Protokoll der Sitzung vom 26.08.2011

Es gibt keine endgültige wissenschaftlich untermauerte Stellungnahme, die das eine oder andere ausschließt oder befürwortet. Solange es aber keine eindeutige Entwarnung in Bezug auf die Risiken gibt, muss die politische Aufgabe sein, den Umgang mit der Agro-Gentechnik gesetzlich so zu regeln, dass davon keine Gefahr für Mensch und Natur ausgeht. Was einmal losgetreten wurde, kann nicht wieder zurückgeholt werden. Aus Sicht des SSW sollten wir daher die Möglichkeit wahrnehmen und in Schleswig-Holstein den Anbau und die Verbreitung von GVO verbieten.

Diesen Gestaltungsspielraum, der mittlerweile von der EU und vom Parlament vorgeschlagen wird, sollten wir nutzen. Damit würden wir unsere Landwirtschaft sicher und nachhaltig schützen und im Sinne der Verbraucher handeln.

Wer behauptet, dass eine Koexistenz landwirtschaftlicher Anbauformen möglich ist, der streut den Leuten Sand in die Augen. Wie soll ein Landwirt, der gentechnisch verändertes Saatgut im Freiland ausbringt, verhindern, dass sich die kontaminierten Pollen kilometerweit ausbreiten? Damit geraten sie unkontrolliert in den Naturkreislauf und können sich mit natürlichen Pflanzen kreuzen. Benachteilig sind dann die Landwirte, die gentechnikfrei arbeiten wollen - und das ist immerhin der größte Teil unserer Landwirte.

Auch aus diesem Grund frage ich mich, warum der Bauernverband sich so einseitig positioniert. Wessen Interessen werden dort eigentlich vertreten?

Ich kann Ihnen sagen, wessen Interessen dort nicht vertreten werden, nämlich die der Verbraucher und der Umwelt. Nachzulesen ist dies in der Stellungnahme des Bauernverbandes zur Anhörung. Der Bauernverband täte gut daran, diese verbraucherfeindliche Haltung zu überdenken. Es geht hierbei nicht um zweifelhafte wirtschaftliche Errungenschaften für die Landwirtschaft. Es geht um Verbraucherschutz.

Genau das hat die Anhörung deutlich gemacht. Untersuchungen zum Verbraucherverhalten haben deutlich gemacht, dass es eine breite Ablehnung der Gentechnik im Lebensmittelbereich gibt. Aber auch die wachsende Nachfrage nach Produkten aus ökologischer Erzeugung ist letztlich ein Indiz für den Verbraucherwunsch nach gentechnikfreien Lebensmitteln. Wer gentechnikfreie Lebensmittel produziert, der produziert für den Markt.

Darüber hinaus will der Verbraucher die echte Wahlfreiheit. Diese Wahlfreiheit kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn die Lebensmittelproduktionskette wirklich sauber bleibt. Je mehr GVO angebaut werden, desto größer ist die Gefahr der Verunreinigung der gentechnikfreien Bereiche. Hier ist die Politik gefordert, dafür zu sorgen, dass der Verbraucher die Wahlfreiheit behält.

Damit sind wir bei der politischen Forderung, den Anbau und die Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen in Schleswig-Holstein zu verbieten. Das schafft Sicherheit. Darüber hinaus brauchen wir eine eindeutige Produktionsdeklaration. Dafür müssen die Grenzwerte so festgesetzt werden, wie es nach heutigem Stand der Wissenschaft und Technik möglich ist. Jede Erhöhung der Grenzwerte öffnet die Tür für gentechnisch verunreinigte Pflanzen und führt zu einer schleichenden Verbreitung. Das ist weder im Sinne unserer Landwirte noch im Sinne der Verbraucher.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung erteile ich der Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie bereits mehrfach gesagt wurde, haben wir das Thema umfangreich in den

Ausschüssen und auch hier im Plenum beraten. Deshalb möchte auch ich mich nur auf die wichtigsten Punkte dieser Beratung beziehen.

