Protokoll der Sitzung vom 15.09.2011

Ich bin weit davon entfernt, die Staatsverherrlichung derer zu teilen, die sich auf dieser Seite des Parlaments gelegentlich dazu äußern. Das ist aber heute weniger das Problem, sondern die AntiStaatshaltung von Parteien wie der FDP, die immer noch nicht kapiert haben, dass Marktliberalismus und der Wettbewerbsfundamentalismus, den Sie gestern beim Glücksspielthema so gefeiert haben, nicht der richtige Weg für Europa sind und dass die Politik aufgefordert ist zu helfen, um die Krise zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD)

(Dr. Ralf Stegner)

Das hat sie nämlich getan. Banken sind verstaatlicht worden, es sind sogar private Banken verstaatlicht worden. Ich hätte es mir früher nicht vorstellen können, dass so etwas passiert.

(Hans-Jörn Arp [CDU]: Das habt ihr doch immer gefordert! - Zurufe von der FDP)

Sie verwechseln die Krankheit mit dem Medikament. Das Medikament waren Konjunkturprogramme und Hilfen für Wachstum und Beschäftigung. Das hat Deutschland übrigens aus der Krise geführt. Ich sage es noch einmal: Es ist ein Verdienst der Sozialdemokratie in der Großen Koalition gewesen, diese Programme vorzuschlagen.

(Zurufe von CDU und FDP - Anhaltende Un- ruhe)

- Frau Präsidentin, die lärmen hier, weil sie nervös sind. Ich kann das verstehen, aber es wäre ganz schön, ab und zu einmal ausreden zu können.

In der Tat. - Meine Damen und Herren, hören Sie bitte zu.

Die zweite Bedrohung Europas geht von den Europapopulisten aus. Leider gibt es diese nicht mehr nur bei der CSU, sondern inzwischen auch bei der FDP. Den Menschen wird Angst gemacht, und es wird mit Vorurteilen und Ressentiments gearbeitet. Dass Herr Westerwelle sich zur Witzfigur gemacht hat, ist schlimm genug. Dass der neue FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister sich daran beteiligt und dass Herr Oettinger davon redet, die Flaggen auf Halbmast zu setzen, ist eine Form des politischen Stils, von dem man sagen muss: Das ist antieuropäisch, das ist völlig daneben und trägt überhaupt nicht dazu bei, irgendein Problem zu lösen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schade, dass die Partei von Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher mit Blick auf die kommenden Wahlen offenbar so verzweifelt ist, dass sie meint sich solcher Methoden bedienen zu müssen.

(Zuruf von der FDP: Starkes Argument!)

Das geht aber noch weiter. Es sind nicht nur die Rechtspopulisten, sondern leider haben wir in Europa eine Entwicklung, die ganz rechts ist. Schauen Sie sich Ungarn an. Es ist eine Katastrophe; das ist rechts bis rechtsextrem, was wir dort zu sehen krie

gen. Leider haben wir das in skandinavischen Ländern auch. Ich bin froh, dass das bei den norwegischen Regionalwahlen korrigiert werden konnte, und wir hoffen sehr, dass in der Dänemark-Wahl heute auch die Rechtspopulisten an Einfluss verlieren. Aber es ist eine große Bedrohung. In Italien sind Leute in der Regierung, die sagen: Wenn sie die Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer sehen, dann wollen sie Kanonendonner hören. Das ist ein Teil europäischer Entwicklung. Ich sage Ihnen: Wir müssen wieder für Toleranz und Menschenwürde und für Fortschritt in Europa arbeiten, damit sich solche Mehrheiten verändern.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn die Chinesen jetzt Angebote machen, dann liegt das doch auch daran, dass die europäischen Regierungschefs so schwach geworden sind. Gegen das, was Frau Merkel mit ihrer Regierung veranstaltet - da hat Sigmar Gabriel recht -, ist doch ein Hühnerhaufen eine geordnete Formation. Das ist doch einfach so. Herr Berlusconi ist eher ein Operettenpräsident, als dass man sagen könnte, dass er sein Land Italien vernünftig führt. Mit Herrn Sarkozy ist es ähnlich.

