Protokoll der Sitzung vom 15.09.2011

Eine vorletzte Bemerkung! Das Beispiel hat im Kern nichts mit jugendlichen Intensivtätern zu tun, aber nehmen Sie das Beispiel vielleicht doch einmal, weil es etwas anspricht: Fahren Sie einmal dorthin, wenn zum Beispiel am Himmelfahrtstag 50 oder 100 Jugendliche eine Party feiern und dort alles zusammenschmeißen oder sonst etwas machen. Wenn Sie das einmal miterlebt hätten, dann würden Sie anders über diese Dinge sprechen. Wir haben im Innen- und Rechtssausschuss darüber diskutiert. Dort, wo die Polizei Präsenz zeigt, dort gibt es entsprechende Veränderungen im Verhalten. So ist die Wirklichkeit in diesem Land.

Die drei Minuten sind leider um. Daher will ich abschließend sagen: Bei 18- bis 21-Jährigen ist es natürlich jedem Richter selbst überlassen, welche Entscheidung er trifft, Herr Kollege Fürter.

(Glocke des Präsidenten)

Welche Briefe in Rechtsfragen geschrieben werden, muss jeder selbst wissen. Ich weiß übrigens auch, welche Briefe ich schreibe.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Es ist selbstverständlich eine Richterentscheidung, aber man darf eine Tendenz ansprechen. Politisch darüber nachzudenken, ist nicht verboten.

(Beifall bei der CDU)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Kai Dolgner das Wort.

Werter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Kalinka, Sie haben zu einer rationalen Debatte zum Thema geschlossene Heime aufgefordert. Ob das, was Sie auch im letzten Jahr verbreitet haben, dazu beiträgt, darüber können wir sicher trefflich streiten. Ich kann die Hilflosigkeit vieler Beteiligter natürlich verstehen. Ich kann die Hilflosigkeit gerade derjenigen verstehen, die es mit sehr intensiven Intensivtätern zu tun haben, denn teilweise weiß man wirklich nicht, was man machen soll. Es nützt aber nichts, wenn man wieder irgendwelche Konzepte heraussucht, die nachweislich gescheitert sind. Ich kann Ihnen das anhand von Fakten zeigen, und wir brauchen gar nicht bis 1993 zurückzugehen. Ich weiß, dass es immer gern ignoriert wird, aber wir können den niedersächsischen Versuch abwarten. Ihre Kollegen in Hamburg haben nach langen Diskussionen einen Versuch gestartet.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kalinka?

Aber gern doch.

Herr Kollege, wären Sie bereit, dem Gedanken näherzutreten, sollten die niedersächsischen Ergebnisse im nächsten Jahr eine positive Bilanz haben?

- Wie Sie wissen, bin ich immer bereit, jeder Diskussion näherzutreten. Die Ergebnisse können Sie nur langfristig betrachten. Im nächsten Jahr werden Sie nicht sehen können, ob eine Maßnahme für einen 12-Jährigen diesen - wie Sie so schön sagen auf die rechte Bahn gebracht haben. Dafür brauchen Sie sehr lang angelegte Studien. Die HighScope-Perry-Studie in den USA läuft beispielsweise seit 40 Jahren. Lieber Herr Kalinka, wir haben aber schon Ergebnisse. Diese würde ich Ihnen gern vorführen. Sie haben eine rationale Diskussion gefordert, und die biete ich Ihnen jetzt.

Nachdem wir in den alten Bundesländern mit den alten Konzepten alle gescheitert waren und Mitte der 90er-Jahre in sehr vielen Bereichen die geschlossene Heimunterbringung abgeschafft worden ist, ist, getrieben von den Kollegen von der CDU in Hamburg, ein neuer Versuch gestartet worden, ohne Denkverbote. Zu allem, was Sie gesagt haben, kann ich Ihre Kollegen aus Hamburg

(Werner Kalinka)

von vor fast zehn Jahren zitieren. Dann ist Folgendes passiert: Es ist in der Feuerbergstraße ein entsprechendes geschlossenes Heim eingerichtet worden, und zwar als letzte Chance vor der Unterbringung im Strafvollzug. Ich kann Ihnen das nachher alles noch gern zeigen, und wir können dann darüber diskutieren. Ich habe heute Abend noch ein bisschen Zeit.

(Werner Kalinka [CDU]: Meinen Sie, ich hö- re das zum ersten Mal?)