Das eine ist der Antrag, dass von der Opposition EU-rechtsverbindliche Möglichkeiten gefordert werden, auf nationaler Ebene den Anbau von zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen zu beschränken beziehungsweise untersagen zu können. Es ist auch gesagt worden, in Europa liegen dazu Vorschläge vor. Den Mitgliedstaaten soll die Möglichkeit gegeben werden, auf ihrem Hoheitsgebiet nationale Verbote für den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen auszusprechen. Hier bleiben die weiteren Verhandlungen abzuwarten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt war für mich die Frage nach der Nulltoleranz. Das ist ein leidiges Thema, da mit diesem Begriff teilweise unerfüllbare Forderungen erhoben werden. Für Futtermittel haben wir auf EU-Ebene inzwischen Regelungen für einen praktikablen Umgang mit nicht zugelassenen GVO. Für Saatgut fehlen solche entsprechenden Regelungen leider weiterhin.

Ich möchte an dieser Stelle nochmals ausdrücklich betonen: Die Landesregierung stellt die im Gemeinschaftsrecht verankerte Nulltoleranz bei Saatgut nicht infrage. Der Landesregierung geht es gerade im Sinne einer breiten Qualitätssicherung bei Saatgut um bundesweit einheitliche Probenahme- und Messverfahren auf Grundlage verlässlicher wissenschaftlicher und statistischer Protokolle. Das habe ich in den Ausschussberatungen und in der letzten Landtagdebatte deutlich gemacht. Ich bedaure, dass ich mich mit diesem Ansinnen im Bundesrat nicht durchsetzen konnte. Ich werde mich aber weiterhin für eine praktikable Umsetzung der Nulltoleranz auch bei Saatgut einsetzen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Zu a): Antrag der Fraktionen von SPD, DIE LINKE und SSW, Drucksache 17/294 (neu). Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer der Ausschussempfehlung folgen und so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Dieser Ausschussempfehlung ist mit den Stimmen der Fraktionen von CDU

und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SSW entsprochen worden.

Zu b), Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 17/390, und Antrag der Fraktionen von CDU und FDP, Drucksache 17/420. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag Drucksache 17/390 abzulehnen. Wer dieser Empfehlung folgen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist ebenfalls mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW angenommen worden.

Der Ausschuss empfiehlt weiter, den Antrag Drucksache 17/420 anzunehmen. Wer dieser Ausschussempfehlung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW wurde diese Ausschussempfehlung ebenfalls angenommen.

Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 26 auf:

Bundesratsinitiative für eine wirksame und stichtagsunabhängige gesetzliche Bleiberechtsregelung

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/1700 (neu)

Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/1746

Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1748

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1750

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich weise darauf hin, dass der zu Tagesordnungspunkt 25 eingereichte Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, § 25 Aufenthaltsgesetz: landesrechtliche Regelung zum Aufenthalt aus humanitären Gründen, Drucksache 17/1699, von der antragstellenden Fraktion zurückgezogen wurde.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Frau Abgeordneter Luise Amtsberg von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

(Ministerin Dr. Juliane Rumpf)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Duldung ist nach Definition des Aufenthaltsrechts lediglich die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. „Duldung“, ein Wort, das erst einmal freundlich klingt, drückt in kurz gefasster Form aus: Wir dulden, dass Sie hierbleiben, weil es uns momentan nicht möglich ist abzuschieben. Alles deutet darauf hin, dass dies nur eine Momentaufnahme sein kann, ein kurzer Zustand, der eigentlich nur eines nicht werden sollte, nämlich Lebensrealität von Menschen über viele Jahre hinweg.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass die Realität anders aussieht, zeigen die Zahlen, das zeigt die Tatsache, dass das Wort „Kettenduldung“ in Politik und Gesellschaft längst zum festen Sprachgebrauch gehört. In Deutschland geduldet zu sein, bedeutet, in der ständigen Angst vor Abschiebung zu leben, erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt, aber auch keinen Anspruch auf ALG II zu haben, sich im Bundesgebiet nicht frei bewegen zu dürfen, lediglich eine Gesundheitsversorgung für absolute Notfälle zu erhalten, geschweige denn ein festes Anrecht auf Sprach- und Integrationskurse zu haben. Das ist die Lebenswirklichkeit von Menschen, die auf ihre Abschiebung aus der Bundesrepublik warten, eine Wirklichkeit, die man eigentlich keinem Menschen auch nur ein Jahr zumuten möchte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So haben die Innenminister der Länder 2006 entschieden, dass langjährig Geduldete unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht erhalten sollten. Eine dieser Voraussetzungen war die eigene Sicherung des Lebensunterhalts. Die Bilanz dieses IMK-Beschlusses allerdings war ernüchternd, denn die meisten der langjährig Geduldeten konnten diese Bedingung einfach nicht erfüllen. Daraufhin verabschiedete man 2007 eine gesetzliche Altfallregelung und erteilte eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe. Mit diesem Titel musste der oder die Geduldete nur noch glaubhaft machen, dass die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts in erreichbarer Nähe zu sein scheint. 2009 wurde aber deutlich, dass auch diese Lösung nicht greift. Daher verständigten sich die Innenminister, die Altfallregelung ein weiteres Mal zu verlängern, bis Ende des Jahres 2011 - genau da stehen wir nun.