Was zu tun ist, ist - darüber müssen wir ja nachdenken -, dass wir ein Europa der Menschen haben wollen und kein Europa der Märkte. Wir wollen ein Europa der Menschen haben, in dem sich die Politik an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet, und nicht eines, das insbesondere die Märkte in den Vordergrund stellt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Herbst?

Sehr gern.

Herr Kollege, wollen Sie bei Ihrem Rundumschlag vielleicht auch noch Bezug nehmen auf den Europabericht der Landesregierung, zum Beispiel OstseeZusammenarbeit, INTERREG, Nordsee-Zusammenarbeit?

- Herr Kollege Herbst, wenn Sie der Debatte bis zum Ende gefolgt sein werden, werden Sie sozialdemokratische Beiträge zum Europabericht hören. Ich bin allerdings sehr wohl der Auffassung, dass

(Dr. Ralf Stegner)

das, was der Ministerpräsident in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt hat, nämlich die Frage, was in Europa eigentlich zu tun ist, aufgegriffen werden sollte. Er sprach von der Staatsschuldenkrise, die der Hauptpunkt sei. Da sind wir anderer Auffassung. Ich versuche das hier darzulegen. Vielleicht haben Sie die Geduld, dem zuzuhören. Dann können Sie dabei etwas lernen, Herr Herbst.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin nämlich bei der Frage, was zu tun ist. Ich glaube, was zu tun ist, sind insbesondere Investitionen für Wachstum, für Beschäftigung, zum Abbau von Jugendarbeitslosigkeit, zu Perspektiven für junge Menschen in Europa, Werbung für Demokratie und nicht Löhne runter, alles privatisieren, was nicht niet- und nagelfest ist, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wir glauben überhaupt nicht, dass die Eurobonds insofern haben Sie schlecht gelesen, Herr Ministerpräsident - sozusagen das Patentrezept seien. Wir sagen allerdings schon: Den Menschen hier weiszumachen, es ginge ohne eine Beteiligung der Deutschen, heißt, ihnen Sand in die Augen zu streuen. Wir finden allerdings, dass dann, wenn wir über Eurobonds oder so etwas reden, das mit einer Transaktionssteuer gekoppelt sein muss, damit das nicht die Arbeitnehmer hier bezahlen, sondern die, die die Krise angerichtet haben, die Spekulanten und andere.

(Beifall bei der SPD)

Wir glauben, dass die Finanzkontrolle verstärkt werden muss. Ich sage noch einmal: Am dritten Jahrestag der Lehman-Pleite muss uns doch klar sein, dass wir mehr Finanzkontrolle brauchen und nicht weniger. Das steht doch auf der Tagesordnung Europas.

Mein SPD-Präsidiumskollege Martin Schulz hat gestern im Europäischen Parlament gesagt: Die, die jetzt über Staatspleiten schwadronieren,

(Zuruf von der CDU: Die haben Sie verur- sacht!)

zeigen doch deutlich an, dass eigentlich ihre Parteien politisch pleitegegangen sind, wenn sie meinen, dass sie so zündeln müssen. Das ist völlig verantwortungslos. Was würde denn die Konsequenz sein, wenn Griechenland pleiteginge? Es glaube doch niemand, dass danach nicht die nächsten Länder folgen würden. Das würde doch mit Portugal und Irland und wahrscheinlich Italien so weitergehen. Wer soll das bezahlen? Was hieße das für Ar

beitslosigkeit und für andere Entwicklungen, meine sehr verehrten Damen und Herren? - Das wäre eine Katastrophenentwicklung! Daran kann Deutschland kein Interesse haben, und daran dürfen wir uns auch nicht beteiligen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist schlimm genug, dass es Minister in der Bundesregierung sind, die sich öffentlich so unverantwortlich einlassen, weil die Finanzmärkte sehr wohl auf so etwas reagieren.

