Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Namen des SSW bedanke ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Innenministerium für diesen Bericht. Er ist informativ und konstruktiv und bietet eine gute Grundlage für die weitere Arbeit mit diesem Thema.
In der Rede des SSW zum ersten Teil dieses Berichts stellte meine Kollegin Silke Hinrichsen bereits fest, dass der Ton der Debatte zur Jugendkriminalität sachlicher geworden ist. Dem möchte ich mich vor dem Hintergrund dieses Berichts anschließen. Mit der sinkenden Anzahl tatverdächtiger Jugendlicher geht die Entdramatisierung des Themas und eine differenziertere Sichtweise einher. Wir müssen nämlich ganz klar unterscheiden zwischen der „normalen“ Jugendkriminalität, die in dem Bericht als bagatellhaft, überall verbreitet und vorübergehend beschrieben wird, und der Kriminalität von Mehrfach- und Intensivtätern.
Die „normale“ Jugendkriminalität könnte also von fast allen Jugendlichen begangen werden. Allerdings reicht hier laut Bericht häufig die informelle Erledigung der Straftaten aus, da die Jugendlichen im Rahmen des Erwachsenwerdens diese entwicklungsbedingten Auffälligkeiten zeigen, die dann aber auch wieder verschwinden.
Ganz anders sieht es im Umgang mit Mehrfachund Intensivtätern aus. Die Straftaten dieser Jugendlichen haben in den letzten Jahren die mediale Berichterstattung zur Jugendkriminalität beherrscht, sie sind schockierend und alarmierend in ihrer Brutalität. Obwohl nur ein sehr geringer Prozentsatz der auffälligen Jugendlichen - geschätzt wird zwischen 3 und 7 % - Mehrfach- oder Intensivtäter sind, gehen doch 40 % der Straftaten auf ihr Konto. Im Gegensatz zur „normalen“ Jugendkriminalität verstetigen sich hier die Straftaten und erledigen sich eben nicht mit dem Erwachsenwerden.
Nach einer ersten Schockstarre im Umgang mit diesen Tätern gelingt es langsam, geeignete Konzepte zu entwickeln und auch umzusetzen. Die Experten sind sich darin einig, dass Wegschließen, lieber Kollege Kalinka, allein nicht die Lösung ist.
Ich empfehle Ihnen die Seite 94 des Berichts, wo das noch einmal ganz deutlich gesagt wird. Wegschließen ist keine Lösung.
Vielmehr heißt die Zauberformel: konsequent und frühzeitig auf Prävention setzen. Der SSW predigt seit vielen Jahren, dass Prävention nicht nur kostengünstiger ist als Repression, sondern vor allem auch zweckmäßiger.
Es freut uns daher zu lesen, dass auch die Arbeitsgruppe zur Jugend-Taskforce der Auffassung ist, dass vor allem auf ein umfassendes Frühwarnsystem und auf eine frühzeitige Prävention gesetzt werden muss.
Alarmierend ist der Bericht allerdings in Sachen Kooperation von Jugendstrafjustiz, Jugendhilfe, Polizei, Schule und anderen Institutionen. Gerade bei den Mehrfach- und Intensivtätern müssen alle relevanten Partner frühzeitig informiert sein und ei
ne abgestimmte Verfahrensweise verfolgen, damit der jeweilige Jugendliche ganz klar von allen Seiten zu wissen kriegt, dass es so nicht geht. Obwohl es in Schleswig-Holstein eine gesetzliche Regelung zur Bildung von Kooperationskreisen gibt, funktionieren diese anscheinend noch lange nicht überall. Die Einrichtung von regionalen Taskforces wird daher vom SSW begrüßt.
Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich gerade die Arbeit der Jugendhilfe in den letzten Jahren verändert hat. Durch den allgemeinen Rückgang der Jugendhilfe - vor allem aufgrund von fehlenden Ressourcen - muss die Polizei vermehrt anrücken und auf repressive Maßnahmen gegen die Täter zurückgreifen.
- Aber das hat nichts mit der Sache zu tun, sondern mit den fehlenden Ressourcen. Hier müssen wir den Hebel ansetzen. Dabei wissen wir, dass vor allem pädagogische Maßnahmen und intensive Betreuungsmaßnahmen nachhaltig wirken und dafür sorgen, dass die Rückfallquoten sinken. Wer meint, dass Heimunterbringung eine Hilfe ist, der sollte sich mit den Rückfallquoten beschäftigen. Jedes Mal, wenn ich etwas darüber lese, kriege ich einen Schock. Sie beträgt in manchen Bundesländern 80 %. Das ist eine Katastrophe.
In dem Bericht wird daher zu Recht darauf hingewiesen, dass die begrenzten fachlichen und personellen Ressourcen in den Jugendämtern, beim Jugendgericht und bei der Jugendstaatsanwaltschaft einer pädagogisch einwirkenden Justiz nicht im Wege stehen dürfen. Dementsprechend muss aber auch die Kooperation zwischen Jugendrichtern, Jugendstaatsanwälten und Jugendhilfe verbessert werden. Dabei dürfen finanzielle Begrenzungen keine Rolle spielen. Nach wie vor gilt etwas, von dem ich denke, dass es das Wichtigste ist, nämlich dass es viel kostengünstiger ist, der Straffälligkeit von Jugendlichen präventiv zu begegnen.
