Protokoll der Sitzung vom 15.09.2011

Dann erteile ich Herrn Dr. Stegner das Wort.

Lieber Herr Kollege Vogt, ich habe eine Doppelfrage: Sie haben ausgeführt, Ihr Bundesvorsitzender habe nicht gesagt, man solle die geordnete Insolvenz jetzt anstreben, sondern man müsse nur darüber nachdenken, ein solches Instrument zu entwickeln.

Ich wüsste gern von Ihnen, welchen Sinn es in der konkreten Debatte um Griechenland haben soll, ein solches Instrument zu entwickeln, wenn man es nicht anwenden möchte.

Zweitens. Möchten Sie gern unsere Mithilfe haben, öffentlich zu bezeugen, dass Sie sich gewaltig für Ihren Bundes- und Ihren Landesvorsitzenden ins Zeug gelegt haben?

Für eine weitere Zwischenfrage erteile ich Herrn Kollegen Dr. Tietze das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Herr Kollege Vogt, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie den Mitgliederentscheid Ihrer Partei zu der Frage Ja oder Nein zum Rettungsschirm ablehnen? Wenn er durchgeführt wird: Wird sich die schleswig-holsteinische FDP daran beteiligen?

Ich weiß nicht, warum Sie meinen, ich hätte den Mitgliederentscheid abgelehnt. Ich kann mich nicht erinnern, etwas in diese Richtung gesagt zu haben. Ich bin für den Mitgliederentscheid. Das ist ein wichtiges Instrument, gerade in dieser wichtigen Frage. Nicht alle Mitglieder dieses Hauses haben gute Erfahrungen mit Mitgliederbefragungen gemacht; ich erinnere mich an Herrn Dr. Stegner.

Der schon angesprochene Bundestagsabgeordnete Schäffler hat gemeinsam mit anderen Parteifreunden die Debatte angestoßen. Es ist richtig, dass man über diese wichtige Frage debattiert. Es wird wahrscheinlich einen Mitgliederentscheid geben. Fünf Landesverbände sind für das Erreichen des Quorums notwendig. Der Vorstand des schleswigholsteinischen Landesverbands der FDP wird auf seiner morgigen Sitzung darüber sprechen. Unser Landesvorsitzender hat sich schon positiv in der Sache geäußert. Der Vorstand unserer Partei wird morgen entscheiden, ob wir als Landesverband das Vorhaben offiziell unterstützen.

Ich glaube, es ist der richtige Weg, die Mitglieder in einer solch wichtigen Angelegenheit zu befragen und breit über das Thema zu diskutieren.

Gestatten Sie eine Nachfrage?

Herr Kollege Vogt, vielen Dank für die erläuternden Ausführungen. Würde ein Nein Ihrer Partei den Ausstieg aus der Koalition und den Abschied von Ihrer bisherigen Europapolitik bedeuten?

(Heiterkeit bei der FDP)

- Herr Dr. Tietze, wirklich! Wir können uns ernsthaft oder gar nicht über das Thema unterhalten. - Es wird einen Vorschlag der Parteimitglieder, die das Thema angestoßen haben, geben. Daneben wird der Bundesvorstand der FDP einen Vorschlag unterbreiten, der sich sicherlich inhaltlich von dem anderen Vorschlag absetzen wird. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit meiner Partei eine Radikallösung nicht unterstützen wird. Insofern werden wir auch nicht aus der Bundesregierung austreten, auch wenn Sie sich das wünschen. Dazu wird es nicht kom

(Christopher Vogt)

men. Das war eine komische Frage, Herr Dr. Tietze.

