfrei sei.
Deshalb hatte es schon im Herbst letzten Jahres einen Ursprungsantrag von der SPD, getragen von der ganzen Opposition, zur Sicherstellung des dritten Ausbildungsjahres bei Umschülern in Pflegeberufen gegeben. Die bislang dafür zur Verfügung gestellten Mittel aus dem Konjunkturpaket II laufen bis Ende 2011 aus. Dann müssen die Umschüler das dritte Ausbildungsjahr wieder selbst bezahlen. Dieser Antrag wurde zurückgenommen, weil gleichzeitig der Bundesrat beschlossen hatte nämlich einen Tag vorher, dass diesbezüglich Geld wieder zur Verfügung gestellt werden soll. Ein wirklich weiser Beschluss. Und Umsetzung bis heute? - Mal wieder Fehlanzeige!
Die in diesem Bereich zuständige FDP in Bund und Land handelt nicht, ist mit dem Personalwechsel überfordert, konkrete Entscheidungen für die Pflege werden wieder einmal nach hinten verschoben. Stattdessen gibt es im selbst ausgerufenen Jahr der Pflege Runde Tische noch und nöcher - auch hier wird gerade wieder ein Versorgungsgipfel vorbereitet. Ich finde den Austausch mit den Fachleuten immer gut und wichtig, aber sämtliche Erkenntnisse, die den Bereich Pflege zukunftssicher machen können, liegen bereits auf dem Tisch. Wir haben hier kein Erkenntnisproblem, sondern ein wirkliches Handlungsdefizit. Herr Minister Garg, setzen Sie Ihre gut gemeinten - das glaube ich Ihnen sogar Grußworte endlich in Handeln um!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesrat hat am 24. September 2010 im Rahmen einer Entschließung mit den Stimmen Schleswig-Holsteins die Bundesregierung aufgefordert, zeitnah eine Regelung zu schaffen, die einen Anspruch auf Förderung der beruflichen Weiterbildung im Bereich der Altenpflege über den gesamten Ausbildungszeitraum vorsieht. Diese Entschließung hat Schleswig-Holstein in einem Antrag zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt aufgegriffen und am 16. Juni 2011 in den Bundesrat eingebracht. Da Niedersachsen und Bayern einen inhaltlich ähnlichen Antrag gestellt haben, hat sich Schleswig-Holstein dem angeschlossen. Damit
könnte man den SPD-Antrag ,,Förderung der beruflichen Weiterbildung“ in der Sache für erledigt erklären.
Ich möchte der engagierten Kollegin Birte Pauls nicht unterstellen, dass sie mit diesem und dem weiteren Antrag nur öffentlichkeitswirksam das Thema Pflege besetzten wollte - es war ja alles richtig, was sie hier sagte -, sondern sie möchte damit vermutlich die Schlagzahl bis zur Erreichung des Ziels einer besseren personellen Ausstattung und Ausbildung in der Altenpflege erhöhen. Dabei werde ich sie gern unterstützen
- ja, selbstverständlich, wenn es um die Sache geht -, auch wenn ich für meine Fraktion eine andere Strategie verfolge. Es macht keinen Sinn, ständig in einzelnen Pflegethemen herumzustochern. Es muss endlich ein ganzheitliches Konzept her. Wir brauchen den großen Wurf sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene.
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Pflege spielt der Zeitaufwand für Dokumentation eine große Rolle. Die SPD greift mit ihrem Antrag ,,Mehr Zeit für Pflege“ dieses Thema auf und spricht damit sicherlich allen in der Pflege Tätigen und den Pflegebedürftigen aus der Seele. Ich muss dann aber doch auch etwas kritisieren: Der Antrag ist nicht konkret genug. Die Formulierungen sind zu allgemein gehalten und zeigen nicht auf, wo genau Handlungsbedarf besteht.
Das ist ein Rundumschlag, und Sie zeigen auch nicht auf, wofür die Landesregierung überhaupt zuständig ist. Noch gilt das Heimgesetz, und das ist ein Bundesgesetz.
Am 1. August 2009 ist das Gesetz zur Stärkung von Selbstbestimmung und Schutz von Menschen mit Pflegebedarf oder Behinderung, das Selbstbestimmungsstärkungsgesetz, in Kraft getreten. Wie gesagt, bis zum Inkrafttreten einer Durchführungsverordnung gilt das Heimgesetz, das in seinen Vorgaben und mit all der zugehörenden Bürokratie für Schleswig-Holstein gilt.
Frau Sassen, können Sie mir sagen, wann wir mit den Verordnungen für dieses Selbstbestimmungsstärkungsgesetz, das - wie Sie selbst sagten - bereits 2009 einstimmig aus diesem Parlament heraus auf den Weg gebracht worden ist, zu rechnen ist? Wann können wir endlich mit diesen Verordnungen und damit auch der Umsetzung rechnen?
- Wir haben darüber in der letzten Landtagsdebatte schon diskutiert. Ich denke, zu diesen Themen wird Ihnen der Minister gleich etwas sagen können.