Protokoll der Sitzung vom 26.08.2011

Die sogenannten Kettenduldungen sind letztlich Ausdruck eines festgefahrenen Verfahrensstandes zwischen Staat und Betroffenem, von dem weder kurz- noch mittel- oder langfristig irgendeine Seite profitiert.

Drittens. Stichtagsregelungen führen zu Ungleichbehandlungen. Im Laufe der Kette von Bleiberechtsregelungen, die wir in den letzten Jahren begleiten durften, ist immer wieder festgestellt worden, dass Stichtage zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen führen, wenn zum Beispiel ein Stichtag nur um einen Tag verfehlt wurde. Im Zweifel produziert jede noch so gute Stichtagsregelung zugleich neue Härtefälle.

Meine Damen und Herren, mein Vorschlag zielt darauf ab, in das Aufenthaltsgesetz eine Norm aufzunehmen, die es Ausländerbehörden ermöglicht, langjährig aufhältigen Ausländerinnen und Ausländern ein Aufenthaltsrecht einzuräumen,

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nämlich dann, wenn es ihnen trotz schwieriger rechtlicher Rahmenbedingungen gelungen ist, ihre nachhaltige Integration in die hiesigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu erreichen.

Zunächst stellt sich aber die Frage: Was ist eine nachhaltige Integration? Hierfür sind aus meiner Sicht folgende Kriterien in einer Gesamtschau zu betrachten: Erstens hinreichende deutsche Sprachkenntnisse als Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an der Gesellschaft, zweitens ein langjähriger Aufenthalt in Deutschland. Dabei wird über die erforderliche Dauer zu sprechen sein.

Drittens gehört dazu die Sicherung des Lebensunterhaltes durch aktive Teilnahme am Arbeitsmarkt. Das ist sicherlich ein Knackpunkt. Mit einer Fehlvorstellung würde ich gern gleich heute schon aufräumen, nämlich dass Asylbewerberinnen und -bewerber und Geduldete angeblich gar nicht arbeiten dürfen. Das ist nicht so, das ist falsch. Diejenigen, die nicht arbeiten dürfen, haben an ihrem Verfahren nicht mitgewirkt. Für sie ist das Arbeitsverbot eine Sanktion.

Weitere Kriterien für eine nachhaltige Integration sind das Bekenntnis zu Demokratie und bundesdeutscher Gesellschaft als gemeinsame Grundlage

des Miteinanders. Das heißt eben nicht ein Gesinnungstest, aber Respekt und Anerkennung unserer Grundwerte und Grundrechte. Das müssen und dürfen wir erwarten.

Weiter gehört dazu eine Partizipation am sozialen Leben durch bürgerschaftliche Aktivitäten sowie die Unterstützung der schulischen Integration der Kinder und Jugendlichen durch die Eltern.

Meine Damen und Herren, wer diese Voraussetzungen erfüllt, ist zweifellos in Deutschland angekommen - und das unabhängig von seinem bisherigen Aufenthaltsstatus.

Seit dem 1. Juli 2011 haben wir den § 25 a Aufenthaltsgesetz, der es Jugendlichen und Heranwachsenden nach Prüfung des Einzelfalles ermöglicht, in einen legalen Aufenthaltstitel zu wechseln. Für Erwachsene gibt es dies nicht. Das müssen wir ändern. Damit würde den Ausländerbehörden ein fehlendes Instrument an die Hand gegeben, um für schwierige Einzelfallkonstellationen eine akzeptable Lösung zu erwirken. Die Integration der Menschen - das ist der Gradmesser, den wir brauchen.

Lassen Sie mich einmal einen Beispielsfall aus der letzten Sitzung der Härtefallkommission vortragen: ein circa 35-Jähriger Ausländer ohne Familie, in Deutschland seit nunmehr zehn Jahren. Seine Lebenspläne sind nicht aufgegangen, alle asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren sind negativ beendet. Der Betroffene ist jedoch seit neun Jahren durchgängig in einem renommierten Gastronomiebetrieb tätig, bezieht keine öffentlichen Leistungen, hat sich nichts zuschulden kommen lassen und ist in sein Arbeitsumfeld bestens integriert.

Um solche Konstellationen zukünftig lösen zu können, möchte ich eben nicht nur an den Vorgaben des § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz „herumschrauben”. Wir sollten vielmehr ein neues Aufenthaltsrecht aus Gründen der nachhaltigen Integration schaffen. Dies sollte keine starre Anspruchsnorm mit entsprechend engen Vorgaben sein, sondern eine Ermessensnorm, die klar und vor allem ehrlich festlegt, unter welchen Kriterien die Ausländerbehörde zukünftig entscheiden kann, wer begünstigt wird.

Natürlich wird auch diese Regelung Personen ausschließen. Das will ich hier betonen: Es wird kein Bleiberecht für alle geben können. Wir werden uns zum Beispiel darüber unterhalten müssen, wie persönliches Fehlverhalten in der Vergangenheit berücksichtigt werden muss. Darüber muss verhandelt werden.

(Minister Emil Schmalfuß)

(Beifall der Abgeordneten Serpil Midyatli [SPD] und Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE])

In jedem Fall darf die Norm nicht stichtagsgebunden sein. Menschen, deren Aufenthalt geregelt werden muss, wachsen einfach immer wieder nach. Und es gibt keinen Grund, Menschen die Mitte 2007 die Kriterien der Altfallregelung erfüllten, besserzustellen als diejenigen, die es erst jetzt schaffen. Ich sage es noch einmal: Integration darf und soll unabhängig von Stichtagen erfolgen.