Angesichts dieser Rückschau kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Politik an dieser Stelle versagt hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Heinz-Werner Jezew- ski [DIE LINKE])

Wir haben es innerhalb von fünf Jahren nicht hinbekommen, eine gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen, die diesen Menschen eine Perspektive eröffnet. Das ist - mit Verlaub - peinlich.

Das Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche, das seit Juli 2011 gilt, ist ein wichtiger Anfang, aber auch hier ist das Problem, dass es für das Gros der Geduldeten überhaupt nicht gilt. Das verkrampfte Festhalten an Stichtagen und Altersgrenzen - das zeigt sich nicht zuletzt am Fall Tigran - ist beschämend, denn auch ein elfjähriges Kind kann seit drei Jahren im Fußballclub oder der Theater-AG spielen, eine neunjährige, in Deutschland geborene Schwester und gut deutsch sprechende Eltern haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesem Grund haben wir Grüne diese Initiative in den Landtag gebracht. Ich bin froh, dass der Minister, die Regierungsfraktionen und die Opposition gemeinsam der Auffassung sind, dass die rechtliche Situation von Geduldeten auch in Schleswig-Holstein dringend einer politischen Korrektur unterzogen werden muss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als wir das Thema 2009 auf der Agenda hatten, habe ich nicht geglaubt, dass wir heute gar nicht mehr über das Ob in Sachen Bleiberecht reden, sondern tatsächlich „nur noch“ über das Wie. Ich finde, dass das eine äußerst positive Entwicklung im Landtag ist.

Über das Wie haben wir Grünen in unserem Antrag für eine Bundesratsinitiative Antworten gefunden. Ich weiß, dass es da durchaus unterschiedliche Auffassungen gibt. Ich möchte daher anregen, unseren Antrag und alle Änderungsanträge an den Innenund Rechtsausschuss zu überweisen und dort über die genaue Ausgestaltung einer Bundesratsinitiative zu diskutieren. Lassen Sie uns gemeinsam dafür streiten - das muss das primäre Ziel sein -, dass die Menschen, die in den vergangenen Jahren zu unseren Schulfreunden, Nachbarn und Mitmenschen geworden sind, eine sicherere Perspektive für ein gemeinsames Leben hier bekommen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir wollen nicht am laufenden Band durch Kommissionen besondere Härten festgestellt bekommen. Wir wollen nicht, dass es notwendig wird, dass

ganze Schulen und Dorfgemeinschaften um die Aussetzung von Abschiebungen ihrer Mitmenschen und Freunde kämpfen. Wir sollten auch nicht wollen, dass es am Ende Politikerinnen und Politiker sind, die das Schicksal von Geduldeten in ihre Hände nehmen und erst in allerletzter Sekunde die Entscheidung, die Abschiebung auszusetzen, treffen. Das ist keine Politik für Menschen, sondern das ist ein Spiel mit der Zeit und letztlich auch ein Spiel mit der Macht. Wir wollen nicht, dass diese Menschen zu Mitmenschen auf Abruf werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Leben auf gepackten Koffern ist ein menschenunwürdiger Zustand; jeder von uns kann das nachempfinden. Wir haben es in der Hand, mit Blick auf die Lebenswirklichkeit dieser Menschen in allen Bereichen diesen Zustand zu ändern. Diesen Schritt sind wir den Menschen, die in Kettenduldung seit sehr vielen Jahren unter uns leben, schuldig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Astrid Damerow das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Amtsberg hat dankenswerterweise die Definition der einzelnen Begriffe vorweggenommen. Ich bedanke mich dafür, teile aber natürlich nicht die Interpretation in Gänze.

Anfang August haben wir uns im Landtag alle mit dem Fall der Familie des 14-jährigen Tigran beschäftigt. Durch die Initiative aus der Landesregierung heraus, durch Herrn Justizminister Schmalfuß, aber auch durch den Ministerpräsidenten, wurde dieser Fall für Tigran zunächst befriedigend gelöst.