Protokoll der Sitzung vom 24.08.2011

Die Veränderungen im Verhältnis der Listen- zu Wahlkreisbewerbern, bei dem Zählverfahren, den Abweichungsgrenzen bei den Wahlkreisen sowie der Mindesteinwohnerzahl zur Bildung einer Gemeindevertretung sind richtig und stoßen wohl bei allen Fraktionen auf Zustimmung. Allerdings halten wir es für erforderlich, in die Gemeinordnung eine Vorschrift über die Staffelung der Vertreterzahl zur Bildung einer Fraktion aufzunehmen. Das ist unser Vorschlag zu § 32 a der Gemeindeordnung. Denn nach dem Fortfall der Fünfprozenthürde ist Bewegung in der politischen Landschaft der Kommunen entstanden. Das mag man je nach Betroffenheit mögen oder nicht mögen; aber dies darf nicht dazu führen, dass nach Fraktionszerwürfnissen das Einnehmen von Fraktionszuwendungen der wesentliche Existenzzweck einer politischen Gemeinschaft wird. Insoweit müssen Grenzen gesetzt werden.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Buder [SPD] und bei der LINKEN)

Den Vorschlägen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Förderung der freiwilligen gemeindlichen Gebietsänderungen mit dem Ziel - davon gehe ich aus -, dass es weniger und nicht mehr Gemeinden werden,

(Detlef Buder [SPD]: Ja!)

stehen wir positiv gegenüber. Über die Details können und sollten wir natürlich reden.

(Thomas Rother)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der Vorwahlkampfzeiten, in denen wir uns ja schon befinden, macht es wieder einmal Freude, Gemeinsamkeiten zu benennen. Das macht uns aber nicht frei davon zu vergessen, dass es erforderlich bleibt, die Aufgabenverteilung zwischen dem Land und den Kommunen sowie den Kommunen untereinander mit dem Ziel größerer Effizienz grundlegend neu zu ordnen, die kommunalen Aufgaben und ihre Finanzierung in einem Leistungsgesetz eindeutig zu beschreiben, eine umfassende kommunale Verwaltungsstrukturreform vor allem im kreisangehörigen Bereich vorzubereiten sowie das Verhältnis zwischen Haupt- und Ehrenamt in der kommunalen Selbstverwaltung zu überprüfen und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den kommunalen Vertretungsgremien auf den Weg zu bringen. Im Mai 2012 fangen wir dann auch damit an.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung als Antragstellerin zu b) erteile ich nun Herrn Minister Schlie das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir heute über drei Gesetzentwürfe diskutieren, die auf eine bedeutsame Änderung von Vorschriften des Kommunalverfassungsrechts sowie des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes abzielen. Bei aller Unterschiedlichkeit, die Sie krampfhaft versucht haben herauszuarbeiten, Herr Kollege Rother, begrüße ich, dass vom Grunde her in diesem Haus ein relativ breiter Grundkonsens gerade bezüglich der kommunalen Struktur besteht. Sie haben vorhin eine Gemeindestrukturreform im kreisangehörigen Bereich angemahnt. Also ist die, die Herr Dr. Stegner einmal auf den Weg gebracht hat, zumindest aus Ihrer Sicht offensichtlich nichts gewesen. Darüber können Sie das nächste Mal wieder aus der Opposition heraus diskutieren. Ich glaube jedenfalls, dass im Wesentlichen der Grundkonsens, der besteht, hoffen lässt, dass wir das Gesetzgebungsverfahren zügig voranbringen können, was nicht zuletzt auch Wunsch der kommunalen Ebene ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zentraler Baustein der Gesetzentwürfe ist die Novellierung der Amtsordnung zur Umsetzung des Urteils des Landesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2010. Danach ist die bestehende Möglichkeit, Selbstverwaltungsaufgaben von Gemeinden ohne Beschrän

kung auf die Ämter zu übertragen, verfassungswidrig. Das Gericht hat in seiner Entscheidung im Wesentlichen zwei Wege aufgezeigt, die der Gesetzgeber zur Wiederherstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes ergreifen kann, nämlich die Einführung der unmittelbaren Wahl des Amtsausschusses und die Beschränkung der Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf die Ämter.

Es besteht Einvernehmen mit der kommunalen Ebene, dass die erforderliche Änderung der Amtsordnung mit Blick auf die Kommunalwahl 2013 noch vor der im kommenden Mai anstehenden vorgezogenen Landtagswahl in Kraft gesetzt sein muss. Dass trotzdem seit dem Urteil eine gewisse Zeit vergangen ist, hat im Wesentlichen zwei Gründe.

Erstens. Das Urteil musste sorgfältig ausgewertet und die vom Gericht aufgezeigten Handlungsoptionen mussten einer eingehenden Analyse unterzogen werden. Denn selbst heute bestehen unter den mit der Materie befassten Juristen unterschiedliche Deutungen einzelner Passagen des Urteils. Das ist keine Kritik am Landesverfassungsgericht. Mir ist an dieser Stelle aber der Hinweis wichtig, dass gerade deswegen Sorgfalt vor Eile gehen musste.