Es ist eine Tatsache, dass wir im Zeitraum vor 2004 bis etwa 2009 eine Verdoppelung der Zahl der jugendlichen Straf- und Intensivtäter hatten. Ich finde es verräterisch, wenn nach 20 Jahren mit einem SPD-Innenminister von dieser Seite aus gesagt wird: Fahrt dieses Thema nicht zu hoch!
Wenn man sich dies vor Augen hält, dann ist es schon verräterisch, wenn gesagt wird, es habe keinen erheblichen Anstieg gegeben. Ich führe dies nicht allein auf Parteipolitik zurück, keine Sorge, so bin ich sicherlich nicht.
Meine Damen und Herren, wir haben diese Initiative aus der tiefen Überzeugung heraus gestartet, dass mehr geschehen muss. Lassen Sie mich dies in drei Minuten stichwortartig sagen: Die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung für eine gewisse Zeit ist doch nur die letzte Möglichkeit, wenn anderes nicht mehr wirkt, sonst nichts. In Niedersachsen wird dies derzeit ausprobiert. Ist denn der Knast die bessere Alternative?
Ich finde, das ist die schlechtere Alternative, über die man sich hier zu unterhalten hat. In dem Bericht steht mitnichten, dass dies abgelehnt wird. Auch wir lehnen die Rückkehr zu alten Strukturen ab, da gibt es keine Differenz. Es muss aber doch möglich sein, jemanden, der 180 Delikte auf dem Kerbholz hat, für eine gewisse Zeit auf eine vernünftige Bahn zurückführen zu können. Wo sind wir in diesem Land eigentlich inzwischen?
nis genommen, welche Zahlen in dem Bericht zugrunde gelegt wurden? Haben Sie zur Kenntnis genommen, welche Rückfallquoten bei den sanktionierenden Maßnahmen und bei der Heimunterbringung im Vergleich zu den hervorgehobenen präventiven Maßnahmen angeführt wurden? - Die Rückfallquote liegt bei über 70 % im Vergleich zu 30 und 40 %. All das steht im Bericht. Sie können auch gern -
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich glaube, die Kollegin hat das so formuliert, weil das im Bericht so nicht steht.
(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Soll ich Ihnen die Seitenzahl zeigen? - Zuruf der Abgeordneten Serpil Midyatli [SPD])
- Ja, natürlich ist das so. Frau Kollegin, der Bericht ist in der Frage, ob man sich diesen Gedanken nähern sollte oder nicht, im Ergebnis offen. Er befürwortet das nicht, er lehnt es aber auch nicht strikt ab. Er ist in dieser Frage offen. In dem Bericht wird nur gesagt, wir sollten nicht zu alten Strukturen zurückkehren. Dieser Meinung sind wir auch. Keiner von uns will die alten Strukturen zurückhaben. Das ist nicht die Diskussion, um die es geht. Es geht darum, ob wir uns modernen Gedanken, wie sie zum Beispiel derzeit in Niedersachsen umgesetzt und ausprobiert werden, annähern oder nicht. Um diese Frage geht es. Wo sind wir eigentlich, dass es in diesem Punkt offenbar Denkverbote gibt? - Das kann doch nicht richtig sein.
Ich will die Frage stellen: Wenn Sie jemanden haben, der 160 bis 180 Delikte aufweist; was machen Sie mit dem? Wie gehen Sie praktisch mit dem um? - Herr Kollege Fürter, hier wurde das Thema Datenschutz angesprochen. Ich hoffe sehr, dass die
Polizei dann, wenn sie zu einem Einsatz fährt, Bescheid darüber weiß, ob sie auf einen Intensivtäter trifft oder nicht. Ich will doch sehr hoffen, dass dies in unserem Land sichergestellt ist.
Zur Frage der Jugend-Taskforce in der Praxis: Das, was hier vorgeschlagen wird, ist nichts Neues. Das behauptet auch keiner. Die Jugend-Taskforce stellt ein Zusammenwirken verschiedener Bereiche dar. In den Kreisen, in denen dies schnell und unbürokratisch passiert, gibt es die höchsten Erfolgsquoten. Dies auf das Land zu übertragen, ist ein völlig vernünftiger Weg, der jetzt gegangen wird. Eine Neuigkeit ist dies jedoch nicht.
Eine vorletzte Bemerkung! Das Beispiel hat im Kern nichts mit jugendlichen Intensivtätern zu tun, aber nehmen Sie das Beispiel vielleicht doch einmal, weil es etwas anspricht: Fahren Sie einmal dorthin, wenn zum Beispiel am Himmelfahrtstag 50 oder 100 Jugendliche eine Party feiern und dort alles zusammenschmeißen oder sonst etwas machen. Wenn Sie das einmal miterlebt hätten, dann würden Sie anders über diese Dinge sprechen. Wir haben im Innen- und Rechtssausschuss darüber diskutiert. Dort, wo die Polizei Präsenz zeigt, dort gibt es entsprechende Veränderungen im Verhalten. So ist die Wirklichkeit in diesem Land.