Angesichts der bisherigen Resonanz auf diesen Gedanken und meinen Vorschlag bin ich davon überzeugt, dass wir einen kraftvollen Anstoß hier im Land geben können und die Initiative nach Berlin transportieren werden. Ich möchte eine entsprechende Gesetzesinitiative vor Mai 2012 in den Bundesrat einbringen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Forderung, auch Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zügig Zugang zu integrationsfördernden Angeboten zu gewähren und ihnen einen Anspruch auf Teilhabe an Integrationskursen einzuräumen, begrüße ich ausdrücklich. Einen entsprechenden Beschluss haben wir bereits auf der 6. Integrationsminsterkonferenz im Februar 2011 gefasst.

Meine Damen und Herren, die neue Regelung wird in dem Kontext frei „Integrationsförderung und anerkennung” stehen. Wir werden die Möglichkeit schaffen, veränderten Lebenswirklichkeiten gerecht zu werden und gleichzeitig integrationspolitische Entwicklungsanreize setzen. Dafür will ich das System des Aufenthaltsrechtes nutzen und weiterentwickeln, und ich bitte dafür um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei FDP, CDU sowie vereinzelt bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Frau Abgeordneter Luise Amtsberg aus der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Minister, noch einmal gleich zu Beginn: Wir begrüßen diese Initiative. Das, was uns als Kriterien vorliegt, ist eine gute Diskussions

grundlage, sogar eine sehr gute. Wir werden sicher an vielen Stellen noch einmal ins Gespräch kommen.

Beim Thema Arbeitsverbote fühlte ich mich jedoch angehalten, mich noch einmal zu Wort zu melden. Die „Süddeutsche“ hat gestern geschrieben - ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin -, dass besonders die Situation von Geduldeten schwierig sei, weil Unternehmen keine Abschiebekandidaten beschäftigen wollten. Für sie müsse es Ausnahmen ohne Stichtag geben. Vieles von dem haben wir auch schon gehört, aber ich bitte, das alles in die Überlegungen mit einzubeziehen. Man kann sich nicht einfach hinstellen und sagen, wir legen jetzt Kriterien fest, wie man selbstständig seinen Unterhalt zu gewährleisten hat. Man muss sich eben auch anschauen, wie der Arbeitsmarkt auf Menschen reagiert, die in diesem Status leben. Da reicht es sozusagen nicht, einfach nach vorn zu gehen und zu sagen: Wir wollen aber, dass ihr arbeitet. Die Leute haben einen wahnsinnig erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt. Das hat viele Gründe, unter anderem auch den, dass es Arbeitsverbote gibt - selbstverständlich. Die gelten in Schleswig-Holstein nicht immer nur für ein Jahr, sondern gehen meist noch darüber hinaus. Der Flüchtlingsrat hat dazu eher erschreckende Erkenntnisse veröffentlicht.

Ich komme zu den anderen Punkten, der Partizipation am sozialen Leben durch bürgerschaftliches Engagement: Auch hier muss man sich die Lebensrealität der Menschen anschauen.

Viele wissen einfach nicht, was das ist. Viele müssen sozusagen mitgenommen werden. Die Anbindung an die Infrastruktur, die es möglich macht, sich in diesem Maße zu engagieren, ist auch nicht immer einfach. Ich gebe Ihnen recht, auf der anderen Seite sind die Menschen in Kiel und in Lübeck häufig besser davor und engagieren sich ganz wunderbar.

Für den Ausschuss möchte ich etwas vorwegnehmen, was mir an diesen Kriterien fehlt. Diese Punkte müssen für uns geklärt werden, um hier eine Zustimmung zu geben. Die Frage ist, in welchem Umfang die von Ihnen genannten Kriterien erfüllt werden müssen. Reicht es, Sprachkenntnisse zu haben? Muss man Sprachkenntnisse und einen Job haben? Muss man bürgerschaftlich engagiert sein? Reicht das allein? - All diese Sachen gehen für uns hieraus nicht hervor. Das ist das, was wir zu kritisieren haben, und es war mir wichtig, dies an dieser Stelle schon einmal zu sagen. Ansonsten ist dies eine sehr gute Diskussionsgrundlage, für die wir Ihnen danken.

(Minister Emil Schmalfuß)

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag in der Drucksache 17/1700 (neu) sowie die Änderungsanträge in den Drucksachen 17/1746, 17/1748 und 17/1750 als selbstständige Anträge an den Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen. - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen worden.

Wie zwischen den Parlamentarischen Geschäftsführern verabredet, rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 10 auf:

Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Fahrberechtigungszuständigkeitsgesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 17/1697

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 17/1730

Ich erteile dem Berichterstatter des Innen- und Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Thomas Rother, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei einem einstimmigen Beschluss des Innen- und Rechtsausschusses verweise ich gern auf die Vorlage.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter für diesen erschöpfenden Bericht.

(Beifall)

Wortmeldungen zu diesem dankenswerterweise erschöpfenden Bericht sehe ich nicht. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.

Der Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf Drucksache 17/1697 unverändert anzunehmen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 30 auf:

Für einen bundeseinheitlichen Basisfallwert und die kostendeckende Refinanzierung der Krankenhäuser (in Schleswig-Holstein)

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1712

Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP Drucksache 17/1743

Änderungsantrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW Drucksache 17/1752

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schluss mit der miesen Krankenhausfinanzierung in Schleswig-Holstein. - Hinter dieser Forderung hat sich heute ein Bündnis zu einem gemeinsamen Aktionstag und zu einer Demonstration zusammengefunden, das von Betriebs- und Personalräten über Gewerkschaften und Berufsorganisationen bis hin zum Marburger Bund und der Krankenhausgesellschaft reicht. Schon die Breite dieses Bündnisses zeigt, dass es um die Krankenhausfinanzierung in Schleswig-Holstein nicht gut steht und dass es hier dringenden Handlungsbedarf gibt.