Zweitens war es mir wichtig, diejenigen, die von der Änderung der seit Jahrzehnten geltenden Rechtslage betroffen sind, einzubinden und mitzunehmen. Deshalb habe ich in vier Regionalkonferenzen mit rund 750 kommunalen Vertretern sowie in zehn weiteren kommunalen Informationsveranstaltungen mit noch einmal rund 1.700 Kommunalpolitikern einen intensiven Dialog über die zukünftige Ausgestaltung der Amtsordnung sowie über Überlegungen zur Änderung anderer kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften geführt. Ich freue mich, dass Sie das intensiv verfolgt haben. Wären Sie dabei gewesen, dann hätten Ihre Gesetzentwürfe ein bisschen anders ausgesehen.

(Beifall bei CDU und FDP - Zuruf des Abge- ordneten Peter Eichstädt [SPD])

Dabei wurde die aufgezeigte Möglichkeit der Einführung der unmittelbaren Wahl des Amtsausschusses von den Vertretern der kommunalen Landesverbände geschlossen und von den kommunalen Vertretern vor Ort fast einhellig abgelehnt. - Wenn das richtig ist, dann ist das eine breite Übereinstimmung. Die freut mich ganz besonders.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

(Thomas Rother)

- Es gab den einen oder anderen Grünen, der die Wahl der Amtsaussschüsse gefordert hat. Aber das war eine absolute Minderheit. Das hat in den Diskussionen in den Veranstaltungen keine entscheidende Rolle gespielt.

Eine völlig neue Funktion der Ämter durch die Einführung der Direktwahl kommt aus Sicht der kommunalen Vertreter nicht in Betracht. Deswegen ist es umso verwunderlicher, dass die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit ihrem Gesetzentwurf trotzdem an der Forderung einer Direktwahl der Amtsausschüsse festhält. Die Landesregierung will jedenfalls die gewachsenen und bewährten kommunalen Strukturen, wenn dies vor Ort gewünscht ist, erhalten und setzt daher die Handlungsoption Beschränkung der Übertragung von Selbstverwaltungsaufgaben auf das Amt um.

Wo die Grenze einer verfassungsfesten Übertragungsmöglichkeit liegt, lässt sich dem Urteil vom 26. Februar 2010 weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht, jedenfalls nicht eindeutig, entnehmen. In enger Zusammenarbeit mit dem Schleswig-Holsteinischen Gemeindetag und dem Städteverband Schleswig-Holstein konnte ein aus unserer Sicht verfassungskonformer und sachgerechter Kompromiss gefunden werden. Danach kann das Amt aus einem Katalog von 16 Selbstverwaltungsaufgaben - wie ich betone - mit geringem politischem Gestaltungsspielraum aufgrund von Beschlüssen der Gemeindevertretung bis zu fünf Aufgaben in seine Trägerschaft übernehmen - im Übrigen mit deutlich mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Gemeinden, als das der Entwurf der SPDFraktion vorsieht. Parallel sollen nach unserer Vorstellung amtsinterne Zweckverbände zugelassen werden.

Ein wesentliches Ergebnis der Regionalkonferenzen ist, dass sich Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker ihrer Verantwortung bewusst sind und vor Ort gerade kein Interesse besteht, sich der politischen Entscheidungsmöglichkeiten in größerem Maße zu entledigen. Von daher sehe ich weder die Gefahr übermäßig vieler neuer Zweckverbände noch die von mehr Bürokratie, denn amtsinterne Zweckverbände sollen für die Durchführung von Entscheidungen die Verwaltung des Amtes in Anspruch nehmen können und können sehr schlank gestaltet werden. Es ist völlig daneben, wenn Sie glauben, dass das durch die Hintertür die Möglichkeit eröffnen würde, mehr Aufgaben zu übertragen. Nein, auch das -

Herr Minister, ich habe mich bemüht, in Ihrer Rede einen Punkt zu finden. Ich frage Sie trotzdem, ob Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Habeck zulassen.

Wenn der Punkt gleich deutlich wird, gern, Frau Präsidentin. - Es ist völlig daneben, wenn Sie glauben, dass durch die Hintertür eine Übertragung von wesentlichen weiteren Aufgaben erfolgen soll. Das ist nicht der Fall.

(Zuruf von der SPD: Warum schreiben Sie das dann nicht rein?)

Das ist auch in den Diskussionen eindeutig deutlich geworden. Das ist auch die Position der Landesregierung. - Jetzt gern.

Vielen Dank. - Herr Kollege Dr. Habeck, Sie haben das Wort.

Herr Minister Schlie, ich wollte Sie fragen, warum Sie glauben, dass fünf Aufgaben übertragen werden können und nicht etwa vier oder sechs. Wie kommen Sie auf die Zahl fünf?