- Lieber Kollege Kalinka, ich weiß ja, dass Sie sich jetzt aufregen und sich nicht der rationalen Diskussion stellen, sondern ein bisschen emotional reagieren. Das kann ich ja auch verstehen. Denn Sie wissen doch, dass es in fünfeinhalb Jahren gerade mal gelungen ist, in dieser Einrichtung 50 Jugendliche zu behandeln. Es gab nur sechs geschlossene Plätze. Rein quantitativ können Sie das Problem der Intensivtäter damit nicht lösen. Sie können es auch qualitativ damit nicht lösen, weil es bei diesen 50 praktisch keine nachweisbaren Effekte auf eine Resozialisierung gab. Der ganze Spaß hat übrigens 7 Millionen € gekostet. Das sind die Fakten; wohlgemerkt für 50 Personen.

Es gab deshalb einen Untersuchungsausschuss, der 2.500 Stunden getagt hat und noch einmal 2 Millionen € gekostet hat. Wie immer bei knappen Haushaltsmitteln ist alles eine Abwägung. Man kann nicht immer alles haben, was man für wünschenswert hält. Ich finde, wenn wir 7 Millionen € in ganz andere Bereiche von Prävention und von betreuenden Maßnahmen stecken, können wir viel mehr verhindern. Das ist der beste Opferschutz.

Herr Kollege von Boetticher, Sie mögen das mehrfach bestreiten. Ich habe Ihnen die Zahlen genannt. Ich kann Ihnen verschiedene Untersuchungen aus anderen Bundesländern nennen. Ich fordere Sie hiermit auf, meine Zahlen zu widerlegen und nicht einfach Behauptungen in die Welt zu setzen, die nicht empirisch, von keinem Wissenschaftler dieser Welt geteilt werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahre 1990, als ich in Pinneberg das Abitur machte, gab es in der Stadt Pinneberg sechs Intensivtäter, sechs Jugendliche, die ständig durch Straftaten auffällig wurden, die im Übrigen unter uns etwas Jüngeren damals sehr gut bekannt waren. Man wusste, wann man die Straßeseite lieber zu wechseln hatte, weil man ungefähr ahnte, was die alles auf dem Kerbholz haben.

(Zurufe)

- Ich war ein bisschen dünner, und es gab durchaus Leute, die ein bisschen kräftiger waren. Heute, gut 20 Jahre später, gibt es 46. In 15 dieser letzten 20 Jahre haben Sie regiert. Mit all Ihren Maßnahmen, mit all Ihren Präventionen, die Sie ja offensichtlich gemacht haben, haben Sie offensichtlich nicht bewirkt, dass die Zahl von jugendlichen Gewalttätern zurückgegangen ist. Im Gegenteil, in diesen Jahren hat sich die Zahl der jugendlichen Intensivtäter mehr als versechsfacht.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Lieber Kollege Dr. von Boetticher, können Sie dem Hohen Hause erklären, in welchem Zeitraum, seit wann, diese Versechsfachung eingetreten ist und wer in dieser Zeit an der Landesregierung beteiligt war und nach Ihrer Definition dann entsprechend eine ebenso große Mitschuld trägt?

- Die Zahl ist zwischen dem Jahr 1990 - das war das Jahr, in dem ich Abitur gemacht habe - bis zu diesem Jahr gewachsen. Die Kennzahl, die ich genannt habe, stammt aus diesem Jahr. Das, was die Polizei sagt, ist, dass die Zahl seit einigen Jahren, beziffert auf die letzten vier, fünf Jahre, gleich hoch geblieben ist. Das heißt, wir haben in den letzten Jahren keine signifikante Steigerung mehr, allerdings auch keine Senkung. Der massive Anstieg ist über diese 20 Jahre zustande gekommen. Das ist mein Wissen.

(Dr. Kai Dolgner)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Herr Kollege von Boetticher, würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass sich nach den Drucksachen, die diesem Landtag zur Verfügung stehen, die Zahl der Intensivtäter in den letzten sechs Jahren versechsfacht hat und erst im letzten Jahr einigermaßen, wenn auch mit einer gewissen Steigerung, konstant geblieben ist?

(Unruhe)

- Darf ich meine Frage stellen? - Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass die Versechsfachung der Zahl der Intensivtäter, die der Kollege Kalinka und auch der Kollege Dankert in einer Landtagssitzung, an der Sie auch teilgenommen haben, demonstriert haben, seit 2004 passiert ist? Und würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass Sie in der Zeit der Landesregierung ab 2005 angehört haben?

- Wer war Innenminister, könnte ich jetzt zurückfragen. Ich kann aber auch eines sagen: Das, was Sie nennen, sind Durchschnittswerte über das ganze Land. Das kann man machen, das ist statistisch auch gut. Ich habe Ihnen ein Einzelbeispiel aus der Stadt Pinneberg genannt, um zu verdeutlichen, dass das eine gewisse Dramatik angenommen hat.