(Wortmeldung des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

- Herr Schippels, ich lasse keine Zwischenfragen mehr zu. Deren Qualität ist im Laufe der Zeit nicht unbedingt besser geworden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Meine Damen und Herren, ich hatte schon während der Beantwortung der Zwischenfragen Gelegenheit, einiges von dem zu sagen, was ich sagen wollte. Ich fasse zusammen: In der FDP wird es wahrscheinlich einen Mitgliederentscheid geben. Ich halte das für eine gute Sache. In anderen Parteien finden es einige vielleicht schwierig, über dieses Thema in einer Partei breit zu diskutieren. Der Mitgliederbeschluss wird eine Positionierung der FDP zur Folge haben, und dementsprechend wird sich die FDP in der Koalition positionieren. Radikallösungen wird es ganz sicher nicht geben; das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Insofern möchte ich nochmals die Hoffnung im rot-grünen Lager dämpfen, dass die FDP im Dezember aus der Bundesregierung austreten wird.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort hat Herr Kollege Lars Harms von der Fraktion des SSW.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade eben gab es Irritationen darüber, dass sich der SSW bei einem SPD-Antrag enthält. Der Grund ist eigentlich relativ leicht zu erkennen. Wenn man sich den Antrag anschaut, so sind darin europapolitische - nicht finanzpolitische - Leitlinien vorgegeben, die wir durchaus teilen: das politische Bekenntnis zur europäischen Einigung, das soziale Europa. Es wird aber eben auch gesagt, dass man, wenn man das soziale Europa gestaltet, nicht nur einseitig auf Einsparungen, sondern auch auf Mehreinnahmen setzt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass wir uns enthalten, da wir in einem gravierenden Punkt der Finanzpolitik, der hier mit genannt ist, eine andere Auffassung haben.

Griechenland hat man aus politischen Erwägungen in den Euro-Raum aufgenommen. Wir machen immer wieder den gleichen Fehler, nämlich politisch zu argumentieren,

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

anstatt dieser Finanzkrise, wie wir sie haben und unter der Griechenland erheblich leidet - Griechenland leidet auch erheblich unter dem starken Euro -, endlich finanzpolitisch zu begegnen und politische Erwägungen zunächst außen vor zu lassen. Das ist ganz wichtig. Wir haben hier eine ökonomische Betrachtungsweise anzuwenden und eben nicht politische Ziele zu verfolgen. Deswegen ist meiner Meinung nach die Debatte, so wie sie von einigen geführt wird, fehl am Platz.

Ich muss auch ganz ehrlich sagen: Herr Kollege Kubicki hat vorhin viel Richtiges gesagt, weil er es völlig unideologisch gesagt und nur ökonomisch argumentiert hat. Wenn man dem folgt, sieht man auch, dass Eurobonds der falsche Weg sind, weil sie einfach finanzpolitisch, ökonomisch nicht sinnvoll sind, jedenfalls so lange nicht, wie man nicht in allen Ländern von gleichen Voraussetzungen ausgeht. Das tut man in Europa eben nicht. Die Länder sind zu unterschiedlich strukturiert.

Deswegen wird ein solches System nicht funktionieren können und eher dazu führen, dass ein starkes Land wie Deutschland geschwächt wird, obwohl man gerade auch als Grieche Wert darauf legen muss, dass Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland, aber auch wie Frankreich oder Italien stark sind, damit sie helfen können.

Bisher, da man noch keine einheitliche Lösung gefunden hat, gibt es eigentlich nur eines, von dem wir heute schon sicher sein können, dass es kommen wird. Das ist nicht die sogenannte geordnete Insolvenz. - Ich halte dieses Wort ohnehin für katastrophal, man sollte es nicht benutzen und lieber von Schuldenerlass oder Schuldenschnitt sprechen; das klingt lange nicht so negativ wie das Wort „Insolvenz“. - Vielmehr wird es dazu kommen, dass die reichen Länder innerhalb der Eurozone Schulden erlassen müssen. Das ist so, und dies wird auch ein probates Mittel sein, um den Griechen zu helfen. Denn nur, wenn sie weniger Schulden haben, werden sie in der Lage sein, ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Ansonsten wird dies nie gelingen.

Dieses Mittel kann man relativ schnell anwenden, und es ist auch ein relativ unkompliziertes Mittel. Um auch die Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite zu beruhigen: Dieses Mittel wird auch die Banken treffen, weil auch die Banken Geld an diese Staaten verliehen haben. Damit wird es alle treffen, die in irgendeiner Art und Weise in diese Finanz

(Christopher Vogt)

krise involviert waren. Ich denke, dies ist eines der probaten und der führenden Mittel, die wir tatsächlich anwenden können. Es mag auch noch andere Mittel geben. Eurobonds sind zumindest der falsche Weg.