Übrigens, zu der Nervosität der Finanzmärkte will ich deutlich sagen: Ich glaube, wir müssen sehr viel deutlicher sagen, dass hier der Primat der Politik gelten muss gegen den der Märkte und nicht die Märkte entscheiden, was in der Welt geschieht.

(Zuruf von der FDP: Eben!)

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind seit unserem Heidelberger Parteitag 1925 der festen Überzeugung

(Zurufe: Oh!)

- da gab es Sie noch nicht -, dass wir die Vereinigten Staaten von Europa brauchen, die auf Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ihre Werte gründen. Das sind auch heute noch die richtigen Werte. Es ist sehr, sehr einfach, so zu reden, dass einem die Stammtische zustimmen. Das ist ganz simpel. Warum sich um die Fakten kümmern, wenn man Vorurteile schüren kann? Das ist sehr einfach. Aber Erich Kästner, mit dem ich gern schließen möchte, hat einmal gesagt: Erst wenn die Mutigen klug und die Klugen mutig geworden sind, wird es Fortschritt geben!

(Niclas Herbst [CDU]: Europabericht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, genauso ist es. Es ist viel mutiger, zu den Werten von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, von europäischer Toleranz zu reden, als hier Vorurteile zu schüren und so zu tun: Wenn die nur genug sparen würden, dann wäre das alles in Ordnung. Am besten machen sie es wie die Schleswig-Holsteiner, wie der Ministerpräsident immer sagt, damit wir nicht Griechenland werden. Daraus kommt kein Nutzen! Nutzen kommt, wenn wir uns an unserer gemeinsamen Verantwortung beteiligen, für Wachstum, für Beschäftigung, für soziale Sicherheit in Europa zu sorgen. Wir wollen ein soziales Europa und kein kaltherziges Europa der Märkte und der Finanzhaie!

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

(Dr. Ralf Stegner)

Für die CDU-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Johannes Callsen, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor gerade einmal sechs Jahrzehnten lag Europa komplett in Schutt und Asche. Es waren keine Naturkatastrophen oder göttliche Heimsuchungen, die damals das Grauen verursacht haben, die Not, Schrecken und Elend, die Vernichtung und Tod in apokalyptischer Dimension über die Völker eines ganzen Kontinents und weit darüber hinaus gebracht haben. Der Mensch, getrieben von Größenwahn, Verblendung und Hass, war es selbst. Wir mussten neue Worte erfinden, um das selbst verschuldete Grauen überhaupt beschreiben zu können. Wir haben uns damals geschworen: Nie wieder Krieg!

Dieser Schwur unserer Väter war absolut ernst gemeint, und er bindet uns noch heute. Dieser Schwur verbindet uns mit den Völkern Europas; denn alle haben sich damals das Gleiche geschworen, und sie haben uns in ihrer Mitte, in Europa aufgenommen. Deshalb sage ich voller Überzeugung: Europa war und ist das größte und erfolgreichste Friedensprojekt der Weltgeschichte.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir uns immer wieder vor Augen führen, wenn wir über Europa und den Euro reden. Kleinlichkeit, Rechthaberei und Schulmeisterei stehen uns nicht gut an. Wir haben Europa unendlich viel zu verdanken, vor allem den Frieden. Nicht ohne Grund sind wir seit Jahren, seit Jahrzehnten Exportweltmeister und Weltmeister im Verreisen. Das alles geht nur, weil die Grenzen gefallen sind. Wir haben über Jahrzehnte auch wirtschaftlich von Europa profitiert wie kein zweites Land. Dieses Europa, unser gemeinsames Europa, kann jetzt darauf vertrauen, dass wir alles unternehmen werden, um das Friedensprojekt Europa dauerhaft abzusichern und zum Erfolg zu führen. Dazu brauchen wir Klugheit, wirtschaftlichen und politischen Sachverstand und Vertrauen in unsere Partner, Vertrauen, das man auch uns damals nach dem Krieg geschenkt hat, als wir es bitter nötig hatten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte der Landesregierung für die Erstellung des Europaberichts sehr herzlich danken. Er stellt eindrück