Jetzt sage ich ja gar nicht, dass wir den Stein der Weisen gefunden haben. Ich will Ihnen nur sagen, diese Arroganz und Überheblichkeit, mit der Sie uns jetzt sagen, was wir tun und lassen müssen und worüber wir lieber nicht reden dürfen, fällt am Ende auf Sie zurück, weil Sie in den letzten 15 Jahren null Konzepte aufgestellt haben, um diesem Problem Herr zu werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich sage Ihnen noch etwas: Sie müssen mal überlegen, wo bei uns in der Definition - darüber werden wir ja noch reden - jugendliche Intensivtäter überhaupt anfangen. Es gibt eine Bepunktung. Danach wird Körperverletzung mit zwei Punkten bewertet. Lieber Kollege Fürter, Sie haben ja durchaus zu Recht gesagt, hinter Punkten soll man sich am Ende nicht verstecken. Aber ich will auch mal darüber reden, was das heißt. Das heißt, jemand muss acht Mal innerhalb eines Jahres, innerhalb von zwölf

Monaten, Körperverletzungen begehen, um überhaupt in diesen Bereich der polizeilichen Maßnahmen oder auch der präventiven Maßnahmen zu fallen. - Sie lachen jetzt. Ich glaube, jemand, der mehrfach Opfer von Körperverletzungen geworden ist, häufig von denselben Tätern, die als Ersttäter auch nach einer gewissen Anzahl von Straftaten immer noch die Möglichkeit haben, diese zu begehen, weil dort noch nichts greift, jedenfalls nichts, was verhindert, dass sie wieder tätig werden, sieht das anders. Das müssen Sie sich bitte einmal aus Opfersicht vorstellen. Darum bringt es eben nichts, das immer nur aus Tätersicht zu sehen und zu überlegen, wie das präventiv wirkt, sondern Sie müssen auch einmal gucken, wie Sie verhindern, dass Opfer immer wieder mit denselben Straftätern konfrontiert werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das ist nämlich auch eine wesentliche Frage, die wir uns stellen müssen.

Darum sage ich ganz deutlich: Sie haben am Anfang versucht, uns in die Ecke zu schieben, dass wir die alten geschlossenen Heime wiederhaben wollten. Mittlerweile haben Sie erkannt, dass das nie die Forderung der Union gewesen ist, sondern dass wir an der Stelle sehr differenziert vorgegangen sind. Aber wir haben auch eine Lücke entdeckt zwischen dem, was Jugendarrest auf der einen Seite ist und was am Ende Jugendknast auch bedeutet. Dazwischen ist etwas, was wir als Lücke definiert haben. Nun kann man sich darüber unterhalten, ob Konzepte -

(Wortmeldung des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])

Bevor Sie wieder rhetorische Fragen stellen, lasse ich keine weiteren Fragen zu.

Also, da ist eine Lücke, und diese Lücke muss geschlossen werden. Wir haben den Stein der Weisen nicht gefunden. Wir wissen nur, dass das, was Sie in Ihren Jahren als Prävention gemacht haben, nicht dazu geführt hat, dass wir das Problem in den Griff bekommen haben. Das sind wir der Öffentlichkeit verdammt noch mal wirklich schuldig.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man ist doch sehr erstaunt, wenn man dieser Debatte zuhört. Was die Zahlenspielereien angeht, will ich Ihnen ehrlich sagen: Die Erkenntnisse sind doch, was die Zahlen angeht, in den Ländern nicht unterschiedlich, egal, wer da regiert. Richtig ist allerdings - Bezug genommen haben ja die Kollegen aus der SPD-Fraktion auf den Bericht des Innenministers, darauf, was darin steht -, dass man festgestellt hat, dass es vernünftig ist, dafür zu sorgen, dass Jugendliche gar nicht zu Intensivtätern werden, indem man zum Beispiel dafür sorgt, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe, Polizei und Justiz gibt. Das Land, das den schlimmsten Wahlkampf damit getrieben hat zu hetzen, nämlich Hessen, hat das am schlechtesten gemacht. Das ist der Punkt, der dabei herausgekommen ist: Damit hat Herr Koch einmal Wahlkampf gemacht. Deshalb sollte man hier nicht so reden, und die billigen Schuldzuweisungen sollte man sich sparen.

Ich muss auch ehrlich sagen: Ich habe heute bei mehreren Debatten von Rednern der Union und auch der FDP gehört, es gebe hier Denk- oder Redeverbote. Ich habe noch nicht ein einziges Denkoder Redeverbot hier im Landtag gehört. Das Ge

genteil ist richtig. Das Denkgebot wird zu oft missachtet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man anfangen würde zu denken, wäre das sehr viel besser.