Weil es eine Diskussion darüber gegeben hat, in welchem Umfang es möglich ist, dass bestimmte Aufgaben, die eben nicht an den Selbstverwaltungscharakter der Gemeinde anfassen, übertragen werden können. Wir haben versucht, aus einer Interpretation im juristisch festen Sinn aus dem Urteil des Landesverfassungsgerichts herauszulesen, wo eine solche Grenze ist und wo es sachgerechte Ansprüche aus den Gemeinden heraus gibt. Die Grenze ist bei fünf gelegt worden. Ich habe deutlich gemacht, Herr Abgeordneter Habeck -

(Der Abgeordnete Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] macht eine Geste)

- Nein, das ist nicht, wie Sie es deutlich gemacht haben, über den Daumen gepeilt gemacht worden. Diese Grenze ist in juristischer und sachlicher Abwägung festgelegt worden. Wir halten diese Grenze, die wir bei fünf festgelegt haben, und die 16 Aufgaben, aus denen heraus fünf Aufgaben übertragen werden können, für das, was verfas

(Minister Klaus Schlie)

sungsrechtlich vertretbar ist und dem Urteil des Landesverfassungsgerichts entspricht.

Der Gesetzentwurf sieht zudem in vielen Punkten Novellierungen des Kommunalverfassungsrechts insgesamt sowie des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes vor. Beispielhaft nenne ich folgende Punkte: Gemeinden ab 4.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ohne eigene Verwaltung erhalten die Möglichkeit, durch eigene Entscheidung einen hauptamtlichen Bürgermeister beziehungsweise eine hauptamtliche Bürgermeisterin zu bestellen, jedoch nicht die Befugnis, eine eigene Verwaltung einzurichten. Deswegen ist es sinnvoll, dass die Wahl so stattfindet, wie das im Gesetzentwurf vorgesehen ist.

Über den Ausschluss der Öffentlichkeit in Sitzungen muss künftig in jedem Einzelfall entschieden werden. Eine allgemeine Ausschlussregelung ist nicht mehr möglich. Grundsätzlich tagen die Ausschüsse also öffentlich.

Für Landräte und Amtsdirektoren werden die Qualifikationsanforderungen eigene Befähigung und Sachkunde aufgenommen.

Für künftige Kommunalwahlen erfolgt eine Angleichung der Zahl der Direkt- und der Listenmandate bei Gemeinden über 15.000 Einwohnerinnen und Einwohnern und bei kreisfreien Städten und Kreisen. Künftig soll nur noch ein Direktmandat gegenüber den Listenmandaten mehr vergeben werden, um die Gefahr des Entstehens von mehr Sitzen mit der Folge der Kompensierung durch Ausgleichsmandate zu minimieren.

Für Städte über 50.000 Einwohner soll der Sonderstatus Große kreisangehörige Stadt eingeführt werden. Wir haben schon seit einigen Jahren den Modellversuch Norderstedt.

Wie im Landeswahlrecht wird die Sitzverteilung nun auch auf kommunaler Ebene von d’Hondt auf das Verfahren Sainte-Laguë/Schepers umgestellt.

Das sind wesentliche Punkte. Aufgrund der Zeit kann ich hier keine weiteren nennen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion enthält im Gegensatz zum Entwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN viele Übereinstimmungen mit den Vorstellungen der Landesregierung. Einige Abweichungen entsprechen allerdings nicht dem Ziel der Stärkung der Kommunen, sondern würden das Gegenteil bewirken.

So ist insbesondere nicht nachvollziehbar, dass die Grenze für die Pflicht zur Bestellung einer haupt

amtlichen Gleichstellungsbeauftragten von 15.000 wieder auf 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner abgesenkt werden soll, zumal die Anhebung dieser Grenze auf den aktuellen Wert erst 2006 im Zuge der Verwaltungsstrukturreformgesetzgebung unter Federführung des damaligen Innenministers Dr. Stegner erfolgte. Herr Abgeordneter Rother, Sie haben ja schon deutlich gemacht, warum Sie wieder ran wollen an das Verwaltungsstrukturgesetz: Sie halten es für nicht durchsetzungsfähig. Sie sollten da nicht so kritisch mit Herrn Dr. Stegner umgehen.

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner?

Ja.

Herr Dr. Stegner, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Minister, möglicherweise erinnern Sie sich noch an die Verhandlungen zur Bildung der Großen Koalition. Falls Sie das noch tun, mögen Sie sich auch daran erinnern, dass die Veränderung bei der Einwohnerzahl etwas ist, was man als Preis gegenüber der Union entrichten musste, um zu einer Einigung zu kommen? Wir haben das immer für falsch gehalten, und das soll wieder korrigiert werden. Vielleicht können Sie das in Ihrem Erinnerungsvermögen wiederfinden. Das hat mit der Verwaltungsstrukturreform gar nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Herr Abgeordneter Dr. Stegner, mein Erinnerungsvermögen reicht nicht nur bis zum Entstehen der Großen Koalition, sondern auch bis zum Ende. Das fand ich noch interessanter.

(Beifall bei CDU und FDP)