(Beifall beim SSW)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da Herr Kollege Habeck und andere der festen Überzeugung sind, man dürfe über Dinge nicht reden, solange die Instrumentarien nicht entwickelt sind: Herr Kollege Habeck, über private Insolvenzverfahren gibt es eine Insolvenzordnung. Wir haben kein Vertragswesen, kein Regelwerk für die Abwicklung von Staatsschuldenkrisen, wie wir sie gegenwärtig in Griechenland und anderen Ländern haben.

Trotz unserer Appelle, dass der Euro insgesamt nur stark bleiben kann, wenn die Wirtschafts- und Sozialpolitiken angeglichen werden, wird diese Angleichung noch ein paar Jahre dauern, weil die kleineren Länder, wofür ich viel Verständnis habe, mit der Abgabe von Souveränität viel größere Probleme haben als die größeren Länder, die immer noch glauben, dass sie auch in einem größeren EuroRaum eine stärkere Durchsetzungsfähigkeit als die kleineren haben. Daher müssen wir uns der Frage zuwenden, ob wir nicht ein Regularium, ein Vertragswerk, brauchen, das es uns ermöglicht, mit dieser insolvenzreifen Situation, in der wir uns befinden - sie ist insolvenzreif -, fertig zu werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Nicht mehr und nicht weniger erwartet man ja auch von den europäischen Institutionen und erwarte ich übrigens auch vom Parlament. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von den Abgeordneten, die sie wählen, dass sie Regularien schaffen, an denen man sich orientieren kann.

Man kann über viele Dinge streiten. Ich bin sicher, in Griechenland besteht nicht nur eine Staatsschuldenkrise, sondern auch eine Wettbewerbskrise der griechischen Wirtschaft, nicht nur in Bezug auf den Euro-Raum, sondern weltweit. Machen wir uns nichts vor: Es wird für die Griechen schwierig werden, unter der Geltung der Währung des Euro die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft wieder her

zustellen. Dies wird wirklich schwierig werden, und dies wird - wofür ich viel Verständnis habe dramatische soziale Probleme in Griechenland auslösen. Aber jedem von uns muss doch klar sein, dass ein Staatsunternehmen, dessen Lohnsumme höher ist als sein Umsatz, wirklich an sich arbeiten muss. Ich kann Ihnen sicher sagen, dass niemand in Deutschland und niemand in Europa Verständnis dafür haben wird, dass er arbeiten muss, damit dieser Unsinn in Griechenland am Leben gehalten wird.

Ich habe auch Verständnis dafür, dass die Menschen auf die Straße gehen und sagen: Wir sind an der Situation, in der wir uns befinden, nicht schuld. Das stimmt. Aber bei der Problembewältigung müssen sie mitwirken.

(Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt denn das Gegenteil? Was soll das?)

- Sie sagen die ganze Zeit das Gegenteil.

(Dr. Ralf Stegner [SPD]: Das sind die Unter- töne der Debatte!)

Herr Kollege Habeck, Ihr ökonomischer Beitrag, den ich jetzt wirklich verteilen werde, ist so sensationell, weil Sie jenen, die den Griechen künftig wieder Geld geben sollen, jetzt sagen: Gebt ihnen 10 €, und ihr bekommt 6 € wieder. Ich möchte wissen, wer in der Welt darauf einsteigen soll, dass Sie ihm sagen: Wenn ihr jetzt Geld gebt, bekommt ihr nur 60 % wieder.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das war Ihre Ansage. Wer sich so an der Debatte beteiligt, schadet dem Prozess eigentlich weitaus mehr als derjenige, der nach Regeln für eine geordnete Insolvenz für Staaten, die überschuldet sind, fragt.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Habeck?

Selbstverständlich, Frau Präsidentin. Ich wäre dankbar, wenn genauso viele Leute Zwischenfragen stellten wie beim Kollegen Vogt. Ich bin schon ganz neidisch.

(Lars Harms)